Briefwechsel im RF-Magazin
Briefwechsel zu Katyn und Kuropaty und der antikommunistischen Kampagne gegen die sozialistische Sowjetunion
Briefwechsel eines Lesers der Rote-Fahne zu einem Artikel zu dem faschistischen Massaker in Katyn in RF 4/2020 und der Antwort des Autors/der Autorin
S/Hamburg
17.Februar 2020
An: RF-Redaktion (mit der Bitte um Weiterleitung an den Autor/die Autorin)
Artikel in RF4/2020 auf Seite 41
Liebe Redaktion der Roten Fahne, Liebe Esslinger Korrespondenten,
in dem Artikel zum DDR-Roman Machandel schreibt ihr über Katyn und Kuropaty, dass es längst aufgeklärt sei. - Ich hätte gerne die Quellen dieser Aufklärung gewusst.
Ich lese immer wieder gerne diese Artikel zu historisch (strittigen) Ereignissen aus der Zeit der Sowjetunion. Ich hoffe dabei Argumente an die Hand zu bekommen mit meiner Frau zu diskutieren. Meine Frau kommt aus der Ukraine. Bei aller Offenheit für unser selbstloses politisches Engagement für einen echten Sozialismus – bei historischen Fragen ist sie stark von der Ukrainischen Geschichtsschreibung der Revisionisten und heutigen ukrainischen Nationalisten beeinflusst. Alles was von der Sowjetunion untersucht wurde, könne nicht als Wahrheit angesehen werden. Die Bolschewiken hätten sich die Dinge so hingebogen, wie es ihnen am besten passte.
Für mich und für sie wäre daher interessant, ein Nachweis dass es Goebbels Idee war den Mord an polnischen Offizieren Stalin in die Schuhe zu schieben. Und falls es eine Untersuchung gab, die klärte dass die Ermordung frühestens im Herbst 1941 stattfand: Wer hat diese Untersuchung durchgeführt? Die Polen? Die Sowjets? Genauso mit Kuropaty. Ich habe gerade gegoogelt und weiß nun dass es in Weißrussland (dies Wissen setzt euer Artikel voraus).
Zur offiziellen Geschichtsschreibung: Auf Wikipedia kann man diese offizielle Seite gut nachlesen. In Katyn und Kuropaty wird in beiden Fällen der NKWD unter Führung Stalins als Verantwortliche Massenmörder aufgeführt. - Ich glaube nicht, dass unsere Zeitungsartikel viel Wirkung haben – wenn wir einfach nur das Gegenteil behaupten. „Es ist nachgewiesen“ - das sagt nämlich auch Wikipedia mit Verweis auf irgendwelche Forscher. Wikipedia weist bei Katyn auch daraufhin, dass Putin mit dem polnischen Präsidenten zusammen der Opfer des NKWD gedacht und sich sogar bei den Polen dafür entschuldigt hat.
Ich habe wenig Ahnung über die Vorwürfe gegen die Sowjetunion und über die tatsächlichen Entwicklungen. Gleichzeitig weiß ich, dass die Entwicklungen weitaus komplizierter waren als nur „Sowjetunion gut und der die Imperialistischen Länder böse“. Dafür tobte innerhalb der Sowjetunion ein viel zu großer Kampf um die Denkweise und Chruschtschows Paten haben sicherlich schon 1941 ihr Unwesen getrieben.
(...)
Dazu antwortet der Autor/die Autorin des Artikels:
Lieber S!
Vielen Dank für deine Kritik! Und vor allem für deine Nachfrage nach Katyn und Kuropaty.
1. Zu Katyn:
1945 war Katyn eines der vom Internationalen Kriegstribunal von Nürnberg aufgezählten schweren Verbrechen des Hitlerfaschismus. In der Aufzählung heißt es: „Im September 1941 wurden im Wald von Katyn in der Nähe von Smolensk ein Massenmord an gefangenen polnischen Offizieren ausgeführt.“ Es folgen weitere Kriegsverbrechen, die in verschiedenen Ländern von den Truppen oder anderen Gewaltorganen Hitlerdeutschlands begangen wurden.
Es wurden viele Dokumente zu Katyn entgegengenommen, ein Prozess fand aber nicht statt. . Das amerikanische Mitglied des Nürnberger Tribunals, Robert H. Jackson, gab 1952 zu, dass eine Anweisung der US-Regierung unter Truman seine Haltung bestimmt habe. Der kalte Krieg hatte schon begonnen.
Es gab zwei Untersuchungen des Massenmords von Katyn.
Die erste nahmen die Nazis unter Führung von Göbbels im April-Mai 1943 vor. Über die Gräber der erschossenen Polen hatten polnische Bauarbeiter den Deutschen Besatzern schon im Februar/März 1942 berichtet, was damals diese aber nicht interessierte. Nach Stalingrad änderte sich die Situation. Im Frühjahr 1943 war es absehbar, dass die sowjetischen Truppen die Hitlertruppen aus diesem Gebiet in nicht zu langer Zeit vertreiben würden. Im April 1943 fanden deshalb Ausgrabungen statt. Goebbels bereitete eine Propagandakampage und eine öffentliche „Ausgrabung“ für die Welt vor, für die er anwies: „Die deutschen Offiziere, welche die Leitung übernehmen, müssen ausschließlich politisch vorbereitete und erfahrene Menschen sein, mit der Fähigkeit, geschickt und sicher zu handeln. Einige unserer Leute müssen früher dort sein, damit bei der Ankunft des Roten Kreuzes alles vorbereitet ist und damit man während der Ausgrabungen nicht auf Dinge stoße, die nicht mit unserer Linie übereinstimmen. Zweckmäßig wäre es, einen Menschen von uns und einen des OWK (Vereinigte Militärführung – Übers.) auszuwählen, die schon jetzt in Katyn jeden Augenblick des Programms vorbereiten“. (Rückübersetzung aus Trudovaja Rossija“, Zeitung der Russischen Kommunistischen Arbeiterpartei, Artikelserie 2005.) Bei der Vorbereitung wurde deutsche Munition, mit der die Gefangenen ermordet wurden, gefunden. Goebbels schrieb in seinem Tagebuch am 8. 5. 1943: „Leider ist in den Gräbern von Katyn deutsche Munition gefunden worden. .. Jedenfalls ist es notwendig, diesen Fall vorläufig noch streng geheim zu halten; würde er zur Kenntnis kommen, würde damit die ganze Katyn-Angelegenheit hinfällig werden.“ (Zitiert nach: Deutschland im 2. Weltkrieg, Akademieverlag Berlin 1979, Bd. 3, S. 209. Man kann die Tagebücher per Fernleihe ausleihen. Sie stehen unter anderem in der Staatsbibliothek Berlin.)
Noch vor dem Pressetermin und danach wurden zigtausende Flugblätter unter dem Motto - Seht sie euch an, solche Massenmörder sind die Sowjets - verbreitet. Goebbels versuchte so, die Antihitlerkoalition Sowjetunion, England und USA zu spalten und die polnische und deutsche Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen.
Eine Delegation des polnischen Roten Kreuzes nahm an der öffentlichen Ausgrabung teil; deren Leiter, Starzinski, schrieb in seinen Berichten über die Arbeit der Kommission, die in London aufbewahrt werden, dass sie nur die Aufgabe hatten, gefundene Sachen schnell in durchnummerierte Umschläge zu geben. Sie hatten nicht das Recht zu ihrer Durchsicht und Sortierung. Er schreibt: dass „alle Schussverletzungen von Munition der Herstellermarke Geco, 7,65 (von der deutschen Waffenfabrik Genschowik - dj) hervorgerufen wurden … Es wurden insgesamt 4 243 Leichen exhumiert. … Die Sondierung des Gebietes deckte eine Reihe von Massengräbern von Russen in verschiedenen Verwesungsgraden auf, bis hin zu Skeletten.“ (Ein Hinweis, dass die zu den Erschießungen befohlenen russischen Kriegsgefangenen hinterher auch erschossen wurden.
Das eingepackte Material wurde nach Deutschland verbracht und dort beim Anrücken der sowjetischen Truppen verbrannt. Zwei Ärzte, die in der Kommission als Zeugen dienen sollten, schrieben abweichende Berichte. Markow, ein Bulgare, schloss sich dem Schluss, dass die polnischen Offiziere 1940 ermordet worden seien, nicht an. Und der tschecheoslowakische Professor Hajek gab 1945 eine Broschüre heraus, in der er erklärte, dass die Offiziere nicht früher als im Herbst 1941 ermordet worden sein konnten.
Die zweite Untersuchung fand im Herbst 1943, nachdem die sowjetischen Truppen Smolensk wieder eingenommen hatten, statt. Leiter der Staatlichen Sonderkommission der Sowjetunion war N.N. Burdenko. Unter den wenigen Dokumenten, die noch gefunden werden konnten, war u.a. eine Urkunde über die Staatsangehörigkeit eines Erschossenen, Hauptmann Stefan Kaslinski, die am 20. Oktober 1941 in Warschau ausgestellt worden war. Ein anderes Opfer hatte eine Postkarte an eine Adresse in Warschau bei sich, datiert vom 20. Juni 1941. Außerdem lagen neben den Gräbern der gefangenen polnischen Offiziere die Gräber von 25 000 Kriegsgefangenen und Zivilpersonen aus den Jahren 1941 und 1942.
Herausgefunden wurden drei sozusagen sächliche Beweise: 1. Der Verwesungsgrad der Toten durch die gerichtsmedizinischen Experten, nicht nur der sowjetischen, sondern wie oben geschrieben auch von zwei Ärzten aus der faschistischen Vorführung der Gräber. Auch nach dem Zustand der Kleider konnten die Ermordeten nicht mehr als ein Jahr unter der Erde gegen haben, höchstens anderthalb Jahre. Und nicht drei Jahre. 2. Die Kugeln und Geschosshülsen, die in den Gräbern entdeckt wurden, haben die Kaliber 7,65 mm und 6,35 mm und Markierungen der deutschen Patronenfabrik Genschowik, kurz „Geco“, sie wurden in Deutschland hergestellt. 3. Bei ungefähr 20% der erschossenen waren die Hände gebunden, mit Bindfäden aus Papier. Solche Bindfäden wurden bis zum Krieg in der UdSSR nicht hergestellt.
2. Worauf stützt sich dann das Schuldbekenntnis von Gorbatschow, Jelzin usw?
Nach der teilweisen Öffnung der Archive im Jahre 1990 verbreiteten sowjetische Historiker, dass die Ermordung der polnischen Kriegsgefangenen durch die Hitlerfaschisten nicht gesichert sei. Jelzin und Gorbatschow überbrachten dem polnischen Ministerpräsidenten ihre Schuldanerkenntnis. 1992 stellten Mitarbeiter Jelzins den Antrag an das Verfassungsgericht der Russischen Föderation, die entdeckten Materialien aus den Archiven zu den Dokumenten von Katyn hinzuzufügen. Diese Dokumente, die aber gefälscht waren, wie wenig später enthüllt wurde, wurden Polen überbracht. Diese schauten sie durch, gaben sie zurück und forderten von den russischen Behörden die Herausgabe der Originale. Das konnte bis heute nicht passieren. Das hauptsächliche Dokument, auf das sich die Selbstbezichtigung stützte, war ein Beschluss der „Sonderkonferenz beim NKWD“. Doch weder hatte diese Sonderkonferenz die Kompetenz, irgendjemand zum Tode zu verurteilen, noch stand das in dem Dokument drin. Dort stand nur, dass die polnischen Kriegsgefangenen aus Katyn herausgeführt werden. Kein Wort von Todeslager, Hinrichtung oder Ähnlichem. Tatsächlich waren verschiedene der gefangenen Offiziere später in Kalinin (heute Twer) und anderen Orten.
Die Geschichte ging danach weiter. 2012 erreichten Hinterbliebene von Ermordeten von Katyn, dass der Europäische Gerichtshof sie anhören wollte. Sie klagten auf Wiedergutmachung durch Russland und brachten die benannten Dokumente mit. Der Europäische Gerichtshof nahm diese „Dokumente“ nicht an. Es fand kein Prozess statt. Er sagte, sie müssten richtige Beweise bringen.
Inzwischen wurden in Ausgrabungen von Massengräbern von Polen in Wolhynien (Westukraine) Überreste von Polen, die laut der Göbbels-Untersuchungskommission 1940 vom NKWD erschossen sein sollen, gefunden. Sie wurden von den Nazis 1941/42 umgebracht und hatten mit Katyn nur soviel zu tun, dass sie von dort aufgrund des Beschlusses der Sonderkommission von 1940 in andere Lager überführt worden waren.
Aufgrund dieser Untersuchungen und Begebenheiten kann man wohl sagen, dass die Ereignisse von Katyn, was die Urheberschaft der Massenmorde angeht, aufgeklärt sind. Doch das heißt nicht, dass nicht das Gegenteil von dieser Sachlage in Geschichtsbüchern und bei wikipedia steht oder im Fernsehen ausgebreitet wird. Denn Katyn ist eines der zentralen Geschosse des Antikommunismus, um den Sozialismus anzuschwärzen.
Man muss zu den Fakten hinzufügen, dass es sehr wohl Todesurteile durch sowjetisches Gericht gegen einen Teil der gefangenen polnischen Offiziere gegeben hat: Es handelte sich dabei um Kriegsverbrecher aus der Zeit des polnischen Einmarsches und Eroberungsfeldzugs gegen die junge Sowjetrepublik 1920. Die polnische Armee war mit aller Brutalität gegen Dörfer und ihre Bewohner vorgegangen und sogar gegen russische Kriegsgefangene, von denen 80 000 von den polnischen Machthabern umgebracht wurden. Gegen die Kriegsverbrecher, aber auch andere, die Verbrechen begangen hatten, wurden Prozesse geführt, nachdem sie nach dem Ende des polnischen Staates 1939 als Gefangene in die Sowjetunion kamen. Sie wurden zu Freiheitsstrafen, Arbeitslagern, ein Teil zum Tod verurteilt. Die Zahlen der zum Tode Verurteilten stehen nicht fest, weil die Dokumente aus dieser Zeit in den sowjetischen Archiven (nach heutiger Informationslage) zur Zeit von Präsident Gorbatschow vernichtet wurden. In Katyn wurden die zum Tode Verurteilten nicht hingerichtet, sie kamen nach Twer und an andere Orte. Die meisten der Offiziere und Mannschaften konnten zur polnischen Armee unter General Anders, die nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion gebildet wurde und die auf Seiten der Sowjetunion gegen die Faschisten kämpfte, gehen.
3. Kuropaty:
Kuropaty liegt in Weißrussland in der Nähe von Minsk. Es gibt diesen Ort nicht als Siedlung, es gab vor der deutschen Besatzung ab 1941 auch keine Ortsbezeichnung Kuropaty.
Zur Zeit Gorbatschows, im Jahre 1988, wurde von der Regierung Weißrusslands eine Kommission zwecks Ausgrabungen von mutmaßlichen Massengräbern aus der Zeit vor 1941 gebildet. Sie kam zu dem in sich sehr widersprüchlichen Schluss, dass 1937 bis 1941 im Wald von Kuropaty Organe des NKWD (Innenministerium der Sowjetunion) Massenerschießungen an sowjetischen Bürgern durchgeführt hätten. Die Personen der Umgebrachten festzustellen, die konkreten Motive der Vollzugsorgane und Ausführer der Urteile, die Entscheidungen des Justizministeriums oder nichtgerichtlicher Organe in den Jahren 1937 – 1941 festzustellen, sei nicht möglich gewesen. Es wurden keine Dokumente gefunden, die sich auf die Ereignisse in Kuropaty beziehen.
1989 – 1995 arbeitete auf dieser Grundlage erneut eine Untersuchungskommission, führte Befragungen in den umliegenden Dörfern durch. Das Ergebnis war, dass es kein Stückchen Beweis für Ermordungen durch den NKWD gab, wohl aber Gräber von 30 000 Juden, die von Hitler ermordet worden waren. So gab es in den Gräben zahlreichen Schmuck und Gegenstände aus westeuropäischen Ländern.
Die Bewohner erzählten, dass dies ein Erholungsgebiet gewesen sei, es gab kein umbautes Gebiet oder Gebäude, hinter dem man bis zur Okkupation zwischen 5 000– und 200 000 Opfer hätte umbringen können, so weit schwanken die Zahlen über die angeblichen NKWD-Opfer.
Als dann trotz dieser Ergebnisses im Juli 1992 Trauerkränze für „die durch die Hand der Henker des NKWD Gefallenen“ in den Wald gelegt wurden, gab es Empörung. Es wurde erneut eine Untersuchungskommission gebildet. Ergebnis: Die Mehrheit der Munition aus den Ausgrabungen stammte aus dem Jahr 1939. In den Gräbern lagen mindestens 5 400 Frauen. In den Jahren von 1920 bis 1939 hat es im Bezirk Minsk aber nur 5 zum Tode verurteilte Frauen gegeben. Von einer davon ist nachgewiesen, dass sie erschossen wurde, allerdigs nicht in Kuropaty.
Man fand in den Gräbern kleine Kämme, 8 waren hergestellt in Österreich, 1 in Polen, 1 in der Tschechslowakei. Gummistiefel: 3 in Deutschland hergestellt, 1 in Polen, weitere aus anderen Ländern. Des weiteren viele Schmucksachen, Medaillons und Zahnkronen aus Platin. Es ist bekannt, dass bis nach dem Krieg Platin in den Zahnpraxen der UdSSR nie eingesetzt worden war.
Damals waren Juden aus Mitteleuropa nach Weißrussland verbracht worden, viele waren im Ghetto von Minsk konzentriert worden. Und diese wurden in Massen getötet. Die Schmuckstücke und Zahnkronen weisen auf die nicht-weißrussische Herkunft der Ermordeten hin.
Schließlich erfolgte am 4. November 1997 eine offizielle Mitteilung durch die weißrussische Telegraphenagentur, die sich auf das Presse-Zentrum der Oberstaatsanwaltschaft bezog und erklärte, dass „einige Beweistücke, die in gesetzeskonformer Weise gefunden wurden, den bisherigen Schlussfolgerungen widersprechen“. Darüber hinaus wurde in der Mitteilung festgestellt, dass die früheren Schlussfolgerungen der Staatsanwaltschaft der Republik für bestimmte Zwecke im Kampf um die Macht benützt worden sind.
Dennoch wird weiter versucht, hier ein Denkmal für die Opfer des NKWD zu errichten. Dagegen wandte sich am 1. Juli eine Erklärung linkspatriotischer Organisationen, die sich im Koordinationsrat „Einheit“ zusammengeschlossen haben. Sie weisen darauf hin, dass Weißrussland im Kampf gegen die Faschisten jeden dritten Einwohner verloren hat und fordern vom Präsidenten und der Regierung Nachforschung, bevor eine Gedenkstätte errichtet wird. Sie erhielten keine Antwort.
Lieber S!
Ich denke, hieraus wird deutlich, dass die Herrschenden sich um Fakten kaum kümmern, wenn es um ihre wichtigste Propagandamunition im heiligen antikommunistischen Kreuzzug geht. Man muss sie dazu zwingen, aber das ist ein langer Kampf, dem wir uns mit dem „Gib Antikommunismus keine Chance“ stellen wollen. In Bezug auf Katyn kann man sagen, dass dieser antikommunistische Hammer bei uns in Teilen der Bevölkerung wirkt. Er wird weiter eingesetzt in Filmen, Büchern usw.. Wer eine Alternative sucht, wer den Kapitalismus ablehnt, der soll zusammenzucken bei dem Wort Katyn. Deswegen habe ich das Buch „Machendel“ kritisiert, weil es genau mit diesen Begriffen und Vorbehalten spielt, sie bewusst, scheinbar nebenbei, aber dadurch gerade die Angstgefühle weckend, einsetzt.
Kuropaty ist mehr ausgerichtet auf die Bevölkerung Weißrusslands. Dort wurde die regierungsamtliche Gedenkstätte inzwischen eingerichtet, Schüler sollen da durchlaufen usw. Denn die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung soll sich auf keinen Fall mit der Alternative und der Erfahrung des Aufbaus des Sozialismus auseinandersetzen.
Ich möchte einen Satz aus deiner Kritik kritisieren: Du schreibst: Die Entwicklung sei komplizierter, als nur „Sowjetunion gut und die imperialistischen Länder böse“. Es ist unbedingt nötig, sich gründlich mit den Fehlern, die im sozialistischen Aufbau gemacht wurden, auseinanderzusetzen. Aber bei dieser Aussage von dir geht es um zwei Systeme, die von Sozialismus, die die Sowjetunion zur Kriegszeit war, und des Imperialismus und Faschismus, gegen den die Sowjetunion kämpfte. Der prinzipiellen Gegensatz zwischen den beiden darf nicht verkleistert und nivelliert werden. Dieser prinzipielle Gegensatz zeigte sich auch in der Kriegführung und natürlich erst recht in den Zielen beider Seiten. Der Hitlerfaschismus hatte zum Hauptziel die Niederlage des Sozialismus und die Eroberung fremden Landes, die Vernichtung oder Verjagung und Versklavung der dortigen Bevölkerung. Darauf war die ganze Polenpolitik der Hitlertruppen mit ihren Massenvernichtungen und Zerstörung der wirtschaftlichen Grundlagen ausgerichtet. Die Sowjetunion kämpfte um Frieden und Völkerfreundschaft, nicht um Eroberungen fremder Länder. Sie lehnte Hitlers Vorschläge, über die Aufteilung der Welt zu verhandeln, ab. Sie bemühte sich trotz der Verbrechen, die Polen im Bürgerkrieg begonnen hatte, um das Bündnis mit ihnen. Im Gegensatz zu den Westmächten und Hitlers Kriegführung lehnte die Sowjetunion den Bombenterror gegen Städte und ihre Bevölkerung wie Dresden, Hamburg, genauso wie Leningrad ab. Trotzdem gab es Verbrechen der russischen Truppen gegen die Bevölkerung , z.B. in Ostpreußen. Aber sie führten sofort zu Prozessen, zu neuen Aufklärungskampagnen der Partei, weil sie eben nicht dem Wesen des Sozialismus entsprachen. Wenn dies nicht geschah, war es noch ein größeres Verbrechen, aber es stand im Widerspruch zum Sozialismus.
Noch ein Wort zu wikipedia und zur „offiziellen Geschichtsschreibung“. Tatsächlich ist wikipedia ein sehr wirksamer Teil der „offiziellen Geschichtsschreibung“. Jeder schaut als erstes da hinein. Aber „offiziell“ ist wikipedia nur in dem Sinn, dass es der antikommunistischen Meinungsmache der Herrschenden entspricht.
Da passte es sehr gut, dass die Führung der KPdSU unter Gorbatschow Schuld an Katyn bekennt, auf welcher Grundlage auch immer. Aber warum geschah das? Gorbatschow suchte die Durchdringung mit dem westlichen Kapitalismus. Es gab damals große Unzufriedenheit mit den Auswirkungen der Bürokratenherrschaft bis hin zu den landesweiten Bergarbeiterstreiks. Um die Menschen von ihrem Protest abzubringen und sie für den westlichen Kapitalismus zu gewinnen, setzte Gorbatschow eine neue Welle von Hasstiraden gegen Stalin in Gang. Solche Zusammenhänge wirst du bei Wikipedia genau so wenig finden wie die zwischen der Göbbels-Propaganda-Veranstaltung zu Katyn und der Bedeutung, die bis heute die Goebbels-Argumentation zu Katyn für die Herrschenden hat.
Entschuldige bitte die Länge des Briefes. Ich hoffe, du hast die Zeit, sie zu lesen und dich durch die Faktenlage durchzufinden.
Mit herzlichen Grüßen
D.