Willi Dickhut
Strömung und Gegenströmung
Grundsätzliche Briefwechsel und Dokumente Willi Dickhuts 1975
Lieber Genosse Willi! 22. 10. 75
Den Artikel in der Roten Fahne »Zu Besuch beim Genossen Willi« habe ich sehr interessiert gelesen. Mit der Aussage, die von Dir über den Kampf zweier Linien zitiert wird, kann ich allerdings nichts anfangen, ich finde sie sogar falsch.
Auf dem X. Parteitag der KP Chinas wird gesagt, daß es die Pflicht eines Revolutionärs sei, gegen den Strom zu schwimmen. Du fügst hinzu, daß er sich aber nicht blind von der Gegenströmung mitreißen lassen dürfe.
Es ist doch Aufgabe eines Revolutionärs, ständig gegen den Strom zu schwimmen, sich selbst und allem gegenüber eine kritisch-revolutionäre Haltung anzunehmen, weil der Kampf zweier Linien (zwischen der bürgerlichen und proletarischen Linie) ein ständiges Gesetz der Entwicklung ist und nur durch ihn der Revisionismus besiegt werden kann. Der Kampf zweier Linien wird stattfinden, solange es Klassen gibt, der Kampf der Gegensätze ist ein dauerndes Naturgesetz …
Gegen den Strom zu schwimmen erfordert Kraft, Arbeit, Energie, kann einen isolieren, einen Mann oder Frau oder sogar das Leben kosten. Wo ist da die Gegenströmung, die es einem leichtmacht und einen mitreißt? Gegen den Strom zu schwimmen ist Kampf – dieser Kampf erfordert Kraft, er spielt sich nicht von selbst ab. Er erfordert Waffen. Auf sie kommt es an, es kommt darauf an, ob er mit den richtigen Waffen, den proletarischen Waffen, geführt wird. Er erfordert das Rüstzeug des Marxismus-Leninismus. »Blind« ist ein Sich-treiben-lassen – gegen den Strom kann man sich nicht treiben lassen. Und wer sich an die, die gegen den Strom schwimmen, blind ranhängt, der fällt bei der ersten Kraftanstrengung, die von ihm verlangt wird (und die wird von ihm verlangt!), ab und läßt sich wieder blind im Strom treiben. Denn der »Blinde« schreckt vorm Kampf zurück, weil er keine Waffen hat. Und schreckt man nicht auch vorm Kampf zurück, wenn man sich sagt: »Ich darf mich nicht von der Gegenströmung mitreißen lassen«? Im Strom schwimmen ist um so vieles bequemer. Und genau das darf doch nicht passieren. Denn nur durch den ständigen Kampf, das Gegen-den-Strom-schwimmen, kann sich etwas weiterentwickeln, nur so stirbt es nicht ab ...
Und deshalb ist es die Aufgabe jedes Revolutionärs, gegen den Strom zu schwimmen, denn nur im Kampf der Widersprüche entsteht etwas Neues und findet Entwicklung statt. Zu dieser Haltung hin muß erzogen werden, sie muß gefordert und gefördert werden. Denn ich finde, gerade für eine junge Organisation wäre es besonders schnell tödlich, wenn man vor dem »Gegen-den-Strom-schwimmen« zurückschrecken würde.
Dies sind meine Gedanken zu diesem Satz von Dir, und es würde mich freuen, wenn Du mir darauf antworten würdest. Es interessiert mich, was Du hierzu meinst.
Mit solidarischen Grüßen
Ursel
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Liebe Genossin Ursel! 27. 12. 75
Entschuldige, daß ich erst jetzt in der Lage bin, Deinen Brief zu beantworten. Du weißt, daß durch die ideologisch-politische Auseinandersetzung der letzten Zeit in allen drei Organisationen die Zentrale Kontrollkommission bis aufs äußerste angespannt war. Gerade in dieser Zeit ist offensichtlich geworden, wie viele Genossen sich von der Gegenströmung haben mitreißen lassen.
Die Gegenströmung ist das Liquidatorentum, das dadurch gekennzeichnet ist, daß Angriffe gegen die ideologisch-politische Linie des KABD geführt werden. Diese Angriffe würden, falls sie die ideologisch-politische Linie des KABD zerstören könnten, in der Konsequenz zur Liquidierung unserer drei Organisationen führen. Von dieser Gegenströmung wurden nicht wenige Genossen besonders in den KSG erfaßt und blind von ihr mitgerissen. Die Blindheit ist der kleinbürgerliche Liberalismus, der sich selbst Organisationsfeinden gegenüber loyal verhält. Diese Blindheit führte in Erlangen zur Auflösung der KSG-Ortsgruppe. Die organisierte Gegenströmung einer organisationsfeindlichen Fraktion hatte die KSG-Genossen von ihrem Schwimmen-gegen-den-Strom abgedrückt und ans Ufer geschwemmt.
Die Zentrale Kontrollkommission wird im Januar einen Aufruf herausgeben und zum Kampf gegen Liquidatorentum und Liberalismus auffordern. In diesem Aufruf wirst Du zahlreiches konkretes Material vorfinden, das diese gefährliche Gegenströmung aufdeckt.
Du hast recht, wenn Du am Schluß Deines Briefes schreibst: »Und deshalb ist es die Aufgabe jedes Revolutionärs, gegen den Strom zu schwimmen, denn nur im Kampf der Widersprüche entsteht etwas Neues und findet Entwicklung statt. Zu dieser Haltung hin muß erzogen werden, sie muß gefordert und gefördert werden. Denn ich finde, gerade für eine junge Organisation wäre es besonders schnell tödlich, wenn man vor dem ›Gegen-den-Strom-schwimmen‹ zurückschrecken würde.«
In einer solchen Gefahr befand sich unsere Organisation, und deshalb mußte die Zentrale Kontrollkommission schnell und hart eingreifen und die Genossen wieder zum »Gegen-den-Strom-schwimmen« ausrichten. Nur die mit Blindheit Geschlagenen wurden von der Gegenströmung mitgerissen und trieben ab. Ich empfehle Dir unbedingt, unseren Aufruf zur Wachsamkeit gründlich zu studieren!
Mit revolutionären Grüßen
Willi