Hintergrundgespräche Teil 7

Hintergrundgespräche Teil 7

Der moderne Faschismus der AfD

Hintergrundgespräch von Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV) mit Stefan Engel zum modernen Faschismus Hintergrundgespräch Teil 7

Von RW-Redaktion

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Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV): Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, wir haben uns heute zu einem neuen Hintergrundgespräch getroffen. Inzwischen haben nämlich über hundert Abgeordnete einen Verbotsantrag gegen die AfD in den Bundestag eingebracht. Aus diesem Anlass wollen wir in die Tiefe gehen: Wie ist die AfD zu beurteilen? Darüber gibt es ja sehr unterschiedliche Auffassungen. Zu Gast ist heute wieder Stefan Engel. Immer wieder spricht er von einer reaktionären Wende, verbunden mit einer internationalen Tendenz zum Faschismus. Da möchte ich direkt fragen: Wie sieht eigentlich die Situation in Deutschland aus?

Stefan Engel: Das trifft natürlich auf Deutschland auch zu. Diese reaktionäre Wende kann man jetzt gerade in der Bundestagswahl verfolgen, wie insbesondere die CDU/CSU, aber auch die FDP sehr rechtslastige Programme vorlegen. Sie nähern sich immer mehr faschistischen Positionen der AfD an. Der Hauptstoß dieser reaktionären Wende geht von der AfD aus, die immer einen bestimmten Vorlauf mit ihren rechten Parolen hat, zur Migrantenpolitik, zur Umwelt usw.

Aber diese reaktionäre Wende ist zu beobachten, und sie kommt insbesondere zum Ausdruck in einer sehr ausgeprägten Tendenz, soziale Errungenschaften abzubauen, die Klimamaßnahmen entweder ganz zu canceln oder sehr stark aufzuweichen. Sie kommt auch in einer sehr starken Tendenz zum Abbau bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten zum Ausdruck und nicht zuletzt in einer sehr kapitalismusfreundlichen Politik: die Unternehmersteuern sollen massiv gekürzt werden. Steuern wie die Vermögenssteuer oder die Grundsteuer sollen ganz abgeschafft werden. Man merkt, hier ist ein anderes Klima, und das hat auch eine Entsprechung in dem, was in den USA, aber auch in vielen anderen Ländern passiert. Wir müssen uns darauf einstellen, dass dieser Kampf, gegen diese reaktionäre Wende und die faschistische Tendenz vorzugehen, eigentlich die Hauptaufgabe in unserem Wahlkampf ist.

Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV): Wir haben in Deutschland ja auch eine Geschichte, die wir kennen. Groß ist die Parole »Nie wieder ist jetzt!«. Wie konnte das sein, dass die AfD überhaupt so stark geworden ist?

Stefan Engel: Das ist ein interessantes Phänomen. Wir hatten Anfang der 1990er-Jahre beginnende neofaschistische Aktivitäten. Die konnten eigentlich in der Bevölkerung überhaupt nicht Fuß fassen. Man merkte da ein sehr tiefes antifaschistisches Bewusstsein unter den Massen, natürlich auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Hitler-Faschismus in Deutschland. Da waren in anderen Ländern die Faschisten schon viel stärker etabliert. Inzwischen hat die AfD als faschistische Partei sehr aufgeholt. Sie steht den anderen europäischen Rechten in nichts nach.

Warum das so ist, hat damit zu tun, dass die AfD nicht mit offenen Karten spielt. Wir nennen das einen modernen Faschismus, den die vertreten. Dieser moderne Faschismus gibt sich sehr demokratisch. Er passt sich den parlamentarischen Gepflogenheiten an. Die AfD spricht ständig davon, dass sie die Meinungsfreiheit wollen, dass sie die soziale Ungerechtigkeit abschaffen wollen, die soziale Marktwirtschaft wieder aufblühen lassen wollen und den Wohlstand der Menschen usw. Das ist für die Leute nicht einfach zu durchschauen.

Auch was ihre Forderungen angeht: Zum Beispiel fordert die AfD 70 Prozent Rente vom Lohn. Das ist ja die Forderung der MLPD. Sie fordern auch eine Angleichung der Löhne und der Renten in Ost und West. Insofern ist das nicht so einfach zu durchschauen. Es ist scheinbar so, dass die AfD eine Alternative zur Regierungspolitik der Ampel-Regierung darstellt, die sehr starke Lohneinbußen bewirkt hat, die auch demokratische Rechte und Freiheiten eingeschränkt hat, die eigentlich nichts hielt, was sie versprochen hat.

Diese Politik der AfD ist sehr raffiniert. Wenn man genau hinschaut, merkt man schon den reaktionären faschistoiden Charakter, insbesondere in der Migrantenpolitik. Da betreibt die AfD im Grunde die Abschaffung des Asylrechts und bezeichnet alle Migranten, die über die Grenze kommen, als illegale Migranten. Für die ganzen Probleme in der Wirtschaft macht sie die »übermäßigen Migranten« verantwortlich. Oder in der Sicherheitspolitik behauptet sie, dass angeblich Frauen nicht mehr auf die Straße können, weil »Migranten über sie herfallen«.

Diese ganzen Hetzmaßnahmen sind sehr stark ausgeprägt. Mit diesen Ängsten wird natürlich Politik betrieben. Man muss immer davon ausgehen, dass immer noch ein großer Teil der Bevölkerung sich nicht so intensiv mit Politik beschäftigt. Wer sich intensiv beschäftigt, kann das durchschauen. Aber wer sich nicht beschäftigt oder oberflächlich, gefühlsmäßig, der wird von solchen oberflächlichen, gefühlsmäßigen Aufladungen beeinflusst werden.

Es ist ja sehr auffällig, dass es vor jeder Wahl irgendeinen Anschlag gibt. Wir haben das bei der Landtagswahl in Thüringen gesehen. Da hatten wir einen Anschlag in Solingen, dann im Dezember in Magdeburg und jetzt der Anschlag in Aschaffenburg. Da werden plötzlich reaktionäre Gesetze verabschiedet, weil die Bevölkerung sich unsicher fühlt. Ich frage mich aber natürlich, was dieser Anschlag in Aschaffenburg mit diesen Gesetzen zu tun hat. Wenn ein nachweislich psychisch kranker Mensch Kleinkinder massakriert, dann ist natürlich eine Riesenschweinerei und man muss auch die Frage stellen, wie so etwas überhaupt möglich ist. Aber das hat doch überhaupt nichts mit der Masse der Migranten zu tun und mit dem Recht auf Asyl oder dem Recht auf Flucht und mit den humanitären Aufgaben, die eine Gesellschaft gegenüber flüchtenden Menschen hat.

Es ist aber interessant, dass es der AfD gelungen ist, auch die anderen parlamentarischen Parteien mehr oder weniger auf ihre Seite zu ziehen, bis auf die Linkspartei. Nach dem Solingen-Anschlag haben die Ampelparteien gemeinsam mit der CDU/CSU eine massive Einschränkung der Grenzübertritte beschlossen: mehr Abschiebungen, mehr Polizei gegen Migranten usw. Jetzt wurde ein Gesetz eingebracht, in dem die CDU/CSU mehr oder weniger Forderungen übernimmt, die die AfD seit Jahren fordert: völlige Schließung von Grenzen für Migranten usw. Das ist eine Tendenz, die der Kern der Angelegenheit ist und nicht dieses sozialdemokratische Gesäusel, das sie immer machen.

Vor allem muss man auch die Weltanschauung der AfD erkennen, was die Masse der Leute gar nicht nicht so beobachtet, ihre völkisch-faschistische Weltanschauung. Das ist die Ideologie des Hitler-Faschismus, nach der es keine Klassen mehr gibt, sondern nur noch eine Nation, die zusammenhält. Dazu gehören »nur die Deutschen«, die Migranten nicht und die Eingewanderten auch nicht, sondern vom Monopolkapital bis zu Arbeitslosen und Rentnern hätten alle »Deutschen« die gleichen Interessen.

Diese völkische Ideologie ist sehr nationalistisch und rassistisch ausgerichtet. Aber sie versucht natürlich auch, die Arbeiterbewegung wegzuretuschieren. Das hat auch konkrete Konsequenzen: Der Hitler-Faschismus hat sofort die Gewerkschaften und die Arbeiterparteien verboten. Das ist auch zu erwarten. Der bekannte internationale Faschist Elon Musk duldet in seinen Betrieben keine Gewerkschaften. Da gibt es keine Tarife, darf es keinen Betriebsrat geben usw. Man merkt also, wohin die Reise geht. Diese faschistisch-völkische Ideologie, die vor allem von Höcke in Thüringen offen vertreten wird, wird von der Masse der Leute noch nicht so gesehen.

Man muss auch sehen, dass die AfD durch den Amtsantritt von Trump in den USA offen reaktionärer wird. Sie hat ganz schnell den Begriff der millionenfachen Remigration in ihr Wahlprogramm eingebracht. Vorher haben sie noch abgestritten, dass sie etwas damit zu tun haben. Heute ist das wortgleich in ihrem Programm. Remigration heißt ja, dass Migranten in ihrer großen Masse, soweit sie hier in diesem System nicht nutzbar sind durch Arbeit, abgeschoben werden. Da macht man selbst vor Leuten mit einem deutschen Pass nicht halt. Hier geht es eigentlich schon um eine sehr ausgeprägte faschistische Tendenz. Es ist eine große Gefahr, dass diese Rechte und Freiheiten immer mehr eingeschränkt werden und tatsächlich ein offen terroristisches System errichtet wird.

Die große Gefahr des modernen Faschismus besteht gerade darin, dass er demokratisch daherkommt und seinen faschistischen Gehalt, sein faschistisches Wesen verbirgt. Das wird nicht immer so bleiben. Es ist aber momentan die zentrale Methode, um Masseneinfluss zu bekommen.

Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV): Die AfD wird in den bürgerlichen Medien immer als ganz normal demokratisch gewählte Partei dargestellt.

Stefan Engel: Natürlich. Die AfD hat solch einen Einfluss nicht alleine geschafft. Die bürgerlichen Medien, die bürgerlichen Politiker sprechen überhaupt nicht vom Faschismus. Wie jetzt wieder die Rede von Bundespräsident Steinmeier zum Jahrestag des Gedenkens an Auschwitz. Er spricht kein Wort vom Faschismus, spricht vom Rechtspopulismus, von Rechtsextremismus und von irgendwelchen »Radikalen«, aber er spricht nicht vom Faschismus. Das ist das Gegenstück zu der Taktik der AfD, ihr faschistisches Wesen zu verbergen. Auf der anderen Seite betreiben die bürgerlichen Medien all das mit, wo keiner wirklich die Wahrheit sagt. Umso wichtiger ist, dass wir in unserem Wahlkampf ganz klar sagen: »Wer AfD wählt, wählt Faschismus!«

Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV): Teilweise wird auch so argumentiert, Trump und die AfD reden viel, was sie dann machen, ist eine andere Geschichte. Wie akut ist denn jetzt die Gefahr des Faschismus mit der AfD in Deutschland oder Trump in den USA?

Stefan Engel: Die Gefahr ist inzwischen relativ groß, zumal es doch gelungen ist, große Teile der Massen zu beeinflussen. Wenn die AfD über 20 Prozent hat, dann haben sie schon Einfluss auf die Arbeiterbewegung, auf die breiten Massen, auf kleinbürgerliche Zwischenschichten. Das ist eine ernste Angelegenheit. Die Gefahr ist in dem Moment akut, wo die AfD eine tatsächliche Massenbasis in der Arbeiterbewegung bekommt.

Das wird natürlich auch zur Spaltung der Arbeiterbewegung genommen. Man sieht das momentan in der Umweltpolitik deutlich. Die AfD bestreitet ja vollständig, dass es irgendeinen Einfluss auf die Umwelt genommen hat, wie die Industrie heute arbeitet, wie heute die Umwelt zerstört wird. Sie streitet die Klimakatastrophe ab und fordert, dass alle Windräder abgerissen werden. Das spaltet heute schon die Leute, schüchtert sie zumindest ein.

Es ist auffällig, dass zum Beispiel das Umweltbewusstsein doch in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist. Das ist mit zurückzuführen auf diese Propaganda des modernen Faschismus. Auch die bürgerlichen Parteien im Bundestag, die nicht zur AfD gehören, haben alle in ihrer Umweltpolitik zurückgesteckt. Wenn ich deren Wahlprogramme ansehe: selbst das der Grünen, die früher immer die Umweltpartei waren, ist die Umweltfrage nur noch die Nebenseite.

Das ist schon ein sehr großes Problem, dass man das nicht richtig durchschaut. Die AfD tut ja auch so, als würde sie Umweltpolitik machen, zum Beispiel zum Erhalt der Wälder, indem keine Windräder im Wald aufgestellt werden. Das ist sowieso Unsinn. Im Wald gibt es ja kaum Windräder. Das ist auch nicht richtig. Man kann die Windräder dort hinstellen, wo sie keinen Schaden anrichten. Aber dann sagt die AfD, das sei viel zu teuer, man sollte lieber Atomkraft oder Kohle fördern. Tatsache ist aber, dass die Atomkraft die am meisten geförderte Energie war. Über 200 Milliarden Euro Subventionen wurden für diese Atomenergie aufgewendet. Keine Energie in Deutschland hat so viele Subventionen bekommen wie die Atomkraft. Die zweitgrößte Subvention war die Kohle. Die wurde auch mit über 100 Milliarden Euro subventioniert. Diese Argumente, jetzt den Strom mit Kohle und Atomkraft wieder »billiger zu machen« und die erneuerbaren Energien wieder abzuschaffen, sind ein völliger Schuss in den Ofen. Aber es verunsichert die Leute.

Man muss das klipp und klar sagen, die Verunsicherung ist das, was sie zumindest erreichen. Das führt insgesamt dazu, dass man das Umweltbewusstsein erst einmal wieder entwickeln muss.

Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV): Die Frage ist jetzt, welche Schlussfolgerung müssen wir aus diesem modernen Faschismus für den antifaschistischen Kampf heute ziehen?

Stefan Engel. Es ist auf jeden Fall wichtig, dass man den antifaschistischen Kampf mehr inhaltlich führt. Natürlich kann man auch Blockaden und Demonstrationen machen. Das ist wichtig. Aber viel wichtiger ist die Diskussion mit der breiten Masse der Bevölkerung und auch mit den Leuten, die beeinflusst sind und AfD wählen. Durch diese Blockaden erreicht man diese Leute ja nicht. Das war eine Schwäche der insgesamt gelungenen Aktivitäten in Riesa, wo eine breite Aktionseinheit mit vielen antifaschistischen, demokratischen Kräften stattgefunden hat. Das ist wirklich gelungen, die Gewerkschaften waren da, es waren verschiedene Parteien da, und die haben gut zusammengearbeitet.

Aber es war vom Konzept her zu wenig an die breite Masse der Bevölkerung gerichtet. So konnte die AfD zum Teil die Leute dort aufhetzen. Die haben dann den Einwohnern gesagt: »Da kommen die Linksextremisten aus ganz Deutschland, passt auf«. Dann hatten sie auch noch Polizeiketten zwischen den Wohngebieten und der Straße, in der die Leute marschiert sind, so als müsste man die Leute schützen und als würden die Demonstranten auf die Einwohner losgehen. Damit wird Politik gemacht.

Wir dürfen uns nicht isolieren, sondern müssen ganz tief eintauchen in die Diskussion, sachlich diskutieren und den Kampf um die Denkweise führen. Es gibt bereits eine kleinbürgerlich-faschistische Denkweise unter einem Teil der Massen. Aber es gibt auch eine Unterschätzung des ganzen Problems. Das kann man nur durch Diskussion und einen entsprechenden Kampf um die Denkweise lösen. Deswegen plädieren wir immer dafür, dass wir uns an die breite Masse der Bevölkerung wenden und den weltanschaulichen Kampf, den ideologisch-politischen Kampf um die Denkweise verstärken.

Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV): Das heißt, wir müssen hier etwas verändern, aber dazu müssen wir uns auch etwas verändern.

Stefan Engel: Ja, auf jeden Fall.

Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV): Vielen Dank, Stefan Engel für das Gespräch. Wir hoffen, dass das Gespräch Interesse geweckt hat, vielleicht einige Denkanstöße geben konnte. Wir freuen uns wie immer über euer Feedback.