Gabi Fechtner
Gabi Fechtner an einen Bündnispartner zu Fragen der „neuen Friedensbewegung“
Gabi Fechtner für die MLPD, 16.6.2022
Liebe Genossinnen und Genossen,
wir schreiben euch ansetzend an unseren Diskussionen. Ein Genosse brachte dabei ein, dass ihr neben der vielfachen Unterstützung und gemeinsamen Arbeit wie zum 8. Mai auch Fragen und Kritik habt am Begriff und der Strategie und Taktik des Aufbaus einer neuen Friedensbewegung. (…) Eure Position haben wir so verstanden, dass ihr den Begriff einer neuen Friedensbewegung bzw. Front kritisch seht, weil wir eine gemeinsame Front mit der alten Friedensbewegung anstreben sollten und die Friedensbewegung nur so stark genug werden kann. Dazu einige Argumente: Grundsätzlich verstehen wir den Begriff der neuen Friedensbewegung dialektisch, also nicht im Sinne einer einfachen Negation, sondern einer schöpferischen Höherentwicklung.
- Das neue bezieht sich wesentlich auf die neue Qualität der Situation. Die Strategie und Taktik der neuen Friedensbewegung leitet die MLPD wesentlich aus den objektiven Veränderungen ab. Wir haben eine Phase, in der sich der Imperialismus beschleunigt destabilisiert, alle bisherigen Gepflogenheiten infrage gestellt werden und ein Weltkrieg durch fast alle Imperialisten vorbereitet wird. In den letzten Jahrzehnten gab es große ökonomische, politische und militärische Veränderung im imperialistischen Weltsystem. Die USA sind zweifellos auch heute noch weltweit der Hauptkriegstreiber. Inzwischen gibt es aber über 40 imperialistische Länder und mit China eine neue wirtschaftliche Supermacht, die alle auch militärisch ihre Interessen durchzusetzen versuchen. Eine Friedensbewegung, die sich heute noch im wesentlichen nur gegen die USA richtet, wird früher oder später zum Spielball entweder des EU-Imperialismus oder von Russland, China oder eines anderen Imperialisten werden. Das unterstreicht den energischen und zielstrebigen Aufbau einer weltweiten antiimperialistischen Einheitsfront. Dazu kommen weitere neue Wechselwirkungen und Anforderungen wie zur fortschreitenden Gefahr der globalen Umweltkatastrophe usw.
- Wir wollen und müssen unbedingt alle ehrlichen Friedenskämpfer der bisherigen Friedensbewegung für die neue Friedensbewegung gewinnen, darin sind wir uns einig. Aber dafür müssen auch alte Gepflogenheiten und Fehler bewusst überwunden werden wie zum Beispiel die Unterschätzung der Aggressivität des neuimperialistischen Russlands bis zu dessen Einstufung als Bündnispartner der Friedensbewegung oder auch kleinbürgerlich-pazifistische Illusionen. Nicht zuletzt wegen dieser falschen Auffassungen hat die alte Friedensbewegung in Deutschland zum Beispiel unter den Arbeitern keinen besonders guten Ruf. Auch auf diese Selbstveränderung bezieht sich die neue Qualität der Friedensbewegung. Wir können heute unmöglich den Massen gegenübertreten und zum Beispiel Russland – oder auf der anderen Seite den EU-Imperialismus, wie es die Grünen und Teile der LINKEN tun, verteidigen.
- Es sind in unserer Arbeit auch Fehler vorgekommen, uns einseitig von anderen Friedenskämpfern abzugrenzen und ungenügend um die Zusammenarbeit zu kämpfen. Es war z.B. ein Fehler, dass wir uns nicht an dem Kongress „Ohne NATO leben“ am 21. Mai in Berlin beteiligt haben. Eure Kritik, sofern sie solche Schwächen und Fehler in der Umsetzung der Strategie und Taktik des Aufbaus einer neuen Friedensbewegung betrifft, ist berechtigt. Es sind aber Verstöße gegen die richtige Strategie und Taktik des Aufbaus einer neuen Friedensbewegung, stellen sie nicht in Frage. (...)
- Wir befinden uns in einer Situation, in der eine massive Verwirrung unter den Massen herrscht. Gerade deshalb muss von der Friedensbewegung vor allem große Klarheit und Orientierung ausgehen, statt dass sie noch mehr zu dieser Verwirrung beiträgt. Es findet eine einmalige Manipulation der öffentlichen Meinung bis zur Kriegshetze statt, die Regierung stellt sich mit der NATO als Friedensengel dar, es wird sozialchauvinistische Stimmung geschürt usw. Die Friedensbewegung, will sie ernsthaft die imperialistische Kriegstreiberei bekämpfen, muss nicht diffus größer, stärker, breiter werden, sondern steht vor einem notwendigen qualitativen Sprung. Nur auf Grundlage ideologischer und politischer Klarheit, sich vor den Karren keines Imperialisten spannen zu lassen wird sie auch die notwendige Breite erreichen und vor allem neue Kräfte mobilisieren aus der Arbeiterklasse, die Jugend und die Frauenbewegung. Derzeit werden sozusagen die Karten neu gemischt. Manche bisherige Bündnispartner gehen zu reaktionären Positionen über, zugleich entstehen neue. Es braucht es für eine Friedensbewegung, will sie einen fortschrittlichen Charakter haben und die revolutionäre Perspektive beinhalten, klare Koordinaten, sie darf nicht unter dem Begriff „gemeinsam“ nebulös bleiben.
- Wer imperialistische Mächte unterstützt, kann nicht Teil einer Friedensbewegung sein. Das gilt sowohl für den offen sozialchauvinistischen Kurs etwa der Grünen, SPD und Teilen der Linken zugunsten des deutschen und EU-Imperialismus aber auch von DKP und anderen Teilen der Linken, zugunsten des russischen oder chinesischen Imperialismus. (…) In der „alten“ Friedensbewegung sind nach wie vor führend die Leute, die bis kurz vor Beginn des Krieges gegen die Ukraine von einer „objektiv antiimperialistischen Rolle“ Russlands gesprochen haben, und die den russischen Angriffskrieg bis heute nicht verurteilen. Das betrifft Teile der DKP, aber auch weitere Kräfte. Momentane Hauptmethode der Revisionisten ist, sich auf die Losung „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ zu reduzieren ohne jegliche Positionierung zum Ukraine-Krieg - als hätte man nie eine falsche Einschätzung gehabt. Das zu verwischen ist doch unehrlich und unglaubwürdig gegenüber den Massen. Beachten muss man wiederum Übergänge, wenn zum Beispiel die SDAJ inzwischen die Qualifizierung von Russland als neuimperialistisch übernommen hat. Die MLPD beteiligt sich an Aktionseinheiten auf der Grundlage des Kampfes mit solchen Kräften, aber steht auch klar dafür, ideologisch-politische Widersprüche nicht zu verwischen. Eine Zusammenarbeit mit Kräften, die den russischem Imperialismus offen verteidigen kann es nicht geben.
- Dass sich die Friedensbewegung neu aufstellen muss, sehen (inzwischen) auch etliche Kräfte aus der alten Friedensbewegung so und suchen nach neuen Zusammenschlüssen und Bündnispartnern. (...)
Liebe Genossinnen und Genossen,
die Phase der beschleunigten Destabilisierung des imperialistischen Weltsystems bedeutet, dass die Imperialisten außergewöhnlich schwach aber besonders aggressiv sind. Wir haben als Revolutionäre außergewöhnlich große Möglichkeiten und Anforderungen. Denn solange diese Phase andauert, lässt sie nur zwei Optionen zu: Weltkrieg oder internationale sozialistische Revolution. Die Revolutionäre der Welt müssen in dieser Situation die Perspektive der sozialistischen Revolution propagieren und als elementarer Bestandteil der Friedensbewegung ihre Eigenständigkeit bewahren. Die Bedeutung der unbedingten Eigenständigkeit des proletarischen Elements betont Lenin in verschiedenen Schriften immer wieder. Willi Dickhut schrieb in der Nummer 22 der Reihe Revolutionärer Weg im Jahr 1983:
„Die Teilnahme an der kleinbürgerlich-pazifistischen Friedensbewegung muß mit der breiten Aufklärung der Massen verbunden werden in dem Sinne, daß diese Bewegung wohl einen bestimmten Krieg in Europa verhindern, aber nicht die Kriege für immer beseitigen kann, ohne den Kapitalismus zu beseitigen. Die MLPD läßt sich auch hierin von Lenins Lehre leiten, der in seiner Schrift "Sozialismus und Krieg" die Kommunisten (damals nannten sie sich noch Sozialdemokraten) auffordert: "Friedensfreundliche Stimmung in den Massen ist häufig der Ausdruck dafür, daß Protest und Empörung aufkommen und daß der reaktionäre Charakter des Krieges erkannt wird. Diese Stimmung auszunutzen ist Pflicht aller Sozialdemokraten. Sie werden sich an jeder Bewegung und an jeder Demonstration, die auf diesem Boden erwächst aufs leidenschaftlichste beteiligen, aber sie werden das Volk nicht betrügen, indem sie den Gedanken zulassen, daß ohne eine revolutionäre Bewegung ein Frieden ohne Annexionen, ohne Unterjochung von Nationen, ohne Raub, ohne den Keim neuer Kriege zwischen den jetzigen Regierungen und herrschenden Klassen möglich sei. Ein solcher Volksbetrug käme nur der Geheimdiplomatie der kriegführenden Regierungen und ihren konterrevolutionären Plänen zugute. Wer einen dauerhaften und demokratischen Frieden will der muß für den Bürgerkrieg gegen die Regierungen und die Bourgeoisie sein" (Lenin Werke Bd. 21, S. 317 - Hervorhebung durch die Red. RW)“ (RW 22, S. 155f).
Die proletarisch-antiimperialistische Richtung ist heute zweifellos noch eine Minderheit. Aber sie vertritt die richtigen Positionen und sie werden sich durchsetzen. Auch Karl Liebknecht war 1914 gegen die Kriegskredite in der Minderheit. Unsere Aufgabe kann nur sein, aus dieser richtigen Minderheitsposition heraus um die Meinungsführerschaft zu kämpfen, statt dass unsere richtige Position durch Anpassung verwischt wird. Die objektive Entwicklung wird uns dabei helfen.
Eine Zusammenarbeit über weltanschauliche und parteipolitische Grenzen hinweg im gemeinsamen Kampf gegen Krieg und Faschismus, wie ihr sie betont, ist deshalb natürlich auch an Prinzipien der gleichberechtigten und respektvollen Zusammenarbeit gebunden, wozu auch das immer bessere fertigwerden mit dem Antikommunismus gehört. In einer Situation, in der in der Ukraine und Russland marxistisch-leninistische Kräfte unterdrückt, ihre Organisationen und Symbole verboten werden, in der in Deutschland teilweise das Tragen der sowjetischen Fahne verboten wurde und die Reaktion nach innen verschärft wird, ist das umso wichtiger. Deshalb ist es ein grundlegendes Merkmal dass sich die neue Friedensbewegung als Teil der Bewegung „Gib Antikommunismus keine Chance!“ begreift.
(...)
Mit revolutionären Grüßen
Eure Gabi Fechtner