Rote Fahne 08/2022

Rote Fahne 08/2022

ICOR – Länderübergreifende Koordination und Kooperation gefragt

Können wir imperialistischen Kriegen für immer ein Ende bereiten? Warum treibt in immer mehr Ländern die teils galoppierende Inflation die Menschen in Armut und Hunger? …

ICOR – Länderübergreifende Koordination und Kooperation gefragt
Foto: Gustave Deghilage / CC BY-NC-ND 2.0

... Wie kann es sein, dass Sonntagsreden über den Umweltschutz Hochkonjunktur haben, aber der CO2-Ausstoß 2021 einen Höchststand erreicht hat? Für die Antworten auf diese Fragen steht heute auf internationaler Ebene die organisierte, gleichberechtigte Zusammenarbeit revolutionärer Kräfte über Ländergrenzen hinweg, die sich in der Weltorganisation ICOR zusammengeschlossen und die Initiative für eine noch darüber hinausgehende antiimperialistische und antifaschistische Einheitsfront ergriffen haben.

Um all diese Probleme ernsthaft anzugehen und zu lösen, gilt es ihre Wurzeln im Imperialismus auszurotten. An seine Stelle müssen gesellschaftliche Verhältnisse treten, in denen statt dem Zwang zur Vermehrung des Kapitals und der Ausrichtung auf Profitmaximierung, Macht und Vorherrschaftsstellung in Regionen oder Branchen die Orientierung an den Bedürfnissen der Menschen und die Einheit von Mensch und Natur zur Grundlage wird. In denen das Prinzip der Zusammenarbeit der Völker zum gegenseitigen Nutzen die heute herrschende Konkurrenz bis zur gegenseitigen Vernichtung ersetzt. Für diese sozialistische Perspektive steht die Internationale Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen (ICOR) mit 62 Mitgliedsorganisationen auf fünf Kontinenten.

Wegweisend ist derzeit die länderübergreifende Zusammenarbeit ihrer Mitgliedsorganisationen aus Russland und der Ukraine, die unter äußerst gefährlichen Bedingungen einen aktiven Widerstand gegen den imperialistischen und von beiden Seiten ungerechten Krieg leisten, für die Freundschaft der Völker Russlands und der Ukraine sowie für eine gemeinsame sozialistische Perspektive eintreten (siehe Seite 20). Die klare Positionierung gegen imperialistische Kriege ist weltweiter Orientierungspunkt.

Neue, bisher nicht gekannte Herausforderungen

Die Bedeutung der ICOR wächst angesichts der veränderten weltpolitischen Situation. Diese ist nicht nur durch eine akute Weltkriegsgefahr gekennzeichnet. Ein neuer Einbruch der seit 2018 andauernden Weltwirtschafts- und Finanzkrise durchdringt sich mit umfassenden sozialen Auswirkungen. Der Übergang in die globale Umweltkatastrophe beschleunigt sich und die Corona-Pandemie ist alles andere als überwunden. Auch die Krise der bürgerlichen Ideologie vertieft sich angesichts des Scheiterns aller Versprechungen auf eine baldige Überwindung der Inflation, eine Wiederbelebung der Wirtschaft, ein nahendes Ende der Pandemie, den beschleunigten Ausstieg aus der Kohleverbrennung und ein friedliches Europa. Dazu schreibt das Internationale Koordinierungskomitee (ICC) der ICOR:

„Die Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems hat die Tendenz zu einer gesamtgesellschaftlichen Krise des imperialistischen Weltsystems mit ihren Potenzialen der revolutionären Gärung, von Aufständen und der Entwicklung revolutionärer Situationen. Diese Entwicklung wird die ICOR vor neue und bisher nicht gekannte Herausforderungen stellen und ihre Stärkung, die Festigung ihrer ideologisch-politischen Grundlagen entsprechend den Veränderungen auf der Welt und die entschiedene Verbesserung ihrer Arbeit voraussetzen.

Die Arbeiterklasse und die breiten Massen brauchen in ihren Kämpfen eine revolutionäre Perspektive. Dazu müssen die ICOR-Parteien und alle revolutionären Parteien der Welt deutlich gestärkt werden und sich zusammenschließen – in der praktischen Koordination und Kooperation, aber schrittweise auch immer weiter weltanschaulich, ideologisch-politisch. Nur dann können sie die geforderte Bewusstseinsbildung und die schon von Karl Marx geforderte „immer weiter um sich greifende internationale Vereinigung der Arbeiter“ verwirklichen. Nur so kann eine überlegene Kraft über das mächtige imperialistische Weltsystem entstehen, die historische Mission erfüllt und letztendlich das Ziel des Sozialismus und Kommunismus auf der ganzen Welt erreicht werden.“1

Die wichtigste selbst gesteckte Aufgabe der ICOR dabei ist die praktische Kooperation und Koordination in Verbindung mit einer schrittweisen ideologisch-politischen Vereinheitlichung. Das ist in der jetzigen Situation gar nicht so einfach! Die neue weltpolitische Lage bringt in allen Parteien große Diskussionen über die Einschätzung hervor, teilweise kommt es zu Spaltungen. Diese Diskussionen konzentrieren sich vor allem auf die Fragen der Veränderungen im imperialistischen Weltsystem und nicht zuletzt auf die Beurteilung von Ländern wie China, Russland und so weiter als neuimperialistische Länder.

Alle Parteien sind in ihren Ländern aktiv – oft unter dem Damoklesschwert wachsender Repressionen. So die Revolutionäre in Sri Lanka in den Massenkämpfen gegen die horrende Inflation (s. S. 29). Aber der Sprung zur tatsächlichen praktischen internationalen Koordinierung und Kooperation – wie im Kampf gegen die imperialistische Weltkriegsgefahr – ist, gemessen an den Anforderungen der Situation, noch nicht gelungen.

ICOR – Erfolgsgeschichte im Gegenwind

Dabei kann die ICOR bereits auf eine Erfolgsgeschichte zurückgreifen. Am 6.10.2010 wurde sie gegründet, mit damals 41 Parteien und Organisationen aus 33 Ländern – ein Schritt von welthistorischer Bedeutung. Dies nach einer intensiven Vorbereitungszeit von drei Jahren mit dem damaligen Hauptkoordinator Stefan Engel. In ihrer Gründungsresolution zog sie „einen klaren Trennungsstrich zu Revisionismus, Trotzkismus und Anarchismus“ und zu „jeder Form des Antikommunismus“. Die Ziele im Sozialismus / Kommunismus und die Notwendigkeit einer Diktatur des Proletariats im Sozialismus als Übergangsgesellschaft wurden vereinheitlicht. Die Hauptaufgabe der praktischen Zusammenarbeit in der gleichberechtigten Koordinierung und Kooperation wurden vereinbart, gemeinsame Prinzipien und Beschlüsse, gleiche Rechte und Pflichten aller Mitgliedsorganisationen verbindlich festgelegt. Dazu gehört vor allem, dass jede Organisation selbst entscheidet, ob und in welchem Umfang sie an den gemeinsam beschlossenen Projekten teilnimmt – das Zugesagte dann aber auch verlässlich verwirklicht. Jeder muss auch zuverlässig einen finanziellen Jahresbeitrag leisten – legt die Höhe jedoch selbst fest.

Das war ein großer Sieg über die jahrzehntelange Zersplitterung, Niedergeschlagenheit, Desorientierung und das Liquidatorentum auf der Welt nach dem revisionistischen Verrat am Sozialismus in der Sowjetunion und in China. Das war das Kontrastprogramm gegen prinzipienlose und illusionäre Konzepte eines internationalen Zusammenschlusses. Kurz vor der Gründung der ICOR trafen sich 2009 in Venezuela über 50 linke Parteien und Organisationen aus aller Welt, um den Aufruf des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavéz zur Gründung einer 5. Internationale auf dem Weg „zu einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ zu beraten und zu unterzeichnen. In dessen Zentrum stand die revisionistische Illusion einer „friedlichen Transformation“.

Heute ist Venezuela hochverschuldet bei China und Russland und die Massen stehen dort mit extrem hoher Arbeitslosigkeit und verbreiteter Armut vor dem Scherbenhaufen dieser revisionistischen Konzeption. Die „5. Internationale“ existiert allenfalls noch auf dem Papier. Im Buch „Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution“ wird ausgewertet: „Die revolutionären Organisationen und die breiten Massen müssen weltweit … sich von allen Illusionen einer friedlichen Transformation des Kapitalismus freimachen und alles Notwendige zur Vorbereitung der internationalen sozialistischen Revolution tun.“2

Der erfolgreiche Aufbau der ICOR musste aber auch gegen immer neue antikommunistische Attacken, Unterdrückungs- und Kriminalisierungs-Versuche erkämpft werden. Revolutionäre und antiimperialistische Teilnehmerorganisationen oder Verbündete werden in die Nähe des Terrorismus gerückt und stellvertretend Stefan Engel, die jetzige Hauptkoordinatorin Monika Gärtner-Engel und die MLPD-Vorsitzende Gabi Fechtner – die eine treibende Kraft in der ICOR ist – bespitzelt, verfolgt und diffamiert. Die Antwort der ICOR-Parteien darauf ist nicht, eingeschüchtert zu sein oder gar gegenseitige Distanzierung, sondern noch engerer Schulterschluss und Solidarität!

Typisch ICOR!

Im Zentrum der Tätigkeit der ICOR stand von Beginn an die praktische Koordinierung und Kooperation der revolutionären Tätigkeit zur Vorbereitung einer internationalen sozialistischen Revolution. Regelmäßige Höhepunkte dabei sind die gemeinsamen internationalen Kampftage 8. März, 1. Mai, Antikriegstag und Umweltkampftag. Höhepunkte darüber hinaus waren die Aktivitäten zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution 2017 mit einem theoretischen Seminar und gemeinsamer Feierlichkeit sowie Demonstration in Sankt Petersburg. Mutig und zukunftsweisend beteiligten sich 177 ICOR-Brigadistinnen und -Brigadisten am Aufbau eines Gesundheitszentrums in syrisch-kurdischen Kobanê, während die kurdischen Volksbefreiungskräfte YPG und YPJ gegen den IS kämpften (mehr auf S. 18/19). Europäische ICOR-Parteien begingen den 150. Jahrestag der Pariser Kommune 2021 kämpferisch in Paris.

Ein besonderer Schwerpunkt der praktischen Koordination und Kooperation ist die Zusammenarbeit mit überparteilichen internationalen Bewegungen beziehungsweise Organisationsformen: der Internationalen Automobilarbeiter- und der Bergarbeiterkonferenz sowie der Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen. Gleichzeitig sind in diesen Bewegungen Bestrebungen im Gange, innerhalb der vielschichtigen Teilnehmer antiimperialistische Plattformen zu bilden, um sich mit diesen an der antiimperialistischen Einheitsfront zu beteiligen.

Untrennbar mit der Entwicklung und Höherentwicklung dieser praktischen Aktivitäten verbunden ist die schrittweise ideologisch-politische Vereinheitlichung. Denn die praktischen Aktivitäten sind immer ausgerichtet auf das strategische Ziel der sozialistischen Revolution, mit einer weltanschaulichen Offensive. Zur kontinuierlichen Arbeit dabei gehören Aktionen zur Arbeitersolidarität mit den Nissan-Arbeitern in Frankreich, mit der Jasic-Belegschaft in Shenzen (China) und kämpfenden Bergleuten in Peru oder Belarus. Das schlug sich in einer Solidaritätskampagne „Hände weg von Venezuela!“ genauso nieder wie in der Solidarität mit Aufständen der Bauern und Landarbeiter in Indien sowie zu Generalstreiks in Kolumbien und Uruguay.

Typische Leitlinie ist dabei: Wenn wir uns in 80 Prozent der Fragen einig sind, müssen wir auch daran zusammenarbeiten – und dabei die Differenzen schrittweise überwinden. Die 4. Weltkonferenz der ICOR 2021 beschloss unter anderem die gemeinsame Durchführung eines Solidaritätstags mit dem Befreiungskampf des palästinensischen Volks. Trotz Einigkeit in der Solidarität mit dem Freiheitskampf des palästinensischen Volks gibt es noch ideologisch-politische Differenzen zur Palästina-Frage. Getreu dem Motto der praktischen Solidarität soll die praktische Kooperation und Koordination bewusst zur Höherentwicklung der Vereinheitlichung dienen. Geplant ist im Vorfeld eine Online-Zeitung, in der alle ICOR-Organisationen ihre Positionen dazu darlegen können, auf deren Grundlage dann weiter diskutiert und möglichst zu einer einheitlichen Position gefunden werden kann.

Die 4. Weltkonferenz beschloss insbesondere auch die Unterstützung der 3. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen 2022 Tunesien und der Internationalen Bergarbeiterkonferenz 2023 in Thüringen. Und 2024 soll zu „100 Jahre Erbe Lenins“ erneut ein weltweites theoretisches Seminar stattfinden.

Aufbau der antiimperialistischen Einheitsfront verstärken

„In dieser aufgewühlten, destabilisierten und krisenhaften Welt muss eine dem Imperialismus überlegene Kraft entstehen. Die Zeit ist reif für den Aufbau einer internationalen antiimperialistischen und antifaschistischen Einheitsfront, deren Kern das internationale Industrieproletariat bilden muss.“ Mit diesen Zeilen aus dem Vorwort der Broschüre von Stefan Engel „Über die Herausbildung der neuimperialistischen Länder“ gab die MLPD 2017 einer notwendigen internationalen Diskussion Orientierung.

Ende 2019 starteten die internationalen Zusammenschlüsse ILPS3 und ICOR einen gemeinsamen Aufruf, eine solche antiimperialistische und antifaschistische Einheitsfront als einen breiten Zusammenschluss auf den Weg zu bringen. Es wurde ein Consultative Comittee gebildet, Aufruf, Regeln und Arbeitsweise der Zusammenarbeit vereinheitlicht. Len Cooper als Vorsitzender des ILPS und Monika Gärtner-Engel, Hauptkoordinatorin der ICOR, wurden als die beiden Co-Präsidenten gewählt.

Die Einheitsfront ist – im Gegensatz zu den bestehenden Organisationsformen ICOR und ILPS – ein weiter gefasster, koordinierender Zusammenschluss mit inhaltlich breiteren Grundlagen: Der Kern ist Antiimperialismus und Antifaschismus, während die Zustimmung zu wissenschaftlichen Vorstellungen von Sozialismus, Kritik am Revisionismus und so weiter nicht Voraussetzung für die Mitarbeit sein soll. Es gilt auch kein demokratischer Zentralismus. Dieser Aufbau gemeinsam mit dem ILPS ist derzeit ins Stocken geraten, während gleichzeitig zahlreiche Kräfte aus aller Welt sich dem Projekt zuwenden.

Die 4. ICOR-Weltkonferenz hat bekräftigt, unter allen Umständen am Aufbau dieser Einheitsfront festzuhalten und die Arbeit mit allen interessierten Kräften weiterzuführen. Dies war auch der einhellige Wunsch der rund 90 Beteiligten aus 22 Ländern und vier Kontinenten auf einer von der ICOR organisierten Web-Konferenz im März 2022.

Bei der Gründung der ICOR und mit ihrer Mitgliedschaft darin bekräftigte sie ihre Entschlossenheit, jede Aufgabe unter dem Blickwinkel dieser weltweiten revolutionären Zusammenarbeit anzugehen. Dazu gehört auch, bewusstseinsbildend bei jedem Mitglied von MLPD und Jugendverband REBELL sowie unter den Massen für diese hohe Verantwortung zu arbeiten. Die heutige weltpolitische Situation macht dies notwendiger denn je!