Stefan Engel und Rainer Jäger
Lehren aus dem sozialistischen Aufbau in der Sowjetunion
Immer mehr Menschen kritisieren das kapitalistische System grundsätzlich und suchen nach einer gesellschaftlichen Alternative. Der Sozialismus gewinnt in dieser Diskussion wieder an Ansehen.
Die „Lehren aus dem sozialistischen Aufbau in der Sowjetunion“ sind ein Angebot an alle, die sich selbst ein Urteil bilden wollen: Sowohl über den Sozialismus in der Sowjetunion als auch über den Verrat am Sozialismus durch entartete Parteibürokraten im weiteren Verlauf ab Mitte der 1950er Jahre. Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) hat seit Beginn ihres Parteiaufbaus Ende der 1960er Jahre diese Erfahrungen kritisch ausgewertet und die Schlussfolgerungen in ihrer Tätigkeit schöpferisch angewendet.
218 Zitate aus 29 Veröffentlichungen der Partei sind in diesem Buch gesammelt. Die sind zwischen 1969 und 2003 erschienen und befassen sich mit dem Sozialismus in der Sowjetunion. Sie wurden unter 23 Themen geordnet und mit kurzen Einleitungen versehen, damit die Leser leichter finden, was sie interessiert.
INHALT
Leseprobe
Der Sozialismus gewinnt wieder an Ansehen. Immer mehr Menschen kritisieren das kapitalistische System grundsätzlich und suchen nach einer gesellschaftlichen Alternative. Insbesondere die Industriearbeiter sehen, wie die Internationalisierung der kapitalistischen Produktion unter dem Diktat des Finanzkapitals zerstörerische Kräfte hervorbringt, die weder durch nationale Regierungen noch internationale Organisationen beherrscht werden können.Auf der anderen Seite erkennen immer mehr Belegschaften internationaler Konzerne, dass sie einem internationalen Industrieproletariat angehören und solidarisch über Ländergrenzen hinweg für ihre gemeinsamen Interessen kämpfen müssen. In solchen Kämpfen erfahren sie, dass sie die modernen Produktions-,Transport- und Kommunikationsmittel in Bewegung setzen – und nicht die Finanz-, Industrie- und Handelsmanager. Die materiellen Möglichkeiten und auch die Kräfte, Wissenschaft und Technik zur Lösung der brennenden Probleme der Menschheit anzuwenden, sind längst vorhanden. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen über eine Welt nachdenken, in der die weltweit produzierten Reichtümer den Arbeitenden zugute kommen und nicht wenigen Spekulanten; in der die großartigen wissenschaftlichen und technischen Fortschritte genutzt werden,Hunger und Not, kriegerische Konflikte und Umweltkatastrophen zum Nutzen aller zu überwinden. Umfragen belegen immer wieder: Eine wachsende Mehrheit der Bundesbürger »hält den Sozialismus für eine gute Idee, die bisher nur schlecht verwirklicht wurde«.
Tatsache ist aber auch, dass verlässliche Kenntnisse über den Sozialismus rar sind: sowohl über die Errungenschaften als auch über die Schwächen und Fehler bisheriger sozialistischer Gesellschaften. Jahrzehnte antikommunistischer Propaganda haben ihre Spuren hinterlassen. Auch auf politisch Interessierte wirken antikommunistische Vorurteile, die in den letzten Jahren wieder verstärkt verbreitet werden. Für bürgerliche Politiker, Geschichtswissenschaftler und Journalisten war Sozialismus schon immer ein Unheil oder gar ein Verbrechen. Die wachsende Zahl verfälschender, verleumderischer Artikel und Bücher, Filme und Dokumentationen über Stalin und den »Stalinismus« soll dem wachsenden Interesse am Sozialismus entgegenwirken. Doch immer mehr Menschen denken über den herrschenden Kapitalismus und Imperialismus hinaus, fragen nach dem Standpunkt und den Motiven der antikommunistischen so genannten »Spezialisten«. Sie wollen den historischen Tatsachen und Zusammenhängen auf den Grund gehen und sich ernsthaft mit dem Sozialismus beschäftigen.
Das ist auch unbedingt erforderlich. Ohne sicheres Wissen über die sozialistische Sowjetunion und über Stalin, der sie drei Jahrzehnte lang entscheidend beeinflusste, lässt sich das neue Interesse am Sozialismus nicht befriedigen. Ohne klare Urteile lässt sich kein neuer Aufschwung des Kampfes für eine sozialistische Zukunft in Gang setzen.
Dabei soll das neue Buch »Lehren aus dem sozialistischen Aufbau in der Sowjetunion« helfen. Es ist ein Angebot an alle, die sich selbst ein Urteil bilden wollen: sowohl über den Sozialismus in der Sowjetunion als auch über die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD). Sie hat diese Erfahrungen kritisch ausgewertet und aus ihnen schöpferische Schlüsse für die heutigen und künftigen ideologischen, politischen und praktischen Auseinandersetzungen gezogen. Weil es viel Zeit erfordert, alles Wichtige in den 29 Veröffentlichungen der Partei nachzulesen, die zwischen 1969 und 2003 erschienen sind und Aussagen zum Sozialismus in der Sowjetunion enthalten, sind 218 Zitate in diesem Buch gesammelt. Sie wurden unter 23 Themen geordnet und mit kurzen Einleitungen versehen, damit die Leser leichter finden können, was sie interessiert.
Warum ist es so schwer, sich ein Bild vom Sozialismus in der Sowjetunion zu machen? Nicht allein die offen antikommunistischen Verleumdungen stehen dem im Weg. Es ist auch längst nicht alles Sozialismus, was als »Sozialismus« ausgegeben wird. Schon vor fast 40 Jahren hat die MLPD nachgewiesen, dass sich seit dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 der Charakter der Sowjetunion gewandelt hat. Aus dem sozialistischen Staat der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten wurde ein Staat, in dem eine neue Bourgeoisie aus führenden Funktionären der Partei, des Staates und der Wirtschaft herrschte. Es ist Demagogie, wenn innen- oder außenpolitische Entwicklungen in der Sowjetunion seit der Restauration des Kapitalismus als Beleg für das angebliche Fortbestehen von Ausbeutung und Unterdrückung im Sozialismus herangezogen werden.Vieles, was seitdem geschah, ist in der Tat zu verurteilen – aber als kapitalistisch oder imperialistisch und nicht als »sozialistisch«!
Das bedeutet keineswegs, dass vorher, in der sozialistischen Sowjetunion, Arbeiter und Bauern bereits wie im Paradies gelebt hätten. Auch zu Zeiten Lenins und Stalins mussten die Werktätigen große Schwierigkeiten meistern und Opfer bringen, um ihr Land aufzubauen und zu verteidigen. Dabei waren Fehler nicht zu vermeiden, selbst schwere Fehler nicht. Es wurden auch Verbrechen von kleinbürgerlichen Bürokraten begangen, die sich in der sozialistischen Gesellschaft infolge bürgerlicher Einflüsse entwickelt hatten. Das hat die MLPD nie verschwiegen, sondern im Gegenteil klar herausgearbeitet und offen kritisiert. In den ausgewählten Zitaten ist das leicht nachzuvollziehen. Wesentlich bleibt aber, dass es Fehler und Probleme auf dem sozialistischen Weg waren. Sie müssen nicht wiederholt werden, wenn ihre Erscheinungsformen und Ursachen erkannt sind.
Gerne verbreitet der moderne Antikommunismus die Vorstellung, der Sozialismus habe scheitern müssen, weil »die Menschen « zu egoistisch wären. Ernsthafte Beschäftigung mit der Geschichte der Sowjetunion verlangt genaueres Hinsehen. In den 1930er Jahren entstand aus Millionen Handwerkern, Bauern,Tagelöhnern, die zehn Jahre früher noch wie im Feudalismus gelebt hatten, eine zunehmend besser ausgebildete und organisierte Arbeiterklasse. Die vom Zarenreich unterdrückten Nationen befreiten sich und nahmen am wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Aufschwung teil. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass die sozialistische Sowjetunion einen von den meisten für undenkbar gehaltenen Wirtschaftsaufschwung zustande brachte. Die Arbeiter und Bauern der Sowjetunion bewältigten riesige Probleme und bauten ihren sozialistischen Staat auf. Das Volk, die Industrie und Landwirtschaft, die Armee dieses Staates erwiesen sich in den 1940er Jahren als stärker als die stärkste und technisch am besten ausgerüstete Armee Europas, die Wehrmacht des faschistischen Deutschlands und seiner Verbündeten. Die sozialistische Sowjetunion unter Führung Stalins wurde die entscheidende Kraft für den Sieg im II.Weltkrieg.
Tatsache ist allerdings auch, dass die Sowjetunion in den 1950er Jahren kleinbürgerlichen und bürgerlichen Einflüssen aus dem Inneren erlag, Angriffen auf den Sozialismus, die von der Führung der Kommunistischen Partei selbst ausgingen. Chruschtschow und die Schicht kleinbürgerlicher Bürokraten, deren Führer er geworden war, verzerrten den Marxismus-Leninismus, um ihre Durchsetzung kapitalistischer Prinzipien zu rechtfertigen. Sie schalteten alle Kommunisten aus, die am Sozialismus festhalten wollten und deshalb dem Revisionismus Widerstand leisteten. Der Sozialismus in der Sowjetunion ist nicht »gescheitert«, sondern – weil es noch nicht genügend Erfahrungen gab – durch einen Staatsstreich, in einer weitgehend »friedlichen Konterrevolution« überwunden worden.
Die MLPD hat diese Erfahrungen ausgewertet, hat analysiert, woher dem Sozialismus die Hauptgefahr droht. In den vier Jahrzehnten seit 1969 entstand Stück für Stück eine immer vollständigere Kritik an der kleinbürgerlich-revisionistischen Denkweise, an Ideologie und Politik des Revisionismus, der Grundlage der Restauration des Kapitalismus in sozialistischen Ländern.Willi Dickhut entwickelte die Lehre von der Denkweise. Sie erklärte zum ersten Mal, weshalb und wie Revolutionäre vom sozialistischen auf den kapitalistischen Weg abdrifteten und auf welche Weise eine solche Entwicklung kontrolliert und verhindert werden kann. Oft lässt sich zuerst an Veränderungen der Lebens- und Arbeitsweise der Funktionäre erkennen, dass ihre proletarische Denkweise von der kleinbürgerlichen Denkweise verdrängt wird: dass sie ein Machtgefühl und einen bürokratischen Arbeitsstil entwickeln, sich von den Massen entfernen und bürgerliche Privilegien beanspruchen.Was Lenin schon in der Sowjetunion forderte, die Kontrolle der leitenden Funktionäre durch die revolutionären Massen und durch eine besondere Zentrale Kontrollkommission, das hat die MLPD zu einem System der Selbstkontrolle der Partei weiterentwickelt.
Diese Schlussfolgerungen sind im Programm und im theoretischen Organ der MLPD nachzulesen und in ihrer erfolgreichen praktischen Verwirklichung nachzuprüfen. Sie geben Mut und Zuversicht, sich für einen neuen Aufschwung des Kampfes um den echten Sozialismus zu engagieren. Nach der nächsten sozialistischen Revolution, die internationalen Charakter haben wird, werden sich die siegreichen Revolutionäre nicht allein gegen die offenen Feinde im In- und Ausland wappnen, sondern von Anfang an mit einem System der Selbstkontrolle der sozialistischen Gesellschaft dafür kämpfen, dass die leitenden Funktionäre in Partei, Staat und Wirtschaft auf dem sozialistischen Weg bleiben. So werden sie verhindern, dass noch einmal der Sozialismus gestürzt wird und eine neue Bourgeoisie Ausbeutung und Unterdrückung wiederherstellt. Sozialismus ist die einzige Alternative zur kapitalistischen Barbarei. Die diesem Buch zu entnehmenden »Lehren aus dem sozialistischen Aufbau in der Sowjetunion« sind Argumente, sich für den Sozialismus einzusetzen und die MLPD zu stärken: die Partei, die diese Lehren erarbeitet hat und in ihrer politischen Praxis in Deutschland anwendet.
Stefan Engel
September 2008
Von 1922 bis 1953 leitete Stalin die Politik der KPdSU(B). Vorher hatte er schon verantwortliche Aufgaben bei der Vorbereitung und Durchführung der Oktoberrevolution und im Bürgerkrieg wahrgenommen. Nach 1922 erarbeitete Stalin auch den wesentlichen Teil der theoretischen Grundlagen, die der Aufbau des Sozialismus in einem Land und die internationale kommunistische Bewegung erforderten. Sein Beitrag zur Weiterentwicklung der Theorie der internationalen Arbeiterbewegung war so bedeutend, dass er zu den Klassikern des Marxismus-Leninismus – Marx, Engels, Lenin, Stalin, Mao Tsetung – zählt.
Alle marxistischen Theoretiker, alle Führer revolutionärer Parteien wurden von Feinden der Arbeiterbewegung verleumdet; das traf Marx, Engels und Lenin und hörte mit Stalin und Mao Tsetung nicht auf. Eine zutreffende Beurteilung erwies sich gerade für fortschrittliche Menschen als besonders schwierig, weil Stalin am heftigsten von Revisionisten angegriffen wurde, die sich selbst »Kommunisten« nannten. Die von Chruschtschows »Geheimrede« auf dem XX. Parteitag der KPdSU ausgehende Hetze gegen Stalins angeblichen »Personenkult« und »Verbrechen« verwirrte viele Revolutionäre und Sympathisanten. Propagandisten des Kalten Kriegs griffen diese die Verleumdungen begierig auf, weiteten sie aus, verallgemeinerten sie. Heute ist Anstrengung nötig, um überhaupt etwas von Stalins historischen Leistungen zu erfahren; die ihm unterschobenen Untaten erschweren eine ernsthafte Auseinandersetzung.
Die MLPD und ihre Vorläuferorganisationen verteidigten stets Stalins Verdienste beim Kampf um die internationale Revolution, beim Aufbau und bei der Verteidigung der sozialistischen Sowjetunion, bei der Weiterentwicklung der marxistisch-leninistischen Theorie. Viele Erfolge der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung gründeten ganz wesentlich auf theoretischen und praktisch-politischen Beiträgen Stalins als Führer der KPdSU(B) und des sowjetischen Staates.
Nicht weniger notwendig war es allerdings, auch Stalins Fehler zu analysieren und aus ihnen ebenso zu lernen wie aus seinen Verdiensten. Das hat die MLPD stets getan und daran arbeitet sie weiter. Die generelle Ablehnung der Leistungen Stalins kann nur zur Ablehnung des Marxismus-Leninismus führen. Das wäre nicht nur ein Verzicht auf wertvollste Erfahrungen beim Aufbau des Sozialismus und bei der Weiterentwicklung der Theorie der Arbeiterklasse, sondern auch Verrat an der proletarischen Revolution.
»Stalin konkretisierte den dialektischen Materialismus und entwickelte ihn weiter, vor allem in seinen Schriften ›Anarchismus oder Sozialismus‹, in dem Sammelwerk ›Fragen des Leninismus‹ und in der ›Geschichte der KPdSU(B) – Kurzer Lehrgang‹, für die er unter anderem das Kapitel ›Über dialektischen und historischen Materialismus‹ schrieb. Die umfassende, aber dennoch kurze und verständliche Einführung in die marxistische Dialektik half Millionen Kommunisten in aller Welt, sich die dialektische Methode anzueignen und sie in der politischen Praxis des eigenen Landes anzuwenden.
Stalin als Klassiker des Marxismus-Leninismus 233 Stalin selber nutzte die materialistische Dialektik zur Lösung der neuen Aufgaben und Probleme, vor die sich die KPdSU nach der Oktoberrevolution gestellt sah. Er konnte sich auf die Lehren von Marx und Engels über die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus im Allgemeinen stützen. Er verteidigte die Lehren Lenins über die Epoche des Imperialismus und der proletarischen Revolution und setzte sie fort. Seine besondere Aufgabe und Leistung bestand in der Anwendung und Weiterentwicklung dieser Lehren auf die unmittelbare Leitung des sozialistischen Aufbaus unter der Bedingung der Einkreisung der Sowjetunion durch imperialistische Mächte.«
Die dialektische Einheit von Theorie und Praxis – Revolutionärer Weg 24, 1988, S. 71
»Wir jedoch stellen sachlich fest: Trotz einiger Fehler auf anderen Gebieten ist Stalin ein Klassiker des Marxismus-Leninismus, der die Weltanschauung des dialektischen und historischen Materialismus weiterentwickelt hat. Keine Verleumdung seitens der modernen Revisionisten und Trotzkisten kann die theoretische Bedeutung Stalins herabsetzen.«
Die dialektische Einheit von Theorie und Praxis – Revolutionärer Weg 24, 1988, S. 98
»Ist Stalin ein Klassiker des Marxismus-Leninismus? Bis zum XX.Parteitag der KPdSU hat kein Kommunist daran gezweifelt. Chruschtschows üble Geheimrede, die uns Kommunisten damals von der KPdSU vorenthalten wurde, war das Startsignal zur Verurteilung Stalins, ideologisch und persönlich … Die Ursache der Verurteilung Stalins ist die revisionistische Entartung der Bürokratie.
Man muß die gesamten Werke Stalins heranziehen, um festzustellen, ob Stalin ein Klassiker des Marxismus-Leninismus ist. Leider wurden die letzten vier Bände nicht mehr ins Deutsche übersetzt (auf russisch gibt es 20 Bände), trotzdem lassen die bisher ins Deutsche übersetzten Werke vom Standpunkt des Marxismus-Leninismus den Schluß zu, daß Stalin ein Klassiker ist. Heißt das nun, daß Stalin keine Fehler gemacht hat? Keineswegs!
Stalin hat Fehler gemacht, und wir haben in verschiedenen Nummern des Revolutionären Wegs bestimmte Fehler kritisiert und das auch nachgewiesen.Aber deshalb bleibt Stalin doch ein Klassiker des Marxismus-Leninismus. In der dialektischen Einheit von Weiterentwicklung des Marxismus und einzelnen ideologischen Fehlern ist bei Stalin die Weiterentwicklung des Marxismus die Hauptseite, und nur Revisionisten werden das nicht akzepieren …
Die spanischen Revisionisten gehen schon so weit, auch Lenin aus den Reihen der Klassiker zu streichen, und das ist nur folgerichtig von ihrem revisionistischen Standpunkt aus. Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Tsetung müssen konsequenterweise von allen Revisionisten als Klassiker abgelehnt werden, auch wenn sie den einen oder anderen aus Opportunitätsgründen oder aus Tarnung noch als Firmenschild benutzen. Das ist die Kernfrage:Wer sich ideologisch auf den revisionistischen Weg begibt, muß auf kurz oder lang in Widerspruch zu der Anerkennung der Klassiker des Marxismus-Leninismus geraten, zuerst mit dem einen, dann mit dem anderen, zuletzt mit allen.
Obwohl Stalin ein Klassiker des Marxismus-Leninismus ist, hat er einen entscheidenden Fehler gemacht: Er hat entgegen der Auffassung Lenins und auch im Gegensatz zu dem, was er selber zum Ausdruck gebracht hatte, nämlich die Massen zum Kampf gegen die Bürokratie zu mobilisieren, darauf verzichtet und statt dessen den Staatssicherheitsdienst gegen die Bürokratie eingesetzt (was zum Teil notwendig war). Dieser Apparat war selber verbürokratisiert … Ich halte die Schilderung Gorbatows [sowjetischer General,Autor des Buchs ›Die geköpfte Armee‹ – die Hrsg.] im großen ganzen für wahrheitsgetreu, und ich habe deshalb darauf hingewiesen, weil er den Bürokratismus des Staatssicherheitsdienstes, ohne die Bedeutung zu verstehen, klar aufgezeigt hat:
- Administrative Maßnahmen und schematische Anwendung
- statt ideologisch-politische Erziehungsarbeit,
- Gleichmacherei, alle über einen Kamm scheren
- statt Differenzierung zwischen aufrichtigen Menschen und Heuchlern, zwischen ehrlichen Revolutionären und verbrecherischen Konterrevolutionären,
- keine Unterscheidung zwischen Widersprüchen im Volk und Widersprüchen zwischen uns und dem Feind,
- Geständnisse durch Einschüchterung am laufenden Band statt offene, ehrliche Selbstkritik durch Überzeugung.
Das alles kommt in Gorbatows Schilderung zum Ausdruck; das ist das Wesentliche, hier kommt der Bürokratismus des Staatssicherheitsdienstes zum Ausdruck, der nicht weniger gefährlich ist als der Bürokratismus in Partei, Staat und Wirtschaft. Damit ist keine Beurteilung Gorbatows gegeben, denn sein Buch und Film konnten nur mit Zustimmung der führenden Revisionisten veröffentlicht werden. Diese wollten damit Stalin treffen.
Damit ist auch noch nichts über die Anwendung der Mittel gesagt, wozu ich nur sagen will, daß gegenüber unbelehrbaren Konterrevolutionären jedes Mittel angebracht ist. Die Konterrevolutionäre sind gegen Revolutionäre nie zimperlich vorgegangen, vielfach sind die grausamsten Mittel noch mit persönlichem Sadismus verbunden gewesen, was ich im Konzentrationslager selber erlebt habe. Und ich kann Dir sagen, daß ich bei Vernehmungen durch die Gestapo nicht nur mißhandelt worden bin, sondern vor der Frage gestanden habe: entweder Aussagen zu machen oder totgeschlagen zu werden, und ich habe trotzdem über Personen die Aussage verweigert. Stellt Euch auch mal die Frage, was Ihr tun würdet. Sollen Revolu- 236 Stalin als Politiker und Theoretiker tionäre, wenn sie die Macht haben, die Konterrevolutionäre mit Samthandschuhen anfassen?
Wenn aber dieselben Mittel, die gegen Konterrevolutionäre angebracht und notwendig sind, auch auf werktätige Menschen angewandt werden, die gewisse Widersprüche haben, die aber Widersprüche im Volk sind, dann ist das ein Verbrechen, dann müssen die zur Verantwortung gezogen werden, die solche Mittel gegen die werktätigen Menschen anwenden. Wurde das etwa nach dem XX. Parteitag getan? Die neue Bürokratie in Partei, Staat und Wirtschaft verwendet denselben Staatssicherheitsdienst für ihre eigenen Zwecke, so wie sie die verbürokratisierte Armeeführung für die Verteidigung des Kapitalismus neuen Typs verwendet.
Stalins Kampf gegen die Bürokratie durch eine andere Bürokratie war sein größter Fehler. Diese Art wurde noch gefördert durch das Verhalten der beschuldigten Bürokraten, besonders der kleinbürgerlichen bürokratischen Intelligenzler, die sich oft drehen und wenden, kriechen und radfahren, um Karriere zu machen, die nach außen den Biedermann spielen, innerlich aber Konterrevolutionäre sind. Es sind verachtungswürdige Burschen, die, um ihre Haut zu retten und ihre Position zu halten, durch sogenannte Geständnisse andere beschuldigen und Unschuldige schädigen. Sie haben durch ihr Verhalten mit dazu beigetragen, daß der Staatssicherheitsdienst nicht ideologisch- politisch, sondern bürokratisch an die Untersuchungen heranging und dabei selber mehr und mehr schematisch-bürokratisch handelte. Das Ergebnis ist, daß trotz Bekämpfung der Bürokratie durch den Staatssicherheitsdienst die Bürokratie den Sozialismus aufgeben und die Restauration des Kapitalismus vornehmen konnte.Auch die Armeeführung hat das nicht verhindert.
Es gibt nur ein Mittel zur Lösung des Problems der Bürokratie: daß die Massen zum Kampf gegen die Bürokratie mobilisiert werden. Das hat Lenin immer wieder gefordert, Stalin wiederholt, aber nicht verwirklicht und Mao Tsetung durch die Große Proletarische Kulturrevolution praktiziert, wobei mehrere Kulturrevolutionen notwendig werden, um endgültig durch proletarische Erziehung über die Bürokratie zu siegen. Es bleibt die Alternative: Sieg der Bürokratie bedeutet Sieg der Konterrevolution! Sieg der Kulturrevolution bedeutet Sieg des Sozialismus!«
Briefwechsel über Fragen der Theorie und Praxis des Parteiaufbaus, 1984, S. 222–225
»Die MLPD anerkennt die großen Leistungen des sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion. Gegen den erbitterten Widerstand der inneren und äußeren Feinde hat Stalin, nach dem frühen Tod des genialen Lenin 1924, die Sowjetunion entschlossen auf den sozialistischen Weg geführt. Ihre Verdienste bei der Zerschlagung des Hitlerfaschismus sind unvergänglich. Die Tragik der sowjetischen Kommunisten und Stalins liegt woanders.
Stalin erkannte nicht die ausschlaggebende Rolle der Denkweise für die Entwicklungsrichtung der sozialistischen Gesellschaft. Dadurch fehlte der KPdSU und den revolutionären Massen eine entscheidende theoretische Waffe im Kampf gegen die entarteten Vertreter der Bürokratie und ihre kleinbürgerliche Linie. So konnten sich diese nach Stalins Tod auf den modernen Revisionismus vereinheitlichen und auf dem XX. Parteitag der KPdSU unter Führung Chruschtschows die Macht ergreifen.«
Der Kampf um die Denkweise in der Arbeiterbewegung – Revolutionärer Weg 26, 1995, S. 104
»In dem Leninartikel können wir Lenins Genie unbedenklich herausstellen. Er war wirklich ein Genie, sowohl in der Erstellung der Theorie wie in der praktischen Durchführung der Revolution. Anders bei Stalin, der in Theorie und Praxis
Fehler gemacht hat. Die Herausstellung Stalins als Person war während des Großen Vaterländischen Kriegs notwendig, um unter seiner Führung alle Kräfte des Volks (einschließlich des religiösen Teils) zu einer einheitlichen Widerstandskraft zusammenzufassen. Die weitere Herausstellung auch nach dem Kriege war nicht erforderlich, ja sogar schädlich, weil sie die Kritik einengte und zum Teil untergrub.«
Briefwechsel über Fragen der Theorie und Praxis des Parteiaufbaus, 1984, S. 82
»Eure Diskussion über die Stalinfrage mit dem Ziel, eine grundsätzliche Klärung herbeizuführen, kann zu keinem Ergebnis führen, weil einfach das dazu notwendige Material fehlt; selbst die Kommunistische Partei Chinas ist nicht in der Lage, gegenwärtig die Stalinfrage restlos zu klären. Erst wenn die Archive der Sowjetunion geöffnet würden, könnte das aufklärende Material verarbeitet werden. Auch der programmatische Aufruf der revolutionären Kommunisten der Sowjetunion, der die Stalinfrage ziemlich ausführlich behandelt, ist nur auf die Verteidigung Stalins gegen die modernen Revisionisten ausgerichtet – und das war notwendig.
Ihr schreibt: ›Wir meinen, daß zur Person Stalins nicht immer hart und konsequent argumentiert wird.‹ Dazu sind wir weder in der Lage (denn eine solche Kritik muß fundiert sein) noch als kleine Gruppe autorisiert. Das kann nur von einer internationalen Kommission gemacht werden, die über alles notwendige Material verfügt.Wir können nur von dem ausgehen, was uns zur Verfügung steht, und das ist geschehen.Wenn wir sagen, die Fehler Stalins waren ›historisch bedingt‹, so bedeutet das keine Abschwächung der Kritik an Stalin, sondern eine Erklärung, soweit sie uns möglich erscheint.
Die Rückständigkeit des Landes, das Übergewicht kleinbürgerlicher Schichten, der verschärfte Klassenkampf gegen die innere und äußere Bourgeoisie mußten notwendigerweise durch die stärkste Zentralisierung der Staatsmacht als Hauptseite der proletarischen Demokratie ausgedrückt werden. So entwickelte sich ›historisch bedingt‹ ein mächtiger Staatssicherheitsdienst. Stalins Fehler war, daß er sich immer mehr auf den Staatssicherheitsdienst verließ.Auch das kam nicht von ungefähr, denn Stalin verfolgte die Hauptträger der kleinbürgerlichen Ideologie im Land, die sich maskierten, ihr Gesicht veränderten, sich der Situation anpaßten, sie bildeten eine Art ›fünfte Kolonne‹. Durch den Staatssicherheitsdienst wurden sie verfolgt, entlarvt und durch die ›Moskauer Prozesse‹ verurteilt. So notwendig das war, damit trat der Staatssicherheitsdienst immer mehr in den Vordergrund, auch im Kampf gegen eine neue Bürokratie, eine mit dem Parteibuch in der Tasche, die durch eine kleinbürgerliche Lebensweise verbunden mit Privilegien entartete. Diese Entwicklung wurde durch die zentralistische Planwirtschaft, durch die eine breite Mitwirkung der Massen verhindert wurde, und durch den Rückgang der Verbreitung der sozialistischen Ideologie in den Massen beschleunigt und vertieft.
Soweit läßt sich die Entwicklung in der Sowjetunion unter Stalin von unserer Warte aus erklären – alles weitere ist Spekulation. Manche Vorgänge können wir als Außenstehende nicht verstehen, ohne daß dadurch eine ›konsequente Weiterführung der Argumentation‹ verhindert wird. Manche Ursachen werden nie aus den Akten ergründet werden …
Ich versuche immer wieder zu ergründen, wieso ganze kommunistische Parteien (bei Einzelpersonen ist das klar) wie zum Beispiel die KPD, der ich vor 50 Jahren beitrat, revisionistisch entarten konnten.Als ich in der Kaderabteilung tätig war, habe ich Tausende Genossen für die verschiedenen Lehrgänge der Parteischulen geprüft, ihre ideologische Entwicklung verfolgt und ihren Einsatz entsprechend ihrem ideologischen Niveau vorgeschlagen. Sie haben doch alle eine bestimmte, wenn auch unterschiedliche Grundlage des Marxismus-Leninismus erhalten und Erfahrungen im Kampf gesammelt.Warum machen sie den revisionistischen Kurs mit? Sie können doch unmöglich in das Wesen des Marxismus-Leninismus eingedrungen sein, sonst müßten sie diese revisionistische Linie verurteilen. Mit der subjektiven Erklärung: ›Es sind alles Verräter!‹ ist das Problem nicht gelöst …
Was die Stalinfrage anbelangt, kann sie heute nicht restlos geklärt werden.Wir haben im Revolutionären Weg 7–9 als einzige Organisation den Versuch einer Analyse der Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion gemacht und, soweit wie es uns möglich war, die Rolle Stalins zu erklären versucht. Euer Verlangen, Stalins Fehler stärker herauszuarbeiten, ›hart und konsequent zu argumentieren‹, ist für uns unmöglich, ohne in Spekulationen zu verfallen. Das ist auch gegenwärtig falsch, weil uns das im Kampf gegen den Revisionismus, die gegenwärtige Hauptgefahr innerhalb der Arbeiterbewegung, nur ablenken würde.
Stellen wir die Verdienste und Fehler Stalins nebeneinander, dann sind die Verdienste primär, seine Fehler sekundär. Wir haben keine Ursache, das umzudrehen, denn das würde Wasser auf die Mühlen der Revisionisten leiten.«
Briefwechsel über Fragen der Theorie und Praxis des Parteiaufbaus, 1984, S. 147–150
»Willi Dickhut bezog auch Stellung zur Stalinfrage:
›Die Revisionisten leugnen oder bagatellisieren die Verdienste Stalins und stellen die Fehler Stalins übermäßig heraus … In den theoretischen Arbeiten Stalins liegen ja gerade seine Verdienste, aber in der Praxis beging Stalin Fehler, die im Widerspruch zu seinen theoretischen Arbeiten standen. Wir müssen die Verdienste Stalins anerkennen, indem wir seine theoretischen Lehren studieren, verbreiten und in unserer täglichen Arbeit verwerten.
Seine Fehler, soweit sie unsere praktische Arbeit nicht berühren (Fehler gegenüber der KP Chinas, Fehler beim faschistischen Überfall auf die Sowjetunion 1941, Fehler in der Angelegenheit Kostoff/Bulgarien, Reyk/Ungarn, Slanski/Tschechoslowakei u. a.), brauchen wir nicht herauszustellen, weil sie unsere Praxis kaum beeinflussen. Anders ist es mit dem Hauptfehler Stalins: die Entwicklung der Bürokratie in der Sowjetunion, vor der Lenin immer gewarnt hat. Unter Stalin wurde das Parteimaximum (begrenztes Einkommen für Parteimitglieder) aufgehoben, wodurch die Bürokratie mit Parteibuch sich besonders entfalten konnte. Als sich die Widersprüche zwischen den Massen und der Bürokratie verschärften und Stalin die Gefahr erkannte, glaubte er die Widersprüche durch Maßnahmen von oben, durch den Staatssicherheitsdienst (der ja auch schon verbürokratisiert war), lösen zu können, anstatt die Massen zu mobilisieren und die Diktatur des Proletariats unmittelbar durch die Arbeiter zu verwirklichen. Statt Lösung der Widersprüche duckte sich zunächst die Bürokratie, um nach Stalins Tod durch Chruschtschow von allen Fesseln befreit zu werden. Die Bürokratie formierte sich nunmehr zur besonderen Klasse, die sich über die Massen stellte und die Restauration des Kapitalismus einleitete. Mit dieser Frage werden wir heute im Kampf gegen den Revisionismus immer wieder angesprochen, und darum ist dieser Fehler Stalins für unsere praktische Arbeit von Bedeutung.
Nicht richtig ist es, wenn die Genossen vom KAB (ML) die Verdienste und Fehler Stalins in Prozentzahlen ausdrücken. Dieser Schematismus ist deshalb falsch, weil die Auswirkung der Verdienste und Fehler Stalins eine Verschiebung erfahren hat. So wirkten sich die Fehler Stalins gegenüber der KP Chinas nicht so stark aus, weil die Partei unter Führung Mao Tsetungs durch zum Teil entgegengesetzte politische und militärische Maßnahmen eine verhängnisvolle Auswirkung der Fehler Stalins verhindert hat. Wie, wenn das nicht der Fall gewesen wäre? Umgekehrt wirkten sich die Fehler Stalins in der Frage der Bürokratie zu Lebzeiten Stalins noch nicht so schlimm aus, haben sich aber unter Chruschtschow verhängnisvoll für den Sozialismus ausgewirkt.
Das kann man überhaupt nicht prozentual werten. Bei der richtigen Lösung der Widersprüche zwischen den Massen und der Bürokratie, wie sie meisterhaft durch die Kulturrevolution in China vollzogen wurde, gäbe es heute noch den Sozialismus in der Sowjetunion, und der Revisionismus hätte sich nicht durchgesetzt. Die Stalinfrage ist meines Erachtens keine Hauptfrage in der MLBewegung. Wir wollen Stalin weder über- noch unterbewerten …‹«
Geschichte der MLPD, I. Teil, 1985, S. 225/226
»Diese Auffassung [von der Einheit der Gegensätze – die Hrsg.] wurde 1956 von Mao Tsetung in einer Rede auf einer Konferenz der Parteikomiteesekretäre der KP Chinas kritisiert:
›Stalin war stark in Metaphysik befangen, und er lehrte viele, sich der Metaphysik hinzugeben. In der Geschichte der KPdSU(B), Kurzer Lehrgang sagt er, daß die marxistische dialektische Methode durch vier Grundzüge charakterisiert wird. In Punkt a) spricht er vom Zusammenhang der Dinge derart, als ob die Dinge, welche sie auch immer seien, ohne jeden Grund miteinander zusammenhingen. Welche Dinge hängen denn eigentlich miteinander zusammen? Die zwei gegensätzlichen Seiten einer Erscheinung. Jedes Phänomen hat zwei Seiten, die in Gegensatz zueinander stehen. In Punkt d) spricht er von den inneren Widersprüchen der Dinge. Dabei behandelt er nur den Kampf der Gegensätze, ohne auf ihre Einheit einzugehen. Dem Grundgesetz der Dialektik zufolge, dem Gesetz der Einheit der Gegensätze, liegen die zwei gegensätzlichen Seiten im Kampf miteinander und bilden zugleich eine Einheit, schließen einander aus und hängen zugleich zusammen, und unter bestimmten Bedingungen verwandeln sie sich ineinander.
Stalins Standpunkt findet sich in dem in der Sowjetunion zusammengestellten Kleinen philosophischen Wörterbuch (vierte Auflage) unter dem Stichwort ›Identität‹. Dort wird ausgeführt: ›Es kann keine Identität geben zwischen Krieg und Frieden, Bourgeoisie und Proletariat, Leben und Tod und anderen derartigen Phänomenen, denn sie stehen in einem grundsätzlichen Gegensatz zueinander und schließen einander aus.‹ Mit anderen Worten, zwischen diesen fundamental entgegengesetzten Erscheinungen existiere keine Identität im Sinne des Marxismus; im Gegenteil, sie schlössen einander aus, hingen nicht miteinander zusammen und könnten nicht unter bestimmten Bedingungen ineinander übergehen. Diese Darstellungsweise ist grundfalsch …
Stalin war unfähig, den Zusammenhang zwischen dem Kampf und der Einheit der Gegensätze zu sehen. Manche Leute in der Sowjetunion sind so metaphysisch und so erstarrt in ihrem Denken, daß sie meinen, ein Ding sei entweder so oder so, und die Einheit der Gegensätze nicht anerkennen. Daher machen sie in der Politik Fehler.‹
(Mao Tsetung,Ausgewählte Werke, Bd.V, S. 415/416)
Diese Kritik Mao Tsetungs ist insofern richtig, als Stalin in seiner Schrift ›Über dialektischen und historischen Materialismus‹ die Frage der Einheit der Gegensätze nicht unmittelbar anspricht,was in diesem Zusammenhang nötig gewesen wäre. Sie ist ebenfalls berechtigt, wenn sie Abweichungen in der Sowjetunion kritisiert, die aber nicht von Stalin selbst getragen oder hingenommen wurden. Die Kritik Mao Tsetungs ist aber unberechtigt, wenn er sie auf Stalin und seine theoretische und praktische Arbeit insgesamt ausdehnt.«
Die dialektische Einheit von Theorie und Praxis – Revolutionärer Weg 24, 1988, S. 83–85
»Daß Stalin den Funksprüchen von Richard Sorge nicht geglaubt bzw. sie nicht beachtet hat,war ein folgenschwerer Fehler, aber nicht der einzige in diesem Zusammenhang. Als im Morgengrauen des 20. Juni 1941 ein deutscher Soldat über den Bug schwamm und den sowjetischen Truppen berichtete, die faschistische Armee würde sie in ein paar Stunden überfallen, wurde die Meldung wohl weitergegeben, aber die Front nicht alarmiert.«
Proletarischer Widerstand gegen Faschismus und Krieg, 1. Teil, 1987, S. 105
»Stalin machte in der Einschätzung des Hitler-Faschismus einen schwerwiegenden Fehler: Er nahm die Nachricht des in Tokio tätigen sowjetischen Kundschafters Richard Sorge nicht ernst, daß die Hitler-Faschisten im Juni 1941 alle Vorbereitungen zum Überfall auf die Sowjetunion getroffen hätten, und ignorierte die Mitteilung Sorges über den genauen Termin des Überfalls. Die faschistische Armee konnte so am 21. Juni 1941 die Sowjetarmee überraschend überfallen und ihr riesige Verluste beibringen.
Stalin mußte in kürzester Zeit die Strategie und Taktik der Kriegführung beherrschen lernen. Er verstand es hervorragend, das Vertrauen der Masse der Werktätigen in die Partei und seine Führung in eine wachsende militärische Kampfkraft umzusetzen. Die Sowjetunion ging – nach anfänglicher militärischer Unterlegenheit – nicht nur als Sieger aus dem II.Weltkrieg hervor, sondern entwickelte sich in dieser Zeit zur zweitstärksten Militärmacht der Welt.«
Die dialektische Einheit von Theorie und Praxis – Revolutionärer Weg 24, 1988, S. 88/89
Wie Lenin war sich auch Stalin der großen Gefahr bewusst, die dem Sozialismus von der Ausbreitung einer kleinbürgerlichen Bürokratie drohte. Waren es zur Zeit Lenins noch vor allem die alten, aus dem Zarismus übernommenen Bürokraten, die für die Mitwirkung beim Aufbau des Sozialismus gewonnen werden mussten, so hatten es Partei, Regierung und Massenorganisationen zur Zeit Stalins immer mehr mit »kommunistischen« Bürokraten zu tun, mit Funktionären, die erst in der sozialistischen Sowjetunion ein Amt übernommen hatten und von denen viele sogar Mitglied der KPdSU(B) waren.
Stalin arbeitete in zahlreichen Reden und Schriften darauf hin, dass alle positiven Erfahrungen des Kampfes der Massen gegen den Bürokratismus verbreitet wurden. Er stellte wiederholt die wichtigsten Erscheinungsformen des Bürokratismus dar und erläuterte seine schädliche Wirkung, propagierte Kritik und Selbstkritik und bewährte Mittel der Kontrolle und des Kampfes. Seiner Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass alle Bürokraten wussten: Solange Stalin die Partei führte, solange mussten sie jederzeit damit rechnen, kontrolliert und kritisiert, bei Verfehlungen auch abgesetzt und bestraft zu werden.
Doch die schwierigen inneren und äußeren Bedingungen in der Sowjetunion erschwerten, dass die Aktionen der Arbeiter und Bauern gegen den Bürokratismus nachhaltige Erfolge erzielten. Deshalb setzte Stalin mit der Zeit immer mehr auf administrative Maßnahmen, um die wachsende Schicht kleinbürgerlicher Bürokraten in Schach zu halten. Streng wurde kontrolliert, ob alle Beschlüsse der Parteiführung auch vollständig durchgeführt wurden; der Staatssicherheitsdienst überprüfte die Vergangenheit der Funktionäre und ihre Beziehungen zu Parteifeinden. Das war notwendig, wenn auch nicht ausreichend. Immerhin verhinderte es bis zu Stalins Tod, dass sich die kleinbürgerlichen Bürokraten zusammenschließen, die Macht in der KPdSU(B) und in der Sowjetunion übernehmen und das Land auf den kapitalistischen Weg führen konnten.
Bei der Verteidigung des Sozialismus erwarb sich Stalin große Verdienste, das gilt ebenso für seinen Kampf gegen Bürokratismus und Revisionismus. Aber als oberster Führer der Partei und des Staates trug er auch Verantwortung für die schwerwiegenden Fehler, die damals passierten. Dass er es versäumte, dem ideologisch-politischen Kampf Vorrang zu geben und den Kampf der Massen gegen die Bürokratie zu organisieren, war historisch bedingt; trotzdem macht es seine entscheidenden Fehler aus.
Mao Tsetung verteidigte Stalin gegen alle Feinde des Sozialismus. Er konnte Lehren aus den Erfahrungen der Sowjetunion ziehen, entwickelte in China den Marxismus-Leninismus weiter und verwirklichte mit der Großen Proletarischen Kulturrevolution eine neue Methode, die Machtergreifung kleinbürgerlicher Bürokraten und ihre Umwandlung in eine neue Bourgeoisie zu verhindern.
»Der von Stalin beschriebene Kampf der Gegensätze setzt sich in Form des Klassenkampfes auch im Sozialismus fort. Die Arbeiterklasse stellt sich die komplizierte Aufgabe, nicht nur die alte Ausbeuterklasse niederzuhalten, sondern auch die Überreste des Kapitalismus (Fortbestand des bürgerlichen Rechts, Trennung von Kopf- und Handarbeit, Fortbestehen von privater Kleinproduktion) und alter, überlebter Ideen von Konkurrenz und Egoismus mehr und mehr einzuschränken, um neuen Ideen und dem sozialistischen Bewußtsein zum Durchbruch zu verhelfen. Als besonders gefährlich sollte sich die Entfaltung des Bürokratismus in der sozialistischen Sowjetunion herausstellen, worauf Stalin immer wieder warnend hinwies. Dieser Bürokratismus äußerte sich 1927 in der Sowjetunion vor allem in folgenden drei Erscheinungen:
- in Vetternwirtschaft, die Fehler des anderen entschuldigen, um selbst nicht kritisiert zu werden;
- im Administrieren, statt zu überzeugen;
- in einem ›ruhig mit dem Strom schwimmen‹, statt zu kämpfen und in die Zukunft zu schauen.
Mit diesen Erscheinungen hatte bereits im Parteiapparat eine Tendenz Einzug gehalten, die das Entwicklungsgesetz der Partei, Kritik und Selbstkritik, in Frage zu stellen begann …
Die weitere Entwicklung in der Sowjetunion hat Stalins Warnung vollauf bestätigt.Aus den ›lackierten Kommunisten‹, wie Stalin die Funktionäre bezeichnete, die Kritik und Selbstkritik ablehnten, entwickelte sich schließlich eine neue Bürokratenklasse. Sie konnte 1956 unter Führung Chruschtschows die Macht an sich reißen. 1927 beklagte Stalin die paradoxe Situa- Stalins Verdienste und Fehler im Kampf gegen den Bürokratismus 249 tion, daß ein Teil der führenden Genossen, der in den wirtschaftlichen, genossenschaftlichen und staatlichen Institutionen gegen den Bürokratismus kämpft, ›mitunter selbst vom Bürokratismus infiziert wird und ihn in die Parteiorganisation hineinträgt‹ (Stalin,Werke, Bd. 10, S. 288).«
Die dialektische Einheit von Theorie und Praxis – Revolutionärer Weg 24, 1988, S. 89/90
»Stalin erkannte nicht, daß der ideologische Kampf gegen die Tendenz zur kleinbürgerlichen Entartung der Bürokratie eine fundamentale Aufgabe des Klassenkampfs im Sozialismus ist. Das geht auch aus seiner 1952 verfaßten Schrift ›Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR‹ hervor,wo er über den Widerspruch zwischen Hand- und Kopfarbeitern schreibt:
›Es ist klar, daß mit der Beseitigung des Kapitalismus und des Systems der Ausbeutung auch der Interessengegensatz zwischen körperlicher und geistiger Arbeit verschwinden mußte. Und er ist in unserer heutigen sozialistischen Ordnung tatsächlich verschwunden. Jetzt sind die körperlich Arbeitenden und das leitende Personal nicht Feinde, sondern Genossen, Freunde, Mitglieder des einheitlichen Produktionshollektivs, die am Gedeihen und an der Verbesserung der Produktion zutiefst interessiert sind. Von der früheren Feindschaft zwischen ihnen ist auch nicht eine Spur übriggeblieben.‹ (Stalin,Werke, Bd.15, S. 317/318, Hervorhebung durch Red. RW)
Bei einer so unkritischen Beurteilung konnten sich die kleinbürgerlichen Bürokraten in Sicherheit wiegen. Der Sozialismus hebt wohl die Ausbeutung der körperlich Arbeitenden durch Vertreter der geistig Arbeitenden auf und damit die ökonomische Grundlage des Antagonismus zwischen ihnen. Aber damit verschwinden keineswegs automatisch die bürgerliche Ideologie und die kleinbürgerliche Denkweise, durch die nicht nur die ›frühere Feindschaft‹ in veränderter Form fortlebt, sondern auch neue Konflikte entstehen.Wird die kleinbürgerliche Denkweise nicht durch die proletarische Denkweise überwunden, so gewinnt die kleinbürgerlich-bürokratische Schicht das ideologisch-politische Übergewicht. Dann verliert der Überbau seinen sozialistischen Charakter.«
Der Kampf um die Denkweise in der Arbeiterbewegung – Revolutionärer Weg 26, 1995, S. 102/103
»Der weitere Inhalt der Kritik [am RW 7 – die Hrsg.] ist zum Teil berechtigt, es hätte ausführlicher die Frage beantwortet werden können,warum der Kampf gegen die Bürokratie keinen Erfolg hatte, aber hier beginnt eine Schwierigkeit, die leider aus unserer Sicht nicht beseitigt werden kann, ohne in Spekulationen zu verfallen. Richtig ist, daß die ideologische Erziehung der Massen in der Sowjetunion vernachlässigt wurde; das wird im Revolutionären Weg 8 an verschiedenen Stellen nachgewiesen. Sozialistisches Bewußtsein und Diktatur des Proletariats gehören zusammen. Der Erfolg der Großen Proletarischen Kulturrevolution war nur möglich, weil die Diktatur des Proletariats durch ideologische Erziehung und Festigung der Volksbefreiungsarmee vorher gesichert wurde. Stellen wir nun folgende Fragen:
- War in der Sowjetunion nicht schon vor dem Staatsstreich Chruschtschows die Diktatur des Proletariats untergraben worden?
- Wurde die ideologische Erziehung nicht nur vernachlässigt, sondern wurde nicht vielmehr schon vor Stalins Tod das sozialistische Bewußtsein der Massen systematisch durch die Bürokratie ausgehöhlt?
- Hat Stalin sich vielleicht deswegen nur auf den Staatssicherheitsapparat verlassen, weil ihm die Massen entglitten waren?
Wir können diese Fragen nicht eindeutig beantworten. Jede Antwort ist Spekulation. Sicher ist nur, daß Mao Tsetung bei der Idee der Großen Proletarischen Kulturrevolution das negative Beispiel der Entartung der Bürokratie zur konterrevolutionären Bourgeoisie vor Augen hatte, was Stalin eben nicht haben konnte. Darin liegt der historisch bedingte Fehler Stalins.Was Stalin aber wußte und was auch von ihm des öfteren ausgesprochen wurde, war die Forderung Lenins, die Massen zum Kampf gegen die Bürokratie einzusetzen. Daß Stalin das nicht tat, sondern nur den Staatssicherheitsdienst einsetzte, war sein subjektiver Fehler. Daraus kann man aber nicht schließen, daß die Entwicklung der Bürokratie zur neuen bürgerlichen Klasse und die Restauration des Kapitalismus unvermeidlich gewesen seien und der Aufbau des Sozialismus in einem Land unmöglich sei. Das wäre eine defätistische Auffassung … Unvermeidlich in jedem sozialistischen Land (auch bei einer ›permanenten‹ Revolution) ist, daß sich die Bürokratie aus der Masse heraushebt und sich über die Massen zu stellen versucht. Diese Tendenz läßt sich durch folgende Maßnahmen bekämpfen:
- Wirkliche Ausübung der Diktatur durch Organe des Proletariats.
- Systematische Hebung des sozialistischen Bewußtseins der Massen durch unermüdliche kommunistische Erziehung.
- Erziehung der Bürokratie durch die Massen, indem jeder nach bestimmter Zeit an der Basis in der Produktion unter den gleichen Bedingungen wie jeder andere Arbeiter auch arbeiten muß.
- Sollte trotzdem die Bürokratie eine Gefahr für den Sozialismus werden, muß eine Kulturrevolution durchgeführt werden.
Die Mängel in der Darlegung der Entwicklung der Bürokratie zur neuen herrschenden Bourgeoisie könnten ohne weiteres behoben werden, wenn wir die oben angeführten drei Fragen einwandfrei beantworten könnten. Dazu reichen unsere Kenntnisse aus der damaligen Zeit nicht aus. Ich war 1928/29 rund acht Monate in der Sowjetunion und war schon damals in einem Betrieb den Machenschaften der Bürokratie erlegen. Doch aufgrund dieser geringen Erfahrung kann ich die Fragen nicht beantworten. Selbst in dem Aufruf der verfolgten Bolschewiken in der Sowjetunion gibt es keinen Hinweis, der auf diese Fragen Antwort gibt. Man kann wohl Vermutungen anstellen, aber die reichen nicht aus, um eine historische Situation einwandfrei zu klären. Das ist späteren Geschichtsschreibern, die über umfangreiches Material, das uns verschlossen ist, verfügen, vorbehalten. Was wir können, ist die Entwicklung in groben Zügen aufzuzeigen, um die Tatsache der Liquidierung des Sozialismus in der Sowjetunion zu erklären. Die Etappen der Liquidierung aufzuzeigen war schon einfacher.«
Briefwechsel über Fragen der Theorie und Praxis des Parteiaufbaus, 1984, S. 37/38
»Mao Tsetung hatte die Gefahr einer Restauration des Kapitalismus in China klar erkannt. Die Bürokratie, die von der kleinbürgerlichen Denkweise beherrscht wird, wird immer danach streben, sich von den Massen zu lösen, sie zu verachten und zu ignorieren. Sie entwickelt sich systematisch zu einer neuen Klasse, die den kapitalistischen Weg geht und die Gefahr der Restauration des Kapitalismus heraufbeschwört. Stalin, der die Diktatur des Proletariats in der Sowjetunion verteidigte, hatte versucht, die Bürokratie von oben, mit Hilfe des Staats- und Parteiapparates, zu bekämpfen. Das mußte scheitern, weil die Bürokratie eben in diesem Apparat bereits fest verwurzelt war.
Die Idee der Großen Proletarischen Kulturrevolution
Mao Tsetung zog aus dem historischen Fehler Stalins die Lehren.Als sich abzeichnete, daß sich auch in China die Bürokratie zu einer kleinbürgerlichen Schicht entwickelt hatte, die wichtige Bereiche, vor allem den Erziehungsbereich, bereits unter ihrer Kontrolle hatte, schuf er die großartige Idee von der Proletarischen Kulturrevolution. Diese Idee war eine hervorragende Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus. Mit Beschluß des Zentralkomitees der KP Chinas vom 8. August 1966 wurde sie in die Tat umgesetzt. ›Die Große Proletarische Kulturrevolution bedeutet:
- die höchste Form des Klassenkampfes in der sozialistischen Gesellschaft,
- die Weckung und sprunghafte Entwicklung des sozialistischen Bewußtseins der Volksmassen mit Hilfe von Kritik und Selbstkritik und durch Studium der Maotsetungideen bei gleichzeitiger konkreter Anwendung in der Praxis,
- die konkrete Form der Anwendung der Diktatur des Proletariats gegen die Bürokratisierung des Partei-, Staats- und Wirtschaftsapparates (gegen die Machthaber, die den kapitalistischen Weg gehen),
- die Errichtung eines ideologisch-politischen Dammes gegen die Gefahr der Restaurierung des Kapitalismus.‹ (Revolutionärer Weg 19, S. 540)
Obwohl keinerlei historische Erfahrungen vorlagen, hatte diese erste proletarische Kulturrevolution in der Geschichte durchschlagenden Erfolg. Liu Shaoqi, Chinas Chruschtschow genannt, wurde zusammen mit seinen revisionistischen Kumpanen vom Sockel gestürzt. Der Sozialismus wurde gerettet und höherentwickelt. Doch damit war die weitere Entwicklung des Sozialismus nicht endgültig abgesichert, die Gesetzmäßigkeiten des Klassenkampfes im Sozialismus wirkten weiter. Deshalb warnte Mao Tsetung davor, in der Wachsamkeit nachzulassen und betonte, daß in der Folge noch mehrere Kulturrevolutionen nötig sein könnten.«
Geschichte der MLPD, II. Teil, 1986, S. 302/303
»Unter Stalin wurde der ideologische Kampf vernachlässigt. Die Folge war, daß sich die kleinbürgerliche Bürokratie nach eigener Art ideologisch zu vereinheitlichen suchte und immer offener in diesem Sinne auftrat.«
Sozialismus am Ende?, 1992, S. 19
»Der notwendige ideologisch-politische Kampf gegen die Träger der kleinbürgerlichen Denkweise wurde vernachlässigt. Das war der erste Hauptfehler der KPdSU unter Führung Stalins. Durch das Nachlassen des ideologisch-politischen Kampfes drang die kleinbürgerliche Denkweise immer tiefer in die Reihen der Partei-, Staats- und Wirtschaftsbürokratie ein und zersetzte die proletarische Denk- und Arbeitsweise. Der Verzicht auf die Mobilisierung der breiten Volksmassen gegen die entarteten Vertreter der Bürokratie war der zweite Hauptfehler Stalins. Statt dessen setzte er den Staatssicherheitsdienst gegen die Bürokratie mit kleinbürgerlicher Denkweise ein, was zur Folge hatte, daß sich die entarteten Bürokraten tarnten und noch gerissener ihre ideologische Wühlarbeit betrieben.
Die kleinbürgerlich-bürokratische Linie wurde zum stärksten Widerspruch im Volk und bekam antagonistischen Charakter. Der sozialistische Aufbau kann aber nur siegen, wenn an Stelle der kleinbürgerlichen Denkweise die proletarische, sozialistische Denkweise vorherrscht. Gewinnt die kleinbürgerlichbürokratische Schicht das ideologisch-politische Übergewicht, bedeutet dies das Ende des Sozialismus.
Solange Stalin noch lebte, hielten sich die Dichter und Ideologen der kleinbürgerlichen Denkweise zurück oder tarnten ihre kleinbürgerlichen Schriften wie zum Beispiel der Romanschriftsteller Ilja Ehrenburg, einer der gerissensten kleinbürgerlichen Ideologen, der selbst Stalin täuschte.«
Sozialismus am Ende?, 1992, S. 22/23
»Gegen die wachsende Gefahr des Bürokratismus im Partei-, Staats- und Wirtschaftsapparat wandten sich Lenin und Stalin in zahlreichen Reden und Aufsätzen. Bereits auf dem X.Parteitag der KPdSU vom 8. bis 16. März 1921 warnte Lenin vor der drohenden Gefahr des kleinbürgerlichen Bürokratismus …
Auch Stalin hatte die Gefahr des wuchernden Bürokratismus erkannt und stemmte sich in Reden und Zeitungsartikeln konsequent dagegen …
Es hat also nicht an Hinweisen und Warnungen der großen Führer der Oktoberrevolution – Lenin und Stalin – gefehlt.Aber der innere kleinbürgerliche Zersetzungsprozeß wurde stärker, und der Klassenkampf in der Sowjetunion verschärfte sich. Unter Stalin wurde der ideologisch-politische Kampf vernachlässigt und auf die Mobilisierung der Arbeiter und armen Bauern verzichtet. Der Einsatz des Staatssicherheitsapparates war kein Ersatz für die Verlagerung des Klassenkampfes in der Sowjetunion von unten nach oben, von den breiten Massen auf den Apparat.
Stalin versicherte, daß die kapitalistischen Elemente in der Sowjetunion liquidiert seien. Das traf im großen Ganzen wohl zu, darin liegt nicht sein Fehler, sondern darin, daß er nicht erkannt hatte, daß sich in den Reihen der Partei eine neue Bourgeoisie verbreitete, eines Typs, den es noch nie gegeben hatte. Diese Bourgeoisie neuen Typs entstand durch die kleinbürgerlich entartete Bürokratie, durch Privilegien, Aufhebung des Parteimaximums, damit Freigabe hoher Gehälter, Förderung des Karrieretums, Unterdrückung ehrlicher Kritik von unten, falsche Machtausübung verbunden mit Übergriffen usw.
Lenin starb im Januar 1924 und Stalin im März 1953, seitdem entwickelte sich der kleinbürgerliche Bürokratismus rapide und erfaßte – was besonders verhängnisvoll war – selbst die Führung der KPdSU.«
Sozialismus am Ende?, 1992, S. 28–31