Hintergrundgespräche Teil 8
Wahlkampf und Wahlprogramme der Berliner Parteien
Hintergrundgespräch von Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV) mit Stefan Engel zu den Wahlprogrammen der Berliner Parteien Hintergrundgespräch Teil 8
Celina Jacobs (Rote Fahne-TV): Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, herzlich willkommen zu einem neuen Hintergrundgespräch mit Stefan Engel. Heute wollen wir uns den Wahlprogrammen der Berliner Parteien widmen. Die Bundestagswahl rückt ja immer näher. Wenn man in diese Wahlprogramme reinliest und sie vergleicht, dann fällt ja sofort auf, dass sie alle gemeinsam haben, ziemlich viel zu versprechen, oder ?
Stefan Engel: Ja, das ist eigentlich typisch für diese ganzen bürgerlichen Wahlen, dass man viel verspricht, weil man nichts halten muss. Spätestens bei Koalitionsgesprächen, wenn eine Regierung gebildet wird, kann jede Partei ihre Forderungen wieder an den »Partner« angleichen. Hinzu kommt, dass der bürgerliche Parlamentarismus ja keine Rechenschaftspflicht kennt. Das heißt, diese Politiker können vertreten, was sie wollen, und irgendwann kommt eine neue Wahl, da kannst du sie abwählen oder nicht. Wir sehen das an der Ampel-Regierung: Die hat ungeheuer viel versprochen und nichts eingehalten.
Die wollten Kita-Plätze schaffen: Heute gibt es weniger Kita-Plätze als damals. Damals haben 400 000 gefehlt jetzt fehlen 550 000. Sie wollten die Wohnungsnot beseitigen: Es gibt heute noch mehr fehlende Wohnungen als vor vier Jahren. Sie wollten die Kinderarmut bekämpfen, sie wollten die Umweltmaßnahmen sozial gestalten. Das heißt, es sollte ein Klimageld an die Leute ausgezahlt werden, wenn sie gleichzeitig anderweitig belastet werden: All das hat nicht stattgefunden.
Stattdessen hat man ungeheure Gelder in den Krieg in die Ukraine gepumpt. Man hat die Umweltmaßnahmen ohne sozialen Ausgleich gestaltet, was die Leute sehr aufgebracht hat. Ich erinnere an das Stichwort Heizungsgesetz, wo die Leute den Eindruck haben, ihnen wird da etwas reingedrückt. Da war kein Ausgleich da. Die Förderung von den E-Autos wurde auch abgesetzt. Man sieht, dass diese Regierungen im Grunde machen, was sie wollen. Da kann man wählen was man will. Deswegen sind diese ganzen Wahlversprechen der bürgerlichen Parteien mit Vorsicht zu genießen. Man muss sich sein Urteil danach bilden, welche Erfahrungen man mit den Parteien gemacht hat.
Celina Jacobs (Rote Fahne-TV): Du hast jetzt den Begriff »bürgerlicher Parlamentarismus« benutzt. Normalerweise hören wir sonst einfach nur »Demokratie«. Was hat es damit auf sich?
Stefan Engel: Der bürgerliche Parlamentarismus ist eine Herrschaftsmethode der bürgerlichen Demokratie. Wir leben in einer Diktatur der Monopole, das heißt die herrschenden Monopole bestimmen hier die Politik, sie bestimmen die Regeln. Keine dieser bürgerlichen Parteien würde es wagen, gegen die Vorgaben aus der Industrie, von den Banken zu widersprechen. Das sieht man ganz klar an der Regierungspolitik. Wenn die Monopole schnippen, dann passt sich die Regierung an. Als die Ampel-Regierung zusammengebrochen ist, hatten sich die Monopole vorher darauf geeinigt, dass man jetzt eine Wende in der Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik braucht. Deshalb hat man mehr oder weniger die FDP beauftragt, das ganze Ding zu sprengen.
Das heißt, der bürgerliche Parlamentarismus ist eine demokratische Fassade, die allerdings noch wenig mit Demokratie zu tun hat. Dass diese Legislative nicht mit ihrer Umsetzung verbunden ist, ist auch eine Kritik von uns. Die müssen ja nichts umsetzen, die verabschieden nur Gesetze. Die Umsetzung haben andere zu regeln, zum Teil die Kommunen. Das funktioniert dann nicht, es ist ein ungemeiner bürokratischer Aufwand, der das alles regeln soll, und es funktioniert meistens nicht.
Wir haben andere Vorstellungen, wie eine Gesellschaft demokratisch aufgebaut wird, wo tatsächlich die breite Masse eine andere Rolle spielt, ihre Herrschaft ausüben kann und nicht irgendwelche Politprofis, die vom Leben zum Teil überhaupt keine Ahnung haben.
Celina Jacobs (Rote Fahne-TV): Wenn du jetzt sagst, es ist eigentlich nur eine Fassade, und die MLPD hat andere Vorstellungen, wie so eine Gesellschaft aufgebaut und demokratisch verwaltet wird: Warum tritt die MLPD dann jetzt zu den Wahlen an und ruft auch dazu auf, sie zu wählen?
Stefan Engel: Der bürgerliche Parlamentarismus funktioniert ja auch nur, wenn er bestimmte demokratische Rechte und Freiheiten mit gewährt, und diese Rechte und Freiheiten muss man auch nutzen. Das berührt einmal, dass man am Wahlkampf teilnehmen kann, seine Meinung einbringen kann, dass man auch winzig kleine Möglichkeiten hat, einmal einen Wahlspot im öffentlich-rechtlichen Fernsehen unterzubringen, dass man Plakate aufhängt, dass man sich frei auf Plätzen und Straßen bewegen und Wahlkampf machen kann, ohne das anzumelden, ohne dass es irgendjemand genehmigen muss oder verbieten kann. Das sind also wichtige Rechte und Freiheiten, und es wäre eine Dummheit, wenn wir Marxisten-Leninisten da nicht mitmachen.
Natürlich haben wir keine Illusionen in diesen Parlamentarismus. Der Parlamentarismus verändert nicht die Welt, und die Wahl der MLPD würde auch nicht zum Sozialismus führen. Aber das würde uns Kraft geben, würde uns mehr Aufmerksamkeit geben, würde uns mehr Öffentlichkeit geben, und allein deshalb werden wir uns an den Wahlen beteiligen. Jede Stimme für die MLPD ist auch eine Stimme für die Arbeiterbewegung, für die revolutionäre Veränderung dieser Gesellschaft.
Celina Jacobs (Rote Fahne-TV): Dann wollen wir jetzt zu den einzelnen Wahlprogrammen kommen. Ich glaube, wir fangen am besten an mit unserer bisherigen Regierung, also jetzt noch SPD und die Grünen. Da ist auffällig, dass sie vor allem sehr viele soziale Forderungen haben, wo sich aber auch die Frage aufdrängt: Sie sind ja an der Regierung, warum haben sie das nicht gleich gemacht?
Stefan Engel: Der Hintergrund ist natürlich die Weltwirtschafts- und Finanzkrise, die seit 2018 existiert. Die wurde zwischendurch ein bisschen abgedämpft, einmal durch die Maßnahmen in der Corona-Krise, dann durch die Inflationsdämpfung. Jetzt bricht das mehr oder weniger offen hervor, das Bruttosozialprodukt ist eingebrochen. Also nicht nur die Industrieproduktion brach ein, sondern auch das Bruttosozialprodukt, zu dem noch mehr Faktoren gehören. Und jetzt müssen sie dem gerecht werden.
Man weiß ja, dass in einer kapitalistischen Wirtschaftskrise Kapital vernichtet werden muss, weil es zu viel Kapital gibt. Der Kapitalismus funktioniert ja so, dass alle Kapitalisten scharf darauf sind, den Markt zu erobern, und dann investieren sie auf Teufel komm raus. Sie investieren und investieren, aber nicht planmäßig, sondern um den nächsten Konkurrenten auszustechen. Und wenn der Markt überfüllt ist und die Waren nicht mehr abgenommen werden können, dann kommt es zu Überproduktionskrisen, Das haben wir seit 2018, und das Problem kann man nicht durch irgendwelche einzelnen Maßnahmen lösen, sondern die Wirtschaftskrise wird dann durch Kapitalvernichtung gelöst.
Jetzt wird die Wirtschaftskrise genutzt, um bestimmte Forderungen der Unternehmerverbände durchzusetzen: Die sozialen Errungenschaften abbauen, das Renteneinstiegsalter erhöhen in Richtung 70 Jahre, die Renten kürzen, das Bürgergeld kürzen, das Arbeitslosengeld kürzen und auch die Sozialversicherungsbelastung für Unternehmer zu reduzieren.
Mit all diesen Maßnahmen versuchen die bürgerlichen Parteien jetzt, dem gerecht zu werden. Sowohl die Grünen als auch die SPD fordern jetzt zum Beispiel, dass der Strompreis gesenkt wird. Ich erinnere mich noch, dass die Grünen schon in Wahlkämpfen gefordert haben, dass sie die Energiesteuer noch viel stärker anheben wollten. Da sollte dann der Benzinpreis auf 5 Euro steigen, damit weniger Energie verbraucht wird, um das Klima zu schützen. Inzwischen gehen sie umgekehrt vor und geben den Forderungen der Unternehmer nach, die Strompreise für die Unternehmer zu kürzen, vor allem für diejenigen, die mit viel Energie arbeiten.
Ob da auch die Strompreise für die Masse der Bevölkerung sinken, weiß ich nicht. Natürlich müssen sie das irgendwie ausgleichen. Die SPD sagt, die Rente ist sicher, und die Grünen wollen, dass alle am Wohlstand teilnehmen und verteidigen auch das Bürgergeld.
Aber man hat auch gesehen, dass all diese sozialen Forderungen nichts wert sind, wenn dann andere Vorgaben gemacht werden. Diese Regierung hat auch das Bürgergeld gestrafft. Sie haben es einmal um 12 Prozent erhöht, und jetzt haben sie praktisch festgelegt, dass das Bürgergeld zwei Jahre lang nicht erhöht wird, obwohl die Inflation nach wie vor da ist. Je ärmer man ist, desto mehr ist man von der Inflation betroffen. Wenn die durchschnittliche Inflationsrate bei fünf Prozent liegt, dann ist sie bei den armen Leuten bei 10-15 Prozent. Dazu haben diese 12 Prozent für Bürgergeldempfänger die Inflation noch gar nicht ausgeglichen, die diese Leute erleiden müssen. Auch die Rentner haben Kaufkraft verloren, die Arbeiter haben Kaufkraft verloren, die Reallöhne sind gesunken. Das heißt, in der Wirklichkeit haben sich auch diese Parteien SPD und die Grünen sich am Abbau sozialer Rechte und Errungenschaften beteiligt und die Krisenlasten voll auf die Bevölkerung abgewälzt. Also ich weiß nicht, was man da glauben soll.
Das andere ist, dass man der Meinung ist, man könnte die Wirtschaftsprobleme lösen, indem man den Unternehmern bessere Bedingungen für ihr Kapitalverwertung gibt. Das heißt, indem man die Strompreise kürzt, man die Steuern für die Unternehmer senkt, indem man »Bürokratieabbau« macht.
Aber mit dem »Bürokratieabbau« ist es so eine Sache. Wenn man das genauer ansieht, sind es umweltschützende Maßnahmen, die man richtigerweise eingeführt hat, damit die Kapitalisten nicht die ganze Umwelt zerstören, um ihre Profite zu machen. Das wird jetzt als bürokratische Maßnahmen gebracht, ebenso wie die Lieferkettengesetze. Da geht es unter anderem darum, dass man nicht Waren einführt, die durch Kinderarbeit entstehen. In vielen Ländern zum Beispiel Afrikas gehen Kinder von acht oder neun Jahren in Löcher rein und fördern die Rohstoffe. Dass man dies nicht fördert und sagt, das darf gar nicht eingeführt werden, soll jetzt alles wegfallen. Vor allem die FDP fordert das oder die CDU/CSU.
Eigentlich beteiligen sich also auch die die Grünen und die SPD an dieser reaktionären Wende, auch wenn das etwas sozial kaschiert ist.
Celina Jacobs (Rote Fahne-TV): Du hast jetzt diese reaktionäre Wende angesprochen. Das sind ja vor allem die Unternehmerverbände, die diesen Abbau von sozialen Errungenschaften einfordern, verbunden mit einer Verbesserung der Wirtschaftslage. Das ist ja eigentlich eher das Metier von FDP und CDU/CSU?
Stefan Engel: Ja natürlich, die FDP hat es ja schon in die Regierung eingebracht und damit auch die alte Regierung gesprengt. Ihre Forderungen sind schon sehr weitgehend. Die Unternehmer sollen noch mehr von den Sozialversicherungen entlastet werden. Dabei ist das ja heute schon eine totale Schieflage. Als man das in den 1950er – Jahren beschlossen hat, gab es eine sehr hohe Beschäftigung. Damals hat man festgelegt: ein Drittel zahlt der Staat, ein Drittel zahlen die Unternehmer, ein Drittel zahlen die abhängig Beschäftigten. Der Staat hat die ganze Zeit relativ wenig beigetragen. Er hat meistens irgendwelche rentenfremde oder sozialversicherungsfremde Leistungen draufgeladen, die gar nicht dazu gehören.
Ich will hier nochmal an die Wiedervereinigung erinnern. Der ganze Ausgleich wurde von den Sozialversicherungen finanziert. Das ist doch eine Aufgabe des Staats, der hat doch die Unternehmen der ehemaligen DDR konfisziert, der hätte das alles zahlen müssen. Hinzu kommt, dass auch die Arbeitssituation eine andere ist als damals. Man kann nicht einfach davon ausgehen, dass genügend eingezahlt wird, damit diese ganzen Sozialleistungen finanziert werden. Damals war die Gesellschaft sehr viel jünger. Heute haben wir eine relativ alte Gesellschaft mit mehr Krankheiten, mit mehr Pflege, mit mehr Rentenansprüchen. Da muss man überlegen, was richtig ist.
Die Gewerkschaften haben in den 1950er-Jahren gefordert, dass diese Lohnersatzkosten, also Arbeitslosengeld, Krankengeld, Rente vollständig von den Unternehmern getragen werden, denn die gehören zu den Lohnkosten. Wieso soll der Arbeiter sich an Lohnkosten beteiligen? Das ist auch unsere Forderung, wir haben diese Forderung aufrechterhalten.
Wir sind nicht der Auffassung, dass diese Sozialversicherungskosten überhaupt von abhängig Beschäftigten geleistet werden. Da haben wir schon einmal ein zentrales Problem, dass die Sozialversicherungskosten gar nicht mehr abhängig sind von der Zahl der Beschäftigten, wie das heute ist, sondern dass es einfach unabhängig davon ist. Also muss man dort abschöpfen, wo das Geld heute hinfließt, und das ist die Kapitalverwertung, das sind die die Profite, die die Unternehmen machen. Deswegen fordern wir eine umsatzbezogene Sozialsteuer, mit der diese ganzen Sozialversicherungen finanziert werden.
Diese umsatzbezogene Sozialsteuer hat noch einen weiteren Vorteil. Nicht nur die abhängig Beschäftigten werden entlastet, sondern auch die Kleinunternehmer. Ein Heizungsmonteur oder Dachdecker, der 10 Beschäftigte hat, zahlt 20 Prozent Sozialversicherungen, weil er sein Geld vor allem mit lebendiger Arbeit verdient, die er dann bezahlt.
Die Großunternehmen haben sehr viel Kapital aufgewendet, um Arbeitsplätze abzubauen, auszugliedern, durch Maschinen zu ersetzen. Und diese Großkonzerne haben zum Teil ein Sozialversicherungsaufkommen pro Umsatz zwischen 1 und 2 Prozent. Das ist doch nicht einzusehen, dass diese großen Monopole, die in der Gesellschaft den Hauptteil der Profite der ganzen Kapitalverwertung abschöpfen, dass die kaum sich an der Finanzierung der Sozialsteuer beteiligen, während der Kleinunternehmer um seine Existenz bangt, weil er so viel Belastung hat.
Deshalb ist die umsatzbezogene Steuer viel sozialer, sie würde heute etwa bei 8 Prozent des Umsatzes liegen. Dann würden alle Unternehmen 8 Prozent Sozialsteuer leisten. Die Arbeiter wären entlastet. Das wäre eine völlig andere wirtschaftliche Ausgangssituation. Aber das wird nicht gemacht, weil die Arbeiterbewegung zu schwach ist und auch diese Forderung gar nicht diskutiert wird.
Diesen Vorschlag, den wir hier machen, hat wahrscheinlich noch niemand im Fernsehen gehört oder in der Zeitung gelesen. Den verbreiten wir natürlich. Solche Vorschläge werden überhaupt nicht verbreitet, weil sie einfach nicht in das ganze Denkschema der bürgerlichen Demokratie passen. Da geht es in erster Linie immer darum, dass die kapitalistische Wirtschaft funktioniert und nicht um die Probleme, die die Masse der Bevölkerung hat.
Celina Jacobs (Rote Fahne-TV): Das stimmt auf jeden Fall. Vor allem die AfD wird jetzt ja von vielen Leuten als Alternative gesehen. Sie tut angeblich etwas gegen die Inflation, gegen hohe Sozialversicherungsabgaben. Dabei schlägt sie wirtschaftlich eigentlich eher in die Kerbe von CDU/CSU und FDP.
Stefan Engel: Sie schlägt nicht nur die Kerbe, sie topt das zum Teil noch. Die AfD hat ja jetzt den Vorschlag gemacht, die Arbeitslosenversicherung total zu kürzen. Man soll nur noch Arbeitslosengeld bekommen, wenn man mindestens drei Jahre gearbeitet hat. Das bekommt man aber nur ein halbes Jahr nach diesen Vorstellungen der AfD. Wenn man vier Jahre gearbeitet hat, bekommt man es nochmal zwei Monate länger. Das heißt also, hier wird praktisch versucht, die ganzen Sozialversicherungsprobleme auf Kosten der Arbeiter und Angestellten zu lösen.
Die AfD ist auch für die Abschaffung des Bürgergelds. Jetzt haben sie das ein bisschen modifiziert, aber es läuft darauf hinaus. Vor allem sind sie auch dafür, dass nicht jeder, der hier sozial bedürftig ist und Sozialleistungen braucht, das bekommt. Für die Migranten soll das total eingeschränkt werden. Das läuft natürlich auf eine totale Spaltung hinaus.
Man kann doch nicht die Leute unterschiedlich behandeln, je nachdem, wo sie geboren sind, wo sie herkommen, sondern jeder muss gleichberechtigt behandelt werden. Diese Spaltung der Gesellschaft nimmt die AfD offen in Kauf und dann sagt sie zu den Arbeitern: »Wir sind auch für mehr Löhne, aber das kriegt ihr nur wenn, wenn die Unternehmersteuer gekürzt wird.« Die sind für die drastische Kürzung der Unternehmenssteuern auf maximal 25 Prozent. Bisher zahlen sie etwa um die 30 Prozent. Außerdem will die AfD die Erbschaftssteuer und jede Art von Vermögenssteuer abschaffen. Wer bezahlt das alles, was in der Gesellschaft aufgebracht werden muss? Das bezahlen dann alles die Arbeiter und Angestellten mit ihrer Steuern, mit ihren Abgaben. Das heißt, es geht um nichts anderes als eine radikale Umverteilungspolitik zu Lasten der Bevölkerung, zu Lasten der Arbeiter, der Angestellten, der Bedürftigen und zu Gunsten der Monopole, die sowieso schon das Geld scheffeln.
Dann sind sie alle der Meinung, dass der Solidarzuschlag für alle abgeschafft wird. Aber den zahlen ja nur noch die 5 Prozent der Reichsten der Bevölkerung. Warum soll das denn abgeschafft werden? Im Gegenteil, man müsste diese Leute steuerlich noch mehr belasten.
Es ist ja interessant, wie in dieser Weltwirtschafts- und Finanzkrise die Zahl der Milliardäre und der Millionäre erheblich gewachsen ist, auch in Deutschland. Warum sollen diese Leute immer reicher werden, während gleichzeitig die Armut zugenommen hat, auch in Deutschland. Wir haben eine grassierende Altersarmut, eine grassierende Kinderarmut, alles als Ergebnis dieser kapitalistischen Wirtschaft. Und das wird alles noch verschärft werden durch die Maßnahmen der AfD, der CDU/CSU, der FDP und auch durch die SPD oder die Grünen. Deshalb muss man diese Wahlprogramme alle ablehnen.
Celina Jacobs (Rote Fahne-TV): Wir können natürlich heute nicht über die Wahlprogramme reden, ohne über die Migrationspolitik zu reden, die ja richtig ins Zentrum dieses Wahlkampfs gerückt ist. Da hat sich jetzt ein merkwürdiges Bündnis aus AfD, FDP, CDU/CSU und BSW geformt. Was können wir davon jetzt in Zukunft erwarten?
Stefan Engel: Diese Migrationspolitik kennzeichnet ein extrem nationalistisches Denken, auf das inzwischen auch die bürgerlichen Parteien eingeschwenkt sind. Ich möchte da nicht nur die CDU/CSU und FDP nehmen, die in der vorletzten Woche mit der AfD zusammen für eine Grenzschließung gestimmt haben. Ich möchte auch die Grünen und die SPD einbeziehen. Die haben nämlich nach dem Anschlag in Solingen im September letzten Jahres weitgehende Einschränkungen für Migranten beschlossen, Zutrittsrechte an der Grenze eingeschränkt, die Grenzen wieder mehr zugemacht.
Diese Tendenz, die Migration abzustoppen, ist ultrareaktionär. Sie ist auch mit dem Abbau bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten verbunden und betrifft letztlich die gesamte Bevölkerung. Das trifft ja nicht nur die Migranten, da werden die Bespitzelungsrechte ausgebaut usw. Das trifft uns alle. Die Spaltung der Arbeiterbewegung hat die Arbeiterbewegung schon immer geschwächt. Warum sollen die migrantischen Arbeiter schlechter gestellt werden als die anderen? Deswegen muss man diese Politik ablehnen.
Ich meine, bei der AfD hat es einen faschistischen Hintergrund. Das kann man bei den anderen rechten Parteien noch nicht sagen, wie beim BSW und bei der CDU/CSU. Aber diese völkische Politik, dass es in Deutschland nur noch ein deutsches Volk gibt und angeblich keine Klassen mehr und keine Migranten mehr, die kennen wir schon aus dem Hitler-Faschismus und ist eine ganz gefährliche Geschichte.
Unsere Bevölkerung besteht zu 30 Prozent aus Migranten und wenn man noch 100 oder 150 Jahre oder weiter zurückgeht, dann sind es noch mehr. Das Ruhrgebiet besteht hauptsächlich aus polnischen Einwanderern, die damals aus Polen in den Bergbau geholt wurden. Und auch heute noch ist in den Betrieben ein großer Anteil von Migranten, die hier ihre gesellschaftliche Leistung bringen, indem sie da arbeiten, Steuern zahlen. Das ist eine Unverschämtheit, dass man die Probleme alle diesen Leuten zuschießt. Wenn man genauer hinsieht, gibt es mehr Sozialprodukt von Migranten als von Deutschstämmigen. Migranten sind in der Regel jünger, haben noch nicht so viele Rentner, sie arbeiten viel und leisten einen großen Beitrag zum Bruttosozialprodukt in Deutschland.
Hinzu kommt, dass sie oft schlechter bezahlte Arbeiten machen, die andere gar nicht mehr machen wollen. Viele Migranten bekommen gerade mal den Mindestlohn. Wir müssen uns also klarmachen, dass hier eine Riesenschweinerei in Gang ist und die Arbeiterklasse gespalten wird.
Wir müssen das ernst nehmen, dass diese Tendenz zum Faschismus auch andere rechte bürgerliche Parteien erfasst, wie zum Beispiel FDP, CDU/CSU, BSW, aber in gewissem Sinn auch die SPD und die Grünen. Die haben ja auch in verschiedener Hinsicht nachgegeben.
Das ist eine gefährliche Tendenz, die sehr stark Spaltung und soziale Ungerechtigkeit in die Gesellschaft trägt. Sie gibt natürlich auch den Unternehmern wiederum die Möglichkeit, die Arbeiter gegen die Migranten auszuspielen, Kosten zu sparen. oder auch mit den Leuten umzugehen, wie sie wollen. Das ist eine Angelegenheit, die die Gesellschaft erheblich verändern wird. Dieser reaktionäre Einfluss der Faschisten treibt die anderen bürgerlichen Parteien auch nach rechts. Das ist die Entwicklung, die man hier beachten muss.
Celina Jacobs (Rote Fahne-TV): Jetzt hat die MLPD natürlich ihre Forderungen. Viele haben sie bestimmt schon auf unseren Plakaten gesehen.
Stefan Engel: Ja, wir haben auch Forderungen. Es sind Forderungen, die aufzeigen, es ginge auch anders. Mit dem Bruttosozialprodukt, das heute von der Masse der Arbeiter und Angestellten erwirtschaftet wird, könnte man ein ganz anderes Leben organisieren. Aber der Kapitalismus verhindert das. Wir machen uns keine Illusionen, dass unsere Forderungen und Losungen, die wir im Wahlprogramm haben, so einfach durchgesetzt werden können. Das sind unsere Vorstellungen. Wir haben einen Klassenstandpunkt. Wir nehmen ganz klar für die Interessen der arbeitenden Menschen, für die Jugend, für die Migranten, für den Umweltschutz, für den Völkerfrieden Stellung, und das kommt auch in unseren ganzen Forderungen zum Ausdruck.
Aber wir machen uns auch keine Illusionen, dass dieses System diese Probleme lösen kann. Deswegen ist für uns das Allerwichtigste, dass man die Leute überzeugt, dass man ein anderes Gesellschaftssystem braucht. Ein anderes Gesellschaftssystem bedeutet für uns Sozialismus und Kommunismus, indem die Ausbeutung des Menschen und die Ausbeutung der Natur abgeschafft wird und tatsächlich die Früchte der gesellschaftlichen Arbeit denen zugutekommen, die das erarbeitet haben und nicht einer Handvoll Milliardäre und Millionäre, die in Saus und Braus leben und die Menschheit in den Untergang führen.
Celina Jacobs (Rote Fahne-TV): Die Partei Die Linke hat ja teilweise auch ähnliche Forderungen wie die MLPD. Jetzt haben uns einige geschrieben, sie finden uns zwar gut, aber sie überlegen, aus taktischen Gründen Die Linke zu wählen, weil die einfach größer sind als die MLPD. Was sagst du dazu?
Stefan Engel: Die Linke ist ja inzwischen eine bürgerliche Partei, die auch den Kapitalismus aufrechterhalten will. Sicherlich haben sie eine ganze Reihe sozialer Forderungen, auch im Friedenskampf oder für die Umwelt, die man unterstützen kann und wo wir uns auch einig sind. Aber das Wichtigste an der Linkspartei ist, dass sie keine gesellschaftliche Perspektive außerhalb des Kapitalismus hat. Deshalb ist für uns in einer solchen krisenhaften Situation, die heute herrscht, wichtig, auch einmal über den Tellerrand hinaus zu schauen und nicht nur Tagesforderungen zu stellen, die nicht viel an dem System ändern. Die Perspektive einer anderen Gesellschaftsordnung ohne Ausbeutung, Unterdrückung, ohne Umweltzerstörung und ohne Krieg kann nur eine sozialistische, kommunistische Gesellschaft leisten. Und da gibt es einen großen Unterschied zwischen uns und der Linkspartei.
Hinzu kommt, dass die Linkspartei doch sehr stark vom modernen Antikommunismus beeinflusst ist. Sie behandelt die Marxisten-Leninisten zum Teil wie Aussätzige und bekämpft uns auch zum Teil. Es gibt also wenig Berührungspunkte, vielleicht in der letzten Zeit, wo man Demonstrationen hatte, da trifft man sich dann manchmal. Aber die Linkspartei macht heute schon wesentlich eine bürgerliche Politik. Deswegen ist sie keine wirkliche Alternative. Wenn man nur den Parlamentarismus im Kopf hat oder die Aufrechterhaltung dieser Gesellschaft, dann ist sicherlich die Linkspartei erste Wahl. Aber wenn man etwas anderes will, tatsächlich eine gerechtere Gesellschaft erkämpfen will, dann muss man den Kapitalismus überwinden. Das geht nur, indem man auch die Kräfte stärkt, die für den Sozialismus/Kommunismus eintreten. Und dazu gehört die Linkspartei schon längst nicht mehr.
Celina Jacobs(Rote Fahne-TV): Vielen Dank, dann kommen wir zum Ende unseres heutigen Hintergrundgesprächs. Wir hoffen wie immer, dass es auch auf Interesse gestoßen ist und freuen uns aufs nächste Mal.