1. Mai Stuttgart
1. Mai Demo in Stuttgart: Bericht und Bildergalerie
Zu diesem 1. Mai mitten in der dritten Pandemiewelle kamen mehrere Tausend Menschen, weit mehr als im letzten Jahr. Es wären wohl noch viel mehr geworden, wenn nicht der bereits plakatierte Demo- und Kundgebungsort des DGB in letzter Sekunde geändert worden wäre.
Dazu erklärte der Stuttgarter DGB-Veranwortliche Philipp Vollrath, dass der ursprünglich geplante Schlossplatz längst genehmigt war, als die Stadt dann genau dort das Corona-Testzelt aufgebaut habe. Dann hätte die Stadt die Mai-Kundgebung auf den Wasen verbannen wollen und erst letzten Dienstag die Genehmigung für den Stadtgarten erteilt. Er konnte diesem Platz aber durchaus was abgewinnen, stünden wir doch hier nahe der Gedenktafel für Lilo Herrmann. Diese ehrt eine Studentin, Kommunistin und Antifaschistin, die mit anderen Kommunisten von den Nazis ermordert wurde.
Ab 9 Uhr war die Aufstellung im Parkgelände „Stadtgarten“ an der Uni, wo bereits die DGB-Bühne aufgebaut war. Um 9:15 begannen wir vom Interbündnis die Auftakt-Musik mit „Bir Mayis“ und „Keiner schiebt uns weg“. Außer den großen Gruppen befreundeter Migrantenverbände waren Vertreter der Iraner, von Courage, der Umweltgewerkschaft,von Solidarität International mit schön gestalteten Schildern da. Auf den Transparenten Forderungen wie: „Für Umweltschutz und Arbeitsplätze/ Umweltgewerkschaft“, „Für Völkerfreundschaft gegen Abschiebung“ (getragen von zwei Flüchtlingen), „Kampf um jeden Arbeitsplatz! Solidarität gewinnt/Interbündnis“ „Für Arbeitereinheit in Ost- und Westdeutschland: 30 Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich/MLPD“
Die Gruppen des „Revolutionären 1. Mai Bündnis“hatten sich an der Seite des Platzes mit einem LKW aufgebaut und riefen in einer eignen kurzen Kundgebung dazu auf, sich dem „frauenkämpferischen und klassenkämpferischen Bereich auf der DGB-Demo“ anzuschließen. Später bogen diese Gruppen zu ihrer eigenen „revolutionären“ 1. Mai-Kundgebung auf dem Karlsplatz vom Demozug ab.
Das Interbündnis mit seinen Fahnen und Transparenten bildete einen eigenen Block mit Lautsprecherwagen, Liedern und offenem Mikrofon. Die Demoroute zog sich einmal um den Innenstadtring hin, für manche ältere Teilnehmer etwas lang.
Die anschließende DGB-Kundgebung war geprägt von den Erfahrungen mit einem Jahr Pandemie, die sich „als Brandbeschleuniger“ für ohnehin vorhandene Missstände ausgewirkt hat: Im Gesundheitswesen, wo endlich eine angemessene Bezahlung und Arbeitsbedingungen, die sich an den Bedürfnissen der Kranken ausrichten statt am Profit der Gesundheitskonzerne durchgesetzt werden muss, der Altenpflege, in den Schulen, wo 10.000 Lehrer fehlen und längst die Forderung umgesetzt gehört hätte, höchstens 20 Kinder in einer Klasse! Auch die unmögliche Miet-Situation, dass inzwischen in Stuttgart viele mehr als 50 % ihres Einkommens in die Miete stecken müssen, weil der Sozialwohnungsbestand viel zu klein ist. Silvia Bühler vom Bundesvorstand von verdi prangerte an, dass Altenpflege zu einem „Geschäft verkommen ist“, die „christlichen“ Verbände Caritas und Diakonie einen besseren Tarif für AltenpflegerInnen verhindert haben, und forderte eine völlig neue Finanzierungs des Gesundheitswesens. Wenn die Reichen in der Pandemie ihr Vermögen um eine ½ Billion Dollar steigern konnten, müsse umverteilt werden. Wir bräuchten eine soziale und ökologische Transformation, die Kollegen der Automobilindustrie müssten solidarisch unterstützt werden (Frage: wobei? In ihrem Kampf um jeden Arbeitsplatz?) Viel mehr Leute müssten sich gewerkschaftlich organisieren und sich für eine solidarische und gerechtere Gesellschaft einsetzen.
Als letzter Redner sprach Björn Schembera von der DGB-Hochschulgruppe über die miserable Lage vieler Studierender und Angestellter an der Uni. Dass 92 % der Stellen im Mittelbau (so nennt man die Beschäftigten der Hochschulen, die keine Professur haben) befristet sind, was eine Familienplanung schwer macht, und kündigte eine Kampagne der DGB-Hochschulgruppe gegen die Befristung dieser Stellen an.
Von Ausbeutung sprach leider niemand auf der DGB-Bühne und auch nicht davon, dass der Kapitalismus generell untauglich ist, die Probleme zu lösen. Gerade weil der DGB den Sozialismus seit Jahrzehnten aus seinem Programm gestrichen hat, muss die revolutionäre Alternative, der Kampf um den echten Sozialismus, gerade hier offensiv vertreten werden, statt sich abzusondern von den Gewerkschaftskollegen.