Brief von Stefan Engel und Antwort von Gabi Fechtner

Brief von Stefan Engel und Antwort von Gabi Fechtner

Briefwechsel zum Film: Friedrich Engels – der meistunterschätzte Klassiker des Marxismus-Leninismus

Stefan Engel schreibt an die Politische Führung zum Film "Friedrich Engels – der meistunterschätzte Klassiker" und Gabi Fechtner, Parteivorsitzende der MLPD antwortet.

Von Redaktion Revolutionärer Weg

Stefan Engel - Leiter des theoretischen Organ Revolutionärer Weg

04.12.20

Liebe Genossinnen und Genossen,

ich habe in kleiner privater Runde den Film sehr genossen. Er ist sehr gelungen und erfüllt seinen Zweck, die Leute an das Lebenswerk von Friedrich Engels heranzuführen, seine wesentlichen theoretischen Errungenschaften darzulegen, seine Person zu würdigen und auch seine praktische Konsequenz darzustellen. Rundum eine gute Sache! Gratulation!

Ich hätte mir noch drei Aspekte gewünscht, die man allerdings in der Diskussion einbringen kann.

Erstens Kritik und Selbstkritik: Marx und Engels hatten nicht von vornherein alle Auffassungen über die Gesellschaft drauf. Sie haben sich das Stück für Stück erarbeitet und durch Kritik und Selbstkritik einen fortlaufenden Erkenntnisfortschritt organisiert, den sie ihr ganzes Leben lang durchführten. Es wäre idealistisch zu meinen, dass ein Mensch immer nur richtige Sachen sagt. Sie haben im Grunde genommen das Entwicklungsgesetz von Kritik und Selbstkritik entwickelt und auch der Arbeiterbewegung hinterlassen.

Zweitens sehe ich eine besondere Methode darin, wie Marx und Engels miteinander umgegangen sind. Ihr erwähnt in dem Film die über 1000 Briefe, die sie geschrieben haben. Aber was war der wesentliche Gehalt? Es war eine Methode der Vereinheitlichung der Denkweise, die sie damals entwickelt haben und die wir uns heute allgemein in der Parteiarbeit zueigen gemacht haben. Vereinheitlichung der Denkweise bedeutet, dass man sich in wesentlichen Fragen einig wird, sich gegenseitig überzeugt und ergänzt, aber auch sich gegenseitig kritisiert, Hinweise macht usw. Diese Methode der Vereinheitlichung der Denkweise wurde von Marx und Engels entwickelt, was aber oft noch in der revolutionären Linken unterschätzt wird.

Drittens die Weitsicht von Friedrich Engels: das ist ein Punkt, den man immer wieder hervorheben muss. Mir fällt da ein Zitat ein, das wir auch im RW 6 abgedruckt haben über seine Vorhersage hinsichtlich dessen, wie sich der Kapitalismus entwickelt, insbesondere in der Phase, in der er gerade begonnen hat, in den Imperialismus überzugehen. Engels prognostiziert den I. Weltkrieg, der tatsächlich so eingetreten ist, obwohl Engels die konkreten Gegebenheiten von 1914 - also 20 Jahre nach seinen Auffassungen - noch gar nicht kennen konnte. Er hat das aufgrund des Studiums des gesetzmäßigen Verlaufs der kapitalistischen Widersprüchlichkeit getan. Das ist auch eine Methode, die wir uns zu eigen gemacht haben und im Programm der MLPD so dargelegt wird, wo wir allgemeine wissenschaftliche Prognosen stellen, die natürlich immer wieder in der konkreten Analyse überprüft und konkretisiert werden müssen.

Soweit meine Hinweise, die allerdings keine Infragestellung des bedeutenden Werks eures Filmes darstellen.

Herzliche Grüße

Stefan

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Gabi Fechtner, 5.1.2021


Lieber Stefan,

vielen Dank für deine Rückmeldung zu dem neuen Klassikerfilm über Friedrich Engels. Wir freuen uns, dass du ihn als „sehr gelungen“ und „rundum gute Sache“ siehst und sehen das auch so. Wir konnten in der Erarbeitung auch von den harten Kämpfen, die wir im Sekretariat um die bisherigen Klassikerfilme geführt haben, profitieren. Besonders freuen uns die Reaktionen vieler v.a. junger Leute, dass er offensichtlich anregt, sich intensiver mit den Klassikern des Marxismus-Leninismus und ihren Schriften zu befassen.

Deine drei kritischen Hinweise zu bisher fehlenden Aspekten sind berechtigt. Alle drei berühren wesentliche Seiten der bewussten Anwendung der dialektischen Methode, an denen die MLPD unter deiner Führung, am Beitrag Engels und Marx‘ anknüpfend, die dialektische Methode weiterentwickelt hat. Es ist Ausdruck von Schwächen in der treffenden Qualifizierung, dass die jeweiligen Merkmale im Film tendenziell eher beschrieben, statt richtig qualifiziert, auf den Punkt gebracht werden. So werden die vielen Briefe, ihre Bedeutung gebracht, aber nicht qualifiziert, dass sie die Methode der prinzipiellen Kritik und Selbstkritik verfolgten und eine systematische Vereinheitlichung der Denkweise erreichten.

Kritik und Selbstkritik als Methode zwischen Marx und Engels als wesentliche Grundlage für deren Erkenntnisfortschritt zu verkennen ist idealistisch, so als hätten diese sozusagen Kritik und Selbstkritik nicht nötig gehabt, sondern alles schon gewusst. Das ist auch eine Verkennung des schöpferischen Charakters der Kritik und Selbstkritik.

Die Methode der Vereinheitlichung der Denkweise geht dabei deutlich weiter, als sich nur über Inhalte und Fakten auseinanderzusetzen und beruht wiederum wesentlich auf Kritik und Selbstkritik. Vermutlich hätten die beiden das selbst noch nicht so formuliert, aber heute wissen wir aufgrund der Lehre von der Denkweise, dass sie genau das vorbildlich organisiert haben.

Dass wir im Film die Fähigkeit zu wissenschaftlichen Prognosen nicht behandeln, ist sicher auch Ausdruck davon, dass wir noch zu wenig Wert auf diese Frage legen. Mir fiel selbst bei der Filmpremiere auf, dass die beeindruckende Prognose Engels‘ zum I. Weltkrieg nicht auftaucht, wozu ich auch selbstkritisch etwas sagte. Aber ich habe das nicht zu Ende gedacht, dass es die Frage der wissenschaftlichen Prognosen insgesamt betrifft. Das heißt, man muss diese Fähigkeiten verallgemeinern, statt sozusagen auf einzelne besondere „Treffer“ zu vulgarisieren. Die wissenschaftliche Prognose ist sicherlich eine der entwickeltsten Ausdrucksformen der bewussten Anwendung der dialektischen Methode, die den nötigen Weitblick, strategisches Denken und das dreifache Denken nötig machen. Es stimmt, dass die MLPD die Methode fundierter Prognosen sehr weit entwickelt hat. Diese Methode richtet sich besonders gegen die auch in der marxistisch-leninistischen Bewegung (und bis in unsere Reihen hinein) verbreitete Anbetung der Spontaneität. Auch in der MLPD ist sie längst nicht restlos ausgemerzt und hier hätte der Film einen Beitrag leisten können, das bewusst zu machen.

Alle drei Aspekte sind geeignet den Massen die dialektische Methode als überlegenes Handwerkszeug gegenüber der metaphysisch-idealistischen Methode nahezubringen und auch dem Antikommunismus Schläge zu versetzen.

Alle drei von dir angesprochenen Merkmale Engels‘ kann man nicht einfach bei Engels „nachlesen“, sondern sie werden erst aufgedeckt durch die schöpferische Durchdringung wesentlicher Seiten der Klassiker mit der Theorie und Praxis der MLPD und ihrer Weiterentwicklung der dialektischen Methode. Deine Kritiken müssen Ansporn sein, die Klassiker noch lebendiger in unserer Arbeit anzuwenden ihre Lehren und Vermächtnisse schöpferisch aufzufinden – gegen alle dogmatischen Erscheinungen.

Wir werden bei den anstehenden Filmen zu Stalin und Mao Zedong diese Kritiken und Anregungen vor allem auch im Herangehen an ihre Würdigung bewusst mit aufnehmen.



Herzliche Grüße,

Gabi