Briefwechsel
Der Israel-Palästina-Konflikt und die Haltung der Marxisten-Leninisten zum israelischen Staat
21.8.2014
Lieber Genosse,
Deinen Brief vom 11.08.2014 zum Rote Fahne Artikel zum Palästina-Konflikt möchte ich hiermit beantworten. Der Brief enthält sicherlich einzelne wichtige Überlegungen zum weltanschaulichen Kampf gegen den Zionismus. Er attackiert aber die zutreffende marxistisch-leninistische Haltung zur Judenfrage im Allgemeinen und der sozialistischen Außenpolitik unter Führung Stalins in der Palästinafrage im Besonderen. Er steht auch im direkten Widerspruch zu zahlreichen diesbezüglichen Aussagen in unseren Publikationen und unserer ideologisch-politischen Linie. Dabei ist er stark vom arabischen kleinbürgerlichen und bürgerlichen Nationalismus und Trotzkismus beeinflusst – dazu unten mehr.
In Deiner Kritik vergaloppierst Du Dich ziemlich, wenn du behauptest, der Artikel und die Gromyko-Reden 1947 vor der UN-Generalversammlung würden „Behauptungen und Begriffe der zionistischen Ideologie verwenden“ oder gar indirekt dem Artikel und der Gromyko-Rede unterstellst, sie enthielten eine „nationalistisch–mystisch–religiöse“ Begründung für die Gründung des Staates Israel. Beachtet werden muss, dass dieser Artikel nicht die Aufgabe hatte, sich ausführlich mit der Frage der jüdischen Nation im Allgemeinen oder der zionistischen Ideologie zu befassen. Sein Zweck war darzulegen, wie eine sozialistische Außenpolitik im Sinne der Völkerfreundschaft in einer äußerst komplizierten Situation hervorragend verwirklicht wurde, und dass wir an diesen grundsätzlichen Standpunkten auch heute anknüpfen können und dies tun. Dafür sind die beiden Reden Gromykos vor der UN-Generalversammlung vom 14.05.1947 und 26.11.1947 gut geeignet.
Es gibt keine grundlegende Differenz zwischen dem Tenor der Gromyko-Reden und der sonstigen sozialistischen Außenpolitik unter Führung Stalins in der Palästinafrage in der unmittelbaren Zeit nach dem II. Weltkrieg, wie Du suggerierst. Du führst auch überhaupt kein Indiz dafür an, dass Stalin irgendwelche Kritiken an Gromykos Aussage gehabt haben könnte. Seriösere bürgerliche Werke halten zu dem Thema ausdrücklich fest, dass die zitierten Gromyko-Reden auf direkten „inhaltliche Direktiven“ aus Moskau basierten (Bachmann, Die UdSSR und der Nahe Osten, S. 111). Diese Direktiven gingen unmittelbar auf den damaligen sowjetischen Außenminister Molotov zurück, der in enger Absprache mit Stalin handelte (ebenda, S. 114). Dass Stalin irgendwelche Äußerungen Gromykos vor der UN-Generalversammlung unbekannt gewesen wären, ist auch nicht plausibel, zumal diese Gromyko-Reden damals in den Presseorganen breit veröffentlicht und diskutiert wurden (Gromyko schaffte es mit dem Thema 1947 sogar auf das Titelbild der amerikanischen Time), so dass Stalin grundsätzliche Differenzen sicherlich nicht entgangen wären. Es widerspräche auch völlig den Gepflogenheiten in der Sowjetdiplomatie am Ausgang des II. Weltkriegs, in der Öffentlichkeit über Monate durch eigene hochrangige Vertreter eine Politik gegen Stalins Kurs zu zulassen. Die von Gromyko gemachten Vorschläge und Begründungen wurden auch vom sozialistischen Lager geteilt, insbesondere auch der DDR. Stalin hat ihre Grundtendenz nach verschiedenen Berichten auch bereits zuvor in den Verhandlungen der Anti-Hitler-Koalition vorgebracht.
Ich weiß nicht, welche Indizien Du dafür haben willst, dass Gromyko bereits 1947 ein „Bürokrat“ gewesen sei. Du führst das sogar noch weiter aus: „Gromyko war ja ein karrieristischer Bürokrat, der sich, so lange Stalin lebte, als Kommunist tarnte. Wenige Jahre später beteiligte er sich am konterrevolutionären Putsch … “. Für diesen sehr weitgehenden individuellen Vorwurf – getarnter kleinbürgerlicher Bürokrat schon 1947 - bringst Du keinen einzigen Beleg. Ohne einen solchen Beleg ist es aber bloß ein kleinbürgerlicher Vorbehalt zur Diskreditierung seiner richtigen Positionen. Das widerspricht direkt der Lehre von der Denkweise und geht davon aus, dass sich Menschen ohnehin nicht verändern würden. Es entspricht eher den personifizierenden und unhistorischen Darstellungen aus dem ehemaligen Albanien-Lager, die rund um Stalin ohnehin nur verkappte Verräter entdeckt haben wollen und die Restauration des Kapitalismus als Räuberpistole verfälschen.
Zunächst zur Frage des „jüdischen Volkes“. Lenin und Stalin gingen immer davon aus, dass die jüdische Frage nicht in erster Linie als religiöse Frage, sondern als nationale und soziale Frage betrachtet und gelöst werden muss. Das ist der eigentliche grundsätzliche Ausgangspunkt in ihrer Stellung zur jüdischen Frage, nicht die allgemeine Ablehnung jeder jüdischen Nationalität oder jedes jüdischen Volkes und genau das wird von Dir in Abrede gestellt. Mit dem Begriff des „jüdischen Volkes“ oder auch des „jüdischen Staates“ ging es der UdSSR 1947 um eine nationale Kennzeichnung, nicht um eine religiöse Charakterisierung des Staatswesens.
Lenin und Stalin polemisierten völlig zu Recht gegen jede bürgerliche oder kleinbürgerliche nationalistische Behandlung und angebliche „Lösung“ der jüdischen Frage. Das stand in engster Verbindung mit dem Kampf gegen den Separatismus der Bundisten in der Organisationsfrage der revolutionären Arbeiterbewegung, was Lenin unter anderem in den bekannten und teilweise von Dir zitierten Artikeln beispielhaft verwirklichte. Stalin wandte sich zurecht 1913 dagegen, die Juden auf der ganzen Welt als einheitlichen Nation zu behandeln, zumal das direkt der Linie der Verschmelzung der Nationalitäten entgegenstand. Dabei schrieb Stalin allerdings auch, dass es bei den Juden zumindest „Überreste eines Nationalcharakters“ (Stalin, Werke, Bd. 2, S. 274) gab. Er führte verschiedene Einwände dagegen an, dass die Juden eine vollwertige Nation sind, insbesondere das Fehlen eines einheitlichen Territoriums. Interessant ist aber, wie er weiterhin argumentierte: „Wie kann man aber ernstlich behaupten wollen, daß verknöcherte religiöse Riten und sich verflüchtigende psychologische Überreste auf das ,Schicksal' der erwähnten Juden stärker einwirken als das lebendige sozialökonomische und kulturelle Milieu, worin sie leben? Aber nur unter dieser Voraussetzung kann man ja von den Juden schlechthin als einer einheitlichen Nation sprechen.“ (Stalin, Werke Bd. 2, S. 274/275)
Wie kannst Du da behaupten: „Wenn das 1913 galt, galt es 1947 umso mehr ...“ Glaubst Du nicht, dass der Völkermord an den Juden durch den Hitlerfaschismus ein starkes Einwirken auf das 'Schicksal' und Nationalbewusstsein der Juden hatte? Du behandelst die Frage des jüdischen Volkes und der jüdischen Nation ahistorisch und starr. In der Schrift „Marxismus und nationale Frage“ wies Stalin völlig zu Recht – mit Blick auf die Juden - auf folgendes hin: „Nein, nicht für solche papierene ,Nationen' stellt die Sozialdemokratie ihr nationales Programm auf. Sie kann nur mit wirklichen Nationen rechnen, die handeln und sich bewegen und darum auch erzwingen, daß man mit ihnen rechnet.“ (Stalin, Werke Bd. 2, S. 276). Es besteht doch wohl kein Zweifel, dass ein Teil der Juden insbesondere unter dem Druck des Massenmords und der Verfolgung des Hitlerfaschismus sich von einer solchen „papierenen Nationen“ in Zusammenhang mit der Palästinafrage zu einer tatsächlichen Nation entwickelte und auch erzwangen, dass mit ihnen gerechnet werden muss.
Lenin und Stalin haben nie bestritten, dass die Judenfrage eine nationale Seite hat, während sie ausführlich darlegten, dass der Zionismus und der jüdische Nationalismus bekämpft werden muss. Dabei ließen sie keinen Zweifel daran, dass die nationale Unterdrückung der Juden strikt bekämpft werden muss. So schrieb Lenin in dem Grundsatzaufsatz „Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage“ ausdrücklich: „Das gleiche gilt von der am meisten unterdrückten und gehetzten Nation: der jüdischen. Jüdische nationale Kultur – das ist die Losung der Rabbiner und Bourgeois, die Losung unserer Feinde. Aber es gibt in der jüdischen Kultur und in der ganzen Geschichte des Judentums auch andere Elemente ... Dort haben sich die großen universal-fortschrittlichen Züge in der jüdischen Kultur deutlich gezeigt: ihr Internationalismus, ihre Aufgeschlossenheit für die fortschrittlichen Bewegungen des Zeitalters …“ (Lenin, Werke, Bd. 20, S. 10)
Weiter schreibt er: „Wer die Gleichberechtigung der Nationen und Sprachen nicht anerkennt und nicht verteidigt, wer nicht jede nationale Unterdrückung oder Rechtsungleichheit bekämpft, der ist kein Marxist, der ist nicht einmal ein Demokrat. Das unterliegt keinem Zweifel. Aber ebensowenig unterliegt es einem Zweifel, daß ein Quasimarxist, der einen Marxisten einer anderen Nation wegen ,Assimilantentum' nach Strich und Faden heruntermacht, in Wirklichkeit einfach ein nationalistischer Spießer ist.“ (ebenda, S. 13).
Lenins Artikel „Über die Pogromhetze gegen die Juden“ endet mit dem Satz: „Es lebe das brüderliche Vertrauen und das Kampfbündnis der Arbeiter aller Nationen im Kampf für den Sturz des Kapitals.“ (Lenin,, Werke, Bd. 29, S. 240).
Des Weiteren schrieb er unter der Überschrift „Nationalisierung der jüdischen Schule“: „Die Interessen der Arbeiterklasse – wie überhaupt die Interessen der politischen Freiheit – erfordern dagegen die vollste Gleichberechtigung ausnahmslos aller Nationalitäten eines gegebenen Staates und die Beseitigung jeglicher Scheidewände zwischen den Nationen, die Vereinigung der Kinder aller Nationen in einheitlichen Schulen usw.“ (Lenin, Werke, Bd. 19, S. 298). Es gibt vielfältige Zitate, in denen Lenin von den Juden als unterdrückte nationale Minderheit spricht.
Ich möchte auch daran erinnern, dass unter Stalin die „Jüdische Autonome Oblast“ als autonome Verwaltungsregion innerhalb der Sowjetunion gegründet wurde. Kalinin, als Vorsitzender des Allrussischen zentralen Exekutivkomitees der Sowjets, soll zu diesem Gebiet ausgeführt haben: „Birobidschan betrachten wir als einen jüdischen nationalen Staat“. Dort erblühte die jüdische Kultur in Verbindung mit der gesamten Sowjetkultur, wurde das Jiddische als Amtssprache praktiziert und gelehrt, wurden die nationalen Rechte des jüdischen Volkes geschützt usw.
Kommen wir zur Gromyko-Rede 1947 zurück. Für mich gibt es keinen Zweifel, dass sich insbesondere in Palästina ein jüdisches Volk herangebildet hatte, dessen Rechte nach dem Völkermord der Hitlerfaschisten entsprechend geschützt werden mussten. Insbesondere waren die dort lebenden Juden nicht mehr voneinander getrennt, nicht wirtschaftlich isoliert, standen in kulturellem Austausch untereinander, während sich eine gemeinsame Sprache erst herausbildete. Das kann man doch nicht ernsthaft mit den „Bergjuden“ von 1913 gleichsetzen.
Dieser zutreffende marxistisch-leninistische Standpunkt hat doch nichts mit irgendeiner „Lebenslüge des Zionismus“ zu tun. Schon gar nicht machte sich Gromyko oder der Artikel die religiöse Propaganda des Zionismus zu eigen von einem „auserwählten Volk“ der Juden. Dazu wird im Buch „Die UdSSR und der Nahe Osten“ aus einer anderen Quelle Molotov folgendermaßen zitiert: „Außer uns waren alle dagegen (gemeint sind die übrigen Staaten in der Palästina-Frage, Verf.). Außer Stalin und mir. Es haben mich einige gefragt: Warum habt ihr das unterstützt? Wir sind Advokaten internationaler Freiheit. Warum sollten wir dagegen sein, wenn das genau genommen hieße, eine feindliche Politik in der nationalen Frage zu verfolgen. In unserer Zeit, das ist richtig, waren und blieben die Bolschewiki gegen den Zionismus eingestellt. Und sogar gegen den Bund, obwohl dieser als sozialistische Organisation galt. Aber eine Sache ist es, gegen den Zionismus zu sein, (…) eine andere, gegen das jüdische Volk zu sein.“ (S. 114; Hervorhebung Verf.)
In der Arbeiterbewegung wird die damalige Politik Stalins besonders von den Trotzkisten bekämpft; ein nicht unbedeutender Teil der sog. fortschrittlichen jüdischen Antizionisten waren oder sind Trotzkisten. So gilt das Buch von Nathan Weinstock „Das Ende Israels? Nahostkonflikt und Geschichte des Zionismus“ von 1967 allgemein bis heute als Standardwerk fortschrittlicher jüdischer und marxistischer Kritik am Zionismus. Weinstock war damals bekennender Trotzkist. Er schrieb: „Und er (Gromyko, Verf.) fügte hinzu, 'es wäre ungerecht, dieser Tatsache (dem Massenmord an Juden unter Hitler, Verf.) nicht Rechnung zu tragen und dem jüdischen Volk das Recht zu verweigern, eine solche Sehnsucht zu erfüllen.' Dies stellt unbestreitbar eine explizite Anerkennung der Berechtigung der zionistischen Ideologie dar.“ (S. 216)
Trotzki selbst hat bekanntlich die nationale Frage allgemein abschätzig behandelt; er leugnete auch höchst persönlich jedes besondere nationale Moment in der Lösung der jüdischen Frage bezogen auf Palästina:
„Sowohl der faschistische Staat in Deutschland, als auch der arabisch-jüdische Kampf bringen neue und sehr deutliche Bestätigungen für den Grundsatz, dass die jüdische Frage im Rahmen des Kapitalismus nicht gelöst werden kann. … Wie auch immer, es besteht kein Zweifel, dass die materiellen Bedingungen für die Existenz des Judentums als unabhängige Nation nur durch die proletarische Revolution geschaffen werden können.“ (Trotzki, Über das 'jüdische Problem', 1934, https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1934/02/ juedischeproblem.html) Auch hier hat er Unrecht behalten!
Es ist im Übrigen auch nicht richtig, dass wir in unserer ideologisch-politischen Linie nicht von einem jüdischen Volk sprechen würden. So heißt es im Revolutionären Weg 32-34: „Unter der heuchlerischen Flagge der ,Wiedergutmachung' der Verbrechen, die deutsche Faschisten am jüdischen Volk verübt haben, missbrauchen die Herrschenden heute die berechtigte Ablehnung des Antisemitismus, um die imperialistische Politik des Staates Israel zu rechtfertigen.“ (S. 249). Im Revolutionären Weg 22 schrieben wir über den „Konflikt zwischen Arabern und Juden“. (S. 222)
Auch in unserem Zentralorgan haben wir schon häufig über das jüdische Volk geschrieben und auch bereits in der Vergangenheit Teile der Gromyko Rede publiziert, siehe nur: „Warum tritt die MLPD für einen gemeinsamen Staat des palästinensischen und jüdischen Volkes ein?“ (Rote Fahne 43/2000, S. 16). Auf rf-news schrieben wir am 13.01.2008: “Die Erkämpfung eines eigenständigen Staates der Palästinenser als Übergangslösung für ein befreites und demokratisches Palästina, in dem das arabische und jüdische Volk gleichberechtigt und friedlich zusammenleben...“ Es gäbe noch weitere Beispiele dafür. Wieso recherchierst Du dazu nicht gründlich, bevor Du eine solch weitgehende Kritik vom Stapel lässt?
Dabei muss auch die Elastizität der Begriffe beachtet werden. Natürlich gibt es eine Identität zwischen dem Begriff Volk und Nation. Gleichzeitig wird der Begriff „Volk“ in der politischen Auseinandersetzung auch im Sinne von Bevölkerung, Volksgruppen und Volksstämmen verwendet, was je nach Zusammenhang durchaus seine Berechtigung haben kann.
1947 in der UNO ging es nicht um abstrakte Auseinandersetzungen über den allgemeinen Charakter der jüdischen Nation und des jüdischen Volkes. Es ging um die Lösung eines konkreten äußerst komplizierten Problems, wobei natürlich von der grundsätzlichen Seite aus herangegangen werden musste. Das wurde damals auch hervorragend gemacht. Wenn wir heute an das Problem der Palästina-Frage herangehen, so müssen wir natürlich die seitdem erfolgten Veränderungen beachten, was aber nicht Aufgabe dieses Artikels war. Hier muss natürlich beachtet werden, dass wir heute einen imperialistischen Zionismus haben, dass unsere Solidarität uneingeschränkt mit dem Kampf des palästinensischen Volkes um nationale und soziale Befreiung entwickelt werden muss usw. Es ist auch klar, dass eine demokratische Zweistaatenregelung als Übergangsstadium für ein einheitliches, demokratisches Palästina nur im Kampf um nationale und soziale Befreiung möglich sein wird.
Aber auch dabei müssen zweifellos die Rechte der israelischen/jüdischen Bevölkerung beachtet werden. Über die heute geeignete Bezeichnung dieser beiden Staaten muss sicherlich nachgedacht werden. In den UN-Beschlüssen 1947/48 wurde immer von einem „jüdischen Staat“ und einem arabischen Staat ausgegangen. Das war ausdrücklich nicht als religiöse Kennzeichnung gemeint. Nur in diesem Sinne habe ich auch in dem Artikel den Begriff vom jüdisch-israelischen Volk verwendet, was allerdings erläuterungsbedürftig ist. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollten wir tatsächlich besser nur vom israelischen Staat sprechen. Einen grundsätzlichen Unterschied macht das aber nicht aus, zumal die Bezeichnung „Israeliten“ nur ein Synonym für Juden darstellte („Nachkommen Israels“, des „Gottesstreiters“).
Zudem erhebst Du den weitgehenden Vorwurf, Gromyko machte sich mit der Behauptung, dass „,das jüdische Volk über einen erheblichen geschichtlichen Zeitraum aufs engste mit Palästina verbunden ist' eine zweite Lebenslüge des Zionismus zu eigen.“ Dafür, dass sich Gromyko und die Rote Fahne „zionistische Lebenslügen zu eigen“ machen würden bleibst Du allerdings jeden Beweis schuldig. Du setzt einfach die zutreffende Aussage von Gromyko mit einem „Exodusmythos“ gleich, um Deinen Vorwurf zu rechtfertigen. Gromyko hat sich aber überhaupt nicht in die Auseinandersetzung über die detaillierte geschichtliche Entwicklung in Palästina eingeschaltet. Er wies nur völlig sachlich und unbestreitbar darauf hin, dass es eben einen solchen Zusammenhang gab, auch über einen erheblichen geschichtlichen Zeitraum – was niemand ernsthaft bestreiten kann -, auch wenn um Dauer, Grad und Intensität heftig heftig gestritten werden mag.
Man muss auch beachten, dass es sich bei dieser Aussage aus der Gromyko-Rede um ein konkretes Argument in der konkreten Situation der Frage der Staatsgründung von Palästina handelte. Er nahm überhaupt nicht Stellung dazu, dass es an sich ein allgemeines und jederzeitiges Recht der Juden gebe, in Palästina einen Staat zu errichten oder ähnliches. Natürlich darf man den Satz Gromykos nicht überstrapazieren und daraus herauslesen, dass sämtliche Juden der Welt in Palästina angesiedelt werden könnten oder sollten. Allgemein gilt natürlich, dass die Verschmelzung der jüdischen Bevölkerung in den Nationen, in denen sie leben, weitergeführt werden muss und die Lösung der jüdischen Frage in der Hauptsache mit der Lösung der sozialen Frage zusammenfällt. Auch hat er nicht behauptet, dass sämtliche Juden der Welt ihre Wurzeln unmittelbar in Palästina hätten, er hat nicht zur Abstammungsfrage Stellung genommen oder ähnliches. Du unterstellst ihm stattdessen völlig unsachlich, dass er der „zionistischen Theorie vom auserwählten jüdischen Volk“ und von der untrennbaren Bindung an das Land der Vorväter auf den Leim gegangen sei. Aber: Kein einziges Wort davon findest Du in den Gromyko-Reden! Die reaktionäre zionistische Theorie muss bekämpft werden und war auch nie Leitlinie der sozialistischen sowjetischen Politik, wie Du es nahe legst.
Du stimmst zu, dass man die Staatsgründung Israels nicht ablehnen kann. Du behauptest aber, das sei hier durch „reaktionäre, unwissenschaftliche Theorien“ begründet, statt dies allein aus der „Sondersituation der Verbrechen des Holocaust und der Judenverfolgung“ zu begründen. Tatsächlich war es doch so, dass die nationale Frage in der Lösung der Judenfrage durch die Verbrechen des Hitlerfaschismus und die konkrete Entwicklung in Palästina objektiv einen neuen Stellenwert bekam. Deine Argumente sind im Übrigen nicht neu. Sie wurden weitgehend schon 1947/48 von arabischen Nationalisten vorgebracht, beeinflussten die PLO-Programmatik, werden von Trotzkisten verbreitet und sind bis heute ein Hemmnis für die Lösung des Palästina-Konflikts. Unter kleinbürgerlich/bürgerlichen arabischen Kreisen, Trotzkisten und Teilen der kleinbürgerlichen Linken gibt es bis heute entsprechende antikommunistisch motivierte Gegenpositionen zur Stalinschen Außenpolitik in der Palästinafrage. Wieso lässt Du Dich davon eigentlich so beeinflussen?
Du argumentierst auch eklektizistisch. So weist Du darauf hin, dass unter Stalin schon 1952 die diplomatischen Beziehungen zu Israel abgebrochen wurden. Du gehst aber nicht darauf ein, dass Stalins Regierung auch die erste war, die Israel überhaupt völkerrechtlich anerkannt hatte. Zwischen 1947 und 1952 gab es bereits weitgehende Veränderungen, insbesondere hatte der US-Imperialismus seinen Haupteinfluss in Israel bereits durchgesetzt und Israel sich in einen zionistischen Staat verwandelt, während Stalin 1947 gerade den imperialistischen Einfluss in Palästina schwächen wollte.
Herzlichen Gruß!
Peter Weißpfenning