RW 36

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Briefwechsel mit einem Leser aus Frankfurt: „Die Krise der bürgerlichen Ideologie und des Antikommunismus“ - eine kritische Bemerkung

Die Krise der bürgerlichen Ideologie und des Antikommunismus“ - eine kritische Bemerkung

„Die erfolgreichsten Jahre der KPD waren die frühen Besatzungsjahre. Mit der Gründung der Bundesrepublik und der DDR 1949 hatte die KPD ihren politischen Zenit längst überschritten. (J. Foschepoth, Verfassungswidrig..., S34). Zwar wird in „die Krise...“ Foschepoth als Zeuge für den Antikommunismus („die Krise...“ S. 54) zitiert, aber eben nur als Beleg für den Wettstreit in Sache „der beste Antikommunist“, aber nicht darauf eingegangen, warum nach 1945 für die Kommunisten zumindest in der BRD nur ein kurzer Frühling erblühte. Ein kurzer Frühling – erstarrt nur am Antikommunismus der Adenauerreaktion? „Ein kurzer Frühling“ - so nennt sich auch der zweite Roman des ehemaligen Frankfurter KPD-Funktionärs, der 1958 der KPD den Rücken kehrte und, ähnlich wie Foschepoth, den Weg der KPD in die politischen Abseitigkeit aufzeigt. Valentin Senger, der unerkannt in einer jüdisch-kommunistischen Familie in der Kaiserhofstraße den Nazi-Faschismus in Frankfurt überlebte, beschreibt in seinem zweiten Roman den Zerfall der KPD, ihre Kultur und ihren Einfluss, bzw. deren Verfall in Frankfurt nach dem Krieg.

Das Resümee beider, Foschepoths und Sengers, der Antikommunismus Adenauers und Schumachers erklären alleine nicht die Krise des Kommunismus. Ideologische Ausrichtung, die Bevormundung und Abhängigkeit der KPD von SED und letztlich durch die KPdSU bilden eine wesentliche zweite Seite, bei der die bürokratischen Entwicklungen lange vor 1956 eine wichtige Rolle spielten. Diese innere Entwicklung seitens der Kommunisten spart „die Krise...“ völlig aus, vielleicht kommt dazu noch was in den Folgebänden? Eine dialektisch-historische Untersuchung sollte allseitig alle Faktoren untersuchen und in Beziehung setzen. Eine auf Fakten gestützte Untersuchung der Entwicklung im ersten sozialistischen Staat auf deutschen Boden, der SED/KPD sowie KPdSU werden ausgespart. Die revisionistische Entwicklung vor 1956 in der DDR, der KPdSU und den anderen Staaten stehen in Beziehung zur Ideologie des Antikommunismus. „Die Krise...“ schneidet diese Entwicklung auf den Seiten 173ff. an. Die kleinbürgerliche Bürokratie hatte aber Namen und es waren konkrete Taten und diese zerstörte nicht erst ab 1956, nach dem Tod Stalins, die „politische und ökonomische Überzeugungskraft des Sozialismus.“

Wer die reelle Geschichte der Kommunisten an der Staatsmacht nicht faktisch untersucht, sollte sich nicht beklagen, dass bürgerliche Philosophen und bürgerliche Agenturen, die vom CIA zumindest zu Teilen gesteuert und finanziert wurden, diesen frei gelassenen Platz der Geschichtsdeutung mit antikommunistischer Hetze besetzen.

Meiner Meinung nach stellt es sich als Irrtum heraus zu glauben, nichts zu den Fehlern Stalins, zum Beispiel zu den „Angelegenheit(en) Kostoff/Bulgarien, Reyk/Ungarn, Slanski/Tschechoslowakei u. a.“ sagen zu müssen. Er (Dickhut) meinte dazu, diese „brauchen wir nicht herauszustellen, weil sie unsere Praxis kaum beeinflussen“. Der Brief, in dem er diese Aussage trifft, endet mit dem Satz: „Die Stalinfrage ist meines Erachtens keine Hauptfrage in der ML-Bewegung. Wir wollen Stalin weder über- noch unterbewerten.“ Sicherlich hat sich die Stalinfrage seitdem in ihrer Bedeutung geändert – durch den modernen Antikommunismus ist sie von einer Frage innerhalb der kommunistischen Bewegung zu einer Massenfrage gemacht worden. ...“. (aus: Briefwechsel zwischen einem Kollegen und Dieter Klauth, Geschichtsredakteur der MLPD-Wochenzeitung "Rote Fahne" zur Frage konterrevolutionärer Machenschaften und Verbrechen kleinbürgerlicher Bürokraten in den Volksdemokratien Europas nach dem II. Weltkrieg. - RW-Redaktion 25.03.2021)

Aber kehren wir zurück nach Deutschland, wo die Erfahrungen mit der Massenfeindlichkeit, dem „Administrieren“ und dem Misstrauen, tiefe Spuren in Bewusstsein der Massen hinterlassen und den Antikommunismus befeuerten.

Nach 1945 machte ein beachtlicher Teil der Bevölkerung Deutschlands, die in der späteren DDR lebten, insbesondere nach den ersten Nachkriegsjahren eigene Erfahrungen mit bürokratischen „Kommunisten“ in der Leitung von Staat und Wirtschaft. Nicht erst ab 1956 wirkten bürokratischen Kapitalisten. 1956 schlug die Quantität in eine neue Qualität um. Aus „Administrieren“ und „Abgehobenheit“ wurde einer Diktatur der neuen , bürokratischen staatsmonopolistischen Kapitalisten. Ulbricht und Konsorten, die sich gegen die Kritik und Selbstkritik im ZK der SED durchsetzten, verschafften dem Antikommunismus Adenauers mehr Glaubwürdigkeit. Der 17. Juni wurde gerade deshalb zum Feiertag des Antikommunismus in Westdeutschland gemacht.

Die Politik der SED war fehlerhaft und wenig geeignet unter „Ausnutzung jeglicher oppositioneller Strömungen gegen die käufliche Clique Adenauers“ gerichtete Taktik zu gewährleisten.“ (Verfügung des Ministerrates der UdSSR, 2.06.1953) Kritisiert wurde vom Ministerrat der UdSSR der forcierte Aufbau des Sozialismus in der DDR.

„So sind von Januar 1951 bis April 1953 447 Tausend Personen nach Westdeutschland geflüchtet, darunter über 120 Tausend während der vier Monate des Jahres 1953. Ein bedeutenden Teil der Geflüchteten machen werktätige Elemente aus.“ (… 2 718 Mitglieder und Kandidaten der SED und 2 610 Mitglieder der FDJ) (aus:Verfügung des Ministerrates der UdSSR, 2.06.1953) Daß diese Abkehr Hunderttausender von der DDR gegen die SED sprach und den Kampf um eine Einheit Deutschlands untergrub, wird in den Sitzungen des ZKs der SED und ihres Politbüros festgestellt.

Die Kritiker im ZK der SED setzen einen anderen Schwerpunkt in ihrer Kritik.

In der Zeit um den Juni 1953 sah nicht nur das Politbüromitglied Herrnstadts als Hauptgrund der Fehler:

  • „Abgerissenheit von den Massen,
  • ungenügende Achtung vor den Massen,
  • gleichgültiges, oft zynisches Verhalten gegenüber den Massen,
  • daher völlig ungenügende Ausnutzung ihrer Initiative und Bereitschaft, die außerordentlich groß sind,
  • die ständige Tendenz zum -...- „nackten Administrieren“ ohne ernste Analyse.
  • Und das Schlimmste, es wird innerhalb der Partei kein Kampf dagegen entfaltet, …. .Im Gegenteil,... ….“ (Diskussionsbeitrag von H. In der außerordentlichen Sitzung des Politbüros des ZK der SED, 6.06.1953, aus „interne Dokument – die SED im Juni 1953“ , Wielfriede Otto)

Im ZK trägt Kurt Hager dann in der Aussprache über die Streiks in der DDR am 16./17. Juni 1953 folgendes bei: „….Weil aus ihnen all das an Unzufriedenheit herausbrach, was sich bei Ihnen seit acht Jahren angesammelt hat. Das war nicht eine Mißstimmung, das war der Ausdruck dessen,dass ein Teil der Arbeiterklasse kein Vertrauen mehr zur Partei und zur Regierung hat … Das waren immerhin 50 bis 60jährige Leute, vernünftige Menschen ….. sie sagten: wir wollen diese Räuber gar nicht. Wir wollen den Adenauer nicht. Wir wollen keine Kapitalistenregierung.... Ich habe gesagt: nun bitte, bis zum Oktober 1952 hat es sich doch auch verbessert. - Sie sagten mir: Ja, das sagst Du. Wieviel verdienst du denn? Und was habe ich in all diesen Jahren im Lohnbeutel gehabt? Ich kann mir keine Butter in der HO kaufen. ….“

(alle Zitate aus: s.o. Wilfriede Otto, Die SED, 2003)

Ob DDR oder SU. Die Lebensrealität war wohl weit entfernt von den Prinzipien der Pariser Kommune, wo es gilt, dass „die Mitglieder der Staatsorgane sich in sozialistischen Ländern grundlegend von bürgerlichen Parlamentariern unterscheiden."

„ 1. nicht nur Wählbarkeit , sondern auch jederzeitige Absetzbarkeit, 2. eine den Arbeiterlohn nicht übersteigende Bezahlung ….“ (Die Krise der bürgerlichen Ideologie und des Antikommunismus, S. 201).

Nicht einmal zur Normenerhöhung wurden die Arbeiter gefragt. Im Juni 1953 spitzte sich dann die Vertrauenskrise zu. Letztendlich führte die Streikwelle nicht zur Abkehr von Bürokratismus und Bevormundung der Massen. Die bürokratischen Kapitalisten, die Parteiführer auf dem kapitalistischen Weg setzten sich durch. Schon vor 1956. Den Streiks 1953 in der DDR folgten keine Selbstkritik und Kritikbewegung, um der bürokratische Entwicklung und der administriellen Bevormundung der Masse der Arbeiter, Bauern und Intellektuelle entgegen zu wirken und um die sozialistische Initiative zu entwickeln. Berechtigte Kritik wurde als faschistisch denunziert. Die Bürokraten setzten sich im ZK der SED und Parteiapparat weiter durch. Schade, der „Antikommunismus der Revisionisten“ bleibt faktisch ausgespart und die Auseinandersetzung blass und unhistorisch.

Antwort der Redaktion „REVOLUTIONÄRER WEG“:

Lieber Kollege,

vielen Dank für deinen Brief und deine kritischen Fragen zum Buch »Die Krise der bürgerlichen Ideologie und des Antikommunismus« vom 18. Mai. Du schreibst: »… der Antikommunismus Adenauers und Schumachers erklären alleine nicht die Krise des Kommunismus. Ideologische Ausrichtung, die Bevormundung und Abhängigkeit der KPD von SED und letztlich durch die KPdSU bilden eine wesentliche zweite Seite, bei der die bürokratische Entwicklungen lange vor 1956 eine wichtige Rolle spielten. Diese innere Entwicklung seitens der Kommunisten spart „Die Krise...“ völlig aus, vielleicht kommt dazu noch was in den Folgebänden?«

Das Buch ist ja der erste Teil der vierbändigen Reihe »Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise«. Deshalb haben wir uns in diesem Teil vor allem auf die Grundlagen der Krise der bürgerlichen Ideologie und ihrer krisenhaften Entwicklung mit dem Kern des Antikommunismus konzentriert. Den Klassenkampf auf ideologischem Gebiet beim Aufbau der sozialistischen Sowjetunion und in der DDR behandeln wir im vierten Teil »Die Lehre von der Denkweise«.

Andererseits haben wir diese Entwicklung des Kampfs um die Denkweise in der sozialistischen Gesellschaft nicht »völlig ausgespart«, sondern in dem Abschnitt »Aufstieg und Niedergang des modernen Revisionismus« wesentliche Entwicklungen dargestellt, wie der Kampf zwischen der proletarischen und der bürgerlichen Weltanschauung in der Auseinandersetzung unter Stalin gegen das Vordringen einer kleinbürgerlichen Denk- und Lebensweise der kleinbürgerlichen Bürokratie mit dem KPdSU-Parteibuch in der Tasche geführt wurde.

Auch in dem Abschnitt zur Gründung der DKP gehen wir auf den Kniefall der revisionistisch entarteten SED und KPD vor dem neudeutschen Imperialismus ein. Wir mussten uns allerdings hier darauf konzentrieren, wie auch diese modifizierte Methode des Antikommunismus seine Krise weiter verstärkte, weil sie zum Ausgangspunkt für den Neuaufbau einer marxistisch-leninistischen Arbeiterpartei wurde.

Wir betrachten über dies die Ausführungen im RW 36 als Ergänzung vieler bisheriger Veröffentlichungen in verschiedenen Nummern des RW und des Buchs „Sozialismus am Ende?“.

Du weist in deinem Brief zutreffend auf die »Bevormundung und Abhängigkeit der KPD von SED« hin und dass »die Erfahrungen mit der Massenfeindlichkeit, dem „Administrieren“ und dem Misstrauen tiefe Spuren im Bewusstsein der Massen hinterlassen (haben) und den Antikommunismus befeuerten«. Der moderne Antikommunismus der Herrschenden verzerrt in trauriger Eintracht mit den modernen Revisionisten und Neorevisionisten dieses Vordringen der kleinbürgerlichen Denkweise, tituliert es als »Stalinismus«. Damit stiften sie große weltanschauliche Verwirrung in der Arbeiterklasse unter den breiten Massen über die tatsächlichen Ursachen für die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion und die revisionistische Entartung ehemals kommunistischer Parteien. Deshalb sind deine Anregungen wertvoll für die Erarbeitung des Abschnitts zum Kampf um die Denkweise in der SED beim sozialistischen Aufbau der DDR. Eine Vorarbeit dafür ist, wie Willi Dickhut in seinem zweiten Tatsachenbericht »Was geschah danach?« die falsche Kaderbehandlung und falsche Kaderpolitik in der Führung des ZK der SED konkret und grundsätzlich ausgewertet hat und als Fazit zog: »Die Arroganz und die Willkür, mit denen hier Kaderangelegenheiten behandelt wurden, mussten sich eines Tages rächen.« (S. 78)

Wir werden bei der Ausarbeitung dieser Abschnitte strikt unterscheiden zwischen dem sozialistischen Aufbau in der Sowjetunion und in der DDR bis 1956 und seiner Zerstörung durch den Sieg des modernen Revisionismus auf dem XX. Parteitag der KPdSU. Du schreibst: »Die revisionistische Entwicklung vor 1956 in der DDR, der KPdSU und in anderen Staaten stehen in Beziehung zur Ideologie des Antikommunismus.« Die »revisionistische Entwicklung« in diesen Ländern begann aber erst mit dem XX. Parteitag, als der moderne Revisionismus die neue weltanschauliche Grundlage der Sowjetunion wurde und sich dann Schritt für Schritt auch als ökonomische und politische Grundlage für die Entstehung eines bürokratischen staatsmonopolistischen Kapitalismus neuen Typs durchsetzte. Die Verwischung dieses qualitativen Sprungs ignoriert den erbitterten Kampf zwischen der proletarischen und der kleinbürgerlichen Denkweise in der Partei-, Staats- und Wirtschaftsführung der sozialistischen Sowjetunion und auch in der DDR. Zweitens verkennt das die tiefste Niederlage der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung durch den zeitweiligen Sieg des modernen Revisionismus ausgehend vom XX. Parteitag, die wir in dem Buch »Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution« als »historische Katastrophe für die Menschheit« (S. 115) charakterisiert haben.

Herzliche Grüße

Redaktion REVOLUTIONÄRER WEG