RW-Übersetzerkollektiv

RW-Übersetzerkollektiv

Einige Gedanken zur Bedeutung von Marx und Engels für die Übersetzung der Linie der MLPD

Lehren aus den Übersetzungen von „Das Kapital“

Von Genossen des Übersetzerkollektivs der MLPD im Juli 2020

»›Das Kapitalwird auf dem Kontinent oft ›die Bibel der Arbeiterklasse‹ genannt. Daß die in diesem Werk gewonnenen Schlußfolgerungen täglich mehr und mehr zu grundlegenden Prinzipien der großen Bewegung der Arbeiterklasse werden, ... das wird niemand leugnen, der mit dieser Bewegung vertraut ist. Und auch in England üben die Theorien von Marx gerade in diesem Augenblick einen machtvollen Einfluß auf die sozialistische Bewegung aus, die sich in den Reihen der ›Gebildeten‹ nicht weniger ausbreitet als in den Reihen der Arbeiterklasse. … Inzwischen stellt jeder folgende Winter erneut die Frage: ›was tun mit den Arbeitslosen?‹  Aber während die Zahl der Arbeitslosen von Jahr zu Jahr anschwillt, ist niemand da, um diese Frage zu beantworten; und wir können den Zeitpunkt beinahe berechnen, wo die Arbeitslosen die Geduld verlieren und ihr Schicksal in ihre eignen Hände nehmen werden. In einem solchen Moment sollte sicherlich die Stimme eines Mannes gehört werden, dessen ganze Theorie das Ergebnis eines lebenslangen Studiums der ökonomischen Geschichte und Lage Englands ist...«

(Friedrich Engels, Vorwort zur englischen Ausgabe von „Das Kapital“, 1886)

Dieses Jahr ist ein Friedrich-Engels-Jahr: Weltweit wird dem Freund und Weggefährten von Karl Marx anlässlich seines 200. Geburtstags 1820 gedacht. Das ist auch Anlass, über die Bedeutung von Marx und Engels für die wissenschaftliche Übersetzung von Werken des Marxismus-Leninismus und der Linie der MLPD nachzudenken. Marx und Engels haben sich intensiv um Übersetzungen, vor allem des „Kapital“, gekümmert und Standards der wissenschaftlichen Übersetzung entwickelt.

Inzwischen liegt die gesamte Reihe „Revolutionärer Weg“ auf Englisch übersetzt vor; viele dieser Werke auch in den Sprachen Französisch, Spanisch, Russisch und Türkisch. Und inzwischen ist die Übersetzung in den Sprachen Farsi und Arabisch aufgenommen worden. Die zeitnahe Übersetzung der Linie der MLPD und besonders der neu erscheinenden Ausgaben von „Revolutionärer Weg“ hat besondere Bedeutung, um sie einer nicht Deutsch sprechenden Leserschaft jeweils in ihrer Gesamtheit zur Verfügung zu stellen, damit sie diese beurteilen, in die Diskussion darüber treten und ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen können.

Das war auch zur Zeit von Marx und Engels wichtig. So schrieb Engels im Vorwort der englischen Ausgabe von „Das Kapital“: „Die Veröffentlichung einer englischen Ausgabe des "Kapital" bedarf keiner Rechtfertigung. Im Gegenteil, es kann eine Erklärung darüber erwartet werden, warum diese englische Ausgabe bis jetzt verzögert worden ist, wenn man sieht, daß seit einigen Jahren die in diesem Buch vertretenen Theorien in der periodischen Presse und Tagesliteratur sowohl Englands wie Amerikas ständig erwähnt, angegriffen und verteidigt, erklärt und mißdeutet wurden.“ („Das Kapital“, Bd. 1, Werke Bd. 23, S. 36) Die Übersetzung des „Kapital“ ins Englische konnte erst nach Marx' Tod in Angriff genommen werden; Engels selber hat die Schlussbearbeitung der Teile von mehreren Mitarbeitern gemacht.

Mit der Übersetzung der Linie der MLPD wurde zwar wenige Jahre nach der Parteigründung 1982 begonnen, aber bis 1992 war von den bis dahin erschienenen 24 Ausgaben des theoretischen Organs „Revolutionärer Weg“ lediglich die Nr. 23 „Krisen und Klassenkampf“ übersetzt (Englisch und Französisch). Ab 1992/1993 folgte in zehn Jahren die Übersetzung ins Englische der gesamten Reihe bis Nr. 28. (Im Folgenden geht es insbesondere um die Englisch-Übersetzung); danach die „Götterdämmerung“, „Morgenröte“ und „Katastrophenalarm“ jeweils nach Erscheinen, also die gesamte Reihe wurde bis einschließlich Nr. 35 bis September 2014 fertiggestellt. Außerdem weitere Bücher wie „Geschichte der MLPD“, drei Blaue Beilagen der Roten Fahne (zuletzt 2017).

Dass 23 von 24 RWs erst in den 1990er Jahren bis 2002 auf Englisch übersetzt wurden bzw. dass die Übersetzung der RWs erst ab 1992 Fahrt aufnahm, hat historische Gründe:

Erstmals 1984 wurde in „Revolutionärer Weg“ Nr. 23, „Krisen und Klassenkampf“, festgehalten: „Auf der Grundlage von tiefgreifenden wirtschaftlichen und politischen Krisen verschärfen sich die Klassenkämpfe. … Von der Entwicklung solcher Kämpfe hängt es ab, ob sie zu zeitweiliger Niederlage oder zum revolutionären Aufschwung führen und ob dieser in die revolutionäre Krise mündet.

Unter den heutigen Bedingungen wird eine solche revolutionäre Krise weltweiten Charakter haben, denn die verschiedenen Kämpfe im nationalen Rahmen sind Teile des revolutionären Kampfes der Volksmassen der ganzen Welt. Aufgrund der ungleichmäßigen Entwicklung der Bewegungen in den einzelnen Ländern wird der Zeitpunkt des revolutionären Aufschwungs verschieden sein.“ (Zitiert in RW 25, S. 321f.)

1991 erfolgte der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Schaffung eines einheitlichen kapitalistischen Weltmarktes. Die Internationalisierung der kapitalistischen Produktionsweise begann in den 1990ern.

Auf dem IV. Parteitag der MLPD 1991 erklärte Willi Dickhut: „Dieser internationale Charakter der kapitalistischen Produktionsweise erfordert, dass auch die sozialistische Revolution internationalen Charakter annehmen wird.“ „… Klassenkämpfe … koordinieren und … revolutionieren. Das erfordert auch eine engere Kampfgemeinschaft revolutionärer Parteien und Organisationen auf internationaler Grundlage zur Vorbereitung und Durchführung der Revolution…“ Diese Ausführungen wurden verarbeitet und weiterentwickelt unter dem Stichwort „Neue Perspektiven des nationalen Befreiungskampfs“ in RW 25, 1993 (S. 322 + 323).

Aus diesen Erkenntnissen über den internationalen Charakter der sozialistischen Revolution ergab sich die Notwendigkeit, die Analysen und Linie der MLPD weltweit zur Verfügung zu stellen. Ab 1991/92 wurden günstigere Bedingungen für eine entfaltete Übersetzungstätigkeit geschaffen: Es wurde ein Übersetzungskollektiv geschaffen, das sich auf die Übersetzung der Linie konzentrierte. Der Parteiaufbau war so weit vorangeschritten, dass Genossen für diese Arbeit zur Verfügung gestellt wurden; auch intellektuelle Genossen ausländischer und deutscher Herkunft stellten ihre Fähigkeiten in den Dienst des Parteiaufbaus und der internationalen Revolution. In solch einem Kollektiv wurde systematisch die Anleitung und Kontrolle organisiert; die Kenntnis der Linie der MLPD und des Marxismus-Leninismus sowie eine gute Allgemeinbildung wurden als wichtige Voraussetzungen propagiert; eine schöpferische kritisch-selbstkritische Auseinandersetzung um die praktische Arbeit und ihre Höherentwicklung entfaltete sich, die nicht zuletzt in Standards/Richtlinien und Wörterlisten mündete.

Durch die Computerisierung nahm die Produktivität der Übersetzungsarbeit einen Aufschwung. (1986 mussten die englischen und die französischen Ausgaben des RW 23 von einer auf Fremdsprachensatz spezialisierten Firma für sehr viel Geld gesetzt werden.) Das Internet bietet immer besseren Zugang zu Werken der Klassiker in verschiedenen Sprachen und zu sonstigen Informationsquellen. Zweisprachige und einsprachige Wörterbücher und Synonymwörterbücher sind zunehmend übers Internet zugänglich.

Die nun fast dreißig Jahre stattfindende organisierte, systematische Arbeit an der wissenschaftlichen Übersetzung der Linie der MLPD, wie auch von Werken aus der internationalen revolutionären und Arbeiterbewegung, waren und sind ein ständiger Kampf um die Erfüllung dieser Aufgaben: zügig und auf höchstem Niveau. Was auch Maßstab Willi Dickhuts für die Erstellung des „Revolutionären Wegs“ war, dessen Redaktionsleiter er bis zu seinem Tod 1992 war.

Weltweit spielte die Übersetzung von Schriften der Klassiker des Marxismus-Leninismus in viele Sprachen immer schon eine große Rolle für den Parteiaufbau. Das ist mit ein wesentliches Verdienst der sozialistischen Sowjetunion und des sozialistischen China. Mit (autorisierten) Übersetzungen von Marx und Engels (aus dem Deutschen), Lenin und Stalin (aus dem Russischen) und Mao Zedong (aus dem Chinesischen) und der darin enthaltenen Begrifflichkeit arbeiten Revolutionäre weltweit. Englische Übersetzungen der Klassiker gibt es fast vollständig. Wir müssen also das Rad nicht neu erfinden, wenn es um Begriffe des Marxismus-Leninismus geht. Andererseits entstehen neue Begriffe aus der theoretischen Verarbeitung der Veränderungen der Wirklichkeit und müssen adäquat übersetzt werden. Diese Begriffe und ihre Übersetzungen sind jedoch nicht willkürliche Produkte sprachlicher Fantasie.

In „Marxismus und Fragen der Sprachwissenschaft“ schreibt Stalin: „Bekanntlich bilden alle Wörter, die es in einer Sprache gibt, zusammen den so genannten Wortbestand der Sprache. Das Wichtigste im Wortbestand der Sprache ist der grundlegende Wortschatz, dessen Kern alle Wurzelwörter bilden. Er ist von viel geringerem Umfang als der Wortbestand der Sprache, aber er lebt sehr lange, jahrhundertelang und liefert der Sprache die Grundlage für die Bildung neuer Wörter. …

Der Wortbestand der Sprache verändert sich jedoch nicht wie der Überbau, nicht durch die Beseitigung des Alten und den Aufbau des Neuen, sondern durch die Ergänzung des bestehenden Wortbestandes durch neue Wörter, die im Zusammenhang mit den Veränderungen der sozialen Ordnung, mit der Entwicklung der Produktion, mit der Entwicklung der Kultur, der Wissenschaft usw. entstanden sind.“

Auch Marx und Engels hatten mit dem Problem von neuen Begriffen zu tun. So schreibt Engels im Vorwort der englischen Ausgabe von „Das Kapital“: „Eine Schwierigkeit besteht dennoch, die wir dem Leser nicht ersparen konnten: die Benutzung von gewissen Ausdrücken in einem nicht nur vom Sprachgebrauch des täglichen Lebens, sondern auch dem der gewöhnlichen politischen Ökonomie verschiednen Sinne. Doch dies war unvermeidlich. Jede neue Auffassung einer Wissenschaft schließt eine Revolution in den Fachausdrücken dieser Wissenschaft ein. … Die politische Ökonomie hat sich im allgemeinen damit zufriedengegeben, die Ausdrücke des kommerziellen und industriellen Lebens, so wie sie waren, zu nehmen und mit ihnen zu operieren, wobei sie vollkommen übersehen hat, daß sie sich dadurch auf den engen Kreis der durch diese Worte ausgedrückten Ideen beschränkte. So ist selbst die klassische politische Ökonomie ... doch niemals über die üblichen Begriffe von Profit und Rente hinausgegangen, hat sie niemals diesen unbezahlten Teil des Produkts (von Marx Mehrprodukt genannt) in seiner Gesamtheit als ein Ganzes untersucht und ist deshalb niemals zu einem klaren Verständnis gekommen weder seines Ursprungs und seiner Natur, noch auch der Gesetze, die die nachträgliche Verteilung seines Werts regeln.“

Die Nutzung von (autorisierten) Übersetzungen der Werke der Klassiker, aber auch anderer Autoren, ist ein wissenschaftliches Grundprinzip. Für die Übersetzung der „Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion“ fuhr 1993 einer der Englisch-Übersetzer nach London zum British Museum für die Nutzung des Lesesaals der riesigen Bibliothek (die auch Marx und Engels seinerzeit benutzten), um bestimmte englischsprachige Klassikertexte oder Dokumente der internationalen Arbeiterbewegung zu bekommen, aber vor allem für die englischen Übersetzungen der Dokumente aus Partei/Staat/Wirtschaft der Sowjetunion. Diese standen damals in Deutschland noch nicht zur Verfügung. Selber übersetzen, obwohl es ja autorisierte, von der Sowjetunion selbst herausgegebene englische Übersetzungen gibt, würde unnötig Angriffsflächen bieten („ist falsch übersetzt, haben wir so nicht gesagt“). Das gilt auch für zitierte originalenglische Texte in deutschen RWs (z.B. Zbigniew Brzezinski in diversen RW-Ausgaben): keine Rückübersetzung, sondern die Originaltexte besorgen.

In Bezug auf die Originaltexte für die englische Ausgabe führt Engels im Vorwort zur vierten deutschen Auflage von „Das Kapital“ aus: Für die englische Ausgabe „hatte Marx' jüngste Tochter Eleanor sich der Mühe unterzogen, sämtliche angeführte Stellen mit den Originalen zu vergleichen, so daß in den bei weitem vorwiegenden Zitaten aus englischen Quellen dort keine Rückübersetzung aus dem Deutschen, sondern der englische Originaltext selbst erscheint.“ Welch umfangreiche Arbeit!

Vollständigkeit, Texttreue, Genauigkeit sind für die Übersetzung der Linie unabdingbar. Der Inhalt darf nicht verfälscht werden. Aber immer muss die Zugänglichkeit für den nichtdeutschsprachigen Leser bedacht werden. Eine allzu wörtliche Übersetzung kann das Verständnis äußerst erschweren. Karl Marx selbst schreibt im Nachwort zur französischen Ausgabe von „Das Kapital“: „Herr J. Roy hat es unternommen, eine so genaue und selbst wörtliche Übersetzung wie möglich zu geben; er hat seine Aufgabe peinlich genau erfüllt. Aber gerade seine peinliche Genauigkeit hat mich gezwungen, die Fassung zu ändern, um sie dem Leser zugänglicher zu machen.“

Und im Vorwort der englischen Ausgabe von „Das Kapital“ schreibt Friedrich Engels: „Ebenso ist der französische Text bei den meisten schwierigen Stellen herangezogen worden als Anhaltspunkt dafür, was der Verfasser [Marx] selbst zu opfern bereit war, wo immer etwas von der ganzen Bedeutung des Originals in der Übersetzung geopfert werden mußte.“

Unsere Übersetzungsarbeit war und ist eng mit der Höherentwicklung und internationalen Koordinierung und Revolutionierung der Kämpfe und der Neuformierung der internationalen revolutionären und Arbeiterbewegung verbunden:

  • Treffen der Internationalen Konferenz Marxistisch-Leninistischer Parteien und Organisationen (IKMLPO) erfolgten ab 1988.
  • 2010 wurde die Internationale Koordinierung Revolutionärer Parteien und Organisationen (ICOR) gegründet. Ihre Schwerpunkte liegen in der schrittweisen ideologisch-politischen Vereinheitlichung und der Koordinierung der praktischen Zusammenarbeit. Dazu gehört die gegenseitige Hilfe für den Parteiaufbau.
  • Schriftliche und mündliche Übersetzungen spielen eine wichtige Rolle in den mehr als 200 bilateralen Beziehungen der MLPD weltweit, für die Organisierung von Automobilarbeiter-, Bergarbeiter- und Weltfrauenkonferenzen; auch wurden mehrere Werke aus der internationalen revolutionären Bewegung auf Deutsch übersetzt.
  • Aktuelle Höhepunkte in der Zusammenarbeit mit der ICOR waren das Internetforum zu „100 Jahre Oktoberrevolution“ und das Internationale Seminar 2017. Die Internationale Antiimperialistische und Antifaschistische Einheitsfront, die Ende 2019 gemeinsam von ICOR und ILPS auf den Weg gebracht wurden, ist ein weiterer praktischer Meilenstein.

Stefan Engel, der Leiter des theoretischen Organs der MLPD, „Revolutionärer Weg“, stellte am 25. Mai 2020 fest: „Das Gemisch aus ökonomischen, politischen, ökologischen, sozialen, ideologischen und Hungerkrisen ist der Boden, auf dem sich eine revolutionäre Gärung herausbilden kann.“ (Rote Fahne, 12/2020, S. 18)

In dieser Situation hat die Gewinnung und Ausbildung von Nachfolgern für die Übersetzungsarbeit eine große Bedeutung, die diese wichtige Arbeit weiterführen und ständig weiter entwickeln, weltweit! Das nächste große Projekt wird nach Fertigstellung von „Revolutionärer Weg“ Nr. 36 dessen Übersetzung sein!