Ein Kollege aus Dresden

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Zu Ernst Haeckel in dem Buch »Die Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft« von Stefan Engel

Anmerkungen zur kritischen Würdigung von Ernst Haeckel im Buch von Stefan Engel »Die Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft«

Von RW-Redaktion

Im 5. Kapitel des Buches »Die Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft« wird eine kritische Würdigung des deutschen Zoologen Ernst Haeckel vorgenommen. Er schrieb in »Generelle Morphologie der Organismen«:

»Unter Oecologie verstehen wir die gesammte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Aussenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle Existenz-Bedingungen rechnen können.« (zitiert nach Stefan Engel: Die Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft, S. 75)

Ernst Haeckel unter diesem Aspekt eine kritische Würdigung zukommen zu lassen, ist zweifellos richtig.

Doch halte ich es an dieser Stelle für notwendig, etwas weiter auf Haeckel einzugehen. Ich tue das unter dem Gesichtspunkt, dass Haeckel speziell unter jungen Menschen nicht mehr, und wenn, dann höchstens bruchstückhaft, bekannt ist und die Leserinnen und Leser durch die Erwähnung Haeckels ein einseitiges Bild von ihm mitnehmen könnten.

Was nicht heißen soll, dass in dem Buch eine einseitige Darstellung Haeckels erfolgt. Er wird im Kontext des Kapitels unter diesem einen Aspekt betrachtet, eine ihn umfassend betrachtende Darstellung ist nicht Sinn und Zweck des Buches. Insofern sind diese Zeilen auch keine Kritik an dem Buch.

Da Ernst Haeckel eine als ausgesprochen ambivalente Persönlichkeit gewertet werden muss, möchte ich der Notwendigkeit nachkommen, seine anderen, problematischen Seiten zu beleuchten.

Auf Seite 61/62 des Buches von Stefan Engel heißt es zutreffend:
»Andere Strömungen verfälschen Darwins bahnbrechende Erkenntnisse zur pseudowissenschaftlichen Rechtfertigung ultrareaktionärer, rassistischer oder faschistischer Auffassungen des Sozialdarwinismus. Sie wenden Darwins These von der natürlichen Auslese unzulässig auf die menschliche Gesellschaft an […]«

Zu diesen Strömungen gehörte auch Ernst Haeckel, sogar als einer der Begründer des Sozialdarwinismus!

In meinem als Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft Nr. 161 / 2019 erschienen Büchlein, » Hör auf, hör auf, die Wälder zu zerstören - Vom Stellenwert der Natur bei Karl May« gehe ich im 1. Kapitel auch auf die verschiedenen Seiten Haeckels ein.


Dort stellte ich mir die Aufgabe, einen

»weitgehende[n] Überblick über die vielfältigen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts einschließlich der Auswirkungen in unser Zeit entsprechend dem Anliegen dieses Heftes«
zu geben. (Seite 25)

Ernst Haeckel widme ich mich dort auf den Seiten 17 bis 19. Darin schrieb ich:

»Ernst Haeckel (1834 – 1919) verdankte seine Liebe zu Natur, Wissenschaft, Forschung und Malerei des Büchern Alexander von Humboldts. Andrea Wulf [sie verfasste eine umfangreiche Humboldt-Biografie] würdigt ihn als einen Mann, der Künstler und Wissenschaftler gleichermaßen beeindruckte und der Humboldts Naturbegriff ins 20. Jahrhundert brachte.« Ebenso war Haeckel beeindruckt von Darwins Evolutionstheorie. Er wurde zu Darwins leidenschaftlichstem Fürsprecher in Deutschland. […]

Mit Ernst Haeckel hat sich […] Karl May ausgiebig beschäftigt und schreckte da auch vor Plagiaten für die Arbeit am Buch der Liebe nicht zurück. Und doch war es kein gedankenloses Abschreiben; es gab auch einen grundsätzlichen Unterschied zwischen den Sichtweisen der beiden. Während nämlich Haeckel zum Kreis derer zählte, die »die Unvereinbarkeit des Gottesglaubens mit der Evolutionstheorie verkündeten« [zitiert aus May-Biografie von Hermann Wohlgschaft, S. 2085], zeigte sich May »als unabhängiger Geist: Die Evolutionstheorie übernimmt er enthusiastisch, zugleich versteht er die Evolution als von Gott gesteuert.« [zitiert aus: ebd.] Karl May suchte nach der Vereinbarkeit beider Seiten […]

Die Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft

166 Seiten

ab 17 €

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Zwischen Ernst Haeckel und Karl May gab es einerseits wichtige Gemeinsamkeiten, aber auch grundsätzliche Unterschiede. So vertrat auch Haeckel zunächst pazifistische Ideen und unterstützte die Friedensbewegung Bertha von Suttners, änderte dann jedoch seine Ansichten. »Zu Beginn des Ersten Weltkriegs verteidigte Haeckel die deutsche Beteiligung am Krieg und äußerte sich zunehmend nationalistisch.« [zitiert aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Haeckel ) Im Oktober 1914 erschien ein von Haeckel und anderen namhaften Personen unterzeichneter »Aufruf an die Kulturwelt« (auch als »Manifest der 93« bezeichnet), der in Deutschland zur allgemeinen Kriegsbegeisterung beitrug und als den Ersten Weltkrieg bejahendes Mittel der Propaganda diente. Zu den 93 Unterzeichnern zählten neben Haeckel unter anderem Gerhart Hauptmann, Max Klinger und Max Planck. Letzterer gehörte zu denen, die sich später von der Erklärung distanzierten. Bekannte Pazifisten wie Albert Einstein, Friedrich Wilhelm Foerster oder Hermann Hesse wurden wohlweislich nicht angefragt. Auch Karl May wäre, hätte er noch gelebt, von einem derartigen Ansinnen sicher verschont geblieben.

Als einer der Begründer des Sozialdarwinismus vertrat Ernst Haeckel Ideen, »die später Eingang in das nationalsozialistische Weltbild fanden. Er setzte Nation und Rasse gleich und rief zur Reinhaltung der deutschen Rasse auf.« [zitiert aus:https://www.politische-bildung-brandenburg.de/node/9288 - inzwischen: https://www.politische-bildung-brandenburg.de/lexikon/sozialdarwinismus )

Der Sozialdarwinismus vertritt unter anderem, dass biologische Gesetzmäßigkeiten auf menschliche Gesellschaften übertragbar seien, und stellt heute ein Wesensmerkmal des Rechtsextremismus dar. [vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialdarwinismus ) […]«

Wie eingangs geschrieben, ist die auf Seite 75 vorgenommene kritische Würdigung Ernst Haeckels durch Stefan Engel berechtigt. Doch wegen der verschiedenen Seiten Ernst Haeckels, die in Stefan Engels Buch gar nicht allseitig behandelt werden können, erlaube ich mir für spätere Ausgaben des Buches von Stefan Engel die Anregung, in einer Fußnote die Ambivalenz Haeckels zu benennen, weil zum einen das Verdienst des Zoologen betont, zum andern der reaktionäre Sozialdarwinismus ohne Erwähnung Haeckels besprochen wird. An einer von beiden Stellen könnte ich mir einen Querverweis auf die jeweils andere Seite vorstellen.