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Wasserstoff-Wirtschaft: Zukunftstechnologie oder Etikettenschwindel?

Im Juni beschloss die Bundesregierung eine Nationale Wasserstoffstrategie. Professor Josef Lutz von der Technischen Universität Chemnitz geht darauf ein, was es mit dieser Strategie auf sich hat

Dieser Artikel erschien im Rote Fahne Magazin 17/20

Rote Fahne: Hält die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, was sie verspricht – damit den „Aufbau eines nachhaltigen, globalen Energiesystems“ auf Grundlage erneuerbarer Energien zu fördern?


Josef Lutz: Nein, im Gegenteil. Zunächst zur Energiebilanz der Wasserstofftechnik. Bei Nutzung des Pfads regenerative Energie-Elektrolyse-Wasserstoff-Brennstoffzelle-elektrische Energie ergibt sich bei der heute technisch möglichen Elektrolyse ein Wirkungsgrad von 70 Prozent, bei der Brennstoffzelle von 50 Prozent und damit ein Verbleib von Energie von 35 Prozent. Chemische Weiterverarbeitung von Wasserstoff zu Methan verschlechtert die Wirkungsgradkette weiter. Es bleibt, dass man etwa das Dreifache an regenerativem Strom erzeugen muss, um ihn als elektrische Energie, zum Beispiel zum Antrieb eines Fahrzeugs, wieder verfügbar zu haben.

Sie sprechen von einer neuen Farbenlehre in der Wasserstoffstrategie?


Eigentlich ist Wasserstoff ein farbloses Gas. In der Wasserstoffstrategie wird eine neue Farbpalette eingeführt: Grün, Türkis, Blau, Grau.1 Grüner Wasserstoff ist aus Wasser gewonnen, mittels Elektrolyse mit regenerativem Strom. Türkiser Wasserstoff (Wortschöpfung der BASF) wird durch thermische Spaltung von Methan (Methanpyrolyse) hergestellt. Anstelle von CO2 entsteht dabei neben Wasserstoff fester Kohlenstoff. Das Verfahren ist im Forschungsstadium, es läuft ein BMBF2-Forschungsprojekt unter anderem von BASF und Thyssenkrupp.3


Blauer Wasserstoff wird vor allem aus Erdgas hergestellt, wobei CO2 entsteht. Das CO2 soll abgefangen und unterirdisch gelagert werden (Carbon-Capture-Storage, CCS). Doch bei Entweichen von CO2, das schwerer als Luft ist, kann in größeren Gebieten Leben vernichtet werden. Von der Offenen Akademie wird CCS-Technik als sehr gefährlich bewertet.4


Grauer Wasserstoff wird aus Erdgas gewonnen, das in Wasserstoff und CO2 umgewandelt wird (Dampfreformierung). Bei der Produktion einer Tonne Wasserstoff entstehen rund zehn Tonnen CO2. Das CO2 entweicht in die Atmosphäre. Wasserstoff kommt in der Industrie vielfach zum Einsatz, 96 bis 99 Prozent des in Deutschland produzierten Wasserstoffs sind „grau“. In der Wasserstoffstrategie wird als „CO2-neutraler Wasserstoff“ auch der blaue und türkise Wasserstoff behandelt. Daher ist es ein Etikettenschwindel.

Wer profitiert vor allem von der Wasserstoff-Strategie und welche Rolle spielt der militärische Aspekt?


Zunächst wird von einem Bedarf von 90 bis 110 Terrawattstunden (TWh) ausgegangen, doch die „grüne“ Wasserstoffproduktion in Deutschland soll nur 14 TWh betragen. Als erneuerbare Strommenge sollen 20 TWh5 „spätestens bis 2040“ zugebaut werden. Das ist marginal, und dafür werden Offshore-Windenergieanlagen hervorgehoben. Die Betreiber der Offshore-Windparks sind vor allem die Energiekonzerne, sie haben sich die mehr als doppelte Vergütung gegenüber den Anlagen an Land bei der Regierung absichern lassen. Vor allem aber: Wenn die erneuerbare Energie weiter ausgebremst wird, wird für die Wasserstofftechnik der Bedarf an fossilem Strom zunehmen. Bei Vattenfall lobt man die Strategie als „Meilenstein für mehr Klimaschutz und Innovation“.6 Doch für Umwelt- und Klimaschutz ist die Gesamtbilanz negativ.


Der Löwenanteil der Förderung geht an die Chemie- und Stahlindustrie. Es ist eine Strategie zur Weltdominanz ausgehend von zu schaffender Wasserstofftechnologie. Sie zielt darauf ab, die weltführende Stellung deutscher Chemiekonzerne auszubauen. Dort sollen die Verfahren zur Umwandlung (grün, türkis, blau) erarbeitet und exportiert werden.


Zum einen Gewinnung von Wasserstoff aus „X“, zum anderen Wandlung von Wasserstoff zu X. Das Neuwort PtX bedeutet eine Erweiterung von Power to Gas zu Power to X, wobei mit „X“ auch Methan, Methanol und weitere flüssige organische Verbindungen gemeint sind, die Benzinersatz sein sollen. Und wozu? „Die wasserstoff- und PtX-basierte Mobilität ist für solche Anwendungen eine Alternative, bei denen der direkte Einsatz von Elektrizität nicht sinnvoll oder technisch nicht machbar ist. Dazu gehören auch militärische Anwendungen, bei denen die Interoperabilität zwischen Bündnispartnern gewährleistet sein muss.“7 Mit PtX wird auch das Kriegsflugzeug angeblich ökologisch, und der Panzer – der auch noch aus „grünem Stahl“ (Projekt Thyssenkrupp) produziert werden kann. Wir sehen also, die grünen Ideen sind grenzenlos.

 So notwendig es ist, diese imperialistische Politik abzulehnen, birgt die Wasserstoff-Technologie doch zugleich große fortschrittliche Potenziale. Wie können sie zur Anwendung gebracht werden?


Die Wasserstoff-Technologie ist nicht unbesehen technischer Fortschritt, der unter der Profitwirtschaft degradiert wird. Auch in einer sozialistischen Gesellschaft würde mehr Strom gebraucht, da etwa zwei Drittel der Energie bei der Wandlung verlorengehen. Stromproduktion, auch erneuerbar, ist vielfach mit Eingriffen in die Natur verbunden. Die Energieeffizienz ist ein zentrales Kriterium zur Bewertung einer Technologie.


Es ist heute notwendig, die erneuerbaren Energien massiv auszubauen. Dann muss der heute zu 96 bis 99 Prozent fossile Wasserstoff durch regenerativen ersetzt werden. Dann könnte auch Wasserstoff als Speichermedium für Energie eine gewisse Rolle spielen. Doch der Ausbau erneuerbarer Energie wird durch die Bundesregierung weiter blockiert.

Quellen & Links

1 Was ist eigentlich grüner Wasserstoff? Energiewende direkt 16. 6. 20;

2 Bundesministerium für Bildung und Forschung

3 www.fona.de/de/massnahmen/foerdermassnahmen/wasserstoff-aus-methanpyrolyse.php;

4 www.offene-akademie.org/?p=122;

5 Die Nationale Wasserstoffstrategie, BMWi, Juni 2020;

6 www.pv-magazine.de/2020/06/10/gemischte-reaktionen-auf-nationale-wasserstoffstrategie/

7 Die nationale Wasserstoffstrategie, siehe oben

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