Willi Dickhut
Fragen des Kleinbürgertums – Kritik am Roten Pfeil 10/1981
Grundsätzliche Briefwechsel und Dokumente Willi Dickhuts 1982
An die Redaktion Roter Pfeil
Januar 1982
Liebe Genossen!
Der Rote Pfeil 10/81 fordert in dem Artikel »Die Kritik- Selbstkritik-Bewegung der KSG« auf: »Die Fehler aufdecken und bekämpfen!« Dieser Aufforderung will ich nachkommen. Auf Seite 22, Spalte 3 schreibt Ihr: »Unter Führung der Arbeiterklasse bietet sich dagegen die Perspektive, einem imperialistischen Krieg durch die Revolution zuvorzukommen, den alten Staatsapparat einschließlich Bundeswehr zu zerschmettern und unseren Teil dazu beizutragen, daß die Waffen vernichtet und die Armeen auf- gelöst werden können.«
In diesem Satz sind gleich zwei Fehler enthalten. Fehler 1: Die Revolution kommt nicht auf Bestellung, sie setzt eine revolutionäre Situation voraus und ist das Ergebnis sich verschärfender Klassenkämpfe. Sie kann also einem Kriegsausbruch nicht zuvorkommen, wenn die Bedingungen nicht vorhanden sind. Fehler 2: Wenn die Revolution den Staatsapparat in der BRD zerschmettert hat, dann wird sie die Waffen nicht vernichten, solange noch irgendwo in der Welt Kapitalismus herrscht, der immer wieder Kriege hervorruft, weil das ein Gesetz des Kapitalismus ist.
Auf Seite 23 behandelt Ihr die Frage des Kleinbürgertums nicht richtig, wenn Ihr schreibt: »Der Kleinbürger (wie auch ein großer Teil der Studenten) befindet sich in einem unversöhnlichen Widerspruch zur Arbeiterklasse. Sein Widerspruch zur Kapitalistenklasse ist versöhnlich, da er seine (künftige) Existenz auf diesem System aufbaut (Spalte 1) … Letztlich ist die Ursache solcher Fehler, daß wir die Unversöhnlichkeit des Widerspruchs zur Arbeiterklasse nicht richtig verstanden und angewandt haben.« Leider habt Ihr es auch nicht!
Ihr stellt den Widerspruch zur Arbeiterklasse als absolut antagonistisch und den Widerspruch zur Kapitalistenklasse als absolut nichtantagonistisch hin. Ihr berücksichtigt überhaupt nicht den schwankenden Charakter der kleinbürgerlichen Schichten. Bereits im »Lernen und Kämpfen« 8/80 machte der Chefredakteur des Roten Pfeils denselben Fehler: »Der Widerspruch zwischen Kleinbürgertum und Arbeiterklasse kann unter den Bedingungen der kapitalistischen Gesellschaft nicht versöhnt werden.« Es wird hier nicht von der Verwandlung gewisser Widersprüche ausgegangen, sondern von einem absoluten, unveränderlichen antagonistischen Widerspruch. Wie wollt Ihr die unteren Schichten des Kleinbürgertums dann aber zu Verbündeten des Proletariats machen? Eure Betrachtungsweise ist nicht dialektisch. Warum nicht?
Die Klassenstruktur des Kleinbürgertums veränderte sich von selbständigen Klassen im Feudalismus durch den Kapitalismus in Zwischenschichten, die zwischen der Kapitalistenklasse und dem Proletariat hin und her schwanken. Von seiner Klassenlage her neigt der Kleinbürger zur Kapitalistenklasse, und er träumt von dem »Hocharbeiten« mit dem Ziel, in die Kapitalistenklasse einzudringen, Kapitalist zu werden. Der Widerspruch zur Bourgeoisie ist darum nichtantagonistisch, während der Widerspruch zur Arbeiterklasse antagonistisch ist. Aber der Druck der mörderischen Konkurrenz seitens der Monopole und ihrer Regierung zerstört mehr und mehr seine Existenz als Kleinbürger und schleudert ihn ins Proletariat. Er wehrt sich gegen den unvermeidlichen Untergang als selbständiger Kleinbürger und neigt der Arbeiterklasse zu. So schwankt er zwischen den beiden großen Klassen hin und her. Lenin hebt dies besonders hervor:
»Der Kleinbürger befindet sich in einer solchen ökonomischen Lage, seine Lebensbedingungen sind derart, daß er nicht umhin kann, sich selbst zu täuschen, es zieht ihn unwillkürlich und unvermeidlich bald zur Bourgeoisie und bald zum Proletariat. Eine selbständige ›Linie‹ kann er ökonomisch gesehen nicht haben. Seine Vergangenheit zieht ihn zur Bourgeoisie, seine Zukunft zum Proletariat.« (Lenin Werke Bd. 25, S. 200)
Aufgrund der Schwankungen der kleinbürgerlichen Schichten versuchen sowohl die Bourgeoisie als auch die Arbeiterklasse, Einfluß auf sie zu bekommen. Das wäre bei einem absoluten Antagonismus des Kleinbürgertums zum Proletariat für die Arbeiterklasse nicht möglich und für die Bourgeoisie nicht nötig. Dann könnten die unteren Schichten, die am nächsten zum Proletariat stehen, auch nicht als Bündnispartner gewonnen werden. Lenin lehrt aber:
»Der Gang der Ereignisse ist sonnenklar: immer größeres Anwachsen der Unzufriedenheit, der Ungeduld und Empörung der Massen, immer mehr verschärft sich der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie, besonders um den Einfluß auf die kleinbürgerlichen Massen.« (ebenda, S. 203)
Die Arbeiterklasse wird allerdings die Interessen der unteren Schichten der Kleinbürger, die vom Untergang bedroht sind, nicht in jedem Fall vertreten beziehungsweise nicht alle ihre Forderungen unterstützen, sondern nur die, die sich gegen den Kapitalismus und seine Regierung richten, zum Beispiel gegen die Preispolitik der Monopole oder die Steuerpolitik der Regierung und ähnliche, nicht aber solche, die den Kampf der Arbeiterklasse hemmen. Allein ist das Kleinbürgertum nicht fähig, sich von dem Druck der Monopole zu befreien:
»Nur das Proletariat ist – kraft seiner ökonomischen Rolle in der Großproduktion – fähig, der Führer aller werktätigen und ausgebeuteten Massen zu sein, die von der Bourgeoisie vielfach nicht weniger, sondern noch mehr ausgebeutet, geknechtet und unterdrückt werden als die Proletarier, aber zu einem selbständigen Kampf um ihre Befreiung nicht fähig sind.« (ebenda, S. 416)
Das trifft nicht nur auf Bauern, Handwerker und Gewerbetreibende zu, sondern auch auf die Intellektuellen. Darum mußte auch die Studentenbewegung der sechziger Jahre scheitern. Als die Studenten das 1968/69 gefühlsmäßig begriffen hatten, stürzten sie sich auf die Arbeiterbewegung, um eine marxistisch-leninistische Partei aufzubauen und um Führer des Klassenkampfs des Proletariats zu sein. Sie hatten nicht begriffen (und haben es heute noch nicht), daß man mit einer kleinbürgerlichen Denkweise keine proletarische Partei aufbauen kann.
Von der Klassenlage her ist der Widerspruch der Kleinbürger zur Bourgeoisie nichtantagonistisch, der zum Proletariat antagonistisch. Durch den gemeinsamen Kampf bei Annäherung an die Arbeiterklasse verwandeln sich die Widersprüche ins Umgekehrte:
Der Widerspruch zur Bourgeoisie wird antagonistisch, und der Widerspruch zum Proletariat wird nichtantagonistisch. Das ist die Dialektik der Verwandlung der Widersprüche.
Diese Umwandlung der Widersprüche in Widersprüche zum Feind oder im Volk sind nicht ein für allemal als einmaliger Akt vollzogen worden, sondern beide Seiten stehen in Wechselbeziehung zueinander. Das bedeutet, daß das Kleinbürgertum trotz der Verwandlung der Widersprüche gegenüber den Hauptklassen Bourgeoisie und Proletariat seinen schwankenden Charakter als Zwischenschicht behält und daß die Widersprüche sich wieder verwandeln können. Das hängt dann von der Veränderung der Situation ab und davon, ob die Widersprüche im Volk vom revolutionären Proletariat richtig behandelt werden. Mao Tsetung sagt:
»Da die Widersprüche zwischen uns und dem Feind sowie die Widersprüche im Volk ihrem Wesen nach verschieden sind, müssen sie auch mit verschiedenen Methoden gelöst werden. Kurz gesagt, bei ersteren kommt es darauf an, einen klaren Trennungsstrich zwischen uns und dem Feind zu ziehen, während es bei letzteren darum geht, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden.« (Mao Tsetung Ausgewählte Werke Bd. V, S. 436/437)
Durch den gemeinsamen Kampf der Arbeiterklasse und der unteren Schichten des Kleinbürgertums verwandelt sich der Widerspruch zum Feind in einen Widerspruch im Volk. Wenn die Arbeiterklasse aber den neuen Widerspruch gegenüber den Kleinbürgern nicht richtig behandelt, zum Beispiel diesen mit Mißtrauen begegnet, sie von oben herab behandelt, sie nicht von der Kraft und dem Sieg des proletarischen Klassenkampfs überzeugt usw., dann kann sich der durch den gemeinsamen Kampf entstandene Widerspruch im Volk wieder zu einem Widerspruch zum Feind verwandeln, und der Widerspruch zur Bourgeoisie verwandelt sich wieder in einen nichtantagonistischen Widerspruch. Der schwankende Charakter der kleinbürgerlichen Schichten findet so seinen Niederschlag in der Verwandlung der zwei Arten der Widersprüche. Einerseits fürchtet der Kleinbürger die Ruinierung seiner ökonomischen Existenz, anderseits fürchtet er den Klassenkampf des Proletariats. Er träumt von Klassenversöhnung. Darum ist er als Verbündeter des Proletariats unbeständig, schwankend, weil er den Klassenkampf nicht bis zu Ende führen will, bis zum Sturz der Herrschaft des Kapitals. Nur wenn die Arbeiterklasse den Klassenkampf energisch und erfolgreich in die Revolution und zum Sieg führt, kämpfen auch die Kleinbürger an der Seite des Proletariats mutig und opferwillig. Gewinnt die Konterrevolution die Oberhand, machen sie eine Kehrtwendung zur Bourgeoisie.
Wir werden in einer der nächsten Nummern des Revolutionären Wegs das Problem ausführlich behandeln.
W.D.
Leiter der Redaktion Revolutionärer Weg
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Betreff: Kritik am Roten Pfeil 10/81
24. 1. 82
Lieber Genosse Willi,
wir danken Dir außerordentlich für Deine Kritik, die für unsere Arbeit und die Leitungstätigkeit der Zentralen Leitung der KSG prinzipielle Bedeutung hat.
Im Zeichen der Parteigründung muß auch unsere Arbeit zur Vorbereitung des revolutionären Bündnisses von Arbeiterklasse und Zwischenschichten parteimäßiges Niveau bekommen. Wenn die Zentrale Leitung der KSG zur Leitung der Jugendorganisation der Partei werden will, muß sie sich intensiv mit den Inhalten Dei- ner Kritik auseinandersetzen.
Wir werden Deine Kritik im Roten Pfeil 1/82 vollständig abdrucken.
Eine wirklich selbstkritische Stellungnahme setzt jedoch eine Vertiefung der Kritik voraus, so daß wir Dir die eigentliche Stellungnahme zu Deiner Kritik im Augenblick noch schuldig bleiben. Zum ersten Teil Deiner Kritik wollen wir heute schon Position beziehen. Durch Deine Kritik wie auch durch andere Kritiken mußten wir selbstkritisch feststellen:
1. daß wir in unserem grundlegenden Verständnis von Strategie und Taktik des revolutionären Klassenkampfs noch wesentliche Mängel haben. In Verbindung mit dem Bemühen, die dialektische Methode zu erlernen, müssen wir uns den Programmentwurf und den Revolutionären Weg 20 und 21 noch viel gründlicher aneignen.
2. daß unser Verständnis des Krisen- und Kriegskurses der Monopole und der Aufgaben der Partei gegenüber diesem Kurs noch vollkommen unzureichend war.
So haben wir auf Seite 2 die Aussage »Die Uhr des Kapitalismus ist abgelaufen« nicht aus seiner historischen Überlebtheit begründet, sondern aus der politischen Zuspitzung. Der Einfluß des Reformismus wurde unterschätzt, was in dem Artikel auf Seite 13 zur Entwicklung im Ruhrgebiet seinen Niederschlag findet, wenn die taktische Wende der Monopole lediglich in wirtschaftlichen Verschärfungen und der Profitoffensive der Monopole gesehen wird.
Für die Behebung dieser Mängel ist die Verbindung von Studium des Rechenschaftsberichtsentwurfs und bewußter Entfaltung des ideologischen Kampfs in der Kritik-Selbstkritik- Bewegung die Grundlage.
Mit herzlichem Dank und revolutionären Grüßen
Gü.
Redaktionsleiter Roter Pfeil