Willi Dickhut

Willi Dickhut

Klassenkampforganisationen oder Kampforganisationen?

Grundsätzliche Briefwechsel und Dokumente Willi Dickhuts 1975

Von RW-Redaktion
Klassenkampforganisationen oder Kampforganisationen?

26.11.75

Werter Genosse!

Beim Studieren des Revolutionären Wegs 12/73 bin ich meiner Meinung nach auf einen Widerspruch gestoßen.

Seite 12/13 steht folgendes: »Wer die Forderung vertritt:

›Macht die Gewerkschaften wieder zu Klassenkampforganisationen!‹, hat das Wesen der reformistischen Gewerkschaften verkannt. Als reformistische Organisationen könnten die Gewerkschaften nur dann zu Klassenkampforganisationen umgewandelt werden, wenn der Gewerkschaftsapparat erobert werden könnte. Das ist aber unmöglich. Der Gewerkschaftsapparat ist zu mächtig und umfangreich geworden, als daß er hinweggefegt beziehungs- weise abgewählt werden könnte. Die Herrschaft des Gewerkschaftsapparates steht und fällt mit der kapitalistischen Herrschaft.«

Nimmt man an, das ist richtig, so geht es logischerweise Seite 15 Mitte weiter: »Die Gewerkschaften zu erobern heißt nicht, den Apparat zu erobern, sondern die Mitglieder zu gewinnen.«

Dem steht aber gegenüber, was Seite 145 steht: »Es ist Aufgabe der Kommunisten, in Betrieb und Gewerkschaften dahin zu wirken, daß die Gewerkschaften wirkliche Kampforganisationen werden und nicht Scheinkampforganisationen, das heißt, daß sie zur Durchsetzung der gewerkschaftlichen Forderungen, Reformen, Tagesforderungen zur Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen den Kampf vorbereiten und energisch durchführen.« Es wird dann im folgenden der Unterschied gemacht zwischen Kampforganisation und Klassenkampforganisation (Gewerkschaft – Partei). Doch dürfte es nach dem ersten Zitat Seite 12/13 sogar unmöglich sein, die Gewerkschaften überhaupt nur zu Kampforganisationen im reformistischen Rahmen zu machen, da der Apparat zu stark ist und nicht mehr abgewählt werden kann. Vor allem, wenn man annimmt, daß die »Zwingt-die-Bonzen«-Politik zu nichts führt …

Rot Front! Günther


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27.12.75

Lieber Genosse Günther!

Entschuldige, daß ich Deinen Brief vom 26. 11. erst jetzt beantworten kann. Dir geht es um die Klärung von Kampforganisation und Klassenkampforganisation …

Was die Frage der Kampforganisation anbelangt, wird im Revolutionären Weg 12 ja genau der Unterschied zwischen Kampforganisation und Klassenkampforganisation herausgearbeitet. Wir haben im Revolutionären Weg auch die Bedeutung des Kampfs um Reformen dargelegt. Der Kampf um Reformen ist ein gewerkschaftlicher Kampf und wird im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung geführt. Da die revolutionäre Arbeiterklasse den Kampf um Reformen nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck führt, darf man seine Bedeutung keineswegs herabmindern. Diese Bedeutung liegt in der »Schule des Klassenkampfs«. Das kannst Du im Revolutionären Weg 11 und 12 näher nachlesen. Um diesen Kampf um Reformen führen zu können, müssen die Gewerkschaften zu Kampforganisationen gemacht werden. Denn es geht nicht um die Gewinnung dieser oder jener Reformen an sich, sondern um den Kampf um diese Reformen. Die Gewerkschaftsführung ist aber selbst an diesen Kämpfen nicht interessiert, weil sie nach Möglichkeit die Durchsetzung dieser Reformen ohne Kampf durch Verhandlungen erreichen will. Um den Verhandlungen etwas Nachdruck zu verleihen, droht sie mit Auslösung des Kampfs und läßt zu diesem Zweck sogar eine Urabstimmung vornehmen. Sie muß so vorgehen, weil sie der Stimmung unter den Arbeitern Rechnung tragen muß. Trotzdem versucht sie bis zuletzt, durch Verhandlungen sich mit den Arbeitgeberverbänden zu einigen. Das bedeutet, daß die Gewerkschaftsbürokratie keine echte Kampforganisation wünscht, sondern eine Scheinkampforganisation als Druckmittel bei Verhandlungen.

Der Kampf um Reformen als Schule des Klassenkampfs setzt aber eine Kampforganisation voraus, und darum arbeiten wir in den Gewerkschaften, damit diese zu wirklichen Kampforganisationen gemacht werden.

Um aber den Kampf zum Sturz der kapitalistischen Gesellschaftsordnung führen zu können, benötigt die Arbeiterklasse jedoch Klassenkampforganisationen. Dazu sind die jetzigen Gewerkschaften unter der reformistischen Führung nicht geeignet.

Sie könnten nur dann zu einer Klassenkampforganisation werden, wenn die reformistische Führung durch eine revolutionäre Führung ersetzt würde. Das ist jedoch nicht durch Abwahl dieser reformistischen Führer möglich. Um den revolutionären Klassenkampf zum Sturz der kapitalistischen Herrschaft zu führen, muß der reformistische Rahmen der Gewerkschaften gesprengt werden, das heißt, die Arbeiter müssen über den Kopf der Gewerkschaftsführer hinweg zu selbständigen Kämpfen übergehen. Diese Kämpfe um ökonomische und politische Forderungen bekommen mehr und mehr revolutionären Inhalt unter Führung der revolutionären Partei. Die revolutionäre Arbeiterpartei ist darum die konzentrierteste Form einer Klassenkampforganisation. Es ist Aufgabe der Kommunisten, in den Gewerkschaften zu arbeiten, um die Mitglieder vom reformistischen Einfluß zu lösen und sie für den revolutionären Klassenkampf zu gewinnen.

Wie Du siehst, ist hier kein Widerspruch zum Revolutionären Weg 11 und 12 oder anderen Nummern des Revolutionären Wegs. Vergleiche bitte diesen Brief mit den entsprechenden Stellen.

Ich wünsche Dir ein erfolgreiches neues Jahr und verbleibe mit revolutionären Grüßen

Willi