Stefan Engel

Stefan Engel

Die bürgerliche Soziologie - idealistische Darstellung der Gesellschaft und Klassenstruktur

Ein Brief des Leiters der Redaktion REVOLUTIONÄRER WEG zur Ausarbeitung eines Abschnitts für die kommende Ausgabe Nr. 39: »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur« zur Krise der bürgerlichen Soziologie

Von RW-Redaktion

Stefan Engel an eine Mitarbeiterin am REVOLUTIONÄREN WEG Nr.39 »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur«

Liebe Genossin,

ich habe deinen Entwurf über die bürgerliche Soziologie gelesen.

Zunächst einmal muss der ganze Abschnitt eine richtige in sich geschlossene Logik haben, und man muss wissen, auf was du hinaus willst. Hier ist auffällig, dass du die bürgerliche Soziologie überhaupt nicht als Pseudowissenschaft bezeichnest. Vor allem zielt deine ganze Ausarbeitung nicht darauf ab, die bürgerliche Soziologie in ihrer Krise zu betrachten. Diese These taucht in dem ganzen Teil überhaupt nicht auf. Dadurch bekommt der ganze Teil einen defensiven Zug!

Am Anfang muss sicherlich zunächst einmal geklärt werden, welche Rolle die bürgerliche Soziologie im System der Herrschenden spielt. Du beginnst damit, aber du führst das nicht zu Ende.

Zwischendurch setzt du dich mit der Frage der sogenannten »Mittelschicht« auseinander. Diese »Mittelschicht« oder »Mittelklasse«, wie es heute heißt, hat nicht in erster Linie etwas mit dem »Verschwinden der Arbeiterklasse« zu tun, sondern richtet sich gegen jede Klassenanalyse. Dort verschwinden auch das Kleinbürgertum, mittlere und untere Teile der Bourgeoisie, und es wird rein nach dem Einkommen klassifiziert. Diese Auseinandersetzung über die Rolle der Arbeiterklasse haben wir an anderen Stellen bereits ausführlich geführt und muss hier nicht wiederholt werden. Die Klassenstruktur im staatsmonopolistischen Kapitalismus, insbesondere in der internationalisierten Produktion, haben wir ausführlich im RW behandelt. Das müsste das positive Ergebnis der Polemik mit dieser These sein.

Richtig unterscheidest du zwischen den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologen. Aber zunächst einmal musste die bürgerliche Soziologie in die Krise geraten und deutlich werden, dass dann im Rahmen des Systems der kleinbürgerlichen Denkweise kleinbürgerliche Soziologen auf den Plan getreten sind. Das wird von dir überhaupt nicht konkret analysiert.

Dein wiederholter Vorwurf ist, dass die bürgerliche Soziologie den wissenschaftlichen Sozialismus ignoriert. Das ist aber nicht das Problem. Sie attackiert den wissenschaftlichen Sozialismus und setzt an seine Stelle etwas anderes, eine idealistische Darstellung der Gesellschaft und der Klassenstruktur, um die Massen im Rahmen des Systems zu halten. Der reale Einfluss der bürgerlichen Soziologie in der Gesellschaft wird überhaupt nicht untersucht. Wir sollten die bürgerliche Soziologie attackieren und die Attacken der bürgerlichen Soziologie auf uns.

Ein weiteres Problem ist, dass du eigentlich durchgehend statt Polemik eine relativ phrasenhafte und sich ständig wiederholende Kommentierung wählst, auch keinerlei neue Gedanken entwickelt werden, die nicht irgendwo an anderer Stelle des Buchs schon behandelt sind. Das ist eine dogmatische Methode.

Du hast die gesellschaftliche Rolle der bürgerlichen Soziologie überhaupt nicht richtig untersucht. Das kann man aber auch nur in Zusammenhang mit der Praxis tun, die in deinem ganzen Teil überhaupt keine Rolle spielt. Das ist eine Trennung von Theorie und Praxis und zugleich auch eine Abgehobenheit.

Allerdings musst du die Überarbeitung selbst machen. Ich habe zum Beispiel vorgeschlagen, dass du einmal die bürgerliche Soziologie in Zusammenhang mit der Europafrage untersuchst, die wiederum im Zusammenhang mit dem Brexit behandelt werden soll. In der Berichterstattung über den Brexit wurde allgemein der Eindruck erweckt, als wäre der Brexit etwas Rückschrittliches und die Verteidigung der EU etwas Fortschrittliches. Das war aber eine typische Manipulation der Massen, was das Hauptgeschäft der bürgerlichen Soziologen darstellt. Natürlich waren die hauptsächlichen Wortführer, die man in den Medien wahrgenommen hat, reaktionäre, zum Teil auch faschistoide Politiker wie Johnson und andere. Aber man muss auch wissen, dass auch die Arbeiterbewegung immer gegen die EU war, weil sie ein imperialistischer Block ist, der volksfeindlich ist und eine imperialistische Politik durchführt. Diese fortschrittliche Kritik wurde nicht erwähnt, sondern einfach unter dem reaktionären Nationalismus und Chauvinismus subsumiert. Man kann an dieser Auseinandersetzung genau die Rolle der bürgerlichen Soziologie in ihrer manipulativen Arbeit darstellen. Das solltest du unbedingt tun.

Insbesondere solltest du dich bemühen, etwas mehr polemisch zu sein, geeignete Zitate zu suchen und diese auch wirklich auseinander zu pflücken.

Die Pseudowissenschaft der bürgerlichen Ideologie fußt nicht auf Wissenschaftlichkeit, sondern ist von vorneherein manipulativ und gegen jede wissenschaftliche Untersuchung gerichtet.

Ich möchte auch, dass der Abschnitt mehr Gehalt bekommt. Konkrete Untersuchungen, wie viele Sozialwissenschaftler es heute gibt, wie sich das entwickelt hat, wie das in den Lehrbüchern dargestellt wird usw.

Herzliche Grüße

Stefan