Willi Dickhut
Zur Rolle des Bankkapitals
Briefwechsel und Dokumente Willi Dickhuts 1979
Liebe Genossen! 16.2.79
Obwohl ich den Revolutionären Weg 16–18 für eine wesentliche Untermauerung und Weiterentwicklung unserer Linie ansehe, habe ich folgende Fragen beziehungsweise Kritik:
1. Im Kapitel III,3 des Revolutionären Wegs 17 über die Rolle der Banken vermisse ich eine Darstellung der Verschmelzung von Staat und Bankkapital, wie sie meiner Meinung nach in der Institution der Bundesbank existiert. Der Zentralbankrat der Bundesbank kann zum Beispiel als »gesetzgebender Ausschuß« in Sachen Kreditpolitik bezeichnet werden (bis auf einige Zuständigkeiten des Bundestags und des Bundeswirtschaftsministeriums). Dazu kommt, daß die Präsidenten der Landeszentralbanken auf Vorschlag des Bundesrats und die zehn Direktoren des Zentralbankrats auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten bestellt werden. Soweit ich weiß, sind das alles Leute, die aus dem Bankgeschäft kommen und in der Regel die Interessen der drei Großbanken und bestimmter Monopolgruppen vertreten. Daneben ist die Bundesbank auch noch eine nationale und internationale Abrechnungsstelle für alle Geldgeschäfte.
2. In diesem Zusammenhang fände ich es auch wichtig, darauf einzugehen, wie konkret im staatsmonopolistischen Kapitalismus Krisen hinausgeschoben werden können (zum Beispiel durch die Steuerung des Kreditwesens), und daran zu beweisen, warum diese Maßnahmen die Krise letztlich nicht verhindern können, sondern im Gegenteil verschärfen werden.
3. Auch auf die Bedeutung der Börse im staatsmonopolistischen Kapitalismus sollte meiner Meinung nach eingegangen werden. Sie hat doch nur ihren Charakter geändert und ist nicht verschwunden. Sie ist heute weitgehend Wertpapierbörse und wird durch die Großbanken beherrscht. Dabei läuft die Spekulation nicht mehr offen, sondern als geschlossene Veranstaltung unter Aufsicht eines Staatskommissars, dessen Funktion jedoch häufig auf die Industrie- und Handelskammer übertragen wird.
Außerdem kann die Landeszentralbank bestimmte besondere Vorschriften erlassen. Mit der Umwandlung des Charakters der Börse ist also auch eine gewisse Steuerung der Spekulation im Sinne der Monopole und Großbanken unter Ausnutzung staatlicher Mittel entstanden.
Vielleicht liege ich falsch, aber ich glaube, daß in allen drei Punkten zum Ausdruck kommt, daß Ihr die Bedeutung des Finanzkapitals als Verschmelzung von Industrie- und Bankkapital im staatsmonopolistischen Kapitalismus nicht vollständig darstellt.
Ich würde mich freuen, wenn Ihr auf meine Einwände antworten könntet.
Rot Front!
Be.
Lieber Be.! 18.5.79
Deinen ersten Brief, datiert vom 16. 2. 79, habe ich am 4. 4. 79 erhalten. Da es keine dringende Angelegenheit war, habe ich die Beantwortung zunächst zurückgestellt. Nach Beendigung des Revolutionären Wegs 19 mußte ich den Revolutionären Weg 20 vorbereiten, und außerdem arbeite ich an einem Buch über meine früheren Erlebnisse und Erfahrungen als Funktionär der Arbeiterbewegung. Das alles nimmt meine ganze Kraft in Anspruch, die nach meiner Krankheit im November vorigen Jahres nicht mehr so unerschütterlich ist (nebenbei bin ich 75 Jahre alt geworden).
Der Revolutionäre Weg 16–19 war eine große Anstrengung, weil er das umfassendste Thema behandelt und unzählige Berechnungen und Analysen gemacht werden mußten. Dazu kommt noch, daß das Quellenmaterial keineswegs einheitlich ist, so weichen zum Beispiel Zahlen vom Institut der Deutschen Wirtschaft (Einrichtung der Monopole) von denen des Statistischen Bundesamtes ab. Was nicht sicher war, konnte nicht benutzt werden. Viele Dinge konnten nur gestrafft gebracht werden, trotzdem wurde der vorgesehene Rahmen im Umfang beziehungsweise in Seitenzahlen durchbrochen (fast 900 Seiten). Da mußte vieles noch gekürzt werden, so daß die Kritik nicht nur für das gilt, was Du erwähnst, die Rolle der Banken, sondern auch für anderes, zum Beispiel die Rolle der Justiz (was wir im Revolutionären Weg 20 nachholen werden). Bedenke, man kann über die Rolle der Banken ein dickes Buch schreiben. Nun zu Deinen Fragen.
Punkt l: In der Frage der Verschmelzung von Staat und Bankkapital spielt natürlich die Bundesbank eine große Rolle. Um diese Rolle konkret aufzuzeigen, fehlte uns internes Material. Die Jahresberichte der Deutschen Bundesbank sind zu allgemein, wie es überhaupt schwierig ist, die internen Beziehungen zwischen den Organen der Monopole und des Staates aufzudecken, ohne persönliche Verbindungen zu haben. Die Graphiken, die Du mir geschickt hast, zeigen ja nur das äußere Gerüst der Deutschen Bundesbank. Wenn ich sie gehabt hätte, würde ich sie gebracht haben, um den Aufbau zu zeigen, aber die inneren Beziehungen sind viel komplizierter, weil konspirativ. Wir haben die Rolle des BDI aufgezeigt und die Beziehungen zu den Ministerien; die Banken aber gehören nicht zum BDI, wohl zur BDA. Die Beziehungen der Banken zum BDI sind indirekt oder gehen über die von den Banken kontrollierten Konzerne, sind aber trotzdem äußerst wirkungsvoll. Daß die Banken auch direkte Beziehungen zu Personen im Staatsdienst und selber Vertreter in den Parlamenten und Institutionen haben, ist bekannt. Dabei spielt Korruption eine große Rolle. Das aber konkret nachzuweisen, das steht auf einem anderen Blatt.
Punkt 2: Durch Steuerung des Kreditwesens kann der Staat mit Hilfe der Bundesbank und der Landeszentralbanken regulierend in die Wirtschaft eingreifen. Die Bundesbank kann durch Erhöhung des Diskontsatzes die Kreditkosten erhöhen und dadurch Konjunkturbremsen anlegen, umgekehrt durch Senkung des Diskontsatzes (wie zum Beispiel im letzten Jahr) die Kreditkosten verbilligen (die Zinsen sanken ungefähr um die Hälfte) und konjunkturfördernd wirken. Außerdem kann die Zentralnotenbank die Höhe des Geldumlaufs festlegen, wodurch sie Einfluß auf die Menge der Kredite nehmen kann. Die Landeszentralbanken können durch Ausstellung und Fälligkeit von Wechseln zur Erleichterung oder zur Erschwerung so oder so einwirken.
Das sind aber nur ein Teil der Mittel, um den Krisenausbruch zu verzögern. Wie wir an verschiedenen Stellen dargelegt haben, kann die Regierung unmittelbar regulierend eingreifen: Subventionen, Steuernachlaß auf der einen, Steuererhöhung auf der anderen Seite, Garantieübernahme bei großen Aufträgen, besonders im Ausland, Beteiligungen, Übernahme von Schulden beziehungsweise Bürgschaft usw. Alle diese Mittel haben aber nur begrenzte Wirkung und erzeugen gegenwärtig den Zustand der schwankenden Stagnation.
Punkt 3: Die Börse hat heute nicht mehr die politische Bedeutung wie früher, wo die Börse auf jedes wichtige Ereignis in der Welt empfindlich durch Fallen oder Steigen der Kurse reagierte. Sie ist fast nur noch der Markt, auf dem sich die Kapitalisten gegenseitig das Geld aus der Tasche ziehen oder auch kleinen Leuten, die den Banken das Spekulieren mit Wertpapieren übertragen haben. Die Spekulation, dieser Nervenkitzel, wird von den Großbanken gesteuert, um aus der Dummheit anderer Nutzen zu ziehen. Das Spiel ist gegenüber früher nur noch raffinierter geworden. Es lohnte sich nicht, im Rahmen unseres Themas darauf einzugehen.
Ich danke Dir für Deine Hinweise, und wenn Du irgend etwas Besonderes hast, schreibe mir, aber erwarte nach Möglichkeit keine lange Antwort, denn ich bin wirklich überlastet.
Rot Front!
Willi