BRIEFWECHSEL ZUM UKRAINE-KRIEG
Wer ist konkreter Aggressor, wer weltweiter Hauptkriegstreiber?
Ein Genosse aus Solingen schrieb am 24. Februar an das ZK der MLPD: „Liebe Genossen, (…) Die Kernkritik ist, dass die Aggression des kleineren imperialistischen Räubers Russland darin vergleichsweise unterschätzt wird. (...): Grundlegend ist der US-Imperialismus mit der aggressiven NATO seit Jahrzehnten der Hauptkriegstreiber, der den kleineren neuimperialistischen Räuber Russland aggressiv in die Zange zu nehmen versucht.
Im Vergleich dazu ist das neuimperialistische Russland mit seiner inzwischen auch Jahre dauernden Aggression gegen fremde Völker und Territorien (Georgien mit Besetzung von Abchasien und Südosse-tien, Moldau mit Besetzung von Transnistrien, Ukraine mit Besetzung der Krim und zweier öst-licher Provinzen, Syrien mit militärischem Beistand für Assad) vergleichsweise nur der „Nebenkriegstreiber“. Ab der jetzigen konkreten Situation des bis gestern noch drohenden und heute vollzogenen militärischen Überfall Russlands auf die Ukraine haben sich aber diese beiden Seiten des Widerspruchs verwandelt: Unabhängig von der jahrzehntelangen Provokation durch die USA/NATO gegenüber Russland ist mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine Russland zum aktuellen Hauptkriegstreiber geworden, von dem aktuell die größte Kriegsgefahr ausgeht.
Von daher muss sich auch der Hauptstoß unserer Agitation jetzt gegen diese militärisch-imperialistische Aggression richten in dieser qualitativ veränderten Situation des ausgebrochenen Krieges an der alten Einschätzung des Hauptkriegstreibers festzuhalten ist eine dogmatische Tendenz. … Daher halten wir auch die Überschrift der Erklärung vom 22. Februar „Ukraine: Stoppt die gefährliche Kriegstreiberei ausgehend von den USA und der NATO!“ für falsch. Dass die USA/NATO der Ausgangspunkt ist, ist richtig und muss angeprangert werden. Ebenso wie die heuchlerische Rolle der Bundesregierung. Dennoch muss sich der Hauptstoß jetzt gegen Russland richten, das diese NATO-Provokation zum Anlass für ihren imperialistischen Überfall nutzt und sie auch damit rechtfertigt. (…) Meine Diskussionen mit Freunden, Nachbarn, im Sportverein und auch gestern bei der Kundgebung zeigen eine große Empörung gegen die Aggression Russlands und die Sorge über die weitere Entwicklung - wobei überwiegend die Rolle von NATO und der Bundesregierung ausgeblendet wird. Das Letzte muss unbedingt kritisiert werden. Aber wir gehen an den Ge-fühlen und Sorgen der Massen vorbei, wenn wir tendenziell einseitig den Hauptstoß gegen den westlichen Imperialismus richten. Mit revolutionären Grüßen."
Ein Genosse des ZK der MLPD antwortete am 25. Februar
„Lieber Genosse.,
Danke für deine Kritik an der Erklärung des ZK der MLPD vom 22.2.2022. Wir haben taktische berechtigte Hinweise von dir in unserer aktuellen Erklärung vom gestrigen Nachmittag aufgegriffen. Ich stimme dir aber nicht zu, dass die ZK-Erklärung vom 22.2.2022 allgemein „einseitig und undialektisch“ sei. Du zitierst schon den Titel verkürzt. Du behauptest, dort hätte nur gestanden: „Ukraine: Stoppt die gefährliche Kriegstreiberei ausgehend von den USA und der NATO.“ Du lässt aber einfach weg, dass es im Titel weiter hieß: „Aktiver Widerstand gegen jede imperialistische Aggression – ob von USA/NATO oder Russland!“
Berechtigt weist du darauf hin, dass man unterscheiden muss zwischen dem Hauptkriegstreiber und einem konkreten Aggressor, der ein Land konkret militärisch überfällt. Allerdings muss dabei auch beachtet werden, dass zwischen dem 22. Februar und dem 24. Februar wichtige Veränderungen stattfanden. In der Nacht zum 24. Februar hat das neuimperialistische Russland die Ukraine überfallen. Das war ein aggressiver, imperialistischer Akt. Entsprechend betonten wir in der Erklärung vom 24. Februar 2022: „Aktiver Widerstand gegen jede imperialistische Aggression, ob von USA/NATO oder Russland – Kampf der Welt Kriegsgefahr!“
Die Erklärung beginnt auch sofort mit dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Dieser Überfall geht konkret von Russland aus, ist aber ein von beiden Seiten ungerechter Krieg.
Nicht vergessen darf man, dass dieser Krieg aber von der NATO systematisch provoziert wurde. Dies gilt für die ganzen letzten mehr als 20 Jahre mit der aggressiven NATO-Osterweiterung, aber auch aktuell mit den massiven Truppenverlegungen, der psychologischen Kriegshetze und verschiedenem mehr.
Mit der neuen ZK-Erklärung haben wir klargestellt, dass der russische Imperialismus mit dem Einmarsch in der Ukraine konkret aggressiv und provokativ vorgeht. Aber dadurch hat sich nichts daran geändert, wer der Hauptkriegstreiber auf der Welt ist. Wir haben das in der aktuellen Erklärung auch aufgrund deiner kritischen Hinweise präzisiert und sprechen davon, dass die USA/NATO die weltweiten Hauptkriegstreiber sind. Hier muss von uns künftig noch differenzierter beachtet werden, was die allgemeine und konkrete Seite in einem solchen Widerspruch angeht. Aber es ist nicht richtig, dass du aus dem konkreten Einmarsch von Russland eine allgemeine Einschätzung machst, dass Russland mittlerweile zu dem Hauptkriegstreiber geworden sei. Solche Einschätzungen lassen sich nie davon abhängig machen, wer den ersten Schuss abgibt o. ä. Hier muss die gesamte Geschichte der Entwicklung der Widersprüche, die wirtschaftliche, politische und militärische Seite beachtet werden.
Grundsätzlich nicht richtig ist deine These, dass sich nunmehr „der Hauptstoß unserer Agitation jetzt gegen diese militärisch-imperialistische Aggression“ Russlands richten müsse. Wir leben in Deutschland immer noch in einem westlich-imperialistischen Land, einem NATO-Mitglied, einem engsten Alliierten der USA. In dieser Situation muss unsere Hauptrichtung darin bestehen, sich gegen jedwede Art imperialistischer Aggression zu stellen. Würden wir den Hauptstoß gegen Russland richten, befänden wir uns schon auf einem schmalen Gleis zu den Opportunisten, die sich jetzt alle hinter der Regierung versammeln. Auch im Ersten Weltkrieg haben die wirklichen Revolutionäre immer betont, dass man diesen gesamten Krieg als imperialistischen Krieg gleichermaßen ablehnen muss. Außerdem ist es unsere Verpflichtung, den Hauptstoß gegen den Hauptfeind im eigenen Land, den BRD-Imperialismus, zu richten. Zu was würde deine These führen, wenn man sie in die Konsequenz denken würde? Übrig bliebe eine Tendenz der Anpassung an den westlichen Imperialismus.
Auch deine Begründung zur Stimmung der Massen ist hier nicht überzeugend und nicht richtig. Natürlich müssen wir in der Wahl unserer Sprache die Stimmung der Massen berücksichtigen. Aber eine von dir – meines Erachtens auch fälschlich – behauptete Grundstimmung unter den Massen könnte nie ein Argument sein, sich grundsätzlich falsch zu positionieren. Hier kommt es doch auf unsere Erziehungsarbeit, während du einer opportunistischen Nachtrabpolitik das Wort redest. (…)
Der Charakter des Konflikts zwischen der NATO und Russland hat sich nicht allgemein geändert durch den Einmarsch Russlands in der Ukraine. Hier ist die Hauptseite immer noch die Ablehnung jeder imperialistische Aggression, und nicht das Relativieren der Verantwortung des einen oder anderen Imperialisten.
Herzlichen Gruß!“