Rote Fahne 14/2020
Nicht auf unserem Rücken! Was tun gegen Entlassungen und die verschärfte Ausbeutung in den Betrieben?
Über 7,3 Millionen Kolleginnen und Kollegen waren im Mai in Kurzarbeit, Hunderttausende haben schon ihren Job verloren. Fast täglich gibt es neue Meldungen über die Vernichtung Tausender Arbeitsplätze. In den Betrieben, Gewerkschaften und Arbeiterfamilien entfaltet sich die Diskussion: Muss man das alles hinnehmen angesichts der krisenhaften Entwicklung?
Kolleginnen und Kollegen im Kaltwalzwerk 1 in Duisburg-Bruckhausen von Thyssenkrupp Stahl haben die richtige Entscheidung getroffen: Sie haben am Wochenende des 20./21. Juni über mehrere Schichten die Arbeit niedergelegt, um die feste Übernahme eines Kollegen mit befristetem Vertrag durchzusetzen. Dem voraus gingen das Bekanntwerden immer weitergehender Pläne zu massenhafter Arbeitsplatzvernichtung durch den Konzern, aber auch intensive Diskussionen über den notwendigen Kampf dagegen. Ein kleines, aber wichtiges Vorgefecht für künftige Kämpfe!
Noch versuchen die bürgerlichen Medien, Regierung und Monopolvertreter das ganze Ausmaß der krisenhaften Entwicklung herunterzuspielen. Auch viele Kolleginnen und Kollegen unterschätzen die Dimension der Krise. Dabei steht die Corona-Pandemie weltweit erst am Anfang und verschärft die Weltwirtschafts- und Finanzkrise dramatisch. Das Anfahren der Produktion auf Drängen der Monopole mit allem, was daran hängt, wie die Öffnung von Schulen und Kitas, birgt wiederum die Gefahr einer zweiten Corona-Welle. Beides kann sich in den nächsten Monaten zu einer gesamtgesellschaftlichen Krise des imperialistischen Weltsystems hochschaukeln. Hungeraufstände in vielen Ländern und aufstandsähnliche Unruhen in zahlreichen US-amerikanischen Städten sind Vorboten dafür. Im Kernland des Imperialismus sind über 40 Millionen Menschen arbeitslos, über 120.000 bereits in Verbindung mit Covid-19 gestorben, Armut breitet sich aus. Auch die Zerstörung der Umwelt wird durch die Weltwirtschafts- und Finanzkrise beschleunigt. Dieses Gemisch der verschiedenen imperialistischen Krisen ist der Boden, auf dem weltweit eine revolutionäre Gärung entstehen kann.
Eine wachsende Minderheit der Kolleginnen und Kollegen in Großbetrieben stellt die kapitalistische Profitwirtschaft infrage. Die Kritik am Krisenmanagement von Monopolen und Regierung belebt sich – vor allem in Verbindung mit der Kleinarbeit der MLPD. Gleich zu Beginn der Corona-Krise spielte die Arbeiterklasse eine Vorreiterrolle im Kampf zur Durchsetzung notwendiger Gesundheitsmaßnahmen, bis hin zu Produktionsstillständen. In Italien legten dafür Zehntausende die Arbeit nieder. Mit den selbständig organisierten 1. Mai-Demonstrationen in rund 100 Städten mit prägender Rolle der MLPD wurde eine Bresche in die Beschränkung bürgerlich-demokratischer Rechte und die Unterminierung der Gewerkschaftsarbeit durch die rechte Gewerkschaftsführung geschlagen. In Italien streikten trotz Ausgangsbeschränkung am 1. Mai und dessen Vorabend 900 000 Kolleginnen und Kollegen. Mit Kranzniederlegungen am 8. Mai zum Jahrestag des Siegs über den Hitler-Faschismus wie bei Thyssenkrupp in Duisburg und Dortmund oder einer antirassistischen Kundgebung im Uni-Klinikum in Essen am 10. Juni zeigen Gewerkschaftsmitglieder in wichtigen politischen Auseinandersetzungen klare Kante. Auch international beleben sich die Kämpfe und festigt sich das Klassenbewusstsein der Arbeiter. Am 19. Juni streikten in allen 29 Häfen der Westküste der USA die Hafenarbeiter der Gewerkschaft ILWU (International Longshore and Warehouse Union) gegen Rassismus.
Härtere Bandagen
Noch entfalten Kurzarbeit, Altersteilzeit und Abfindung eine dämpfende Wirkung in den Betrieben. Angesichts der Tiefe der jetzigen Weltwirtschafts- und Finanzkrise wird das nicht von Dauer sein. Zahlreiche Konzerne kündigten in den letzten Wochen die Vernichtung von Zehntausenden Arbeitsplätzen an. Getrieben durch den internationalen Konkurrenzkampf legen die Monopole härtere Bandagen an – so wie bei Karstadt-Kaufhof. „Wir mussten auf Lohn, Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichten, umsonst länger arbeiten – und jetzt bin ich mit 58 arbeitslos“, empört sich eine Karstadt-Verkäuferin aus Dortmund.
Schon jetzt werden bisher gewährte soziale Leistungen zunehmend infrage gestellt. So will der Opel-Vorstand die Betriebsrente kürzen. In einem internen Papier kündigt der Vorstand von ZF an: „Maßnahmen wie Kurzarbeit, Beurlaubungen oder Gehaltsverzicht (reichen) bei Weitem nicht aus, denn die Krise wird länger dauern …“. Deshalb seien auch betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr ausgeschlossen. Sprich, nach der Kurzarbeit kommen die Entlassungen. So sieht die Realität der Klassenzusammenarbeits-Appelle vom „Gemeinsam aus der Krise“ aus! Wie können sich die Arbeiterinnen und Arbeiter gegen die verschärfte Ausbeutung zu Wehr setzen, wie können sie in die Offensive kommen und warum müssen sie dazu mit antikommunistischen Vorbehalten fertigwerden?
Der Streik bei Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) ist ein erster Schritt. Die bisherigen Erfahrungen des kleinen Streiks bei TKSE in Duisburg sind von großer Bedeutung für die weitere Entwicklung des Kampfs gegen die Abwälzung der Krisenlasten:
* Nicht abwarten, sofort in die Offensive gehen: „Wir sind ständig zu wenig Leute. Dann die Kurzarbeit, die Unsicherheit, was aus uns wird. Das Vertrauen in den Vorstand ist auf Null. Und dazu die Belastung durch die Corona-Krise, auf der Arbeit und zu Hause. Irgendwann reicht es.“ Solche Aussagen stehen für die verbreitete Stimmung unter den Stahlarbeitern. Doch entscheidend waren tägliche Auseinandersetzungen darüber, dass man angesichts der geplanten Vernichtung von 3000 Arbeitsplätzen nicht abwarten darf, bis es zu spät ist. Bei immer mehr Kolleginnen und Kollegen bestärkte das die Entschlossenheit, im passenden Moment sofort in die Offensive zu gehen.
* Defensive mit offensiven Forderungen verbinden: Die Streikenden erweiterten ihre Forderung auf die unbefristete Übernahme aller Kolleginnen und Kollegen mit befristeten Verträgen, Leiharbeiter und Auszubildenden. Sie treffen dabei Thyssenkrupp an einer empfindlichen Stelle. Denn die Zusage des „Verzichts auf betriebsbedingte Kündigungen“ gilt nur für die Stammbelegschaft! Dazu ein Kollege: „Für uns gibt es keine Arbeiter erster, zweiter oder dritter Klasse.“ Der Streik ist damit auch eine prinzipielle und praktische Kritik an der Klassenzusammenarbeitspolitik von rechter Betriebsratsspitze und Verantwortlichen in der IG Metall, die solche Verträge mit dem Vorstand auskungeln.
* Selbständige, demokratische Streikführung: Der Streik wurde von den Kolleginnen und Kollegen selbständig geführt. Sie haben auf jeder Schicht ihre Entscheidungen demokratisch diskutiert und abgestimmt, ob und wie sie den Streik fortsetzen. Das hat sie gestärkt.
* Geschlossen gegen Maßregelungen: Der Vorstand reagierte sofort nervös, aber auch mit bislang nicht gekannter Härte, drohte mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Der Streik ist nicht „wild“, wie Thyssenkrupp behauptet, sondern vollständig berechtigt. Das Grundrecht auf ein vollständiges und allseitiges gesetzliches Streikrecht aber wird den Arbeiterinnen und Arbeitern in Deutschland verwehrt. Ein Beleg, dass sich hinter der Fassade der bürgerlichen Demokratie eine Diktatur der großen internationalen Monopole verbirgt. Selbstbewusst haben die Kolleginnen und Kollegen beschlossen, dass sie nicht zulassen, dass einer von ihnen als „Rädelsführer“ herausgegriffen wird.
* Spaltung der Belegschaft durchkreuzen: Um die Kollegen zu spalten und eine Ausweitung des Streiks zu verhindern, setzt Thyssenkrupp auf Spaltung und behauptet, ein ausgelernter Lehrling würde den Arbeitsplatz des befristeten Kollegen bekommen. „Alle brauchen ihren Arbeitsplatz! Dann muss eben die Arbeitszeit für alle verkürzt werden“ – war die Antwort der Streikenden. „Aber bei vollem Lohnausgleich“, ergänzt ein Kollege bei einer Versammlung am Tor.
* Wer kämpft, erhält Solidarität: Die Streikenden Walzwerker haben von Beginn an Solidarität erfahren. Mit Solidaritätsschreiben aus anderen Betrieben, von Montagsdemonstrationen, der Automobilarbeiterplattform des Internationalistischen Bündnisses, ja selbst von der indischen Gewerkschaft TUIC. Unter den Teilnehmern an einer Protestversammlung am 21. Juni vor dem Tor waren Delegationen verschiedener Metall- und Autobetriebe, Bergarbeiter, Genossinnen und Genossen der MLPD und des Jugendverbandes REBELL, sogar zwei Gewerkschafter aus der Schweiz. Ein Solidaritätskreis zur Unterstützung der Streikenden wurde aktiv. Die Arbeiter selbst praktizieren vorbildliche Solidarität, indem sie aus Solidarität mit einem Kollegen streiken, obwohl sie selbst nicht unmittelbar betroffen sind.
Gewachsenes enges Vertrauensverhältnis mit der MLPD im Fertigwerden mit dem Antikommunismus: Die Kolleginnen und Kollegen kennen seit Jahren die Arbeit der Betriebsgruppe der MLPD und den „Stahlkocher“, die Kollegenzeitung, an der auch Genossen der MLPD mitarbeiten. Peter Römmele, Landesvorsitzender der MLPD in Nordrhein-Westfalen, arbeitet selbst bei Thyssenkrupp. In vielen Jahren konnten die Kolleginnen und Kollegen die MLPD in Wort und Tat als verlässliche und konsequente Arbeiterpartei kennenlernen. Einmal mehr zeigt sich, welche Kräfte freigesetzt werden, wenn Arbeiter immer besser mit dem Antikommunismus fertig werden.
Belebung gewerkschaftlicher und selbständiger Aktivitäten
Die gewerkschaftlichen und selbständigen Initiativen haben sich belebt. Dazu gehören gemeinsame gewerkschaftliche Protestaktionen wie von ver.di an acht Flughäfen gegen die Senkung sozialer und tariflicher Standards. Oder von der IG Metall an allen ZF-Standorten gegen die Vernichtung von 15.000 Arbeitsplätzen. Bei Voith in Sonthofen streikten die rund 500 Beschäftigten fast fünf Wochen lang gegen die geplante Stilllegung des Werkes. In Hannover organisierten Kolleginnen und Kollegen der VW-Tochter Sitech selbständig den Widerstand gegen die Schließung ihres Werkes und halten an der Forderung ihrer Übernahme durch VW fest.
Gegen die betriebsbedingte Kündigung von über 200 Bergleuten durch die RAG entbrannte der Kampf von Bergleuten im Revier. Er weitete sich aus gegen die gesamte Politik der „verbrannten Erde“ durch die RAG: gegen den Deputatklau, die drohende Gefahr der Vergiftung der Umwelt durch die Zechenflutungen und die prekäre Mietersituation durch den Verkauf der Bergmannswohnungen. Die Demonstration am 27. Juni war bereits die 13. gemeinsame Demonstration als Zeichen der Verbindung der Arbeiter- mit der Umweltbewegung und dem Kampf der breiten Massen! Dass sich jetzt auch Stahlarbeiter angeschlossen haben, ist ein wichtiger Schritt zur Vereinigung kämpferischer Teile im Kern des internationalen Industrieproletariats (siehe Seite 9. Bei Tata Steel in Ijmuiden (Niederlande) und ArcelorMittal in Tarent haben die Stahlarbeiter gegen Pläne zur Arbeitsplatzvernichtung gestreikt. Die Organisierung der Solidarität ist der erste Schritt zur länderübergreifenden Koordinierung der Kämpfe der Arbeiter.
Von Einzel- zu Massenkämpfen ...
Die verschiedenen, noch hauptsächlich vereinzelten Initiativen und Kämpfe müssen wie Bäche zu einem Fluss und starken Strom zusammenfließen: Von Einzelkämpfen zu Massenkämpfen und zum Übergang in die Arbeiteroffensive auf breiter Front in Verbindung mit dem Kampf der breiten Massen! Eine zentrale Rolle spielen dabei offensive Forderungen und Losungen wie nach der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, der Rettung der Umwelt vor der Profitwirtschaft und einem vollständigen und allseitigen gesetzlichen Streikrecht.
Dabei geht es nicht um die Verbreitung der Illusion, dass der Kapitalismus sozial und demokratisch gestaltet werden könnte. Im Gegenteil, der Kampf um solche Reformen muss so geführt werden, dass er zur Schule eines gesellschaftsverändernden Kampfs für ein sozialistisches Gesellschaftssystem wird. Das setzt voraus, dass die Arbeiterklasse ihre Organisiertheit entscheidend erhöht. Denn: „Die einzige gesellschaftliche Macht der Arbeiter ist ihre Zahl.“ (Karl Marx)1
Entsprechend dem jeweiligen Stand des Klassenbewusstseins gehören dazu die Gewerkschaften als Kampforganisationen, die Arbeiterplattform im Internationalistischen Bündnis gegen Rechtsentwicklung, Faschismus und Krieg, aber auch weltweite Organisationsformen wie die Internationale Bergarbeiter- oder Automobilarbeiterkoordination und vor allem die revolutionäre Arbeiterpartei MLPD.
Fertigwerden mit dem Antikommunismus
Der Schlüssel auf dem Weg zur Arbeiteroffensive ist das Fertigwerden mit antikommunistischen Vorbehalten. In der jahrelangen Zusammenarbeit mit der MLPD und ihrer Betriebsgruppe haben die Walzwerker in Duisburg erfahren, dass es der MLPD nicht darum geht, „ihr Süppchen zu kochen“. Ein Walzwerker meint dazu: „Das sagen nur Leute, die täglich mit dem Vorstand kungeln, während die MLPD unsere Interessen, Arbeiterinteressen vertritt.“
Im Zentrum des Antikommunismus steht die Verteufelung der „Diktatur des Proletariats“. Das hat keinen anderen Sinn, als jeden Gedanken an eine grundlegende Alternative zum Sozialismus zu verstellen. Dabei sind heute alle materiellen Voraussetzungen für die vereinigten sozialistischen Staaten der Welt vorhanden. Das internationale Industrieproletariat ist Träger der fortgeschrittensten Produktionsweise und hält die internationalisierte moderne Produktion am Laufen. Es ist auch die führende Kraft, die im Bündnis mit allen Unterdrückten in der Lage ist, das imperialistische System, die heutige Form des Kapitalismus, zu überwinden und die Diktatur des Proletariats zu errichten. Das bedeutet eine für die Massen nie gekannte breiteste Demokratie und Diktatur über die alten Ausbeuter und alle Bestrebungen, den Kapitalismus wieder herzustellen.
Die Bewegung „Gib Antikommunismus keine Chance!“ kommt deshalb genau richtig. Die Aufstellung der Lenin-Statue in Gelsenkirchen wurde auch von vielen Arbeitern aufmerksam verfolgt. Jetzt kommt es darauf an, möglichst viele bewusste Unterstützer der Bewegung gegen den Antikommunismus zu gewinnen und die MLPD erheblich zu stärken!