Brief eines Mitarbeiters an die Redaktionsleitung

Brief eines Mitarbeiters an die Redaktionsleitung

Welche Funktion hat die Sprache im weltanschaulichen Kampf?

Ein Mitarbeiter der Redaktion REVOLUTIONÄRER WEG zur Ausarbeitung seines Abschnitts für die kommende Ausgabe Nr. 39: »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur« schreibt an die Redaktionsleitung

Von RW-Redaktion

Liebe Monika,

wir stimmen deinen Kritiken vom Ende Januar vollständig zu: Unser Entwurf vom Oktober 2023 würde noch keine „Ausarbei­tung auf dem Niveau eines REVOLUTIONÄREN WEG ermöglichen“, er muss grundsätz­lich überarbeitet werden.

Nach längeren Auseinandersetzungen konnten wir uns einigen, dass unser Fehler hauptsäch­lich darin bestand, die Untersuchung aktueller Entwicklungen von Sprache im weltanschauli­chen Kampf zu beginnen, ohne vorher wirklich die marxistisch-leninistischen Grundlagen ge­klärt zu haben.

Wir haben die Klassiker nur unter dem Blickwinkel studiert, uns ein Fundament für die Aus­einandersetzung mit dem Thema zu verschaffen. Mein Kolllege hat ausgewertet, dass er zu viel Respekt vor Stalin hatte, um ihn zu kritisieren, und außerdem die Vorstellung, die Fehler Stalins hätten sich vor allem in der Praxis ereignet. Das widerspricht dem Erkenntnisfort­schritt der Partei und ist eine dogmatische Haltung, die die Kontrolle von unten aushebelt, wenn man sie zu Ende denkt. Wir haben gerade am Live-Talk diskutiert, wie in einer Zeit schneller Veränderungen, großer Herausforderungen und neuer Möglichkeiten die Kontrolle von unten funktionieren muss.

Der Gedanke, dass Sprache weder Basis noch Überbau wäre, gab uns ein ungutes Gefühl. Wir haben Stalins Qualifizierung aber zunächst unwidersprochen zitiert und nur anschlie­ßend ge­schrieben, dass es aber einen bürgerlichen und proletarischen Sprachgebrauch gibt. Einem unguten Gefühl nicht nachzugehen, den Widerspruch nicht zu überprüfen und dann klar zu formulieren, ist eine unzulässige Methode. So haben die Revisionisten die Überein­stimmung ihrer falschen Linie mit dem Marxismus-Leninismus zu begründen versucht. Wir teilen deine Kritik, dass Stalins Qualifizierung undialektisch und problematisch ist. Sie reiht sich ein in eine Reihe von Auseinandersetzungen in der Sowjetunion im Vorfeld der revisio­nisti­schen Entartung, die zumindest dazu beigetragen haben, die Partei und die Massen welt­anschaulich zu ent­waffnen. Wir hätten das Zitat von Stalin kritisieren und dann einen Teil über Sprache und Revisionismus ausarbeiten müssen.

Du kritisierst zu Recht, dass sich unser Entwurf „um die Behandlung der prinzipiellen Auseinandersetzung um Sprache und Sprachwissenschaft in der kommunistischen Bewegung herumdrückt“. Ohne eine solche Analyse ist eine schöpferische Synthese nicht möglich. Mit dem historischen Materialismus kann Sprache nur als Geschichte der Sprachentwicklung und der Sprachwissenschaft begriffen werden. Wir haben nicht erfasst, dass Stalin von Erkenntnissen abwich, die schon Marx und Engels in ihren Werken ausdrückten, und wir haben uns nicht die Mühe gemacht, auch bei Lenin und Mao nach weiteren Erkenntnissen über Sprache und Sprachgebrauch nachzuforschen.

Du kritisierst bei Stalin „Verstöße gegen die dialektische Methode“ und forderst: „Das dialektische Gesetz von Einheit und Kampf der Gegensätze“ muss auch auf die Sprache angewandt werden. Dann begnügst du dich in deinem Brief aber mit einem ein­fachen „sowohl ‒ als auch“. Das reicht für einen Brief, nicht für einen REVOLUTIONÄREN WEG. Während Stalin sich auf Wortschatz und Grammatik der Sprache konzentrierte, befassten sich Lenin und Mao vor allem mit Begriffen (vgl. RW 6, S.53‒56). Auch wenn große Teile der Sprache für verschiedene Klassen gleich sind, sind gerade die Bedeutungen vieler Begriffe abhängig voneinander, und zwar widersprüchlich. Der REVOLUTIONÄREN WEG Nr. 39 könnte einleitend im Abschnitt II.4 herausarbeiten, wie Kapi­talisten- und Arbeiterklasse dieselben Begriffe benutzen, aber mit gegensätzlichen Be­deutun­gen, und wie sich deren jeweilige Vorherrschaft in der Gesellschaft ändert, etwa bei Lebens­lügen oder revolutionären Begriffen.

Einen weiteren Fehler greifst du an ‒ auch sehr zu Recht ‒, wenn du darauf hinweist, dass wir keinen Konspekt erarbeitet und deshalb „die prinzipielle, kritisch-selbstkritische und schöp­ferische Beschäftigung“ mit den theoretischen Grundlagen nicht geleistet haben. Theoreti­sches Arbeiten mit der dialektischen Methode muss über die Auswahl von Zitaten und Kom­mentare zu den Zitaten hinausgehen.

Du hast uns geholfen zu verstehen, dass und wie wir unsere Fähigkeiten zur theoretischen Arbeit verbessern müssen. Danke.

Viele Grüße