Willi Dickhut

Willi Dickhut

Automation und Mechanisierung

Briefwechsel und Dokumente Willi Dickhuts 1975

Von RW-Redaktion
Automation und Mechanisierung

21.2.75

Lieber Genosse Willi

Heute wende ich mich mit einer Anfrage an Dich beziehungsweise an die Redaktion des Revolutionären Wegs. Ich bin Mitglied der KSG und wurde zu dieser Anfrage angeregt durch die Lektüre des Artikels »Arbeitskräftebedarf und technische Entwicklung« in der Roten Fahne 4/75, Seite 7. Darin wird auf den Unterschied zwischen Mechanisierung und Automation hingewiesen und darauf, welche Auswirkungen die Rationalisierungsmaßnahmen des Monopolkapitals auf den Arbeitskräftebedarf haben. Die Frage für mich besteht nun darin, wie eigentlich die Leute qualifiziert sein müssen, die solche Anlagen konstruieren, entwerfen und planen. Das ist, allgemeiner gesprochen, die Frage nach der Auswirkung der genannten Maßnahmen des Monopolkapitals auf die Hochschulbildung. In dem Rote-Fahne-Artikel wird ja darauf hingewiesen, daß »die Bedienung« der Maschinen »bei Hochmechanisierung und Automation durch Facharbeiter« erfolgt – also nicht durch Hochschulabsolventen. Gleichzeitig müßte man meinen, daß die Konstruktion solch hochkomplizierter Anlagen eigentlich höherqualifizierte Intellektuelle (Techniker und Ingenieure) erfordert, als sie bislang ausgebildet wurden. In Wirklichkeit ist die Politik des Monopolkapitals aber genau darauf ausgerichtet, durch Regelstudienzeiten und Kurzstudiengänge die Qualifikationen der Hochschulabsolventen zu drosseln. Das verstehe ich nicht.

In diesem Zusammenhang halte ich auch die Erklärung für unzureichend, die der KABD-Genosse in seinem Referat auf dem I. Zentralen Delegiertentag der KSG gegeben hat, wo er sagte: »Die Bedeutung der Wissenschaft und die enge Verbindung von Forschung und Entwicklung auf der einen und Produktionsprozeß auf der anderen Seite haben für die Intelligenz einen Prozeß zur Folge, wie er ähnlich in der Arbeiterklasse bereits seit dem Beginn der Industrialisierung vor sich geht: dem Bedarf an einigen hochqualifizierten Fachkräften steht das Heer von an Universitäten und Fachhochschulen notdürftig ausgebildetem technischem Personal entgegen, das in Versuchs-, Entwicklungs-, Fertigungs-, Instandhaltungs- und Kontrollabteilungen tätig ist.« Wie diese Entwicklung nämlich zusammenhängt mit Konzentration und Rationalisierung (wie sie im Revolutionären Weg 13 beschrieben sind), ist mir unklar.

Soweit meine Anfrage. Gleichzeitig mit ihr möchte ich Dich auf einen Artikel aufmerksam machen: »Auf dem Weg des sozialistischen Wettbewerbs zu höherer Arbeitsproduktivität«, den die »Presse der Sowjetunion« abgedruckt hat und in dem meiner Meinung nach die Analyse des Revolutionären Wegs 7–9, soweit sie die Ausbeutung sowjetischer Arbeiter betrifft, auf neuestem Stand bestätigt wird. Falls es einmal notwendig werden sollte, diese Analyse auf einen neueren Stand zu bringen, wird dieser Artikel sicherlich einen Beitrag dazu leisten können.

In diesem Zusammenhang möchte ich es nicht versäumen, Dir und den anderen Genossen der Redaktion Revolutionärer Weg für Eure geleistete Arbeit, die für uns alle unschätzbaren Wert hat, aufrichtig zu danken.

Mit revolutionären Grüßen
Wolfgang




1.3.75

Lieber Genosse Wolfgang!

Besten Dank für Deinen Brief vom 21. 2. Du schneidest ein Problem an, das für die weitere Politik der KSG wichtig ist.

Zunächst eine Richtigstellung: Bedienung und Instandhaltung automatischer Anlagen erfolgen durch Facharbeiter und zum Teil auch Techniker. Die Konstruktion solcher Anlagen erfolgt durch akademisch ausgebildete Kräfte mit hoher Qualifikation.

Für die Monopolkapitalisten kommt es hauptsächlich darauf an: Für ihren Führungsstab (dazu gehören auch leitende Konstrukteure) brauchen sie akademisch ausgebildete Leute. Diese müssen zunächst eine Hochschul-Grundausbildung haben, alles andere lernen sie in den Abteilungen der Konzernbetriebe. Bis sich einer mal zum Chefkonstrukteur für automatische Anlagen emporgearbeitet hat, muß er zahlreiche Stufen spezieller Entwicklung durchlaufen, um sich immer höher zu qualifizieren und zu spezialisieren. Das kann er nicht auf der Hochschule erlernen. Allein die Planung großer automatischer Anlagen wie Transferstraßen und ähnliches dauert bis zu zwei Jahren. Viele akademisch ausgebildete Kräfte arbeiten an Teilberechnungen beziehungsweise Teilkonstruktionen, ohne den Gesamtkomplex zu kennen.

Von diesem Gesichtspunkt muß die Frage der »gründlichen« Ausbildung auf der Hochschule gesehen werden. Die Monopole sind an einer gründlichen Hochschul-Grundausbildung der Studenten in möglichst kürzester Zeit interessiert. Darum sehe ich das Problem der Regelstudienzeiten und Kurzstudiengänge (vier Jahre Studienbegrenzung) anders. Nicht Drosselung der Qualifikation der Studenten, sondern Drosselung der Zahl der Studienteilnehmer und Absolventen. Mit der raschen Entwicklung der Industrie, besonders durch die wissenschaftlich-technische Revolution, entstand ein gewaltiger Bedarf an akademisch ausgebildeten Kräften. Der Numerus clausus wurde gelockert, ein Strom von Studenten ergoß sich in die Universitäten, die schnell erweitert oder neu gebaut wurden. Die Examen wurden nicht so streng durchgeführt, die Durchfallquote war relativ gering. Das hat sich in den letzten Jahren geändert, der Bedarf an akademisch ausgebildeten Kräften ist geringer geworden, die Zahl der arbeitslosen Akademiker steigt. Folge: Der Numerus clausus wurde eingeengt, und die Durchfallquote bei Examen steigt (zum Beispiel bei den Volkswirten an der Universität Tübingen etwa 60 Prozent).

Durch die Einführung der Kurzstudiengänge soll eine »natürliche« Auslese erfolgen. Wer die Qualifikation hat, in dieser kurzen Zeit das Studienpensum durchzustehen und die Voraussetzung für das Examen zu schaffen, ist der geeignete Mann für die Monopole. Die anderen, deren Qualifikation ausgereicht hätte, den Anschluß in sechs bis acht Jahren zu schaffen, scheiden bei vier Jahren Studienzeit aus, sie fallen der Durchfallmaschine, genannt Examen, zum Opfer. Durch diese »natürlich« erscheinende, aber künstlich erzeugte Auslese holen sich die Monopole ihren geeigneten Nachwuchs.

Dazu kommt noch eins: Die Monopole fürchten, daß politisch linksgerichtete Akademiker als Nachwuchskräfte in die Positionen der Konzernbetriebe einsteigen. Dem sollen die Kurzstudiengänge ebenfalls abhelfen. Studenten, die wohl die Qualifikation für das Durchstehen einer kurzfristigen Studienzeit haben, aber sich aktiv politisch betätigen, vernachlässigen zwangsläufig ihr Studium. Unter den bisherigen langjährigen Studienbedingungen schafften noch viele das Examen, aber unter den Bedingungen der Kurzstudiengänge werden sie es nicht schaffen, ohne politisch inaktiv zu werden. So schlägt das Monopolkapital zwei Fliegen mit einer Klappe: Die Minderqualifizierten und die politisch Aktiven fallen durch oder brechen vorher ihr Studium ab.

In diesem Zusammenhang ist die Losung: »Für eine gründliche Berufsausbildung!« zweideutig, weil sie nichts gegen die Kurzstudiengänge sagt und darum den Plänen der Monopolkapitalisten nichts entgegensetzt, sondern eher förderlich ist. Darum muß der Kampf gegen die Pläne zur Studienverkürzung mit Nachdruck geführt werden. Meines Erachtens sind drei Dinge wichtig:

– Kampf gegen die verschärfte Handhabung des Numerus clausus,

– Kampf gegen alle Pläne zur Verkürzung der Studienzeit,

– Kampf gegen die hohe und willkürliche Durchfallquote. Dieser Kampf um Reformen an der Universität kann aber keine

grundsätzliche Lösung für die Masse der Studenten bringen. Die Existenzunsicherheit nach Examensabschluß wird sich in den nächsten Jahren durch die verschärfte wirtschaftliche und politische Entwicklung in der BRD noch vergrößern. Darum muß allen Studenten, die sich in Abhängigkeit befinden, der einzig mögliche Ausweg aufgezeigt werden. Durch intensive politische Aufklärung müssen sie für den Kampf um den Sozialismus gewonnen werden. Dieser Kampf darf nicht losgelöst von dem Kampf der Arbeiterklasse geführt werden. Es ist darum erforderlich, daß die Schicht der kleinbürgerlichen Studenten stärker auf die Arbeiterklasse orientiert wird, das war bisher ein großer Mangel der politischen Arbeit der KSG.

Ich hoffe, die in Deinem Brief aufgeworfenen Probleme hiermit beantwortet zu haben. Im übrigen danke ich Dir für die Zusendung der sowjetischen Zeitschrift.

Mit revolutionärem Gruß
Willi