RW 36

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50 Jahre Antikommunistische Berufsverbote - der RW 36 gibt Aufschluss über die Hintergründe

Der von Berufsverbot betroffene Wolfgang Serway untersucht die Geschichte der Berufsverbote anlässlich ihres unrühmlichen 50 Jahrestags

Von Wolfgang Serway
50 Jahre Antikommunistische Berufsverbote - der RW 36 gibt Aufschluss über die Hintergründe
Protest gegen Berufsverbote: hier auf dem Heilbronner Ostermarsch 1985, Foto: RF

Vor 50 Jahren am 28.1.1972 beschlossen die Ministerpräsidenten der Bundesländer auf Vorschlag des damaligen Bundeskanzlers Willi Brandt den sogenannten „Radikalenerlass“, der Berufsverbote in breitem Umfang für Sozialisten, Marxisten-Leninisten einführte und eine Welle der reaktionären Gesinnungsschnüffelei bewirkte. Der erste Band der Reihe „Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise“ mit dem Titel „Die Krise der bürgerlichen Ideologie und des Antikommunismus“ ist hervorragend geeignet, die Entwicklung der Berufsverbote, ihre Hintergründe, aber auch die Widersprüchlichkeit der ganzen Entwicklung zu begreifen.

Worin besteht sie:

1. Die Berufsverbote fußen auf dem offen reaktionären Antikommunismus der Adenauer-Regierung, der 1956 zum Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) führte. An der anschließenden Kommunistenjagd waren auch Richter aus dem Faschismus beteiligt, die in den Justizapparat der BRD übernommen worden waren. Von den 1979 noch 16 lebenden Angehörigen des berüchtigten „Volksgerichtshofes“ waren allein vier wieder in der Berliner Justiz zu Amt und Würden gekommen. Das KPD-Urteil gilt bis heute. So führt das Buch aus: Auch 65 Jahre nach dem immer noch gültigen KPD-Verbot wird die MLPD mit Repressionen und Einschränkungen ihrer demokratischen Rechte und Freiheiten überzogen.“ (Seite 68). Dieses zum damaligen Zeitpunkt in Europa einmalige Parteiverbot stieß jedoch in der europäischen Arbeiterbewegung auch auf große Ablehnung, die später mit dazu beitrug, dass auch der Kampf gegen die Berufsverbote international geführt wurde.

2. Das Buch „Die Krise der bürgerlichen Ideologie und des Antikommunismus“ belegt, dass der von Willi Brandt initiierte „Radikalenerlass“, der dann zu 1500 Berufsverboten an Mitglieder linker Organisationen führte, kein Ausrutscher war. Die strikt antikommunistische Ausrichtung der SPD prägte schon den Godesberger Parteitag 1959. Und sie bediente sich einer der antikommunistischen Grundlügen. Der von Marx geprägte und historisch abgeleitete Begriff der „Diktatur des Prolelariats“ wurde durch den von ihm nie verwendeten Begriff der „Diktatur der Partei“ ersetzt. Damit wurde ein undemokratischer Charakter des Sozialismus behauptet und dann mit scheinbar historischen Beweisen belegt, die zunehmend alle Verbrechen des restaurierten Kapitalismus als Belege anführten. Die ersten Berufsverbote wurden im übrigen in SPD-regierten Bundesländern wie Bremen und Hamburg ausgesprochen. In Hamburg schon vor dem Radikalenerlass.

3. Das Buch zeigt auch deutlich, dass der Radikalenerlass aus der Defensive des Antikommunismus entstand. Denn in den 1960er und 1970er Jahren hatte der Sozialismus ein breites Ansehen unter der Jugend gewonnen. Die Ausstrahlung der Großen Proletarischen Kulturrevolution in China, des Befreiungskampfs der indochinesischen Völker führte dazu, dass der Antikommunismus zusehends an Wirkung verlor. Wie das Buch schreibt: „Der Marxismus-Leninismus, die Mao-Zedong-Ideen und auch andere revolutionäre Theorien kamen unter der Jugend regelrecht in Mode.“ (S. 70) Die Berufsverbote waren ein Versuch, dies einzudämmen. Aber das Buch zeigt, dass dies nicht der einzige war. Es dokumentiert und belegt ausführlich, wie mit der philosophischen Richtung der „Frankfurter Schule“ die kleinbürgerliche Studentenbewegung aufs antikommunistische Glatteis geführt wurde. „Die Philosophen der „Frankfurter Schule“ waren ideale Kronzeugen für den „kritischen“ Antikommunismus: attraktiv mit kapitalismuskritischen Positionen versehen bei gleichzeitiger Entstellung der Theorie des Marxismus-Leninismus und Verleumdung des sozialistischen Aufbaus der Sowjetunion zur Zeit Stalins.“ (Seite 73)

Am Ende der kleinbürgerlichen Studentenbewegung wurde die Parole vom „Marsch durch die Institutionen“ geprägt. Eine untaugliche Illusion in Bezug auf die Veränderung des bürgerlichen Staatsapparat, diente sie gleichzeitig mit als Begründung für den Radikalenerlass. Bürgerliche „Marxologen“, die Marx auf einen Ökonomen zurecht stutzten, bekamen hingegen keine Probleme.

4. Mit dem Niedergang der kleinbürgerlich-antiautoritären Studentenbewegung hatten die Große Proletarische Kulturrevolution, der Befreiungskampf des vietnamesischen Volkes und anderer Völker keineswegs ihre Ausstrahlung und Anziehungskraft verloren. Es entstand die „marxistisch-leninistische Bewegung“ („ML-Bewegung), die allerdings auch ein Erbe der kleinbürgerlich-antiautoritäten Studentenbewegung in sich trug. Sie umfasste zeitweise Tausende Oberschüler und Studenten, die teils die erste Welle von selbständigen Streiks - die sogenannten Septemberstreiks - als Aufforderung auffassten, sich als Arbeiterführer zu profilieren und eine marxistisch-leninistische Partei aufzubauen. Ihr kleinbürgerlicher Führungsanspruch scheiterte. Dafür machten sie dann die Prinzipien des Marxismus-Leninismus verantwortlich, die sie weder verstanden noch angewandt, wohl aber als Phrasen vor sich her getragen hatten. Das lieferte dem Antikommunismus zwar Futter, bewahrte aber Mitglieder dieser sogenannten K-Gruppen nicht vor dem Berufsverbot. Lediglich der Kommunistische Arbeiterbund Deutschlands (KABD) konnte erfolgreich eine Partei neuen Typs aufbauen. Auch ein Sieg über den Antikommunismus.

5. 1968 wurde die revisionistische Deutsche Kommunistische Partei gegründet. Das Buch beschreibt den Vorgang wie folgt: Die DKP akzeptierte drei zentrale Auflagen für ihre Legalisierung: Verzicht auf wesentliche marxistisch-leninistische Grundpositionen wie zur Diktatur des Proletariats, Zustimmung zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland als Arbeitsgrundlage der Partei, Ausscheiden führender Repräsentanten der KPD und Ersetzen des Führungspersonals durch neue Gesichter.“ Vor allem die zweite Auflage führte dazu, dass sich manche vom Berufsverbot betroffene DKP-Mitglieder geradezu überboten in der Verteidigung der kapitalistischen Verfassung, der sogenannten Freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Als Inge Dressler und ich nach der Kommunalwahl 1984 in Stuttgart den entsprechenden inquisitorischen Fragebogen von den Behörden erhielten, verfolgten wir die Grundlinie: Verteidigung der im Grundgesetz enthaltenen Grundrechte und Freiheiten, aber Ablehnung des Rechts auf Privateigentum an Produktionsmittel als Grundlage der kapitalistischen Ausbeutung und Umweltzerstörung. Verteidigung der Diktatur des Proletariats als Zielsetzung des Klassenkampfs, die für die Werktätigen breiteste Demokratie bedeutet, ohne die der Sozialismus gar nicht aufgebaut werden kann.

Die unterschiedlichen Positionen hielten uns nicht von der Solidarität mit vom Berufsverbot betroffener DKP-Mitglieder ab, während die DKP uns weitgehend die Solidarität verweigerte. Das hatte auch den Hintergrund, dass Willi Dickhut 1971/1972 in der Reihe „Revolutionärer Weg“ die erste umfassende Analyse über „Die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion“ vorgelegt hatte. Diese fand und findet bis heute weltweite Verbreitung und Anerkennung. Die DKP konnte dem bis heute allerdings nichts entgegen setzen.

Die opportunistische Linie der DKP verhinderte allerdings nicht, dass ein großer Teil der vom Berufsverbot Betroffenen, Mitglieder oder Anhänger der DKP waren. Es ist ein Kennzeichen des Antikommunismus, dass er nicht nur die Mitgliedschaft wirklich revolutionärer Organisationen verfolgt, sondern weit darüber hinaus verfolgt und einschüchtert.

6. Eine beträchtliche Zahl der Funktionäre und Mitglieder der gescheiterten K-Gruppen gingen zu den Grünen und machten dort Karriere. Sie machten marxistisch-leninistische Prinzipien, die sie weder richtig verstanden noch angewandt hatten, für ihr Scheitern verantwortlich. Das Buch führt dies auf Seite 80ff ausführlich am Beispiel des langjährigen Vorsitzenden des Kommunistischen Bunds Westdeutschlands (KBW) Joscha Schmierer aus, widerlegt ausführlich seine Verleumdung des Organisationsprinzips des Demokratischen Zentralismus. Denn scheitern muss nur der, der die dialektische Einheit von Demokratie und Zentralismus auseinander reißt.

Das angeblich so demokratische Gegenmodell der Basisdemokratie wurde jedoch tatsächlich niemals verwirklicht. Kontroverse Diskussionen fanden zwar Widerhall in den Massenmedien, verhinderten aber nicht die Entwicklung von der kleinbürgerlichen Protestbewegung zu einer neuartigen Monopolpartei. Die Selbstkür der beiden damaligen Grünen-Vorsitzenden von Baerbock zur Kanzlerkandidatin und nach der Wahl zur Außenministerin, bzw. von Habeck zum Vizekanzler ist auf diesem Terrain innerparteilicher Demokratie die bisherige Glanzleistung, nur getoppt vom Ampelkoalitionsvertrag.

Ein anderer ehemaliger Funktionär des KBW Winfried Kretschmann macht deutlich, wieweit man es mit opportunistischer antikommunistischer Anpassung bringt, bis zum Posten des Ministerpräsidenten eines Bundeslandes. Selbst kurz von Berufsverbot bedroht, streifte er seine vorher durchaus besonders laut vorgetragene Positionen als „Verirrung in jungen Jahren“ ab. Er machte Karriere bei den Grünen und wurde nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg zum eifrigsten Blockierer einer Rehabilitierung und Entschädigung der Berufsverbotsopfer in Baden-Württemberg. Ein aktueller Artikel der Stuttgarter Zeitung vom 8.1.22 titelt nun: „Kretschmann denkt erstmals an Entschuldigung“. Aber letztlich verteidigt er Berufsverbote mit der Aussage „Manche seien zurecht aus dem Staatsdienst ferngehalten worden...“ Rechtsgerichtete Lehrer oder Neonazis können damit nicht gemeint sein. Denn in Baden-Württemberg - einem Brennpunkt der Berufsverbote – wurde nur ein der NPD zugeordneter Lehrer suspendiert. Alle anderen waren Mitglieder linker Organisationen.

Konnte die Welle der Berufsverbote also die Krise des Antikommunismus stoppen? Sie zerstörten sehr wohl die Lebenspläne Tausender und führte auch zu einer nicht zu unterschätzenden Einschüchterung. Aber letztlich entstand auch eine große Bewegung gegen die Berufsverbote – in Deutschland wie international. Zeitweilig gab es in Ländern wie Frankreich, Belgien, Italien viele Komitees und Demonstrationen gegen die Berufsverbote. Internationale Kongresse wie das Russel-Tribunal, internationale Organisationen wie die ILO (eine Unterorganisation der UN) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilten sie. Die GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) arbeitete selbstkritisch die Tatsache auf, dass in den 1970er Jahren teils Betroffenen die Solidarität verweigert und sie aus Gewerkschaften ausgeschlossen wurden. Zunehmend rückten vor allem SPD-regierte Bundesländer von der Regelanfrage und Berufsverboten ab. Die Gefahr bestand jedoch insbesondere in Bayern und Baden-Württemberg stets weiter. Eine Aufhebung, Rehabilitierung und Entschädigung steht in einer Masse von Fällen eh noch aus. Und mit dem Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung droht mit dem vorgegebenen Kampf gegen jeden Extremismus – Rechts- wie Linksextremismus - durchaus die Gefahr einer neuen Welle.

Je mehr der Antikommunismus zu offener Unterdrückung – sei es in Form der Berufsverbote, sei es in Form der Stasimethoden – greift, umso mehr wird er von den Massen abgelehnt. Sein Einfluss und seine Methoden müssen aber in einem längeren Prozess bewusst als demagogische Verhetzung durchschaut und verarbeitet werden. Dieser Kampf zieht sich auch wie ein roter Faden durch das theoretische Organ der MLPD, den Revolutionären Weg. So konnte der Antikommunismus auch den erfolgreichen Aufbau und die schrittweise Verankerung der MLPD als Partei neuen Typs nicht verhindern. Die MLPD feiert dieses Jahr ihr 40-jähriges Jubiläum. Herzlichen Glückwunsch!

Das Buch ist dabei besonders geeignet, die in und hinter politischen Ereignissen wie den Berufsverboten wirkenden und ablaufenden weltanschaulichen Auseinandersetzungen und Prozesse zu erfassen und damit wiederum auch die politischen Entwicklungen besser zu verstehen. Ich bin schon gespannt auf den nächsten Teil des Buches „Die Krise der bürgerlichen Ideologie und der Opportunismus“.

Wolfgang Serway

Berufsverbotsbetroffener unter anderem wegen Kandidatur für die MLPD bei den Kommunalwahlen 1984 in Stuttgart