Willi Dickhut

Willi Dickhut

Faschismus – Faschisierung

Briefwechsel und Dokumente Willi Dickhuts 1979

Von RW-Redaktion
Faschismus – Faschisierung

19.3.79

An die Redaktion des Revolutionären Wegs

In einer Grundeinheitsdiskussion über Faschismus und Neofaschismus, zu deren Vorbereitung wir den Revolutionären Weg 18 herangezogen haben, sind wir auf das Problem der Faschisierung gestoßen. Was Faschisierung genau heißt und ob es sinnvoll ist, diesen Begriff zu gebrauchen, konnten wir auch mit Hilfe des Revolutionären Wegs 18 nicht vollständig klären:

Einerseits heißt es im Revolutionären Weg 18, Seite 242, richtig: »Man muß sich davor hüten, jede reaktionäre oder sogar terroristische Maßnahme einer bürgerlichen Regierung als eine faschistische zu bezeichnen …« und auf Seite 247: »… der Faschismus (ist) als eine Form der kapitalistischen Diktatur keinesfalls unvermeidlich. Er ist auch keine geschichtlich notwendige letzte Herrschaftsform des staatsmonopolistischen Kapitalismus.«

Wir sehen nun die Gefahr, daß man mit dem Begriff »Faschisierung« genau diese Unvermeidbarkeit und Notwendigkeit des Faschismus suggeriert, wie das zum Beispiel die KPD/ML und auch der KB tun. Andererseits bezeichnet der Revolutionäre Weg 18 die »Übernahme faschistischer Methoden bei Beibehaltung der bürgerlichen Demokratie«, welche »die Angehörigen der staatlichen Gewaltinstrumente zu einem willfährigen Werkzeug für die staatliche Machtausübung gegen die kämpfende Arbeiterklasse machen« soll (S. 255f.) als Faschisierung. Auch im Rebell 1/78 ist von »Parallelen zwischen deutschem Faschismus und der heutigen Situation« die Rede.

Uns ist nun unklar, ab wann man eine Maßnahme als »Faschisierung« bezeichnen kann und ob es sinnvoll ist, diesen Begriff überhaupt zu verwenden, wenn man vermeiden will, daß der Faschismus als notwendiges nächstes Stadium der Herrschaft erscheint. Wir sind auch der Meinung, daß »Faschisierung« in der Organisation unterschiedlich verstanden und benutzt wird, daß also dieses Problem noch nicht geklärt ist.

Wir hoffen, daß Ihr uns auf diese Anfrage eine klärende Antwort zukommen laßt.

Rot Front!
KSG-Ortsgruppe Kiel





An die KSG-Ortsgruppe Kiel 20. 5. 79

Liebe Genossen!

Euren Brief vom 19. 3. 79 habe ich am 11. 5. erhalten. Wie Ihr wißt, gibt es verschiedene Formen der Herrschaft des Kapitalismus. Die meistgebräuchliche Herrschaftsform ist die bürgerliche Demokratie, das heißt, es wird mehr mit dem Mittel des Betrugs, aber auch mit dem Mittel des Terrors regiert.

Dagegen bedeutet die Herrschaftsform des Faschismus, daß mehr mit dem Mittel des Terrors, aber auch mit dem Mittel des Betrugs regiert wird. Die Bourgeoisie wendet diese Herrschaftsform dann an, wenn der Betrug als Hauptseite nicht mehr die notwendige Wirkung hat und damit zwangsläufig zur Nebenseite wird. Dieser Übergang ist nicht plötzlich, sondern hängt von der Entwicklung des Klassenkampfs ab. Das Proletariat bereitet sich im verschärften Klassenkampf unmittelbar auf die Revolution vor, die Bourgeoisie bereitet sich durch Faschisierung des Staatsapparats und Bildung faschistischer Organisationen auf die Konterrevolution vor.

Das bedeutet, daß bei Zuspitzung des Klassenkampfs und einer Entwicklung zur revolutionären Situation die verschiedenen Methoden der Gewalt, des Terrors und Vorbereitung auf den Bürgerkrieg von Seiten der Polizei, Armee, Justiz und Verwaltung durchgeprobt werden mit dem Ziel der Errichtung der offenen faschistischen Diktatur. Faschismus ist nach Dimitroff »die offene terroristische Diktatur, der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals«.

Wenn es sich nur um die terroristische Diktatur handeln würde, könnten diese Aufgaben auch von einer Militärdiktatur übernommen werden, aber diese stützt sich nur auf ihre Bajonette, da sie keine Massenbasis hat. Das ist für die Aufrechterhaltung der Herrschaft der Bourgeoisie dann eine riskante Sache, wenn das ganze Volk geschlossen dagegen ist, wie das jüngste Beispiel im Iran zeigt. Auch die bestgerüstete Armee ist machtlos gegen revolutionäre Volksmassen.

Darin besteht der Unterschied zwischen Militärdiktatur und faschistischer Diktatur: Die faschistische Diktatur besitzt eine Massenbasis, die sie durch eine unglaubliche Demagogie errungen hat. Diese Massenbasis spaltet das werktätige Volk auf. Daraus ist zu schließen, daß auch die Schaffung einer faschistischen Massenbasis zur Faschisierung gehört.

Faschisierung bedeutet die Vorbereitung zur Errichtung der offenen faschistischen Diktatur in einer Situation des verschärften Klassenkampfs, des Übergangs zur konterrevolutionären Diktatur, bedeutet sowohl Erprobung terroristischer Mittel und Methoden als auch Demagogie und skrupellosen Massenbetrug. Diese Vorbereitung kann vorsorglich auf lange Sicht im Rahmen der bürgerlichen Demokratie, aber auch sprunghaft bei einer rapiden Verschärfung des Klassenkampfs erfolgen.

Das heißt nicht, daß es unvermeidlich dazu kommen muß. Um das zu verhindern, muß man erstens einen ständigen ideologischen Kampf in den breiten Massen führen, um den faschistischen Massenbetrug zu durchkreuzen und die faschistische Demagogie zu entlarven, um zu erreichen, daß sich eine faschistische Massenbasis gar nicht erst entfalten kann. Zweitens muß man dem faschistischen Terror offensiv durch Massendemonstrationen und Gegenkundgebungen begegnen, bevor er sich breitmachen kann. So kann eine Faschisierung verhindert werden.

So notwendig letzten Endes die Anwendung von Gewalt – staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen – für die Aufrechterhaltung der Klassenherrschaft der Bourgeoisie ist, so ist der Faschismus doch keine geschichtlich notwendige Herrschaftsform der Bourgeoisie. Gelingt es, die Faschisierung zu verhindern, bleibt immer noch die Militärdiktatur. Aber auch diese kann verhindert werden durch Zersetzung der Truppen, denn die Soldaten sind Söhne des Volks und können gegebenenfalls den Gehorsam verweigern und die Waffen gegen ihre faschistischen beziehungsweise reaktionären Offiziere richten sowie den Massen die Waffenarsenale öffnen, wie das im Iran geschehen ist, obwohl es sich hier noch um keine proletarische Revolution handelt.

Ihr geht in der Behandlung des Problems Faschisierung zu schematisch heran: Wann sind bestimmte Maßnahmen Faschisierung und wann nicht? Ihr müßt die Entwicklung als einen Komplex von Prozessen sehen, wobei die Kräfte der Bourgeoisie und des Proletariats aufeinander und gegeneinander einwirken und »wer wen?« noch offensteht.

Rot Front!
Willi