Dieter Klauth

Dieter Klauth

Eingangsstatement von Dieter Klauth bei "Lenin ein rotes Tuch?"

Veranstaltung von AUF-Gelsenkirchen, 22.08.2020

Von Dieter Klauth

Für die Einladung von AUF Gelsenkirchen und die Gelegenheit hier sprechen zu können, möchte ich mich herzlich bedanken.

Die MLPD hat mit der Aufstellung der Lenin-Statue dokumentiert, dass sie in Lenin ein Vorbild sieht. Dass sie einen Revolutionsführer, der unbeirrt und konsequent gegen den imperialistischen Krieg und für den Sturz der kapitalistischen Kriegsverursacher eintrat, in der heutigen Situation aufs Podest hebt, hat ganz offensichtlich einen Nerv getroffen.

Die Stadt hat eine von Gerd Koenen konzipierte antikommunistische Ausstellung ins Schloss Horst geholt und ihn zu einem gegen Lenin gerichteten Vortrag eingeladen, der gestern stattfand.

In seinem Buch „Die Farbe Rot“, das die Grundlage der Ausstellung darstellt, behauptet er nicht weniger, als dass die Geschichte genau umgekehrt verlaufen sei, wie sie uns bisher bekannt war: Lenin wäre demnach der Kriegstreiber gewesen, die Bolschewiki Terroristen und verantwortlich für Tod, Hunger und Elend.

Wie funktioniert das?

Mit zwei einfachen Tricks:

1. Der Imperialismus wird reingewaschen, er war gar kein Imperialismus

2. Der Friedensschluss durch die Bolschewiki war gar kein solcher, sondern nur der Vorwand Lenins für die Entfesselung des Terrors und einen neuen, viel brutaleren Krieg.

Nach dem Sturz des Zaren durch die Februarrevolution von 1917 war in Russland eine Doppelherrschaft entstanden: Es gab eine bürgerliche, die „provisorische Regierung“, die das Land führte und es gab die Sowjets, die Soldaten- und Arbeiterräte. Die Bolschewiki traten für Brot, Frieden und Arbeiterkontrolle ein – die bürgerliche Kerenskiregierung wollte jedoch den Großgrundbesitz nicht an die Bauern verteilen, die Großbetriebe nicht enteignen und den Krieg weiterführen.

Im Juli 1917 kam es zu einem Aufstand der Arbeiter in Petrograd, die sich gegen die unerträgliche Lage der Massen und die Weiterführung des Kriegs erhoben. Die Bolschewiki wurden dafür verantwortlich gemacht – ihre Partei wurde verboten, gegen Lenin Haftbefehl erlassen. Die Doppelherrschaft war zuende – zugunsten der Bourgeoisie. Menschewiki und Sozialrevolutionäre stellten sich offen an ihre Seite. Kerenski drohte im August, er werde jede revolutionären Bewegung, auch Versuche der Besetzung von Gutsbesitzerländereien durch die Bauern, „mit Blut und Eisen“ niederschlagen.

Durch einen Militärputsch, den General Kornilow in Absprache mit Kerenski vorbereitete, sollten die Sowjets der Arbeiter und Bauern vollends beseitigt werden. Die Bolschewiki mobilisierten die Arbeiter zur Niederschlagung dieses Putsches und zeigten mit ihrem Erfolg die sich verändernden Kräfteverhältnisse auf: Der revolutionäre Aufschwung zur Oktoberrevolution setzte ein.

Im Juni 1917 hatte Kerenski eine neue militärische Offensive an der Front gestartet. Gerd Koenen schreibt dazu: „Eine imperialistische Logik war es nicht … Das Ziel dieser Offensive waren nicht Rückeroberungen, sondern es ging darum, deutsche Divisionen an der Ostfront zu binden, um den drohenden Zusammenbruch Frankreichs zu verhindern und gleichzeitig, die Reste der eigenen Armee zu stabilisieren und den vollständigen Zerfall des Landes zu stoppen.“ („Die Farbe Rot“, München 2017, S. 733)

Wenn die imperialistische Kriegsführung in die Defensive gerät, hat sie also keine imperialistische Logik mehr? Das eigene imperialistische Land vor dem Zerfall zu bewahren ist auch keine imperialistische Logik? Die Drohung Kerenskis gegen die Arbeiter und Bauern war ebenfalls kein Ausdruck imperialistischer Politik? Der ganze Imperialismus ist eine Einbildung?

Blauäugig versichert uns Koenen: „Umgekehrt hätte Lenins Regime, wenn es sich den Mittelmächten verweigert hätte (also keinen Frieden mit Deutschland geschlossen hätte), die Unterstützung der Menschewiki und selbst der meisten Sozialrevolutionäre zurückgewinnen können, und darüber hinaus die Loyalität der städtischen Bürgerschaften.“ (ebd., S. 792-793)

Lenin hätte also gemeinsam mit den Herrschenden Krieg führen müssen, so wie es die SPD-Führung in Deutschland tat – schon wäre er kein Terrorist und Massenmörder mehr!

Das am 26. Oktober 1917 vom II. Sowjetkongress verkündete Dekret über den Frieden hatte „allen kriegführenden Völkern und ihren Regierungen“ vorgeschlagen, „sofort Verhandlungen über einen gerechten demokratischen Frieden aufzunehmen.“

Die ungeheuren Leiden des Volkes, Hunger und Verelendung, führten zu einer verbitterten Kriegsgegnerschaft der Massen. Doch Koenen bezeichnet allen Ernstes die Weiterführung des Krieges an der Seite Frankreichs als die damals richtige Entscheidung!

Aus dem Brest-Litowsker Friedensschluss mit Deutschland macht er eine besondere Perfidie Lenins: „...gerade Brest-Litowsk lieferte Lenin erst die entscheidenden Instrumente und Vorwände zur Totalisierung seiner Herrschaft“, denn nun konnte er die Rote Armee aufbauen und das Land unter Kriegsrecht stellen („Die Farbe Rot“, S. 792, 793).

Tatsächlich war es so, dass Trotzki als Verhandlungsführer entgegen den Anweisungen die Verhandlungen mit den Deutschen abgebrochen hatte, den Friedensvertrag nicht unterschrieb, aber zugleich versicherte, die russischen Truppen würden nicht mehr kämpfen. Die Deutschen nahmen das zum Anlass, weiter vorzuschreiten und die schließlichen Friedensbedingungen beim Abschluss waren für die Sowjetrepublik noch schlechtere. Der Tag des Friedensabschluss, der 23. Februar 1918, war zugleich der Tag der Gründung der Roten Armee.

Zu diesem Zeitpunkt hatte längst der Bürgerkrieg begonnen und zwar keineswegs auf Geheiß Lenins, sondern dadurch, dass die Gutsbesitzer und Monopolkapitalisten, unterstützt auch vom Klerus, konterrevolutionäre „weiße Armeen“ aufgestellt hatten.

Die erste dieser weißen Armeen war das Kosakenheer unter General Krassnow, mit dem Kerenski wenige Tage nach der Oktoberrevolution versuchte, die Sowjetmacht zu stürzen. Es wurde geschlagen, Krassnow verhaftet, nach Abgabe seines „Ehrenwortes“, keine Kampfhandlungen mehr zu unternehmen, wurde er freigelassen. Das „Ehrenwort“ war Schall und Rauch...

Die militärische Intervention ausländischer Mächte auf Seiten der Weißen hatte ebenfalls begonnen – ihr Zweck: der militärische Sturz der Sowjetherrschaft! Der Bürgerkrieg war keine rein inländische Angelegenheit, die Konterrevolution war mit den verschiedenen imperialistischen Kräften verknüpft!

Der weiße Terror richtete sich gegen die Massen, die die Revolution unterstützten, sollte die Bauern einschüchtern und sie davon abhalten, sich ihr anzuschließen. Mindestens 100 000 fielen ihm zum Opfer, 150 000 Jüdinnen und Juden wurden darüber hinaus Opfer der von den Weißen inszenierten Judenpogrome. Allein im Juli 1918 gab es in 22 Gouvernements der Sowjetrepublik 414 Terrorakte gegen Vertreter der Sowjetmacht. Am 30. August wurde ein Attentat auf Lenin verübt.

Am 5. September 1918 erliess der Rat der Volkskommissare als Reaktion den Beschluss zur Bekämpfung des weißen Terrors und war übereingekommen, „dass es in der bestehenden Situation unmittelbar notwendig ist, die Sicherheit des Hinterlandes mittels des Terrors zu gewährleisten.“ (https://www.1000dokumente.de/index.html?)

Dieser „rote Terror“, der Lenin vorgeworfen wird, war die notwendige Antwort auf die mit der Intervention von außen verbundene konterrevolutionäre Gewalt. Der Antikommunismus erklärt das zum Verbrechen und spricht den Kommunisten damit selbst die bürgerlichen Rechte ab!

Nach Art. 51 der UN-Konvention existiert ausdrücklich ein Recht zur Selbstverteidigung gegen bewaffnete Aggression – bei den damaligen Angriffen auf die Sowjetrepublik handelte es sich ohne Zweifel um „militärische Interventionen“.

Der revolutionären russischen Regierung stand auch ein Notwehrrecht zu, wie es z. B. im bürgerlichen deutschen Straf- und Privatrecht enthalten ist. Auch im Strafgesetzbuch (StGB) und im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist das Notwehrrecht festgeschrieben. Es gestattet ausdrücklich auch die Verletzung von Rechtsgütern des Angreifers. Die durch Notwehr gerechtfertigte Handlung stellt kein Unrecht dar – das Notwehrrecht ist historisch entstanden und war bereits im römischen Recht enthalten: „Gewalt darf mit Gewalt erwidert werden“.

Für den Antikommunismus genügt es aber offensichtlich Kommunist zu sein, um aller Rechte entledigt zu werden!

Wegen der Ausübung des Notwehrrechts wird Lenin als Massenmörder beschimpft und natürlich soll damit der eigentliche Verursacher des Krieges reingewaschen und versteckt sowie der revolutionäre Ausweg verdammt werden. Das steckt hinter den antikommunistischen Angriffen und macht es heute so wichtig, dagegen anzugehen!