Russland
Was wurde aus der Februarrevolution 1917?
Nach der Februarrevolution von 1917 entwickelte sich in Russland die eigenartige Situation einer Doppelherrschaft. In der Reihe „100 Jahre Oktoberrevolution“ wollen wir dies näher beleuchten
Am 14. Februar präsentierte das ZDF in einer sogenannten „Dokumentation“ über die russische Februarrevolution die damaligen Revolutionäre (Bolschewiki) als Mörderbande und den Revolutionsführer Lenin als vom deutschen Kaiser gekauften Agenten. Obwohl die Frankfurter Allgemeine unlängst schrieb, in der Historikerzunft habe das Interesse an der Oktoberrevolution stark nachgelassen. Weltweit würden sich „gerade einmal ein halbes Dutzend Doktoranden“ mit dem Thema1 beschäftigen. Trotzdem halten es die bürgerlichen Massenmedien offensichtlich doch für wichtig, die Ereignisse des Jahres 1917 aufzugreifen und im antikommunistischen Sinne zu verfälschen. Das ist Ausdruck der ideologischen Defensive, in der sich die Herrschenden heute gegenüber dem beginnenden fortschrittlichen Stimmungsumschwung unter den Massen befinden. Die Offenheit für eine grundsätzliche Alternative zum kapitalistischen System wächst, und dagegen wählen sie die Methode, Revolution als Verbrechen zu verunglimpfen. Die Rote Fahne tritt diesen bürgerlichen Geschichtsfälschungen entgegen. Sie führt darüber hinaus die Auseinandersetzung über die Lehren und die aktuelle Bedeutung der russischen Revolution.
Ihre erste Etappe2, die bürgerlich-demokratische Februarrevolution, stürzte den Zarismus und brachte die eigenartige Situation einer Doppelherrschaft hervor. Mitte Juli 1917 schrieb der russische Kommunist Lenin dazu rückblickend: „Damals, in dieser vergangenen Periode der Revolution, bestand im Staate die sogenannte ,Doppelherrschaft‘, die materiell wie formal den unbestimmten Übergangszustand der Staatsmacht zum Ausdruck brachte. Vergessen wir nicht, daß die Frage der Macht die Grundfrage jeder Revolution ist. Damals befand sich die Staatsmacht in einem labilen Zustand. Auf Grund eines freiwilligen gegenseitigen Übereinkommens teilten sich die Provisorische Regierung und die Sowjets in die Staatsmacht. Die Sowjets waren Delegationen der Masse der freien, das heißt keiner Gewalt von außen unterworfenen, bewaffneten Arbeiter und Soldaten. Daß die Waffen in den Händen des Volkes waren, daß jede Gewalt von außen über das Volk fehlte, eben darin bestand das Wesen der Sache. Das war es, was der ganzen Revolution den friedlichen Weg zur Vorwärtsentwicklung eröffnete und sicherte. Die Losung ,Übergang der gesamten Macht an die Sowjets!‘ war die Losung des nächsten Schrittes … Die friedliche Entwicklung wäre damals möglich gewesen, sogar in der Beziehung, daß der Kampf der Klassen und Parteien innerhalb der Sowjets, wenn die ganze Fülle der Staatsmacht rechtzeitig an die Sowjets übergegangen wäre, sich möglichst friedlich und schmerzlos hätte abspielen können … so wäre der Hauptmangel der kleinbürgerlichen Schichten, ihr Hauptfehler, die Vertrauensseligkeit gegenüber den Kapitalisten, in der Praxis überwunden worden …“ 3
Die rechten Sozialdemokraten (Menschewiki) und die kleinbürgerlichen Sozialrevolutionäre (Bauernpartei) hemmten jedoch die Entwicklung der Sowjets. Sie unterstützten und beteiligten sich lieber an der bürgerlichen Regierung, die sich gegen die sofortige Beendigung des Krieges ebenso wandte wie gegen die sofortige Enteignung des Großgrundbesitzes zugunsten der armen Bauern. Nachdem am 4. Juli ein Militärputsch unter Führung des Generals Kornilow erfolgte, „war die Macht ... an der entscheidenden Stelle in die Hände der Konterrevolution übergegangen“, und der „Kern der Sache besteht darin, daß man jetzt die Macht schon nicht mehr auf friedlichem Wege übernehmen kann“, schrieb Lenin weiter.4
Auf die Ausnahmesituation während der Doppelherrschaft beriefen sich fünf Jahrzehnte später jedoch die modernen Revisionisten, um die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion zu rechtfertigen. Auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 verkündeten sie die generelle Möglichkeit eines friedlichen Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. „Sich auf solche Ausnahmen zu berufen und die Möglichkeit des friedlichen Wegs zum Sozialismus zu verallgemeinern, ist eine grobe Verzerrung des dialektischen und historischen Materialismus und Betrug an der internationalen Arbeiterbewegung“, stellte das theoretische Organ der MLPD 1988 dazu fest.5
Wie notwendig es war und ist, den illusionären Verfälschungen der Lehren der Oktoberrevolution entgegenzutreten, zeigen die Niederlagen, die der Arbeiterbewegung überall dort zugefügt wurden, wo sich revisionistische und reformistische Führungen durchsetzen konnten. So bestätigten sich auch die Warnungen der Marxisten-Leninisten vor der „Illusion der ,friedlichen Transformation‘ des Kapitalismus“. Auf einer Konferenz von über 50 linken Parteien 2009 in Venezuela unter Führung des damaligen Präsidenten Hugo Chavez wurde dies als angeblich „revolutionärer Leitfaden“ auf dem Weg „zu einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ verkündet.6 Die gegenwärtige tiefe wirtschaftliche und politische Krise in Venezuela offenbart das Scheitern dieser Illusion einer „friedlichen Transformation“. Es bestätigt, wie wichtig es ist, aus der Geschichte – gerade der Oktoberrevolution – die richtigen Lehren zu ziehen.