Die dialektische Methode in der Arbeiterbewegung

Mit dem REVOLUTIONÄREN WEG 6 sollte die Partei auf das selbstständige Denken und Handeln der Mitglieder orientiert werden. Das Thema dieses Buchs war jedoch nicht unumstritten! Führende Genossen des KAB/ML vertraten gegenüber Willi Dickhut, dem Leiter der Redaktion des REVOLUTIONÄRER WEG, zunächst die Meinung, das für die praktische Arbeit der Organisation andere Themen im Vordergrund stehen würden.

Der Revolutionäre Weg 6 legt das Wesen der dialektischen Methode dar, wie sie von Marx und Engels begründet und von Lenin, Stalin und Mao Tsetung weiterentwickelt wurde. Das Buch wendet die dialektische Methode dann auf die Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der BRD, insbesondere auf den Parteiaufbau an. Anschaulich werden in diesem REVOLUTIONÄRER WEG Lenins „Bestimmungen der Dialektik“ behandelt. Besonderen Wert legt der REVOLUTIONÄRER WEG Nr. 6 auf die dialektische Einheit von Theorie und Praxis, sowie die Bestimmung der drei Etappen des proletarischen Klassenkampfs in Deutschland.

Die dialektische Methode in der Arbeiterbewegung

Erschienen: 1971

Am 29. April 1904, wurde Willi Dickhut in Schalksmühle geboren. Er starb am 8. Mai 1992 in Solingen - auf den Tag genau 47 Jahre nach der Befreiung vom Hitler-Faschismus. Willi Dickhut war Arbeiter, Marxist-Leninist, Widerstandskämpfer gegen den Hitler-Faschismus, Mitbegründer und Vordenker der MLPD.

Er hat lange Jahre das theoretische Organ REVOLUTIONÄRER WEG der MLPD geleitet. Sein Lebenswerk umfasst nahezu ein ganzes Jahrhundert Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung in Deutschland. Er hat den Stil der MLPD entscheidend mit geprägt. Ein besonderes Anliegen war ihm, kritisch-selbstkritisch und selbständig denkende und handelnde Kader zu entwickeln, als Damm gegen Dogmatismus, Revisionismus oder gar eine Entartung der Partei.

Leseprobe

Vorwort zur 4. Auflage

7

I. Die idealistische und materialistische Dialektik

1. Die dialektische Methode von Hegel

12

2. Die Dialektik von Marx und Engels

17

3. Lenins »Bestimmung der Dialektik«

28

II. Einige Grundfragen der dialektischen Methode

1. Objektivismus und Subjektivismus

31

2. Die Beziehungen und Entwicklung der Dinge und die Begriffsbestimmung

50

3. Kausalität – Notwendigkeit und Zufälligkeit

57

III. Die konkrete Anwendung der dialektischen Methode

1. Einheit und Kampf der Gegensätze

71

2. Analyse und Synthese

96

Vorwort zur 4. überarbeiteten Auflage

Der REVOLUTIONÄRE WEG 6 »Die dialektische Methode in der Arbeiterbewegung« stellt die Grundlagen der Dialektik in kurzer und konkreter Form dar. Damit eignet er sich gut als Einführung in die im Januar 1988 erschienene Schrift »Die dialektische Einheit von Theorie und Praxis« (REVOLUTIONÄRER WEG 24).

Wir haben uns aus diesen Gründen zur Herausgabe einer vierten, überarbeiteten Auflage des REVOLUTIONÄREN WEGS 6 entschlossen. Im großen und ganzen wurden bei der Überarbeitung keine inhaltlichen Änderungen vorgenommen, wohl aber bei der Gliederung.           

Der Inhalt wurde statt in zwei nunmehr in drei Kapitel aufgeteilt, wobei das III. Kapitel aus den beiden Abschnitten 3. und 4. des früheren Kapitels II zusammengestellt wurde.

Da in der ersten Auflage die Quellenangaben nur ungenügend angegeben waren, ist das in der jetzigen Auflage nachgeholt worden. Dabei wurden Zitate von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Tsetung entsprechend den neuesten Ausgaben der jeweiligen Werke redigiert (zwischen älteren und neueren Ausgaben gibt es Übersetzungsunterschiede).

Zur Auflockerung des Textes wurden zahlreiche Stellen hervorgehoben und Zwischenüberschriften eingefügt. Zur besseren Übersicht wurde der jeweilige Abschnitt mit Kolumnentiteln versehen.

Zentralkomitee der MLPD
März 1988

Die Weltanschauung der Kommunisten ist der dialektische und historische Materialismus. Dieser ermöglicht der marxistisch-leninistischen Partei, auf der Grundlage einer allseitigen Analyse entsprechend der historischen Bedingungen, eine richtige Strategie und Taktik zu entwickeln, konkrete Aufgaben der jeweiligen Situation zu stellen, die Kräfte zu sammeln und entsprechend der Entwicklung des Kampfes richtig einzusetzen.

Der dialektische und historische Materialismus wurde von Marx und Engels begründet und von Lenin, Stalin und Mao Tsetung weiterentwickelt. Engels stellte die grundlegende These von der materiellen Einheit der Welt auf, wies aber gleichzeitig auf die relativen Grenzen unserer Erkenntnis hin, denn was wissen wir zum Beispiel von dem Sein oder Nichtsein eines Lebewesens auf anderen Planeten. Aber die menschliche Erkenntnis wird mit jedem Tag erweitert; durch immer neuere, umwälzendere Forschungen der Wissenschaft wird der Gesichtskreis ständig vergrößert, werden neue Seiten und Zusammenhänge der materiellen Welt aufgedeckt. Die Geschichte der Kulturvölker ist deshalb eine Geschichte des Strebens und Forschens nach der Erkenntnis der Welt. Und trotz aller reaktionären Gegenströmungen der bürgerlichen Philosophie bricht sichtbar die grundlegende Erkenntnis durch: Die Welt ist sich bewegende Materie!

Der Materialismus vor Marx und Engels war nicht konsequent, vielmehr machte er mehr oder weniger »reaktionäre« Konzessionen an den Idealismus. Dieser »alte« Materialismus, vornehmlich der des 18. Jahrhunderts, wies nach Marx und Engels folgende Hauptmängel auf:

1. war er »vorwiegend mechanisch«, die Mechanik war zu einem gewissen Abschluß gekommen. Chemie und Biologie befanden sich im Anfangsstadium und wurden daher unberücksichtigt gelassen (die Theorie der elektrischen Materie war zu der Zeit noch unbekannt), Funktionen pflanzlichen und tierischen Lebens wurden mechanisch und der Mensch zur Maschine erklärt.

2. war dieser Materialismus unhistorisch, unfähig, die »Welt als einen Prozeß« aufzufassen; er war darum undialektisch. Man sah die ewige Bewegung in der Natur als einen Kreislauf an mit gleichbleibenden Ergebnissen. Den Gedanken an eine Entwicklungsgeschichte der anorganischen und organischen Natur anzunehmen, war entsprechend dem damaligen Stand der Naturwissenschaft unmöglich.

3. betrachteten die alten Materialisten auch die Geschichte unhistorisch, indem sie

»... ›das menschliche Wesen‹ als Abstraktum und nicht als ›das Ensemble der‹ (konkret-historisch bestimmten) ›gesellschaftlichen Verhältnisse‹ auffaßte und deshalb die Welt nur ›interpretierte‹, während es darauf ankommt, sie ›zu verändern‹, d. h., daß man die Bedeutung der ›revolutionären, der praktischen Tätigkeit‹ nicht begriff.« (Lenin, Werke, Bd. 21, S. 41)

Somit ist der alte Materialismus (eingerechnet den der heutigen bürgerlichen Wissenschaftler, die ihn in dieser Form vertreten) ein metaphysischer Materialismus. Das bedeutet, daß der dialektische Materialismus die am weitesten entwickelte Form des Materialismus ist. Der dialektische Materialismus ist eine Weltanschauung. Dialektisch ist die Methode der Erforschung der Naturerscheinungen und die Erkenntnis dieser Erscheinungen; materialistisch ist die Deutung, die Auffassung, die Theorie der Erscheinungen. Beide bilden eine untrennbare Einheit. Jeder Versuch, diese Einheit zu trennen, ist Metaphysik. Was bedeuten Dialektik und Metaphysik?

Briefwechsel und Dokumente

Kritik an der Bauernbroschüre

Genossen!

In der Schrift »Arbeiter und Bauern im ganzen Land – kämpfen gemeinsam Hand in Hand« sind Euch zwei schwere Fehler unterlaufen:

1. Seite 10: »Die Anarchie in der landwirtschaftlichen Produktion«, Ende des ersten Abschnitts

Ihr gebt an, daß die EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) mehr Geld für die Lagerung und Vernichtung der Überschüsse ausgibt als für die Jugendhilfe und daß das der Hilfe für die sogenannten Entwicklungsländer entspricht.

Entwicklungshilfe ist keine »Hilfe« für die Entwicklungsländer, sondern eine Investition der Bourgeoisie oder des kapitalistischen Staates, um diese Länder noch stärker ausbeuten zu können.

2. Seite 10: Ende des ersten Abschnitts

»Eingelagerte Fleischkonserven älteren Datums sollen an Entwicklungsländer verschenkt werden«

Die Kapitalisten verschenken nichts! Was bekommen sie dafür? Wer bekommt die Fleischkonserven? Das Volk?

Durch den Satz werden Vorurteile gegen die kolonialen und halbkolonialen Völker geweckt, die bei Bauern leichter auf fruchtbaren Boden fallen können als etwa bei Arbeitern. »Wir werden immer ärmer, und die in Afrika bekommen Güter nachgeworfen.«

Ich halte zumindest den ersten Fehler für so schwerwiegend, daß man ihn öffentlich (in der Roten Fahne) zurücknehmen muß. Ihr könnt ja schreiben, daß das »sogenannte« vor »Hilfe« und nicht vor »Entwicklungshilfe« stehen muß und begründen, wieso sonst die Aussage falsch wäre. Diese Art der Argumentation erscheint mir gerechtfertigt, weil wir, wenn wir offen den Fehler zugeben, in eine peinliche Lage kommen, die bürgerliche Ideologie in einem ganz wesentlichen Punkt korrekt vertreten zu haben.

Rot Front! RJ(ML)/Saar – B.I.

.

8.3.72

Lieber Genosse B. I.!

Dein Brief ohne Datum wurde mir zugeleitet. Mir ist Deine Kritik an einer Formulierung in der Bauernbroschüre unverständlich. Es handelt sich doch um eine Agitationsbroschüre, wo Ausdrücke verwandt werden, die allgemein verständlich sind, um nicht Erläuterungen zu geben, die mit unserem Thema in der Bauernbroschüre nichts zu tun haben. Der Satz auf Seite 8 – »Das entspricht etwa der Summe der Hilfe für die sogenannten Entwicklungsländer« – bezieht sich doch lediglich auf die Summe und nicht auf »Hilfe« und »Entwicklungsländer«. Es wäre in diesem Sinne unsinnig, auf den Inhalt beziehungsweise Arten von Entwicklungshilfe einzugehen, ob staatliche oder private Gelder, lang- oder kurzfristige Kredite, Kredite ohne, zu niedrigen oder zu hohen Zinsen, Kredite oder Lieferungen mit oder ohne politische Bedingungen, Hilfe in Geld oder Sachwerten, günstige oder ungünstige Handelsverträge, Weltmarkteinwirkungen usw., die bei der Behandlung des Themas Entwicklungshilfe eine Rolle spielen würden. Du schreibst: »Die Kapitalisten verschenken nichts!« Das ist grundsätzlich richtig. Es gibt aber auch ein Sprichwort: »Er wirft mit der Wurst nach der Speckseite.« Hierher übertragen heißt das: Es gibt auch Wirtschaftshilfen, die als Geschenke gegeben werden, nicht aus Liebe, sondern von dem Gesichtspunkt eines zukünftigen Einflusses auf das betreffende Land. Die Zeit des offenen Kolonialismus ist vorbei. Die Methoden des Imperialismus haben sich darum geändert; sie sind raffinierter geworden. Der Sozialimperialismus paßt sich diesen Methoden an. Man muß auch die Wirkung echter, aufrichtiger, bedingungsloser Wirtschaftshilfe, die einem Land gewährt wird, auf die anderen Entwicklungländer berücksichtigen. Das Beispiel der Hilfe seitens Chinas (Bau der Eisenbahn in Tansania mit 30jährigem zinslosem Kredit) hat zweifellos auch seine Auswirkungen auf Verträge, die die Entwicklungsländer mit kapitalistischen Staaten oder Firmen abschließen. Außerdem kommt es darauf an, wie die Völker eine Wirtschaftshilfe selber empfinden und beurteilen. Die eine wird als wirkliche Hilfe angesehen (auch wenn sie von kapitalistischen Ländern gegeben wird), ein langfristiger Kredit mit niedrigem Zinssatz und ohne politische Bedingungen, die andere nicht, die mit brutaler Ausbeutung und politischer Bindung an den Imperialismus verbunden ist und die sie als Fessel ihres wirtschaftlichen Aufbaus spüren. Man kann nicht einfach jede kapitalistische Wirtschaftshilfe als »keine« Hilfe bezeichnen, das wäre metaphysisch gedacht. Eine solche Hilfe kann vorübergehend eine Belastung sein, im Endeffekt jedoch ein Vorteil. Du wirst im Revolutionären Weg 8 einen Abschnitt über die »Neue ökonomische Politik« der Sowjetunion unter Lenin lesen, der die Wirtschaftshilfe der ausländischen Kapitalisten an die Sowjetunion behandelt. Um nach dem wirtschaftlichen Ruin durch Krieg und Bürgerkrieg den Sozialismus in der Sowjetunion überhaupt aufbauen zu können, war die Sowjetregierung gezwungen, Wirtschaftshilfe vom kapitalistischen Ausland unter schweren Bedingungen anzunehmen, Bedingungen, die jedenfalls noch belastender waren als die Wirtschaftshilfen an die sogenannten Entwicklungsländer. Lenin sagte offen, daß die Kapitalisten höchste Profite herausgeholt haben. Und trotzdem war es eine echte, wenn auch aus egoistischen Gründen gegebene Wirtschaftshilfe für den Aufbau des Sozialismus, denn ohne sie wäre die Sowjetmacht zugrunde gegangen. Allerdings wurde dafür ein hoher Preis bezahlt. Ich bitte Dich darum, mehr dialektisch an das Problem Wirtschaftshilfe heranzugehen.

Warum »sogenannte« Entwicklungsländer? Weil der Ausdruck

»Entwicklungsländer« nichts über die Struktur der einzelnen Länder aussagt. Die Länder, die unter den allgemeinen Begriff »Entwicklungsländer« fallen, sind in ihrer Struktur und Entwicklung sehr verschieden. Nicht alle ehemaligen Kolonien kann man als Entwicklungsländer bezeichnen. Ich greife als Beispiel nur ein einziges Land heraus:

Als Indien noch unter der Herrschaft des englischen Imperialismus stand, entwickelte sich hier eine bemerkenswerte indische Bourgeoisie, die teils selbständig, teils in Kooperation mit dem englischen Kapital fungierte. Nachdem Indien selbständig wurde, entwickelte sich der indische Kapitalismus zum herrschenden System und in den letzten Jahren sogar mit imperialistischen Zügen. Und doch gilt Indien als »Entwicklungsland«.

Zurück zur Bauernbroschüre. Hier werden lediglich zum Vergleich zwei Summen nebeneinandergestellt, um unser Agrarproblem zu kennzeichnen und nicht das Problem Entwicklungshilfe. Wenn ich trotzdem etwas näher auf das letztere eingegangen bin, dann, um Dich darauf aufmerksam zu machen, daß man eine Frage möglichst von vielen Seiten aus behandeln, das heißt dialektisch an sie herangehen soll. Hast Du den Revolutionären Weg 6 studiert (nicht nur gelesen)? Sieh mal, auch die Sache mit den Fleischkonserven siehst Du zu starr. Du hast doch vorher in der Bauernbroschüre gelesen, daß ungeheuere Mengen Lebensmittel vernichtet werden. Verschenken von Fleischkonserven ist vom Standpunkt der Lagerung aus nur eine andere Art von »Vernichtung« (der Effekt ist derselbe), eine mit »sozialem« Mäntelchen umhüllte. Die staatliche Einlagerung von Fleischkonserven ist nicht nur eine (notwendige) Vorratswirtschaft, sondern auch (wie bei Butter und Getreide) eine Stützungsaktion für die Landwirtschaft (natürlich für die Großen). Von Zeit zu Zeit werden die Konserven, weil sie nur eine bestimmte Haltbarkeit haben, vom Staat mit Schaden abgestoßen. Sie erscheinen dann als »Sonderangebote« in den großen Verkaufsläden (Filialgeschäften). Werden nun Fleischkonserven älteren Datums an die Entwicklungsländer verschenkt, müssen sie dort, weil sie wegen der Tropenhitze nur noch kurze Zeit haltbar sind, sofort ausgegeben werden. Du kannst also beruhigt sein, daß sie tatsächlich das Volk bekommen würde. Die Privilegierten sind darauf nicht angewiesen, die haben erstklassige Waren zur Verfügung.

Auch Deine Schlußfolgerung ist falsch. Den Bauern ist es gleich, was mit den staatlich gelagerten Lebensmitteln geschieht. Ihnen geht es um »gerechte« (dehnbarer Begriff) Erzeugerpreise und geregelten Absatz. Genauso könntest Du argumentieren (und das sogar zutreffender), daß die Arbeiter sagen, den Bauern würden von ihren Lohnsteuerbeträgen Milliarden DM in den Rachen geworfen (für die Großagrarier trifft das zu, aber auch für die Reeder im Schiffsbau und für die Bergwerksbesitzer im Kohlenbergbau). Wir dürfen uns nicht von irgendwelchen berechtigten oder unberechtigten Vorurteilen leiten lassen, sondern müssen eine klare Politik entwickeln. Die Bauernbroschüre enthält, wie Du bemerkt hast, nicht nur vieles konkrete Material für unsere tägliche Agitation, sondern ist auch eine gewisse Analyse der Lage auf dem Land. Die angeführten Gespräche sind echte Gespräche mit Bauern. Eine Kritik wäre an der Aufmachung angebracht, weil eine Agitationsbroschüre aufgelockert mit Blickpunkten und Schlagzeilen sein soll.

Deine Schlußbemerkung ist auch nicht angebracht. Wir übernehmen oft Ausdrücke der bürgerlichen Gesellschaft, ohne dabei die bürgerliche Ideologie zu vertreten, einfach aus dem Grund, sie allgemein bekannt sind. So zum Beispiel das Wort »Sozialprodukt«, obwohl der wissenschaftliche Ausdruck »Nationaleinkommen« ist. Es wird von »Arbeitnehmer« und »Arbeitgeber« in einem Sinne gesprochen, der eigentlich umgekehrt sein müßte. Seit Jahrzehnten bemühen sich die Kommunisten, die richtigen Ausdrücke zu propagieren, ohne dabei durchzudringen, aber was hat das mit bürgerlicher Ideologie zu tun? Umgekehrt wurde vor Jahrzehnten der Name »Indonesien« von den Kommunisten geprägt und von der bürgerlichen Gesellschaft als allgemeingültig angenommen, ohne daß diese die proletarische Ideologie dabei vertreten hätten.

Warum antworte ich Dir ausführlich auf Deinen Brief, obwohl

ich auch wenig Zeit habe?

  1. Begrüße ich es immer, wenn sich Genossen eigene Gedanken machen und nicht einfach etwas hinnehmen, selbst wenn die Gedanken nicht immer den Kern treffen oder sogar falsch sind. Deswegen müssen wir alle offenen Fragen diskutieren.
  2. Möchte ich Dich davor bewahren, starr, dogmatisch, metaphysisch an ein Problem heranzugehen, sondern möglichst allseitig die Bewegung, Veränderung und Entwicklung zu untersuchen.
  3. Bei der beginnenden Schulung über den Revolutionären Weg 6 solltest Du die Fragen der Dialektik gründlich studieren und mit den anderen Genossen diskutieren. Ohne die dialektische Methode verstanden zu haben, können wir keine gute Praxis machen.

Vielleicht schreibst Du mir mal in einigen Wochen, was Du darüber denkst.

Rot Front! Willi

Fragen zur Erlernung der dialektisch-materialistischen Methode

Lieber Willi! 23. 1. 79

Im Revolutionären Weg 15 heißt es: »Das Liquidatorentum Jacobs hat dem KABD eindringlich seine Schwächen vor Augen geführt und deutlich gemacht: Die Kommunisten müssen die dialektisch-materialistische Methode beherrschen lernen, das ist eine vorrangige Aufgabe.« (S. 101)

Seitdem sind über zwei Jahre vergangen, ohne daß bei irgendeiner Leitung (soweit ich das beurteilen kann) Klarheit darüber besteht, wie diese »vorrangige Aufgabe« zu lösen ist. Sicher kann man nicht sagen, daß wir in dieser Hinsicht keinerlei Fortschritte gemacht hätten. Die Schulungen, die Praxis und ihre Aufarbeitung zum Beispiel in der Broschüre »Schluß mit der Froschperspektive«, alles das trägt ohne Zweifel dazu bei, daß wir die dialektisch-materialistische Methode erlernen. Doch kommt mir das alles eher spontan vor beziehungsweise von der Praxis erzwungen, aber nicht als ein bewußter Prozeß. Dabei ist schon der theoretische Stand der Genossen sehr unterschiedlich; so bin ich überzeugt, daß viele den Revolutionären Weg 6 oder Mao Tsetungs »Über den Widerspruch« höchstens mal überflogen haben. Und die Anwendung in der Praxis ist doch überwiegend ziemlich über den Daumen gepeilt. Diese Schwächen zeigen sich dann auch ständig von neuem. Hier nur einige Beispiele:

– Immer wieder treten Fragen und Widersprüche zum Verhältnis von Theorie und Praxis und Agitation und Propaganda auf (siehe zum Beispiel jetzt in Bayern und die Verwirrung, die die ausgesprochen schwache Schrift von Karuscheit/Schröder hervorruft).

– Unklarheiten bei der Behandlung innerparteilicher Widersprüche: Wann wird ein Widerspruch antagonistisch usw.

– Fehler und Schwierigkeiten, die sich bei der Erstellung von Analysen und vor allem Arbeitsplänen zeigen.

– Einseitige Bewertung bestimmter praktischer Erfahrungen. Zum Beispiel tritt in den KSG immer wieder die Frage auf, was man eigentlich von rückschrittlichen Arbeitern lernen soll, wird Resignation immer wieder dadurch hervorgerufen, daß negative Erfahrungen verabsolutiert werden … Natürlich ist klar, daß man die dialektisch-materialistische Methode nicht einfach so lernen kann, wie man zum Beispiel die Handhabung eines Bohrers erlernt. Ganz deutlich wird das bei dem letzten der aufgeführten Punkte. Es sind durchaus nicht unbedingt junge Genossen mit wenig theoretischer und praktischer Erfahrung, die solche Fehler machen. Die richtige dialektischmaterialistische Einstellung zu Arbeitern können wir nur bekommen, wenn wir uns mit den Arbeitern verbinden, also unsere Denkweise verändern. Andererseits verhindert aber wiederum undialektisches und unmaterialistisches Herangehen, daß diese engere Verbindung überhaupt zustandekommt.

Ich überlege mir, ob es nicht zumindest ein Beitrag zur Lösung dieser Widersprüche sein könnte, wenn wenigstens die Leitungen mal eine Schulung zum dialektischen Materialismus durchführen würden. Ich könnte mir das in verschiedenen Schritten vorstellen:

a) Entstehung des dialektischen Materialismus und Aneignung der Grundaussagen

b) Verdeutlichung an verschiedenen Erscheinungen der Geschichte, der Naturwissenschaften usw.

c) Studium einer Untersuchung zum Beispiel von Mao Tsetung, um die Anwendung des dialektischen Materialismus herauszuarbeiten

d) Anwendung des Gelernten zum Beispiel bei der Untersuchung einer Ortsgruppe, bei der Erstellung eines Rechenschaftsberichts oder ähnlichem

Ich würde gern Deine Meinung dazu hören

Mit revolutionären Grüßen
D.

.

Liebe Genossen! 19. 5. 79

Euren Brief vom 23. 1. 79 habe ich am 4. 4. bekommen, und wenn ich ihn erst heute beantworten kann, so hat das seine Gründe. Darum bitte ich um Entschuldigung.

Wir müssen unterscheiden zwischen Theorie und Methode des dialektischen Materialismus. Der Revolutionäre Weg 6 behandelt im wesentlichen die dialektische Methode, soweit sie für die Arbeiterbewegung wichtig ist. Wir müssen die dialektische Methode beherrschen können, um als Partei der Arbeiterklasse den Klassenkampf des Proletariats zu führen. Wir müssen sie meistern, wenn wir die Partei und andere Organisationen des Proletariats leiten wollen. Daß in unseren Organisationen so viele Fehler gemacht werden, beweist, daß die dialektische Methode nicht voll beherrscht, das heißt nicht begriffen wird. Dagegen gibt es keine Rezepte, nur Anleitung. Diese geben uns die Klassiker des Marxismus-Leninismus, vor allem Lenin. Der Revolutionäre Weg 6 bringt auf Seite 23–25 Lenins »Bestimmung der Dialektik«. Als ich diese vor Jahrzehnten zum erstenmal in Händen hatte, habe ich tagelang darüber nachgegrübelt, was die einzelnen Punkte bedeuten und was dahinter steckt. Dann ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Bei allen wichtigen Fragen habe ich sie mir genommen, Fragen, Probleme, Aufgaben, Stellungnahmen, Maßnahmen, kurz, alles womit eine Leitung zu tun hat, mit Hilfe der Bestimmung der Dialektik zu beleuchten, zu untersuchen, zu charakterisieren, zusammenzufassen und dann zu entscheiden. Je gründlicher das gemacht wird, um so zutreffender, das heißt fehlerloser, wird das.

Oder anders ausgedrückt: Wir müssen uns das zweifache Denken angewöhnen. Zuerst in die Tiefe denken, das heißt ein Problem von allen Seiten analysieren, um den Kern zu finden, dann die Beziehungen zu anderen untersuchen, die Widersprüche aufdecken, den Kampf dieser Widersprüche feststellen und die analysierten Teile zusammenfassen.

Dann folgt das zweite Denken, das Perspektivdenken: festlegen, wo wir mit dem Problem hinwollen. Übergang von Quantität in Qualität, das heißt die vorher gewonnenen Erkenntnisse konkret anwenden; nur so gelingt der Sprung zu höherer Erkenntnis, »unendlicher Prozeß der Erschließung neuer Seiten, Beziehungen usw.« (Lenin).

Das sind nur einige Hinweise, aber die dialektische Methode liegt gerade darin, daß jeder Genosse seinen eigenen Kopf gebrauchen muß. Darum, Genossen, gebraucht ihn in ständiger Verbindung und im engsten Sinne der Bestimmung Lenins, und es werden die in Eurem Brief aufgezeigten Mängel verschwinden. Der Vorschlag, eine Schulung der Leitungen über die dialektische Methode durchzuführen, ist sehr gut, und man sollte dabei mit Lenins Bestimmungen der Dialektik beginnen.

Mit revolutionärem Gruß
Willi

Kritik an der Broschüre »Der Schoß ist fruchtbar noch«: Die »Deutschen Führerbriefe«

23. 2. 78

… An zwei Beispielen haben wir den Versuch unternommen, die Quellen zu ermitteln, aus denen die Zitate stammen. Unter Einschaltung eines Historiker-Kollegen an der Pädagogischen Hochschule ist es uns schließlich auch gelungen. Dabei kamen uns hinsichtlich des quellenkritischen Umgangs der Verfasser der vorliegenden Broschüre doch einige Bedenken.

Die Klassenanalyse Seite 12ff. ist verfaßt von Alfred Sohn-Rethel, sie erschien in den »Deutschen Führerbriefen« Nr. 72 und Nr. 73 vom 16. beziehungsweise 20. September 1932, deren Wiederabdruck erfolgte zuerst im Kursbuch 21/1970, Seite 17–23, mit einem Kommentar des Verfassers versehen; sie ist danach veröffentlicht in: Alfred Sohn-Rethel, »Ökonomie und Klassenstruktur des deutschen Faschismus«, Frankfurt/Main 1973, Seite 166ff. (edition suhrkamp 630).

Der Kommentar des Verfassers dieser Klassenanalyse rückt zum einen einige Ungenauigkeiten der KSG-Broschüre zurecht:

– so ist nicht die Klassenanalyse ein Artikel der Privatkorrespondenz des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (S. 12),

– sondern die »Deutschen Führerbriefe« waren eine Privatkorrespondenz (eben keine Pressekorrespondenz),

– aber auch sie waren nicht die Privatkorrespondenz des »Reichsverbands der Deutschen Industrie«,

– sondern für die »führenden Kreise des Finanz- und Industriekapitals … einschließlich ihrer politischen Vertrauensleute: Kabinettsmitglieder, Reichswehrspitzen, führende Großagrarier, die Umgebung Hindenburgs etc.« (Sohn-Rethel, a. a. O., S. 25). (Der Reichsverband der deutschen Industrie als Organisation kann mit den »Deutschen Führerbriefen« nur insofern in Verbindung gebracht werden, als sie in Nachbarschaft von dessen Sitz gedruckt und versandt wurden.)

Politisch bedeutsam ist jedoch die Einschätzung der KSG-Broschüre hinsichtlich der Fähigkeiten der Kapitalisten, eine Klassenanalyse zu erstellen. Es heißt Seite 12: »Das heißt jedoch nicht, daß die Kapitalisten etwa nicht in der Lage wären, eine exakte Klassenanalyse zu erstellen, wenn es darum geht, ihre eigene Zukunft zu sichern«, und als Beleg für diese Einschätzung wird die vorliegende Klassenanalyse herangezogen. Das halten wir nach Kenntnis des Kommentars von Sohn-Rethel für problematisch:

– Aus welchen Überlegungen heraus wird Alfred Sohn-Rethel, der nachweislich der Verfasser dieser Klassenanalyse ist, der Kapitalistenklasse zugerechnet?

– Oder welche Hinweise gibt es dafür, zu vermuten, Sohn-Rethel habe für die Kapitalisten die Klassenanalyse als Auftragsarbeit erstellt?

Sohn-Rethel: »Ich war weit davon entfernt, dem diktaturlüsternen Finanzkapital als sein marxistischer Mephistopheles ein Licht über die geeignete Klassenbasis aufstecken zu wollen« (Kursbuch 21, S. 26). »Der Artikel war von mir einzig zum Zweck dieses Wahlkampfs für die Kommunisten verfaßt worden. Nicht, daß die Kommunistische Partei ihn etwa bestellt hätte. Die Partei wußte weder von der Abfassung noch von dem Verfasser des Artikels etwas. Ich schrieb ihn aus eigener Initiative und schickte, nachdem er in den Führerbriefen erschienen war, ein Exemplar an die Rote Fahne. Mehr bedurfte es zur Zündung der Bombe nicht. Aus didaktischen Gründen nahm ich in dem Artikel den Standpunkt des Großkapitals als Blickwinkel ein …« (a. a. O., S. 33).

»Freilich bleibt noch der zweite Teil der Frage zu beantworten, wie es nämlich gelingen konnte, die politisch doch keineswegs blöde Schriftleitung der ›Führerbriefe‹ zu einer ihr so extrem widersprechenden Funktion zu benutzen. Nun, ich kann nur sagen, daß das auch wirklich unbegreiflich wäre, wenn die schlauen Füchse des Kapitals nicht eben doch sehr dumm wären, wo Erkenntnis und nicht bloß Manipulation zur Frage steht … Jedenfalls war es fast ein rührender Anblick, die Schriftleiter der ›Führerbriefe‹ am Tage nach der kommunistischen Explosion meines Artikels über Exemplare der Roten Fahne gebeugt zu finden, angestrengt bemüht, aus den in den Text eingesprengten Kommentaren zu verstehen, was in dem Artikel eigentlich steckte … Der Kern der großkapitalistischen Macht sieht eben doch anders aus, als viele Zaungäste ihn sich vorstellen. In diesem Kern herrscht bei aller Gerissenheit vollkommene Wirrnis, und nichts kann ihm fremder sein als sein eigener Begriff.« (a. a. O., S. 33f.)

Demnach ist diese Klassenanalyse weder von den Kapitalisten erstellt, noch ist sie Auftragsarbeit eines Marxisten für die Kapitalisten, noch haben die Kapitalisten den politischen Gehalt recht begriffen – wie immer man auch die Einschätzung Sohn-Rethels hinsichtlich seiner Tätigkeit politisch bewerten mag: Die Aussage in der KSG-Broschüre, daß die Kapitalisten in der Lage sind, eine exakte Klassenanalyse zu erstellen, läßt sich mit dem angeführten Textauszug unter Berücksichtigung seiner Entstehungsbedingungen nicht belegen. Allenfalls ließe sich die Behauptung vertreten, daß den Kapitalisten eine exakte Klassenanalyse zur Verfügung gestanden hat. Eine solche Aussage gibt jedoch agitatorisch nichts her, denn mehr oder weniger exakte Klassenanalysen stehen Kapitalisten allemal zur Verfügung, wenn sie kommunistische Publikationen lesen. Ist es dann aber zulässig, aus agitatorischen Gründen die historische Wahrheit ein wenig zu verbiegen? Wir meinen, daß das nicht zulässig ist, und bekämpfen mit Entschiedenheit solcherart Manipulationen bei den Revisionisten, Opportunisten und Sektierern. Wir meinen, daß diese Textpassage in der KSG-Broschüre in einer erneuten Auflage überarbeitet gehört …

Rot Front!

Berufstätige intellektuelle Genossen (BIG)

Ostwestfalen, Ortsleitung (H.)



Liebe Genossen! 28. 3. 78

Die Zentrale Leitung der KSG schickt mir Eure Kritik an einer Stelle der obigen Broschüre zu, die ohne Quellenangabe dem Revolutionären Weg 6 entnommen wurde. Die Kritik ist also in Wirklichkeit gegen die Redaktion des Revolutionären Wegs beziehungsweise den Verantwortlichen gerichtet. Darum werde ich sie hiermit beantworten.

Ich möchte zunächst folgendes geklärt wissen: War Euch der Inhalt des Revolutionären Wegs 6 »Die dialektische Methode in der Arbeiterbewegung« bei Abfassung der Kritik nicht bekannt – was allerdings bedauerlich, aber verständlich wäre –, oder war er Euch doch bekannt und wolltet Ihr auf Umwegen eine Kritik an den Revolutionären Weg beziehungsweise seinen Verantwortlichen richten? Letzteres wäre deshalb von Übel, weil es keine ehrliche offene Kritik, keine dialektische Kritik wäre (siehe Revolutionärer Weg 10). Ich begrüße jede ehrliche, offene Kritik, auch wenn sie nicht den Kern trifft oder sogar falsch ist, denn dann muß man sich damit auseinandersetzen.

Nun zur Sache selbst. Eure Kritik fußt nur auf den Aussagen von Alfred Sohn-Rethel im Kursbuch 21 vom September 1970, und Ihr nehmt sie für bare Münze! Daß es eine verspätete Rechtfertigung seiner Person sein sollte, habt Ihr anscheinend nicht verstanden. Ihr knackt an der Schale herum, ohne den Kern zu erreichen. Schlagt die Schale kaputt und benutzt den Kern, wie wir das im Revolutionären Weg 6 getan haben! Der Kern ist die ausgezeichnete Analyse über die Klassen- und Parteien-Situation Ende 1932! Es ist vollständig gleichgültig, welcher Vertreter oder Agent der Monopolbourgeoisie diese Analyse geschrieben hatte, denn das ist nur die Schale.

Statt von dem Kern auszugehen, geht Ihr von der Schale aus und schreibt: »Der Kommentar des Verfassers (Sohn-Rethel) dieser Klassenanalyse rückt zum einen einige Ungenauigkeiten der KSG-Broschüre (beziehungsweise des Revolutionären Wegs 6) zurecht.« Ihr haltet also die 38 Jahre später dargestellte Rechtfertigung für eine Wahrheit. Abgesehen von einigen Kleinigkeiten, die Sohn-Rethel nachträglich korrigiert, und über die Ihr Euch in der weiter unten von mir angegebenen Quelle näher informieren könnt, schreibt Ihr dann:

»Politisch bedeutsam ist jedoch die Einschätzung der KSG-Broschüre hinsichtlich der Fähigkeiten der Kapitalisten, eine Klassenanalyse zu erstellen … Das halten wir nach Kenntnis des Kommentars von Sohn-Rethel für problematisch.«

Ihr haltet demnach – gestützt auf einen Vertreter des Monopolkapitals – die Organe des Monopolkapitals für unfähig, eine politische Klassenanalyse zu erstellen? Wobei es doch wohl gleichgültig ist, ob ein Konzernherr oder seine bezahlten Beauftragten beziehungsweise Agenten solche Analysen herstellen. Lest Euch doch nur die Jahresberichte des BDI oder der BDA durch oder sonstige für die Monopolkapitalisten bestimmte Informationen, und Ihr werdet eines Besseren belehrt. Auch die bürgerlichen Wissenschaftler haben ohne Kenntnis des dialektischen Materialismus oft hervorragende Forschungsergebnisse erzielt, wobei sie unbewußt die dialektische Methode angewandt haben. Ob es sich nun um wissenschaftliche oder politische Analysen handelt, sie werden dann zutreffen, wenn sie die dialektische Methode – bewußt oder unbewußt – als Grundlage haben.

Ihr stellt die (entschuldigt bitte) naive Frage: »Aus welchen Überlegungen heraus wird Alfred Sohn-Rethel … der Kapitalistenklasse zugerechnet?« Aber Genossen, zu welcher Klasse denn sonst? In »Blätter für deutsche und internationale Politik« 2/1974 wird eine ausführliche Antwort auf Sohn-Rethels Artikel im Kursbuch 21 gegeben und werden auch weitere »Führerbriefe« des Jahres 1932 veröffentlicht. Beschäftigt Euch deshalb mit dem Artikel Seite 154 ff. Hier heißt es über die Entwicklung und Tätigkeit Sohn-Rethels unter anderem:

»Die Autorenschaft Sohn-Rethels bestätigt – angesichts der Position, die Sohn-Rethel damals einnahm – die Einschätzung des ›Führerbrief‹-Artikels als eines Dokumentes aus dem inneren Kreis der Finanzoligarchie. Sohn-Rethel war als wissenschaftlicher Assistent der einzige Mitarbeiter Max Hahns, des Geschäftsführers des MWT (Mitteleuropäischer Wirtschaftstag). Bis zur Übernahme dieser Funktion (und auch danach) war Hahn enger Vertrauter von Max Schlenker, dem einflußreichen Geschäftsführer des mächtigen schwerindustriellen ›Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen‹ (des sogenannten Lang-namvereins) und in Personalunion zugleich auch Geschäftsführer der Nordwestlichen Gruppe des Vereins Deutscher Eisen-und Stahlindustrieller.

Freilich war Sohn-Rethel in ein solches Milieu nicht hineingeboren worden. Er entstammte einer Künstlerfamilie, die sich der Mäzenatenschaft des Ruhrmagnaten Poensgen (Vorsitzer des Vorstands der Vereinigten Stahlwerke – W. D.) erfreute. Durch dessen Vermittlung wurde Sohn-Rethel Sekretär von Max Hahn im Mitteleuropäischen Wirtschaftstag, dessen Vorsitz kein Geringerer innehatte als der Krupp-Schwager Tilo von Wilmowski. Alle Gruppen des Finanzkapitals, die im Weimarer und im faschistischen Deutschland an Expansion und Aggression in Richtung Ost- und Südosteuropa interessiert waren, trafen sich unter dem gemeinsamen Dach des MWT, wo die strategischen und taktischen Pläne für das innen- und außenpolitische Vorgehen und der notwendige Ausgleich divergierender Interessen beraten und gegebenenfalls auch entsprechende Schritte beschlossen wurden. In dieser Kontaktstelle und Führungszentrale, einem echten ›Rat der Götter‹, wirkte Sohn-Rethel von Anfang der 30er Jahre bis zum Jahre 1936 mit. Dann verließ er etwas eilig, aber immerhin mit einem Empfehlungsbrief von Poensgen an den Chefredakteur der ›Times‹ versehen, Deutschland, um auch in England mit Hilfe Monta-gu Normans (damaliger Präsident der Bank von England) bald Zugang zu den höchsten Zirkeln zu erhalten, wie zum Beispiel zum Churchill-Kreis, auf dessen Tagung er hin und wieder die Ergebnisse seiner Sammlung von Informationen über die Entwicklung in Deutschland vortragen durfte. So war es nur natürlich, daß Sohn-Rethel nach dem Ende des II. Weltkrieges seine gründlichen Erfahrungen mit dem MWT im Blatt der britischen Besatzungsmacht in Deutschland veröffentlichte. Danach aber war von ihm, der seinen Wohnsitz weiter in England behielt, in Deutschland nichts mehr zu hören – bis zu jenem ›Kursbuch‹-Artikel aus dem Jahre 1970. Dieser Artikel verschaffte ihm in der BRD den Ruf eines Marxisten; nicht lange nach Erscheinen dieses Artikels erfolgte seine Übersiedlung in die BRD.«

Könnt Ihr danach noch daran zweifeln, daß Sohn-Rethel ein Vertreter oder Agent des Monopolkapitals war? Er war auch kein Marxist, eher ein Trotzkist, aber zweifellos hatte er bestimmte Kenntnisse des Marxismus, und das haben nicht wenige Agenten des Monopolkapitals, ohne den Marxismus in seinem Wesen begriffen zu haben. Auch der Verfassungsschutz bildet Spezialagen-ten aus, die den Marxismus-Leninismus gründlich studieren müssen, ohne wirkliche Marxisten-Leninisten zu sein. Wie könnt Ihr den Rechtfertigungsversuchen eines Agenten des Kapitals auf den Leim gehen?

Rot Front!
Willi



Betrifft: Unsere Kritik an der Broschüre »Der Schoß ist fruchtbar noch« vom 23. 2. 1978
hier: Euer Schreiben vom 28. 3. 1978

Lieber Genosse Willi! 19. 5. 78

wir danken Dir sehr herzlich für Dein klärendes Schreiben und bitten um Dein Verständnis dafür, daß wir es nicht umgehend beantwortet haben. Daraus spricht nicht Gleichgültigkeit oder Nachlässigkeit gegenüber Deiner Kritik, die gemeinsame Klärung einiger der angesprochenen Fragen bei uns im BIG-Kollektiv hat halt doch ein wenig Zeit beansprucht.

Zunächst zu Deiner Eingangsfrage: Tatsächlich hatten wir den Revolutionären Weg 6 nicht gründlich genug studiert, so daß uns beim Lesen der von uns kritisierten Broschüre nicht aufgefallen ist, daß das Zitat (das allerdings auch nicht als solches ausgewiesen ist!) aus dem Revolutionären Weg 6 stammt. Es hat nicht in unserer Absicht gelegen, auf dem Umweg über die Kritik an der KSG-Broschüre eine Kritik an den Revolutionären Weg beziehungsweise seinen Verantwortlichen zu richten. Wir stellen jedoch selbstkritisch fest, daß wir genau diese Praxis betrieben haben, wenn wir in unserer Kritik an die Herausgeber der KSG-Broschüre hinsichtlich ihrer mangelhaften Zitiermethode auf die gleichen Mängel des Revolutionären Wegs verweisen, anstatt uns in dieser Frage direkt an den Verantwortlichen des Revolutionären Wegs zu wenden.

Auslösendes Moment unserer Kritik waren unsere Probleme und Schwierigkeiten im praktischen Umgang mit den Organen und Publikationen des KABD im Rahmen unserer Berufstätigkeit an Schule und Hochschule. Grundsätzlich halten wir es für richtig und für notwendig, die Organe und Publikationen in unsere Berufstätigkeit einzubeziehen, andererseits können wir das aufgrund unserer Berufstätigkeit nicht offen tun, wenn wir nicht unmittelbar mit Berufsverbot belegt werden wollen. In diesem Dilemma suchen wir folgende Lösung:

1. Wir unterstützen durch unser Bemühen um Umerziehung, durch Hausverkauf, Betriebsverkauf, Arbeit unter den Mittelschichten (auch mit den Organen des KABD) und vielseitige materielle Hilfe diejenige Organisation, die die Voraussetzungen schaffen will und kann, das bestehende Gesellschaftssystem zu stürzen und damit auch das bestehende System von Indoktrinierung in Schulen und Hochschulen.

2. In der praktischen Unterstützungstätigkeit und in der Teilnahme am praktischen Kampf um den Aufbau der Partei bemühen wir uns um die Aneignung und Handhabung der dialektischen Methode, um sie auch in Fragen unserer Berufstätigkeit richtig anzuwenden. Das haben wir in unserer Ausbildung nicht gelernt, das muß von uns mühsam mittels kritisch-selbstkritischer Auseinandersetzung mit Fortschritten und Rückschlägen erworben werden.

3. Gerade deshalb greifen wir auch in unserer Berufstätigkeit an Schule und Hochschule begierig zurück auf die Organe und Publikationen des KABD, wo immer es sich thematisch anbietet ...

Wir halten auch fest – und zwar aus den gleichen Gründen – an unserer Kritik hinsichtlich der unzulänglichen Zitiermethode im Revolutionären Weg. Wir meinen, daß unsere Kritik hier noch gewichtiger ist, denn der Revolutionäre Weg ist das theoretische Organ des KABD. Um so unverzichtbarer ist es unserer Auffassung nach, daß alle Kriterien wissenschaftlicher Arbeitsweise erfüllt werden. Zitate und Belege auszuweisen, Einschätzungen, die auf der Grundlage von Fakten beruhen, welche andernorts zusammengetragen sind, durch Fußnoten nachvollziehbar zu machen und die benutzte Literatur im Anhang aufzuführen – das alles sind unseres Erachtens nicht nur formale Kriterien wissenschaftlicher Arbeitsweise: Diese Angaben schaffen mit die Voraussetzung für eine vertiefte Aneignung. In der praktischen Umsetzung des Revolutionären Wegs stellen sich immer wieder zahlreiche Einzelfragen, auf die der Revolutionäre Weg selbst eine konkrete Antwort nicht gibt. Der Hinweis auf die »Blätter …«, in einer Fußnote im Revolutionären Weg 6 gegeben, hätte uns im vorliegenden Fall die Möglichkeit zu einer vertieften Auseinandersetzung gegeben.

Was ist aber die Ursache dafür, daß wir dem Sohn-Rethel auf den Leim gegangen sind? Sichtbar wird an dem Tatbestand unser mangelndes Vertrauen in die Organisation, mit der uns doch immerhin eine gemeinsame Praxis verbindet, wohingegen wir bereit gewesen sind, Sohn-Rethel genau dieses Vertrauen entgegenzubringen. Uns ist damit klar geworden, wie tief das Mißtrauen in die Arbeiterklasse in uns noch verankert ist und wie blind wir der Bourgeoisie Vertrauen entgegenbringen. Wir sehen jetzt um so klarer, wie unumgänglich und fest die Umerziehung angepackt werden muß. Wir sehen die Frage des Vertrauens jedoch auch als ein dialektisches Verhältnis: Jenes Maß an Vertrauen in die Organisation, das wir durch die praktische Tätigkeit der Organisation und in unserer praktischen Tätigkeit mit der Organisation gewonnen haben, sollte durch ihr theoretisches Schrifttum auch in der von uns angesprochenen Frage gefestigt werden.

Rot Front!

BIG – Ostwestfalen

Ortsleitung (H.)

Theorie und Praxis

Sehr geehrter Herr Dickhut! 16. 7. 74

Ich habe gerade den Revolutionären Weg 6/71 gelesen über »Die dialektische Methode in der Arbeiterbewegung«. Ich wende mich an Sie, da Sie als Verantwortlicher gezeichnet haben und ich annehme, daß Sie der Verfasser der, meiner Meinung nach, sehr guten Broschüre sind.

Zwar bin ich Mitglied im Kommunistischen Bund Westdeutschland, doch das kann mich nicht hindern, Ihnen einige Fragen zu stellen, die mir unklar sind. Im Gegenteil, ich möchte behaupten, das spricht für die Erziehung durch meine Organisation. Doch Schluß jetzt mit dem »Organisationsstreit«!

Bei meiner Tätigkeit als Briefträgerin arbeite ich mit einem Kollegen zusammen (auch politisch), der sehr begeistert ist von der obengenannten Broschüre und sie mir gleich geschenkt hat, wahrscheinlich, um mich für den KABD zu gewinnen, mit dem er schon lange sympathisiert. Diese Broschüre hat ihn sehr beeindruckt, und sie wirkt sich auch schon auf seine Praxis aus. Doch leider, was bestimmt nicht die Absicht der Broschüre war, meint er nun, man könne nichts machen, weitheoretisches-organ-revolutionaerer-wegl die Arbeiterklasse noch keinen Kampfwillen hat.

Er führt dann immer einige Beispiele aus dem Buch an. Ich muß für mich sagen, und ich kenne diesen jungen Genossen schon länger, daß sie im Grunde, so gut die Broschüre auch sein mag, für ihn schädlich war, da er jetzt des öfteren unbewußt als »Hemmschuh« bei »Planungen« auftritt. Ich finde, und das möchte ich ausdrücklich betonen, nicht Ihre Broschüre schädlich für die kommunistische Bewegung, im Gegenteil, doch ich meine, die Auswirkungen auf junge unerfahrene Genossen sind nicht in Ihrem Interesse, denn sie führen zu Resignation.

Mich interessiert nun folgendes, und ich bitte Sie, mir bald auf meine Anfrage zu antworten, was war der Zweck Ihrer Broschüre?

Bitte antworten Sie mir bald, da es wichtig für den Einfluß der Kommunisten im Postamt ist. Und mir in diesem Falle die Praxis so wichtig ist, daß ich nicht auf eine theoretische Abhandlung im Revolutionären Weg warten kann, so wichtig sie auch sein mag.

Mit kommunistischem Gruß
St.

Liebe Genossin St.! 19. 7. 74

Erhielt heute mit bestem Dank Ihren Brief und will ihn gleich beantworten, obwohl ich sehr wenig Zeit habe.

»Was ist der Zweck der Broschüre?«

Da die Weltanschauung der Kommunisten der dialektische und historische Materialismus ist, kann niemand ein wirklicher Kommunist sein, der nicht von dieser Weltanschauung durchdrungen ist, sie beherrscht und verbreitet. Wer von dieser Weltanschauung abweicht, sie verwischt, entstellt oder sogar ins Gegenteil verdreht, der ist ein Revisionist. Wer sie als starres Dogma betrachtet, sie nicht den neuen Bedingungen in der Entwicklung der Gesellschaft entsprechend schöpferisch anwendet und weiterentwickelt, ist ein Dogmatiker. Das ist kurz gesagt die Bedeutung der Theorie des Marxismus-Leninismus.

Die dialektische Methode betrachtet die Bewegungen in Natur und Gesellschaft als Prozesse und nicht als fertige Dinge und Erscheinungen, die ein für allemal gegeben wären, starr, ohne Bewegung und Entwicklung. Die dialektische Analyse untersucht möglichst alle Seiten und Zusammenhänge einer Erscheinung, besonders die in der menschlichen Gesellschaft, die voller Widersprüche steckt und sich in ständiger Bewegung befindet. Wer Kommunist werden will, muß sich die dialektische Methode gründlich aneignen und sie ständig anwenden, denn nur so kann eine richtige kommunistische Praxis durchgeführt werden. Eine Praxis ohne Anwendung der dialektischen Methode ist blind, denn sie ist von der Theorie losgelöst.

Nur die dialektische Methode ermöglicht die Herstellung einer dialektischen Einheit von Theorie und Praxis. Gewiß kann ein Arbeiter auch ohne sie klassenmäßig richtig handeln (auch ein blindes Huhn findet ein Korn), das heißt, er handelt instinktiv klassenmäßig richtig, aber dieses spontane Handeln ist weder strategisch noch taktisch richtig ausgerichtet. Nur die dialektische Methode ermöglicht eine klare Ausrichtung auf die Notwendigkeiten der Praxis, vermeidet Fehler und befähigt zur Führung in der Arbeiterbewegung. Wenn dennoch Fehler gemacht werden, dann deshalb, weil die dialektische Methode nicht allseitig und bis in die Tiefe angewandt wurde. Darum ist die dialektische Methode die Grundlage einer richtigen kommunistischen Praxis.

Quintessenz:
Marxist-Leninist ist, wer die Weltanschauung des dialektischen und historischen Materialismus anerkennt!

Marxist-Leninist ist, wer in der Praxis die dialektische Methode zu meistern versteht!
Kommunist ist, wer sich bemüht, beides anzueignen und anzuwenden!

Ich schicke Ihnen die letzten Nummern des Revolutionären Wegs 11 und 12. Da ich Rentner bin und selbst mein eigenes Exemplar bezahle, bitte ich Sie, mir den Betrag von 5,00 DM in Briefmarken zu übermitteln. Sie werden beim Studium der Betriebs- und Gewerkschaftsfragen die dialektische Methode in der Behandlung der Probleme besser verstehen. Es ist hier auch eine Kritik an den »Leitsätzen der Arbeit in den Gewerkschaften« des Kommunistischen Bunds Westdeutschland und an W. Maiers Thesen enthalten. Kurz nach Erscheinen des Revolutionären Wegs 11 und 12 hat J. Schmierer in der »Kommunistischen Volkszeitung« und in »Kommunismus und Klassenkampf« W. Maier politisch angegriffen und ihn als Rechtsopportunisten bezeichnet.

Die im Revolutionären Weg 11 und 12 enthaltenen Lehren sind nicht nur durch theoretische Erkenntnisse zustande gekommen, sondern fußen auf jahrzehntelanger Betriebs- und Gewerkschaftspraxis. Wenn Ihr Kollege aus dem Revolutionären Weg 6 die Schlußfolgerung gezogen hat, man könne heute nichts machen, dann hat er leider die dialektische Methode noch nicht verstanden, denn sie sollte gerade das Umgekehrte erreichen und die Praxis besser gestalten. Ich empfehle ihm, er soll den Dingen noch mehr auf den Grund gehen, dazu können die anderen Nummern des Revolutionären Wegs beitragen. Jede einzelne Nummer enthält ein bestimmtes Thema, aber alle zusammen bedeuten ein ganzesSystem, das heißt, sie sind nicht voneinander zu trennen. Die einzelnen Nummern haben folgende Bedeutung:

RW l und 2 setzen sich mit dem Revisionismus auseinander, um die Notwendigkeit der Schaffung einer revolutionären Partei zu begründen.

RW 3 setzt sich mit dem kleinbürgerlichen Revolutionarismus der Studenten auseinander, die im Begriff waren, die junge marxistisch-leninistische Bewegung zu überwuchern.

RW 4 und 5 behandeln die ersten zwei Spaltungen und die ultralinke Linie der KPD/ML (»Roter Morgen«) und KPD/ML (»Rote Fahne«), die ich persönlich erlebt habe.

RW 6 Den ganzen Verwirrungen mußte die dialektische Methode entgegengesetzt werden.

RW 7–9 setzen sich mit dem Sozialimperialismus der Sowjetrevisionisten auseinander und weisen anhand amtlichen sowjetischen Materials die Entartung der Bürokratie, die Restauration des Kapitalismus und die Methoden des Sozialimperialismus nach.

RW 10 behandelt einige Grundfragen des Parteiaufbaus.

RW 11 und 12 enthalten entscheidende Richtlinien der Betriebsund Gewerkschaftsarbeit und nehmen kritisch Stellung zu den falschen Auffassungen anderer Gruppen und Parteien.

Weitere grundsätzliche Themen sind in Vorbereitung. Es wäre ganz vernünftig, wenn Sie sich mit diesen theoretischen Problemen unserer Zeit befassen würden. Ich studiere auch das Material des Kommunistischen Bunds Westdeutschland und nehme dazu Stellung.

Ich hoffe, Ihnen hiermit gedient zu haben, und bitte Sie, mir das Ergebnis Ihrer Diskussion mit Ihrem Kollegen mitzuteilen. Sollten Sie noch weitere Fragen haben, bin ich gern bereit, sie zu beantworten, aber berücksichtigen Sie bitte, daß das nicht immer umgehend erfolgen kann. Grüßen Sie Ihren Kollegen, und bestellen Sie, er solle nur nicht den Mut verlieren, ich habe schon 50 Jahre Kampf hinter mir und habe selbst in den schwersten Stunden des faschistischen Terrors nie den Mut verloren. Wir dürfen nur keine revolutionäre Ungeduld an den Tag legen, sondern müssen zäh und systematisch unentwegt Kleinarbeit leisten, denn aus dem Kleinen kommt das Große.

Mit freundlichen Grüßen
W. Dickhut

Kritik der Ortsgruppe Saarbrücken am Revolutionären Weg 6

Lieber Genosse Willi! 30. 10. 72

In ihrem letzten Gruppenbericht schreiben die Genossen aus Saarbrücken folgendes:

»Im Revolutionären Weg 6 halten wir die Darstellung der Losungen in den verschiedenen Etappen des Klassenkampfs für falsch. Die Aussage: In der Etappe ohne revolutionäre Situation ›müssen Teillosungen und Teilforderungen aufgestellt werden‹ (S. 57), ist allein nicht richtig. Nach Stalin müssen wir Aktions-, Agitations- und Propagandalosungen unterscheiden. Es ist falsch, von Aktionslosungen nur beim unmittelbaren Machtkampf zu reden, wie es im Revolutionären Weg auf Seite 58 getan wird. Richtig wäre etwa folgende Darstellung: Die Losungen ›Für den Sozialismus‹ und ›Für die Diktatur des Proletariats‹ sind in der gegenwärtigen Etappe Propagandalosungen. In einer revolutionären Situation werden sie (in eventuell abgewandelter Form) zu Aktionslosungen. Aktionslosungen in der heutigen Etappe sind Losungen, die Teilforderungen beinhalten. Aber auch schon heute müssen wir weitergehende Agitations- und Propagandalosungen aufstellen. Die Darstellung im Revolutionären Weg 6 klingt so, als könnten wir heute nur Teilforderungen aufstellen und nicht auch gleichzeitig die Notwendigkeit der Revolution und der Diktatur des Proletariats propagieren.«

Soweit die Kritik aus dem Gruppenbericht. Schick doch bitte Deine Antwort an die Organisationsabteilung. Wir werden dann sofort die Beantwortung weiterleiten. Kurze Charakterisierung der Ortsgruppe: Stützpunkt, zwei Genossen, beide studieren noch; der eine Genosse ist seit der Gründung unserer Organisation dabei, er ist ruhig und besonnen, aktiv; die Ortsgruppe konnte sich bisher trotz großer Aktivitäten, vor allem unter den Saar-Kumpeln, nicht erweitern; es fehlt das proletarische Element.

Rot Front!
F.

Liebe Genossen! 9. 11. 72

Es wurde mir von der Organisationsabteilung der Zentralen Leitung die Kritik aus Eurem Bericht zur Stellungnahme zugeleitet. Ich nehme an, daß Ihr den Bericht bereits vor dem Erscheinen der Roten Fahne 10 mit der Beilage gegen die ultralinke Linie des »Roten Morgen« geschrieben hattet.

Die Schriftenreihe Revolutionärer Weg soll einen gewissen Umfang nicht überschreiten, das heißt keinen Buchumfang haben. Das bedingt eine oft allzu knappe Fassung in einzelnen Punkten. Da aber alle Themen im Zusammenhang stehen, wird in den einzelnen Nummern des Revolutionären Wegs jeweils zu einem bestimmten Problem konkreter Stellung genommen. Der Revolutionäre Weg 6 soll die dialektische Methode kennzeichnen, wobei die Objekte der Anwendung dieser Methode jeweils nur kurz gestreift wurden, um vom Kern nicht abzuschweifen. Unter diesem Gesichtspunkt wurden die Etappen des Klassenkampfs nur grob skizziert, ohne die Fragen der Strategie und Taktik jeder Etappe ausführlich zu behandeln, weil das Thema Strategie und Taktik später zusammenfassend in einer Nummer behandelt werden soll. Trotzdem hätte zu den Etappen etwas mehr gesagt werden sollen, weil das im ideologischen Kampf gegen die Ultralinken, die eine Etappe ohne revolutionäre Situation ablehnen beziehungsweise ignorieren (»Haupttendenz in Westdeutschland ist Revolution«), wichtig war. Das war aber während der Bearbeitung des Themas vor fast zwei Jahren nicht vorauszusehen. Darum sollte die Beilage in der Rote Fahne 10 eine Ergänzung darstellen.

Unser Endziel beziehungsweise Fernziel ist die Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse und der Aufbau des Sozialismus. Dieses Ziel muß ständig und zu jeder Zeit beziehungsweise in jeder Etappe propagiert werden. Die Erreichung dieses Ziels ist ein Prozeß, der nur in Etappen vor sich gehen kann – man kann keine Etappe überspringen. Eine Revolution kommt nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Dieser Prozeß wird auch durch die jeder Etappe entsprechenden Hauptlosungen gekennzeichnet: Teillosung – Übergangslosung – Aktionslosung. Unter Aktionslosung ist natürlich die revolutionäre Aktion, der Kampf um die Macht, zu verstehen und nicht taktische Aktionen zur Durchsetzung bestimmter Teilforderungen, wie sie in unserem Aktionsprogramm aufgestellt wurden. Agitationslosungen stehen immer in Verbindung mit den Hauptlosungen, nur jeweils mit einem anderen Inhalt, das heißt entsprechend der Strategie und Taktik jeder Etappe. Die Agitation des »Roten Morgen« zum Beispiel stützt sich auf die Annahme einer revolutionären Situation in Westdeutschland, die jetzt nicht vorhanden ist; darum ist sie nicht nur falsch, sondern auch schädlich, weil sie von den breiten Massen nicht verstanden und darum nicht befolgt wird. Ich verweise auf das Leninzitat unten links auf der zweiten Seite der Beilage. Wir dürfen darum nicht, wie Ihr meint, »weitergehende Agitationslosungen aufstellen«; dafür sind heute die Propagandalosungen da, die aber nicht abstrakt herausgestellt werden sollen, vielmehr sollen wir sie geschickt mit dem täglichen Kampf verbinden.

In der ersten Etappe des Klassenkampfs befaßt sich die Agitation hauptsächlich mit der Mobilisierung der Massen und der Vorbereitung von ökonomischen und politischen Kämpfen. Die Agitationslosungen fallen noch nicht unmittelbar mit den Propagandalosungen zusammen. Erst beim Übergang zur zweiten und besonders zur dritten Etappe werden die Propagandalosungen mehr und mehr zu unmittelbaren Agitationslosungen mit der Ausrichtung auf den Übergang zur und die Durchführung der revolutionären Aktion. Agitations- und Propagandalosungen verbinden sich in Aktionslosungen. Man darf Agitationslosungen zum Beispiel der dritten Etappe nicht auf die erste Etappe übertragen – das wäre Linksopportunismus. Man darf sich in einer revolutionären Situation auch nicht auf Agitationslosungen beschränken, die für die erste Etappe angebracht sind – das wäre Rechtsopportunismus.

Agitationslosungen müssen der jeweiligen Etappe angepaßt werden, dagegen sind Propagandalosungen gleichbleibend, denn sie sind auf das Ziel beschränkt. Agitationslosungen finden ihren Niederschlag in der ersten Etappe in Teilforderungen, in der zweiten Etappe in Übergangsforderungen und in der dritten Etappe in Forderungen, die mit dem bewaffneten Kampf verbunden sind. All das sind Fragen, die später einmal zusammengefaßt unter dem Titel »Strategie und Taktik im Klassenkampf« ausführlicher behandelt werden sollen.

Eure Kritik ist berechtigt, was die allzu kurze Behandlung der drei Etappen des Klassenkampfs im Revolutionären Weg 6 anbelangt. Die Beilage in der Roten Fahne 10 hat diesen Mangel zum Teil behoben. Ausführlicher muß das Problem später behandelt werden. Einige Punkte Eurer Kritik treffen nicht konkret zu, deshalb habe ich oben versucht, sie kurz richtigzustellen. Ich hoffe, daß es genügt.

Rot Front!
Willi

Über die dialektische Methode

Genosse Dickhut! 30. 5. 71

In Deinem durchaus guten Revolutionären Weg 6 ist uns eine Stelle unklar:

Auf Seite 13 schreibst Du, daß das Ergebnis zweier Negationen eine Synthese sei. Im Philosophischen Wörterbuch wird Synthese als »Verfahren zur Erkenntnis oder Konstruktion materieller oder ideeller Systeme, dessen Wesen in der gedanklichen oder praktischen Verbindung einzelner Elemente zu einem Ganzen besteht«, bezeichnet.

Nehmen wir Dein Beispiel aus der Philosophie. Der dialektische Materialismus kann niemals eine Synthese aus Materialismus und Idealismus (These und Antithese) sein, da er das ursprüngliche, also Materialismus, auf höherer Stufe ist und nicht Verbindung zwischen Materialismus und Idealismus. Der dialektische Materialismus ist zwar durch These und Antithese entstanden, aber niemals aus den beiden.

Wir bitten Dich um eine Stellungnahme zu dieser Frage.

Rot Front!
i. A. Kurt

Liebe Genossen!

12. 6. 71

Besten Dank für Euren Brief vom 30. 5. 71, den ich gestern erhielt. Ich begrüße ihn wegen der regen Teilnahme an der Diskussion über das Thema des Revolutionären Wegs 6. Ich kann verstehen, wenn bei dem Fragenkomplex der dialektischen Methode nicht auf Anhieb volle Klarheit entsteht. Es ist ein schwieriges Thema, dem wir aber nicht deshalb aus dem Wege gehen sollten, weil es nicht einfach ist. Die dialektische Methode ist für unsere Praxis von ausschlaggebender Bedeutung. Wir können nur dann eine gute Praxis durchführen, wenn wir die dialektische Methode begreifen und zielbewußt anwenden.

In den ersten Jahren meiner Praxis als Arbeiterfunktionär habe ich das auch nicht verstanden und darum mehr oder weniger in Handwerkelei gemacht, ganz abgesehen davon, daß es jedem Arbeiter, wenn er sich ernsthaft mit der Theorie des Marxismus-Leninismus befaßt, schwerfällt, die theoretischen Schriften systematisch zu studieren. Umgekehrt fällt es den meisten Intellektuellen leicht, sich Buchwissen anzueignen und über den dialektischen Materialismus zu reden und zu schreiben, ohne die dialektische Methode begriffen zu haben. Darin liegt meines Erachtens auch die Hauptursache der entscheidenden Fehler, die diese Leute in der marxistisch-leninistischen Bewegung gemacht haben (siehe Revolutionärer Weg 3, 4, 5, Sondernummer). Deshalb sollte der Revolutionäre Weg 6 als Anleitung dienen, wie die dialektische Methode in der Arbeiterbewegung angewandt werden kann, als Anregung, um die Eigeninitiative der Genossen zu fördern, denn das ist von entscheidender Bedeutung, besonders dann, wenn unter den Bedingungen der Illegalität gearbeitet werden muß.

Um aber konkret auf die Anwendung der dialektischen Methode zu kommen, mußten erst die wichtigsten Begriffe des dialektischen Materialismus geklärt werden; das geschah im ersten Teil des Revolutionären Wegs 6. Um ihn so kurz wie möglich zu halten, kann es sein, daß hier und da etwas noch nicht klar genug ausgedrückt wurde. Nur bin ich der Meinung, daß wir nicht so herangehen sollten, wie in Eurem Brief. Im ersten und letzten Satz schreibt Ihr, daß Euch eine Stelle unklar sei und bittet um meine Stellungnahme, aber im vorletzten Satz bringt Ihr eine absolute Meinung zum Ausdruck. Das ist nicht nur widerspruchsvoll, sondern auch metaphysisch. Ihr werdet das vielleicht besser verstehen, wenn ich auf Euren Brief konkret eingehe.

1. Zur Klärung des Begriffs Synthese beruft Ihr Euch auf das Philosophische Wörterbuch. Dieser Satz ist wohl richtig, aber etwas abstrakt, weil er zwei Seiten zusammenfaßt: materielle und ideelle Systeme. So bedeutet Synthese in der Chemie: Aufbau eines Stoffes aus Elementen beziehungsweise einfachen Verbindungen (materielle Verbindung) und in der Philosophie: als wichtiges Moment im idealistisch-dialektischen Prozeß: Verbindung zweier gegensätzlicher Begriffe in einem (höheren) dritten. Die einfachste Definition ist: Vereinigung, Zusammenfügung von Teilen zu einem (höheren) Ganzen. Negation der Negation beinhaltet sowohl Aufhebung wie Erhaltung in höherer Form: als Synthese. Hier ist auch der dialektische Materialismus keine Ausnahme, wie Ihr in dem vorletzten Satz zum Ausdruck bringt.

2. Das Beispiel der Negation der Negation in der Philosophie im Revolutionären Weg 6 stützt sich auf Engels »Anti-Dühring«, XIII. Kapitel, »Dialektik«. Hier heißt es:

»Die antike Philosophie war ursprünglicher, naturwüchsiger Materialismus. Als solcher war sie unfähig, mit dem Verhältnis des Denkens zur Materie ins reine zu kommen. Die Notwendigkeit aber, hierüber klarzuwerden, führte zur Lehre von einer vom Körper trennbaren Seele, dann zu der Behauptung der Unsterblichkeit der Seele, endlich zum Monotheismus. Der alte Materialismus wurde also negiert durch den Idealismus. Aber in der weitern Entwicklung der Philosophie wurde auch der Idealismus unhaltbar und negiert durch den modernen Materialismus. Dieser, die Negation der Negation, ist nicht die bloße Wiedereinsetzung des alten, sondern fügt zu den bleibenden Grundlagen desselben noch den ganzen Gedankeninhalt einer zweitausendjährigen Entwicklung der Philosophie und Naturwissenschaft, sowie dieser zweitausendjährigen Geschichte selbst. Es ist überhaupt keine Philosophie mehr, sondern eine einfache Weltanschauung, die sich nicht in einer aparten Wissenschaftswissenschaft, sondern in den wirklichen Wissenschaften zu bewähren und zu betätigen hat. Die Philosophie ist hier also ›aufgehoben‹, das heißt ›sowohl überwunden als aufbewahrt‹; überwunden, ihrer Form, aufbewahrt, ihrem wirklichen Inhalt nach.«

Jetzt vergleicht bitte dieses Zitat Engels mit dem, was ich im Revolutionären Weg 6, Seite 15 geschrieben habe, und stellt Euren Satz »Der dialektische Materialismus ist zwar durch These und Antithese entstanden, aber niemals aus den beiden« daneben. Könnt Ihr jetzt Euren Fehler erkennen? Warum ist der Satz metaphysisch? Weil Ihr den urwüchsigen Materialismus, den Idealismus und den dialektischen Materialismus als fertige Dinge nebeneinanderstellt, indem Ihr den Prozeß des Aufhebens und gleichzeitig Aufbewahrens nicht verstanden habt. Aber darin liegt gerade die Dialektik des Denkens.

Liebe Genossen, es würde mich sehr interessieren, wie Eure Diskussion weiter verläuft, und ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr mir darüber berichten würdet.

Rot Front!
Willi

Lieber Genosse! 31. 10. 71

Wir danken Dir für Deinen Brief, aber um eine endgültige Entscheidung treffen zu können, müssen wir noch einige Fragen geklärt wissen. Das liegt hauptsächlich an uns, denn als wir den ersten Brief an Dich richteten, waren einige Fragen noch nicht soweit ausdiskutiert, daß wir sie ausreichend klar stellen konnten; aber Du hast Dich auch zu einigen Punkten etwas unklar ausgedrückt.

Wir möchten daher zunächst unsere Kritik am Revolutionären Weg 6 wiederholen und danach zu unseren Fragen betreffs Deines letzten Briefes übergehen.

Auf Seite 58 schreibst Du zur zweiten Etappe, daß in ihr die Tageskämpfe der Arbeiterklasse und die konkreten Teilforderungen »immer stärker mit politischen Forderungen verknüpft werden«. Damit erweckst Du den Eindruck, als würde in keiner Etappe ein selbständiger politischer Kampf geführt werden und als wäre die gesamte Arbeit auf den rein ökonomischen Kampf beschränkt. Tatsächlich kommt es aber nach Genosse Thälmann darauf an, beide Kämpfe, sowohl politische als auch ökonomische, während jeder Periode zu führen. Wir verweisen in dieser Frage auch auf die Schriften »Was tun?«, »Staat und Revolution« sowie »Die Aufgaben der russischen Sozialdemokraten« von Lenin.

Doch nun zu Deinem Brief:

1. Du schreibst: »Durch den ideologischen Kampf werden die Grundsätze des Marxismus-Leninismus, das heißt die Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus, propagiert.«

Hinter diesem Satz stehen wir hundertprozentig, aber wir sind der Auffassung, daß gerade dies von der Roten Fahne (abgesehen von den großartigen Beilagen zur September- und Oktobernummer) und vom Rebell nur sehr mangelhaft geleistet wird, obwohl es nach Lenin ihre Aufgabe wäre. Vor allen Dingen läßt die Kritik an den Linkssektierern sehr zu wünschen übrig.

2. Du schreibst: »Daß man mit abstrakten politischen Losungen, losgelöst von den wirtschaftlichen Interessen der Arbeiterklasse und dem politischen Niveau der Massen, nichts ausrichten kann, weil es nicht verstanden wird.«

a) Lenin spricht in Deinem Zitat von zwei Arten der Agitation, der politischen und der ökonomischen. In »Was tun?« sagt er, daß politische Agitation nicht nur auf ökonomischem Boden geführt werden darf, sondern daß dies eine Einschränkung der Arbeit der Kommunisten bedeutet und letztlich ökonomistisch ist.

b) Der KAB(ML) betreibt politische Agitation, wie wir sie im Augenblick für berechtigt, wenn auch für quantitativ etwas zu gering halten. So zum Beispiel: antifaschistischer Kampf, antiimperialistisch-antimilitaristischer Kampf, Aktion §218. Ein solcher Kampf wäre zum Beispiel auch ein Kampf gegen die Notstandsgesetze gewesen oder, im Rahmen des antiimperialistischen Kampfs, ein Kampf gegen die EWG-Mitgliedschaft der BRD.

c) Was wir eigentlich gemeint haben, war folgendes. Im Revolutionären Weg 6 hättest Du klar aussagen müssen, daß in der ersten Periode (dazu später Punkt 9) auch ein selbständiger politischer Kampf geführt werden muß.

3. Die Avantgarde: Wir meinten die fortgeschrittensten Teile der Arbeiterklasse. Die Aust-Gruppe spricht übrigens von Schmiedung der Avantgarde, nicht Gewinnung.

4. »Wer also nur einen Kampf um Reformen …« Du meinst doch damit zweifelsohne, daß man einen ökonomischen und unbegrenzt politischen Kampf, also nicht begrenzt durch den Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, führen soll? (Wir stimmen dem völlig zu, wollen nur sichergehen, Dich richtig verstanden zu haben, zumal Du im Revolutionären Weg 6 den Eindruck erweckt hast, als wenn in der ersten »Etappe« überhaupt kein selbständiger politischer Kampf geführt wird.

5. »Bei passender Gelegenheit jedoch muß das strategische Ziel in Verbindung mit den ökonomischen und politischen Fragen klar aufgezeigt werden.«

a) Stimmst Du uns zu, daß auch Tarifkämpfe – oder allgemein: größere Kämpfe der Arbeiterklasse von allgemeinem Interesse – eine solche Gelegenheit zur konkreten Vermittlung der Diktatur des Proletariats darstellen?

b) Wenn ja, so mußt Du zugeben, daß dies vom Zentralorgan nicht geleistet wird.

6. »Solange keine revolutionäre Situation da ist …«

a) Tritt der Kampf um Reformen quantitativ oder qualitativ in den Vordergrund?

b) Gerade die Verbreitung der Propagandalosungen mit sozialistischem Gedankengut wird vom KAB(ML) nur sehr mangelhaft betrieben.

7. Deine Definition des Rechtsopportunismus muß erweitert werden, und zwar dahingehend, daß er, nach Lenins Schrift »Staat und Revolution«, nicht propagiert:

a) die Zerschlagung des Staatsapparats,

b) die Diktatur des Proletariats.

8. Deine Stellungnahme zur Roten Garde muß spätestens seit dem »Roten Morgen« 8/71 als überholt angesehen werden.

9. Im Revolutionären Weg 6 sprichst Du von drei Etappen der deutschen Revolution. Dies ist eine falsche Bezeichnung. Stalin spricht in »Über die Grundlagen des Leninismus« von drei Etappen der russischen Revolution:

(1) Feudalismus – Kapitalismus (Selbstherrschaft – bürgerliche Demokratie)

(2) bürgerliche Demokratie – Sozialismus

(3) sozialistischer Aufbau

Wir befinden uns im Augenblick in der Etappe bürgerliche Demokratie – Sozialismus. Die von Dir beschriebenen »Etappen« sind Phasen oder Perioden. Korrigiere dies doch bitte. Vor allen Dingen erhält man den Eindruck, daß die in der ersten Etappe beschriebenen Teillosungen und Teilforderungen rein ökonomischer Natur sind. Das wäre reinster Ökonomismus.

»Zum Tätigkeitsbereich der Sozialdemokratie gehört … Agitation nicht allein auf dem Boden des täglichen Kampfes der Lohnarbeit gegen das Kapital« (5,b). »… ein Stadium des rein ökonomischen Kampfes und des Kampfes um politische Teilforderungen … lehnen wir ab.« (Lenin: »Was tun?«, Ausgewählte Werke Bd. I, S. 308)

Viele unserer Fragen mögen Dir etwas kleinlich vorkommen, aber wir fühlen eine große Verantwortung den Tausenden und Millionen von Genossen gegenüber, die ihr Leben in den Dienst unserer gemeinsamen Sache gestellt haben und hatten. Wir würden es für eine schändliche Gemeinheit halten, wenn wir dieser Verantwortung nicht gerecht würden und nicht jede, aber auch die kleinste Unklarheit völlig klären würden, um auch unser Leben dieser gerechten Sache unterordnen zu können.

Es lebe der Sieg der Diktatur des Proletariats!

Hoch lebe Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Tsetung!

Ein Hoch auf den großen Vertreter der Sache des deutschen Proletariats, Genossen Ernst Thälmann!

USAG/ML ([noch] Unabhängige Sozialistische Arbeitsgemeinschaft/Marxisten-Leninisten)

Rot Front!
i. A. Otto

Liebe Genossen! 6. 11. 71

Besten Dank für Euren Brief vom 31. 10. Bedauerlicherweise ist die Entfernung zwischen uns so groß, daß wir uns nicht mündlich austauschen können. So bleiben Unklarheiten und Mißverständnisse bestehen, die durch eine Aussprache leichter behoben werden könnten. Nur eins ist mir unverständlich: Ihr macht die Vereinigung Eurer Gruppe mit der RJ(ML) gewissermaßen abhängig von der Beantwortung einer Frage, anstatt den Gesamtkomplex der ideologisch-politischen Linie des KAB(ML) und der RJ(ML) sowie der KPD/ML(RW) in seiner Gesamtrichtung zu untersuchen. Trotzdem will ich versuchen, Eure speziellen Fragen schriftlich zu beantworten.

Fangen wir mit den Etappen des Klassenkampfs (nicht der deutschen Revolution speziell, sondern allgemein – Revolutionärer Weg 6, S. 56) an. Die von Euch in Verbindung damit gebrachten drei Etappen der russischen Revolution beziehen sich speziell auf die Entwicklung der Revolution in Rußland und sind nicht übertragbar auf andere Länder (außer die Auswertung der Erfahrungen). Dabei ist Euch in der Bezeichnung der drei Etappen der russischen Revolution ein Fehler unterlaufen. Stalins Bezeichnung lautet:

1. Etappe: 1903 bis Februar 1917 ... usw.

2. Etappe: März 1917 bis Oktober 1917 … usw.

3. Etappe: Nach der Oktoberrevolution … usw.

Seht bitte nach: »Fragen des Leninismus«, Seite 72–74.

Was Ihr angebt, sind Perioden der gesellschaftlichen Entwicklung in Rußland, nicht aber speziell die Etappen der russischen Revolution.

Etappe bedeutet Teilstrecke. Eine Revolution läßt sich nicht zu jeder x-beliebigen Zeit (hier und jetzt, wie die Anarchisten sagen) durchführen, sondern hängt von der objektiven Lage und dem Reifegrad der Arbeiterklasse (objektiver und subjektiver Faktor) ab. Deshalb muß in der Entwicklung des Klassenkampfs des Proletariats jederzeit berücksichtigt werden: a) wie ist die Situation und b) inwieweit ist der subjektive Faktor ausgereift, das heißt, wie stark ist der Kampfwille und die Opferfreudigkeit der Massen, und ist eine revolutionäre Arbeiterpartei vorhanden und genügend entwickelt, um die Führung zu übernehmen. Da nun der Klassenkampf nicht gleichmäßig ansteigt, sondern im Zickzackkurs, im Auf und Ab oder, wie Stalin sagt, wie Ebbe und Flut verläuft, muß sich die Taktik des proletarischen Klassenkampfs entsprechend ändern und der jeweiligen Situation anpassen. Das wird durch die drei Etappen des Klassenkampfs gekennzeichnet, wobei natürlich Übergänge von einer Etappe zur anderen berücksichtigt werden müssen. Das gilt sowohl für das Vorwärtsschreiten zu einer höheren Etappe wie für den Rückzug zu einer niederen. So kennzeichnet Stalin zum Beispiel die Zeit von 1907–1912 als Ebbe, als Niedergang der proletarischen Bewegung und fährt fort: »Dementsprechend änderten sich sowohl die Kampfformen als auch die Organisationsformen. Anstatt des Boykotts der Duma – Teilnahme an der Duma, anstatt offener revolutionärer Aktionen außerhalb der Duma – Aktionen und Arbeit in der Duma, anstatt politischer Generalstreiks – wirtschaftliche Teilstreiks oder einfach Windstille …«

Daraus geht hervor, daß in der Zeit der Ebbe des Klassenkampfs, und das ist die erste Etappe, die Etappe ohne revolutionäre Situation, die Kräfte gesammelt werden müssen für kommende Klassenschlachten. In dieser Zeit steht die Organisation, das heißt die Auslösung und Führung von Kämpfen um ökonomische und politische Reformen, im Vordergrund (Teilforderungen). Das ist im wesentlichen ein gewerkschaftlicher Kampf und gegenwärtig die Hauptform. Dieser Kampf ist inhaltlich nicht gesellschaftsverändernd (wie die Revisionisten behaupten), sondern spielt sich im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung ab. Wer sich nur auf einen solchen Kampf beschränkt, ist Reformist. Die Aufgabe der Kommunisten in dieser Etappe ist, die Notwendigkeit des politischen Kampfs des Proletariats um die Macht zu propagieren (Propagandalosungen). Sie müssen jede Gelegenheit benutzen, die Kämpfe inhaltlich auf eine höhere Ebene, das heißt, den ökonomischen Kampf zum politischen zu heben, die Formen des Kampfs (Streiks, Demonstrationen, Kundgebungen usw.) immer höherzuentwickeln.

Lenin schreibt in »Was tun?«: »Die Aufgabe der Sozialdemokraten aber erschöpft sich nicht in der politischen Agitation auf ökonomischem Boden, ihre Aufgabe ist es, diese trade-unionistische Politik in einen sozialdemokratischen politischen Kampf umzuwandeln – die Lichtblicke politischen Bewußtseins, die der ökonomische Kampf in den Arbeitern entstehen läßt, auszunutzen, um die Arbeiter bis auf das Niveau des sozialdemokratischen politischen Bewußtseins zu heben.«

Die Hervorhebungen im Zitat »umzuwandeln«, »auszunutzen« und »heben« sind von Lenin und unterstreichen das, worauf es ankommt. In dieser ersten Etappe des proletarischen Klassenkampfs ist das Klassenbewußtsein der Arbeiter noch nicht soweit entwickelt, daß die Arbeiterklasse in der Lage wäre, den gewerkschaftlichen Rahmen des Kampfs zu durchbrechen und selbständige politische Kämpfe mit dem Ziel der Eroberung der Macht zu führen. Dazu bedarf es einer langen, zähen, systematischen Kleinarbeit der Kommunisten, die dabei jede Gelegenheit im Leben der Arbeiter ausnutzen müssen, diese von der Notwendigkeit eines solchen Kampfs zu überzeugen. Der Weg vom spontanen ökonomischen zum bewußt politischen Kampf der Arbeiterklasse ist ungeheuer steinig und schwierig. Da können wir nichts mit revolutionärer Ungeduld erreichen, die Massen müssen uns folgen können, sonst werden wir uns isolieren (wie die Linkssektierer). Das heißt auch, daß wir in unserer politischen Agitation an das Niveau der Massen anknüpfen müssen, um es dann ständig zu heben und auf das Niveau des politischen Kampfs um die Macht zu bringen. Darin liegt die Bedeutung der ersten Etappe. Ohne Lösung dieser Aufgabe ist der Übergang zur zweiten Etappe nicht möglich.

Im »Kursbuch« 25 ist ein Artikel von M. Schneider (mit dem ich nicht einverstanden bin), wo eingangs (S. 73–75) ein Bericht eines Studenten über seine Agitation in einem Betrieb steht, der interessant ist wegen den Erfahrungen, die er durch die Diskussionen mit Arbeitern hat machen müssen. Diese Erfahrungen würde jeder machen, der abstrakt an die politische Agitation herangeht. Lenin schreibt sehr treffend in »Der ›linke‹ Radikalismus« über diese erste Etappe des Klassenkampfs:

»Viel schwerer – und viel wertvoller – ist es, zu verstehen, ein Revolutionär zu sein, wenn die Bedingungen für einen direkten, offenen, wirklich revolutionären Kampf der Massen noch nicht vorhanden sind; zu verstehen, die Interessen der Revolution (propagandistisch, agitatorisch, organisatorisch) in nichtrevolutionären, oft sogar in direkt reaktionären Institutionen, in einer nichtrevolutionären Situation, unter einer Masse zu verfechten, die unfähig ist, unverzüglich die Notwendigkeit der revolutionären Aktionsmethode zu begreifen ...«

Völlig unverständlich ist mir, wie Ihr aus der Darstellung der zweiten Etappe im Revolutionären Weg schließen könnt, es »würde in keiner Etappe ein selbständiger politischer Kampf geführt werden …« Diese Etappe kennzeichnet ja gerade den selbständigen politischen Kampf der Arbeiterklasse, der um so wirkungsvoller geführt wird, wenn er mit Teilforderungen verbunden wird (»die nach wie vor eine wichtige Rolle spielen«). Die vorher dargestellten sich ausdehnenden und verschärfenden Kämpfe sind doch politische Kämpfe auf der Grundlage der vorherrschend politischen Forderungen in Verbindung mit ökonomischen. Die politischen Forderungen werden dabei immer schärfer als Übergangslosungen zum Kampf um die Macht. Der unmittelbare Kampf um die Macht, der bewaffnete Kampf, bedeutet bereits die dritte Etappe.

Wir wollen noch einmal die ersten beiden Etappen gegenüberstellen. In der ersten Etappe herrscht der Kampf um ökonomische und politische Reformen, das heißt der gewerkschaftliche Kampf, vor. Die aufgestellten Teilforderungen sind Kampfforderungen zur Durchsetzung von Tagesfragen der Arbeiterklasse. Die Agitation hat hauptsächlich den Charakter der ökonomischen und politischen Enthüllungen. Die Propaganda verbreitet Losungen über das Ziel des politischen Kampfs: Sturz der kapitalistischen Herrschaft und Errichtung der Diktatur des Proletariats. Gleichzeitig muß der Weg aufgezeigt werden, um dieses Ziel zu erreichen. In dieser Zeit der Ebbe des Klassenkampfs kann es noch nicht zu selbständigen politischen Kämpfen der Arbeiterklasse kommen, das heißt zum politischen Massenkampf um die Macht – und nicht um irgendwelche politischen Reformen oder um begrenzte politische Tagesforderungen. Es ist darum die Etappe ohne revolutionäre Situation.

Erst wenn die Kämpfe sich zu immer größeren Massenkämpfen entwickeln (Streiks, Demonstrationen, Zusammenstöße usw.), wenn die politischen Losungen und Forderungen stärker hervortreten, die Zusammenstöße mit der Staatsmacht häufiger werden und diese Kämpfe den gewerkschaftlichen Rahmen immer öfter durchbrechen und selbständig von der Arbeiterklasse geführt werden, vollzieht sich der Übergang von der ersten zur zweiten Etappe. Dann erhalten die politischen Forderungen immer mehr die Bedeutung von Übergangslosungen zum Kampf um die Macht. Darum ist diese zweite Etappe die der akut revolutionären Situation.

Wir würden Fehler begehen, wenn wir die beiden Etappen nicht auseinanderhalten, zum Beispiel politische Übergangslosungen der zweiten Etappe auf die erste anwenden. Das würde eine Isolierung der revolutionären Partei von den Massen bedeuten, darum der Hinweis der »abstrakten politischen Losungen«. Das hat nichts zu tun mit den akuten politischen Enthüllungen und Forderungen, wie Ihr sie in 2. b) aufzeigt. Das bezieht sich alles auf die konkrete politische Agitation der ersten Etappe, aber es sind keine politischen Übergangslosungen, wie sie in der zweiten Etappe aufgestellt werden müssen und die Grundlage des selbständigen politischen Kampfs der Arbeiterklasse um die Macht bilden. Umgekehrt würde es ein schwerwiegender Fehler sein, wenn man sich in der zweiten Etappe auf den Kampf um Reformen beschränken würde.

In diesem Zusammenhang bitte ich auch folgendes zu beachten. Beim Studium historischer Ereignisse (zum Beispiel die konkrete Situation, wie sie in »Was tun?« behandelt wird oder in Thäl-manns Schriften über die Lage der zwanziger Jahre in Deutschland) müssen wir klar unterscheiden zwischen den prinzipiellen Fragen, das heißt den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus, und den historisch bedingten Fragen, das heißt Ereignissen, die an die damalige Situation gebunden sind. Die ersten sind immer von Bedeutung und haben allgemeine Gültigkeit, dagegen sind die zweiten nur für die damalige Situation gültig und nur bedingt zu verwenden. Darum warnt Lenin vor einem schematischen Übertragen einer bestimmten Situation auf eine andere (»Der ›linke‹ Radikalismus«).

Einige Fragen Eures Briefes:

Punkt 4: Es gibt zweierlei Kampf um Reformen, die sich grundsätzlich voneinander unterscheiden (siehe Stalin: »Grundlagen des Leninismus«). Der Kampf um Reformen darf nicht Selbstzweck, sondern muß Mittel zum Zweck sein, nämlich als Schule des Klassenkampfs. Dabei muß die Bedeutung auf Kampf und nicht auf Reformen gelegt werden, denn nur im Kampf sammelt die Arbeiterklasse Erfahrungen und werden Führer entwickelt. Dabei ist nicht einmal entscheidend, ob ein solcher Kampf erfolgreich ist oder nicht (das erstere wäre natürlich besser), denn auch aus jeder Niederlage lernt die Arbeiterklasse und sammelt Erfahrungen.

Die Formulierung in Eurem Brief »unbegrenzten politischen Kampf« verstehe ich nicht. Jeder ökonomische und politische Kampf ist begrenzt, auch der Kampf um die Macht. Jeder Kampf hat ein Ziel, ob örtlich oder national, ob um Reformen oder um die Macht, ob es sich um Etappenziele oder um das »Endziel« handelt. Oder meint Ihr vielleicht folgendes: Einerseits wird der Kampf um Reformen als Selbstzweck, nur zur Durchsetzung von ökonomischen und eng begrenzten politischen Forderungen im Rahmen der kapitalistischen Herrschaft, das heißt ohne das Ziel des Sturzes der kapitalistischen Herrschaft, geführt. Andererseits wird der Kampf um Reformen als Mittel zum Zweck, als Schule des Klassenkampfs geführt, das heißt, um durch Sammlung von Kampferfahrungen die Voraussetzung zur Durchsetzung von weitergehenden politischen Forderungen bis zum politischen Kampf um die Macht zu schaffen.

Punkt 5: »Passende Gelegenheit« heißt, die verschiedenen Gelegenheiten wie Streiks, Demonstrationen, Kriegsdrohung, faschistische Gefahr, Beurteilung der Thesen der DKP usw. ausnutzen, das heißt jede Gelegenheit, wo die Propagandalosungen in verständlicher Weise mit der Agitation und dem Kampf der Arbeiterklasse verbunden werden können. Wenn Ihr in dieser Hinsicht eine Kritik am Zentralorgan habt, dann legt sie bitte in konkreter Form der Redaktion vor.

Punkt 6: Warum unterscheidet Ihr zwischen »quantitativer und qualitativer« Seite des Kampfs um Reformen? Je umfangreicher der Kampf als Massenkampf (Quantität) und je höher das Klassenbewußtsein der Massen (Qualität) ist, um so eher kann der Übergang von der ersten zur zweiten Etappe möglich sein. Beides muß also zusammenfallen. Es ist Aufgabe der revolutionären Partei, das gewerkschaftliche Bewußtsein zum sozialistischen Bewußtsein zu entwickeln. Die Propaganda des sozialistischen Gedankenguts wird hauptsächlich vom theoretischen Organ (als Anleitung zur mündlichen und schriftlichen Propaganda), aber auch vom Zentralorgan neben der Hauptseite Agitation betrieben. Die Propaganda muß um so intensiver geführt werden, je näher der Übergang zur zweiten Etappe rückt.

Punkt 7: In Worten reden auch Rechtsopportunisten oft von Zerschlagung der Macht des Monopolkapitals und der Errichtung der Diktatur des Proletariats, nur wenn es um die Verwirklichung geht, bekommen sie Angst vor ihrer eigenen Courage. Aber meist, da habt Ihr Recht, reden sie nicht einmal davon.

Punkt 8: Ihr meint wohl »Rote Betriebsgruppen« (nicht Rote Garde). Das Aust-Zentralkomitee hat den Gedanken der Schaffung eigener Gewerkschaften nicht aufgegeben, sondern nur aufgeschoben.

Nun zu Eurer Schlußbemerkung. Mir kommen Eure Fragen nicht »kleinlich« vor, denn es handelt sich um wichtige Fragen. Nur habe ich den Eindruck, daß Ihr etwas haarspalterisch an die Fragen herangeht. Nehmt es mir nicht übel, aber ich halte es mit Lenins Prinzip »Das Kriterium der Wahrheit ist die Praxis«. Ich kenne nicht die Praxis Eurer Gruppe, aber ich habe aufgrund der Behandlung der Fragen in Eurem Brief den Eindruck, daß es hier hapert. Eine systematische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit hätte meines Erachtens manche Fragen von selbst beantwortet. Ich würde mich freuen, wenn Ihr mir hierüber berichten würdet. In der Frage Eures Anschlusses an die RJ(ML) berücksichtigt, daß der Aufbau einer revolutionären Organisation nicht glatt vonstatten geht, sondern mit Schwierigkeiten und Fehlern verbunden ist. Was den Revolutionären Weg anbetrifft, so sollen die einzelnen Nummern nicht zu umfangreich sein, sondern in kurzer konkreter Form erscheinen. Die einzelnen Themen bilden im Zusammenhang ein ganzes System. Dadurch mag eine bestimmte Frage in einer Nummer zu kurz kommen, weil sie in späteren Ausgaben ausführlich behandelt wird. Darum ist auch die Darstellung der drei Etappen des Klassenkampfs nur kurz zur Kennzeichnung gestreift.

Rot Front!
Willi

Beurteilung des Revolutionären Wegs 6

Lieber Genosse Willi,

26. 7. 71

ich habe heute die Schrift über »Die dialektische Methode in der Arbeiterbewegung« studiert, und ich muß sagen, daß diese Schrift wohl das gründlichste und beste ist, was ich je über die Dialektik gelesen habe (wenn ich mal die Klassiker ausklammern darf). Ich bin Student und schon ein ziemlich hohes Semester, und wenn man sich so anhört, wie einem die bürgerliche Wissenschaft den Kopf vernebelt, erst dann kann man den Stellenwert des Revolutionären Wegs 6/71 für die Bewegung an der Hochschule so richtig einschätzen. Ich für meinen Teil werde mein möglichstes tun, die Verbreitung dieser Schrift bei uns zu fördern.

Diese Schrift ist ja nicht nur ein Referat der Klassiker, sondern versucht ja gerade, die dialektische Methode in schöpferischer Anwendung auf unsere Zeit, unsere Gegenwart zu übertragen …

Rot Front, und das heißt zum gegenwärtigen Zeitpunkt:
Vorwärts zur Einheit aller wahren Marxisten-Leninisten
Klaus

Lieber Genosse Klaus!

3. 8. 71

Besten Dank für Deinen Brief vom 26. 7., doch muß ich Dir sagen, daß Dein Lob weit übertrieben ist. Ich habe allerdings in meiner langen Tätigkeit als Arbeiterfunktionär

1. mich immer bemüht, mir die Theorie des Marxismus-Leninismus anzueignen, wenn es mir auch im Anfang, wie jedem Arbeiter, der tagsüber schuften mußte, oft recht schwerfiel,

2. mir ständig überlegt, wie man am besten die Theorie mit der Praxis verbinden kann.

So und nur so kann man Erfahrungen sammeln. Buchwissen reicht allein nicht allzu weit, obwohl ein Revolutionär immer studieren muß. Aber die beste Theorie ist wertlos, wenn sie nicht in der Praxis ihren Niederschlag findet. Und das ist nicht ohne Anwendung der dialektischen Methode möglich. Das wollte ich in der Schrift, besonders im zweiten Teil, klarlegen. Der erste Teil ist ja nur eine Erläuterung der Begriffe, eine kurze Interpretation der Hauptgedanken unserer Klassiker in den Hauptpunkten des dialektischen Materialismus. Den zweiten Abschnitt halte ich für die Durchführung einer richtigen Praxis für entscheidend. Hier wollte ich an Hand einiger konkreter Beispiele Anregungen geben, wie wir die dialektische Methode in der praktischen Arbeit anwenden können. Wenn das gelungen ist, würde es mich freuen, denn es ist tatsächlich keine leichte Aufgabe.

So sehr mich Deine Anerkennung auch gefreut hat, ich wäre Dir und Deinen Genossen dankbar, wenn Ihr mir einige kritische Hinweise geben würdet. Außerdem hoffe ich, daß Du, wenn Du Dein Studium in Tübingen beendet hast und nach Moers zurückkommst, uns in der revolutionären Arbeit unterstützen wirst. In diesem Sinne

Rot Front!
Willi

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