5. Der Ukrainekrieg beschleunigt die Entwicklung zur globalen Umweltkatastrophe
Bereits vor der Ukrainekrise beschleunigte sich der Übergang in die globale Umweltkatastrophe. Mehr oder weniger alle imperialistischen Länder kündigten durchgreifende Umweltschutzmaßnahmen an, vor allem als Reaktion auf die weltweite Umweltmassenbewegung besonders unter der Jugend. Doch schon kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine erklärten sie einen umweltpolitischen Paradigmenwechsel. Fortan müsse der Klimaschutz als bisheriges Top-Ziel den »Sicherheitsinteressen«, sprich der Vorbereitung eines Dritten Weltkriegs, untergeordnet werden. Am 31. März 2022 verkündete US-Präsident Biden:
»Wir müssen uns für langfristige Sicherheit statt Energie- und Klimaanfälligkeit entscheiden.«[86]
Die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur erfährt damit eine neue Qualität. Unterstützung erfuhr Bidens demagogische Losung von der deutschen Rüstungsindustrie. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Dr. Hans Christoph Atzpodien, formulierte bereits Ende 2020 den neuen »systemrelevanten« Grundsatz, dass »Sicherheit … die ›Mutter‹ der Nachhaltigkeit und des entsprechenden Wohlstandes« sei.[87] Es war Aufgabe von Olaf Scholz und seiner Regierungsmannschaft, die Umweltbewegung auch in Deutschland auf den neuen außen- und umweltpolitischen Kurs zu trimmen. Wachsende Kritik daran bis hinein in die Grüne Jugend beantwortete Robert Habeck, Philosoph und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, demagogisch mit einer verbalen Neuschöpfung vom »ökologische(n) Patriotismus«.[88]
Habecks »ökologischer Patriotismus« ist aber nichts als eine neue Variante des Sozialchauvinismus.[89] Nur sollen diesmal die Arbeiter und die breiten Massen sowohl auf ihre berechtigten sozialen, ökonomischen und politischen Forderungen verzichten als auch drastische Verschärfungen der Umweltkrise widerstandslos hinnehmen.
Der US-Imperialismus verbindet mit seiner Kehrtwende in der Umweltpolitik auch das Ziel, Energiesupermacht zu werden. In Verbindung mit dem am 8. März 2022 verhängten Importstopp für russisches Öl, Kohle und Gas[90] durch die USA kommentiert die New York Times, dass »Präsident Biden weitgehend aufgehört (hat), für seine ehrgeizigen Pläne zur Bekämpfung des Klimawandels zu werben, und sich stattdessen darauf konzentriert, so viel Öl und Gas wie möglich zu pumpen«.[91]
Biden will außerdem die Abhängigkeit Europas von den USA verstärken und verloren gegangenes Terrain in der Weltwirtschaft, aber auch geschwundenes Vertrauen der US-Bevölkerung in seine Regierung, wiedererlangen. Allein in den USA plant die staatliche Energiebehörde, das Fracking bis 2030 um 15 Prozent[92] zu steigern. Das Forum gasexportierender Länder will sogar eine weltweite Steigerungsrate von 66 Prozent.[93]
In Deutschland erweisen sich dafür vor allem »Die Grünen« als willfähriger Bündnispartner. Der grüne Bundeswirtschaftsminister Habeck forcierte massiv den zuvor von seiner Partei stets heftig bekämpften Bau von Flüssiggasterminals (LNG) in Brunsbüttel, Stade und Wilhelmshaven, um Frackinggas aus den USA einführen zu können. Um der Sache einen ökologischen Anstrich zu verleihen, sollen diese Terminals später angeblich auch für Wasserstoffimporte verwendbar sein.
Erdgas und Fracking schädigen das Klima nicht nur durch das bei der Verbrennung entstehende CO2 und die in die Erde gepumpten Chemikalien, sondern auch durch die massive Freisetzung des Treibhausgases Methan aus Bohrlöchern und Pipeline-Lecks. Methan hat ein mehr als 20-mal stärkeres Treibhauspotenzial als CO2[94] und verursachte im Jahr 2019 bereits 16,4 Prozent der Erderwärmung.[95]
Unter der demagogischen Flagge, nie wieder Geld für die Menschenrechtsverletzungen eines Wladimir Putin bereitzustellen, strukturierte die Bundesregierung neben der Gas- auch die Ölversorgung neu; sie schloss Lieferverträge mit der Regierung von Katar ab. Es ist ein Hohn, wenn Finanzminister Christian Lindner erklärt: »Wir wollen Handelspartner, die auch Wertepartner sind.«[96]
Da sind die ultrareaktionären Scheichs von Katar mit ihrem feudalfaschistischen Regime genau die richtige Adresse! Was kümmern Lindner und Habeck die systematisch begangenen Menschenrechtsverletzungen, die offensichtliche Unterstützung der faschistischen IS-Terrororganisationen und Katars weltanschauliche und politische Nähe zum faschistischen Taliban-Regime in Afghanistan? »Wertepartner« für Deutschlands bürgerliche Demokraten kann man eben allein schon dadurch werden, dass man im Weltwirtschaftskrieg gegen Russland auf der »richtigen« Seite steht, das heißt gegen den aktuellen imperialistischen Hauptkonkurrenten.
Der von Robert Habeck und der EU propagierte Ausbau der erneuerbaren Energien blieb dagegen äußerst bruchstückhaft oder wurde streng auf die Monopole ausgerichtet. So regelt Artikel 8 der EU-Taxonomie, dass Windradprojekte von Unternehmen als »grün« gefördert werden, wenn diese über 500 Mitarbeiter haben und kapitalmarktorientiert sind.[97]
Schon Anfang 2022 trat Bundesminister Habeck für die Einstufung von Erdgas als besonders förderungswürdige »Brückentechnologie«[98] ein, als Brücke zu erneuerbaren Energien. Die EU-Kommission segnete das prompt ab – unter Einschluss der Förderung von Atomenergie.[99] In wessen Interesse dieses umweltpolitische Desaster steht, offenbart die nach Kriegsbeginn offen vorgebrachte Forderung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), dass
»ohne ideologische Vorbehalte eine Verlängerung der drei noch laufenden Kernkraftwerke und der zuletzt abgeschalteten drei Standorte erwogen werden (sollte).«[100]
Ohne ideologische Vorbehalte« bedeutet im Klartext, die imperialistischen Pläne zum Erhalt und Ausbau der Atomenergie vorbehaltlos zu unterstützen und die Gesundheit der Bevölkerung mutwillig und erheblich zu gefährden.
Von Atomkraftwerken gehen unberechenbare Gefahren aus. Alle Atomanlagen sind zur Kühlung ihrer Brennelemente auf eine sichere Stromversorgung angewiesen. Wird diese zum Beispiel durch Krieg oder Naturkatastrophen unterbrochen, droht eine unkontrollierbare Kernschmelze.[101] Dafür stehen die historischen Beispiele von Tschernobyl und Fukushima.
Mit der Förderung von Atomkraftwerken ist eine militärische Nutzung der Atomkraft engstens verknüpft. Offenherzig führte der französische Präsident Emanuel Macron aus:
»Ohne zivile Atomkraft keine militärische Atomkraft, ohne militärische Atomkraft keine zivile Atomkraft.«[102]
Die erstrebte Renaissance der Atomenergie ist unmissverständlich auch auf die Aufrüstung Europas mit Atomwaffen gerichtet. Dasselbe gilt für die Verstärkung der »nuklearen Teilhabe« Deutschlands im Rahmen der NATO, die sich in der Anschaffung der als Atomwaffenträger geeigneten US-amerikanischen F-35-Kampfflugzeuge niederschlägt.