Willi Dickhut

Willi Dickhut

Die zwei Phasen des Kommunismus

Grundsätzliche Briefwechsel und Dokumente Willi Dickhuts 1974

Von RW-Redaktion
Die  zwei  Phasen  des Kommunismus

27.3.74

Lieber Fr.!

Du nimmst in Deinem Brief Bezug auf den Revolutionären Weg 7 und schreibst:

»Auf Seite 79/80 heißt es, daß die Hauptaufgabe der Diktatur des Proletariats in der ersten Phase des Kommunismus die Unterdrückung der feindlichen Klassen ist. In der zweiten Phase (dem Übergang zum Kommunismus) liege aber die Hauptaufgabe in der ›allmählichen Aufhebung der Klassen überhaupt‹. Heißt das, daß es dort keine feindlichen Klassen mehr gibt, nur noch Arbeiter und Bauern? Der Leninismus lehrt, daß jeder Staat ›ein Instrument zur Unterdrückung einer Klasse durch eine andere‹ ist, wie es auf Seite 77 heißt. Wenn es keine feindlichen Klassen mehr gibt, ist auch kein Staat mehr nötig oder möglich. Gerade deswegen ist der ›Staat des ganzen Volkes‹ unsinnig. Mao Tsetung sagt: ›Die sozialistische Gesellschaft umfaßt eine ziemlich lange geschichtliche Periode. Diese ganze Geschichtsperiode hindurch existieren Klassen, Klassenwidersprüche und Klassenkämpfe, existiert der Kampf zwischen den beiden Wegen, dem des Sozialismus und dem des Kapitalismus, existiert die Gefahr einer Restauration des Kapitalismus.‹ Mit ›Klassenkämpfen‹ sind offensichtlich Kämpfe zwischen der Arbeiterklasse und den gestürzten Ausbeutern, den eine Restauration anstrebenden Kräften, gemeint.

Wenn man in der Diktatur des Proletariats ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch ein Mittel zur Umerziehung der Bauernschaft und nicht mehr zur Unterdrückung der Ausbeuter sieht, so vergißt man, daß Lenin betont hat, daß die Diktatur des Proletariats immer gegen die Bourgeoisie gerichtet ist und keineswegs eine Diktatur des Proletariats gegen die Bauernschaft ist. Sie ist vielmehr eine Form des Bündnisses zwischen Arbeitern und Bauern. Ich finde, daß unten auf Seite 80 die Diktatur des Proletariats mit der Führung des Proletariats im Bündnis verwechselt wird.

Natürlich will ich nicht leugnen, daß die Umformung der Bauernschaft auch eine Aufgabe des Staats der proletarischen Diktatur ist. Sie kann aber nicht die Hauptaufgabe sein.« Diese Zeilen zeigen, daß Du in der Frage der zwei Phasen des

Kommunismus nicht klar siehst. Die nebenstehende graphische Darstellung soll dieses Problem verdeutlichen. Dabei will ich gleich zu Anfang betonen, daß die Entwicklung keineswegs schematisch, sondern in zahlreichen dialektischen Prozessen, die in engem Zusammenhang und in Wechselwirkung untereinander stehen, verläuft.

Nach der siegreichen proletarischen Revolution in einem Land, der Niederschlagung einer Intervention ausländischer Kapitalisten und der erfolgreichen Durchführung des Bürgerkriegs sind die Klassenkämpfe nicht beendet. Sie flammen vielmehr immer wieder gegen die inneren und äußeren Feinde, gegen die Überreste der gestürzten und entmachteten Bourgeoisie auf, die mit allen Mitteln des ideologischen und bewaffneten Kampfs versuchen, eine Restauration des Kapitalismus herbeizuführen. Die erste Phase des Kommunismus, die Sozialismus genannt wird, ist voller Klassenkämpfe, und diese werden durch die kapitalistische Umkreisung ermuntert und ideologisch und gegebenenfalls auch militärisch unterstützt immer wieder erneut aufflammen. So lange es in der Welt noch kapitalistische Länder gibt, ist die Bedrohung des sozialistischen Aufbaus von außen nicht aufgehoben und die Gefahr der Restauration des Kapitalismus durch die Entartung der Bürokratie im Innern des sozialistischen Landes nicht beseitigt. Erst wenn durch die schrittweise durchgeführte proletarische Weltrevolution die Herrschaft des Kapitalismus in der ganzen Welt beseitigt ist, sind die äußeren Bedingungen für den Übergang von der ersten zur zweiten Phase des Kommunismus gegeben. Die inneren Bedingungen liegen in der allmählichen Überwindung des Unterschieds zwischen Stadt und Land (und damit auch zwischen Arbeitern und Bauern) und zwischen der körperlichen und geistigen Arbeit (und damit auch zwischen Arbeitern und Intellektuellen), der Verschmelzung der beiden Eigentumsformen (gesellschaftliches und genossenschaftliches Eigentum verbinden sich zu nur gesellschaftlichem Eigentum), der Schaffung eines Überflusses an Produkten als Grundlage des Übergangs zum Verteilungsprinzip »Jedem nach seinen Bedürfnissen!«.

Mit dem Übergang zur zweiten Phase, der des eigentlichen Kommunismus, sind die Kapitalisten in der Welt wohl entmachtet und als Klasse liquidiert, ist aber noch nicht die bürgerliche Ideologie beseitigt. Die Tradition der bürgerlichen Ideologie wird noch lange in den Köpfen der Menschen nachwirken trotz Entmachtung der Träger dieser Ideologie, nicht nur deshalb, weil die Kapitalisten als die Träger dieser Ideologie noch eine Zeitlang leben (sie wurden ja nur als Klasse liquidiert) und stets versuchen, ideologisch auf die Massen zu wirken, um über diesen Weg eine Restauration des Kapitalismus zu erreichen. Die Tradition der bürgerlichen Ideologie, die jahrhundertelang das geistige Leben der Menschen beherrscht hat, ist so stark, daß immer wieder bürgerliche Ideen und Lebensgewohnheiten sich spontan erneuern. Der Klassenkampf wird darum immer wieder aufflammen, obwohl die bürgerliche Klasse als ehemaliger Träger der bürgerlichen Ideologie liquidiert ist, das heißt, politisch und militärisch ausgeschaltet wurde.

Es ist ein Klassenkampf besonderer Art, der in der Hauptsache nur ideologisch ausgetragen werden kann. Den kann nur die Arbeiterklasse als Träger der sozialistischen Ideologie erfolgreich führen, und dazu braucht sie noch die Diktatur des Proletariats. Die Diktatur des Proletariats wird also noch lange in der zweiten Phase wirken, einerseits zur Bekämpfung der bürgerlichen Ideologie, die, solange sie noch wirken kann, die Gefahr der Restauration des Kapitalismus im Keime enthält und deshalb ständig unterdrückt werden muß, und anderseits zur Verbreitung und Festigung der sozialistischen Ideologie durch ständige Hebung des sozialistischen Bewußtseins der Massen bis zum endgültigen Sieg über die bürgerliche Ideologie. Erst wenn die Massen völlig immun gegen das Gift der bürgerlichen Ideologie geworden sind, erübrigt sich die Arbeiterklasse als Träger der sozialistischen Ideologie ebenso wie die Diktatur des Proletariats als Staat der Arbeiterklasse; beide sterben ab, die klassenlose Gesellschaft beginnt.

Du zitierst Mao Tsetung, aber was dieser sagte, bezieht sich doch offensichtlich auf die erste Phase des Kommunismus, auf den Sozialismus. Diese Phase ist voller Klassenkämpfe zwischen der Arbeiterklasse und ihren Verbündeten gegen die Bourgeoisie. Es steht nirgends im Revolutionären Weg, daß sich die Diktatur des Proletariats gegen die Bauernschaft richtet (übrigens ist der Ausdruck »Bauernschaft« ebenso unwissenschaftlich wie »Arbeitnehmer«). Die Diktatur des Proletariats richtet sich mit den armen Bauern und im Bündnis mit den Mittelbauern gegen die Großbauern und Großgrundbesitzer.

Du formulierst in Deinem Brief: »Sie (die Diktatur des Proletariats) ist vielmehr eine Form des Bündnisses zwischen Arbeitern und Bauern.« So, wie das hier steht, ist das einseitig, und Du begibst Dich in gefährliche Nähe zu den Revisionisten (siehe den Artikel in der Roten Fahne 8/72 gegen Gerns und Steigerwald). Vergleiche bitte Lenin (Bd. 29, S. 370), demnach ist das »ein Bündnis besonderer Art, das sich in einer besonderen Situation herausbildet, nämlich in der Situation eines erbitterten Bürgerkriegs«. Das bedeutet, daß nur in der Situation eines erbitterten Bürgerkriegs, also des bewaffneten Kampfs, dieses Bündnis mit der Diktatur des Proletariats identisch wird. Das hatten ja Gerns und Steigerwald in ihrem Artikel ausgelassen und Lenin dadurch revisionistisch verfälscht.

Die Diktatur des Proletariats formt die Bauern durch die Veränderung ihrer ökonomischen Basis um, indem sie den Unterschied zwischen Stadt und Land aufhebt und das genossenschaftliche Eigentum in gesellschaftliches Eigentum verwandelt. Das geschieht nicht mit Gewalt, sondern durch Umerziehung der Bauern und allmähliche Anpassung an die neuen ökonomischen Verhältnisse. Ohne diese inneren Bedingungen erfüllt zu haben, kann der Übergang von der ersten zur zweiten Phase des Kommunismus nicht erfolgen.

Rot Front! Willi