Gedicht

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Ändert Rosi Gollmann die Welt?

Mit Blumenketten in den Händen,
Mit selbstgemalten Triumphbögen,
Unter dem Getöse von Trommeln,
Blechtröten und Muscheltrompeten
Wird Rosi Gollmann empfangen.

Das ganze Dorf Damian Nagar ist auf den Beinen,
Jeder will das Kleid der Heilsbringerin berühren,
Viele wollen ihr eine Girlande umhängen,
Manche werfen sich nieder und wollen
ihr die Füße küssen.

Die Menschen sind stolz
Auf ihre von ihnen selbst gebauten weißen Häuser,
In denen sie nun eine menschenwürdige Bleibe
Gefunden haben.

Und da :
Die ersten selbst aufgezogenen Kokospalmen,
Ihre Hoffnung auf ein würdiges Leben
Ohne Hunger, Elend und Not.

Die 250 Dorfbewohner sind Lepra Kranke,
Die wie Millionen andere
Wie räudige Hunde durch Indien gejagt
Vom Betteln auf der Straße lebten.

Sie haben nun auf der Basis einer Spendenaktion
Bei der 120 000 Mark zusammenkamen,
Ihr eigenes Dorf
Aufbauen können.

Wo sie ihre Krankheit in Ruhe ausheilen
Wo ihre Seele wieder zurückkehrt
Wo sie wieder
Mensch sein können.

Jeder wird die Freude dieser Menschen teilen
Niemand würde ihnen
ihr wiedererlangtes Dasein streitig machen wollen.

Gerne gibt man etwas,
Wenn damit wirklich geholfen wird.

Aber wird eine Rosi Gollmann,
Wird das Dorf Damian Nagar nicht auch gebraucht,
Von denen, die das Elend dieser Kranken
Verursacht haben und täglich neu entfachen?

Wird es nicht gebraucht,
Um die Verhältnisse aufrechtzuerhalten,
die 2 Millionen Lepra Kranke hervorbringen
Und die Elenden zu räudigen Hunden machen?

Heilsbringer und Andheri Hilfe
Können einzelnen helfen,
Aber indem sie das tun,
Werden sie zur Rechtfertigung für das Elend.

Dieser Weg ändert nichts an den Verhältnissen,
Er erkennt sie geradezu an.
Er ist nur nötig und möglich,
Weil es diese Verhältnisse gibt.

Internationale Solidarität
muss Hilfe zur Selbsthilfe
im Kampf um die Befreiung
Von den Verhältnissen der
Ausbeutung des Menschen durch den Menschen sein.

Ist Rosi Gollmann dazu bereit?
Es würde sie jedenfalls die Rolle
Der Heilsbringerin kosten,
Die man in Illustrierten feiert.

Weil sie im Namen dieser
Ausbeuterverhältnisse
Etwas tut,
Wenigstens etwas,
Damit das Wichtigste unterbleibt!

Stefan Engel, Mai 1996


(Ein Artikel im "Stern" 23/96 über Rosi Gollmann, die sich für Lepra Kranke einsetzt, war Anlass für das Gedicht.)