ROTE FAHNE 26/2019
Faschistische Tendenz ernst nehmen!
Von einer wachsenden Tendenz zu Faschismus und Krieg ... sprach Stefan Engel, Redaktionsleiter des theoretischen Organs der MLPD, im Interview mit der Roten Fahne vom 7. November. Vor kurzem forderte die Parteivorsitzende Gabi Fechtner auf dem Frauenpolitischen Ratschlag in Erfurt, den überparteilichen Zusammenschluss gegen Faschismus und Krieg zu intensivieren. Sieht die MLPD hier neue Entwicklungen?
Richtungsstreit unter den Herrschenden
Unübersehbar tobt weltweit unter den Herrschenden ein Richtungsstreit über ihre Regierungs- und Herrschaftsmethoden. Dabei geht es auch um Veränderungen im imperialistischen Überbau aufgrund der Erfahrungen aus der größten Weltwirtschafts- und Finanzkrise in der Geschichte des Kapitalismus (2008 – 2014). Es entfaltet sich der Kampf zwischen Kräften, die derzeit noch am System der kleinbürgerlichen Denkweise als hauptsächliche Regierungsmethode festhalten, und denen, die für einen faschistoiden, chauvinistischen und offen ultrareaktionären Kurs stehen, wie Trump, Erdoğan oder Putin. Inzwischen stellen in einer Reihe von Ländern faschistische Präsidenten die Regierung, wie in Indien mit Narendra Modi und in Brasilien mit Jair Bolsonaro. Dort besteht die akute Gefahr einer faschistischen Diktatur. In der Türkei besteht solch eine Diktatur bereits seit 2016.
Angesichts des verschärften Konkurrenzkampfs in der neuen Weltwirtschaftskrise gehen verschiedene Imperialisten und Neuimperialisten zunehmend offen aggressiv vor. Bürgerlich-demokratische Rechte und Freiheiten, parlamentarische Geflogenheiten, Umweltschutzauflagen, Gewerkschaften und anderes mehr stören sie im internationalen Konkurrenzkampf. Besonders reaktionäre Teile des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals versprechen sich offensichtlich Vorteile, wenn sie auf bürgerlich-demokratische oder diplomatische Rücksichtnahmen verzichten. So, wenn die USA ohne viel Federlesens alle europäischen Unternehmen sanktionieren, die sich an der Gaspipeline Nord Stream 2 beteiligen.
Faschisierung – was ist damit gemeint?
Der Kapitalismus kennt grundsätzlich zwei Methoden der Herrschaftsausübung: Gewalt und Betrug. „Ob die eine Form oder eine andere Form zweckmäßiger erscheint, ergibt sich aus der jeweiligen Situation. Dem Wesen nach aber bleibt die Macht in den Händen des Monopolkapitals, ob so oder so.“1
1979 schrieb Willi Dickhut, Mitbegründer der MLPD, an eine Gruppe des Jugendverbands: „Faschisierung bedeutet die Vorbereitung zur Errichtung der offenen faschistischen Diktatur in einer Situation des verschärften Klassenkampfs, des Übergangs zur konterrevolutionären Diktatur, bedeutet sowohl Erprobung terroristischer Mittel und Methoden als auch Demagogie und skrupellosen Massenbetrug. Diese Vorbereitung kann vorsorglich auf lange Sicht im Rahmen der bürgerlichen Demokratie, aber auch sprunghaft bei einer rapiden Verschärfung des Klassenkampfs
erfolgen.“ 2
Heute besteht in Deutschland noch keine akute Gefahr der Einführung des Faschismus als Herrschaftsmethode. Die von der Mehrheit der herrschenden Monopole favorisierte Methode ist weiter das System der kleinbürgerlichen Denkweise. Statt nationaler Alleingänge forderte zum Beispiel der Präsident des Monopolverbandes BDA, Ingo Kramer, Mitte des Jahres „eine geschlossene und handlungsfähige EU“. Auch außenpolitisch setzen die exportabhängigen deutschen Monopolgruppen im Kampf um Weltmarktanteile gegenwärtig vor allem auf die wirtschaftliche Durchdringung. Zumal die aggressivere, nationalistische Variante à la Trump und Co auch das ganze Regelwerk der Neuorganisation der internationalen Produktion infrage stellt, das über Jahrzehnte fabriziert wurde.
Dennoch gibt es heute auch in Deutschland eine akute faschistische Tendenz. Sie macht sich breit als Bestandteil der Rechtsentwicklung von Regierung und bürgerlichen Parteien, in Kultur und Medien – und sie muss ernster genommen werden.
Antifaschistisches Bewusstsein
Seit 1945 gibt es eine starke und tief verankerte antifaschistische Grundhaltung in der Bevölkerung. Wehret den Anfängen! – diese verbreitete Lehre aus dem Hitler-Faschismus bildete jahrzehntelang einen Damm gegen einen größeren Einfluss von ultrareaktionären, rassistischen und faschistischen Kräften. Reihenweise scheiterten Projekte wie NPD, DVU, Republikaner, Schill-Partei, ProNRW, Pegida – anders übrigens, als in einer Reihe weiterer europäischer Länder. Auch heute ist ein spontanes antifaschistisches Bewusstsein in der Bevölkerung weiterhin bestimmend. Die MLPD ist seit ihrem Bestehen ein Aktivposten im antifaschistischen Kampf, sie hält die Erinnerung an den heroischen Widerstand der Kommunisten gegen den Hitler-Faschismus in Ehren. Als Erste forderte sie das Verbot aller faschistischen Organisation und machte daraus eine Massenforderung. Sie steht für „Keinen Fußbreit den Faschisten“, beispielsweise betreibt sie eine antifaschistische Aufklärung und Erziehung zur internationalen Solidarität von Kindesbeinen an – zum Beispiel in ihrer Kinderorganisation ROTFÜCHSE. Die Wurzeln des Faschismus liegen im Imperialismus. Deswegen ist der Kampf zu seiner revolutionären Überwindung, wie ihn die MLPD führt, auch der konsequenteste antifaschistische Kampf.
Seit 2016 jedoch konnte sich zunehmend die heute faschistoide AfD etablieren. Im Bundestag stellt sie seit 2017 sogar die größte Oppositionsfraktion. Heuchlerisch inszeniert sie sich als angebliche „demokratische Protestpartei.“ Zugleich ist sie von Anfang an strikt antikommunistisch und gegen die Arbeiterbewegung ausgerichtet. Dass sie damit größeren Erfolg erzielen konnte, liegt weniger an ihr selbst, als am Rückenwind, den sie aus Berlin und in den Medien bekam und bekommt.
Wie die AfD gefördert wird
Die Bundeskanzlerin, Angela Merkel, äußerte sich jüngst im Interview3 theatralisch bestürzt zu den Wahlerfolgen der AfD: „Auch wenn man mit dem öffentlichen Nahverkehr, der ärztlichen Versorgung, dem staatlichen Handeln insgesamt oder dem eigenen Leben nicht zufrieden ist, folgt daraus kein Recht auf Hass und Verachtung für andere Menschen oder gar Gewalt.“ Dreist schiebt sie damit die Verantwortung für das Erstarken der AfD den Menschen in die Schuhe, die unzufrieden sind mit der Politik der Monopolparteien. Tatsächlich hatte die AfD ihren Zenit bereits wieder überschritten, als CDU und CSU ihr 2015/2016 mit einer reaktionären Hetzkampagne gegen Flüchtlinge neues Wasser auf die Mühlen kippten.
Merkels Parteifreunde, wie Horst Seehofer oder der damalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, verbreiten selbst üblen Rassismus. Forderungen der AfD übernahmen sie in ihr Regierungshandeln. Nach der Relativierung der faschistischen Übergriffe in Chemnitz 2018 sollte Maaßen dafür sogar befördert werden. „Ich bin vor dreißig Jahren nicht der CDU beigetreten, damit heute 1,8 Millionen Araber nach Deutschland kommen“ 4, so Maaßen bei einem Auftritt vor dem CDU-Ortsverband Weinheim. Bürgerliche Medien rollten der AfD den roten Teppich aus: Im Monat vor der Bundestagswahl entfielen in politischen Sendungen bei ARD und ZDF die meisten Sendeanteile aller Bundestagsparteien auf die AfD. Im Zuge der Etablierung der AfD wurde rassistisches, antikommunistisches und faschistisches Gedankengut und salonfähig gemacht. In diesem Klima fühlen sich faschistische Kräfte erst recht ermuntert. In Thüringen durfte der Faschist Björn Höcke gar als Spitzenkandidat für die AfD kandidieren. Die AfD wurde systematisch aufgebaut als Wegbereiterin des Faschismus.
Faschisten bekommen Spielraum
Die Zahl faschistischer Morde und versuchter Morde steigt. In einer Reihe von Städten in NRW, wie Dortmund, Essen, Herne, vollführen Faschisten regelmäßig Aufmärsche, die sie als „Spaziergänge von besorgten Bürgern“ tarnen. Zur Kommunalwahl 2020 wollen NPD und die Rechte gemeinsam antreten als „Nationales Bündnis Ruhrgebiet – Die Ruhralternative.“
In Bielefeld erlaubte das Verwaltungsgericht Minden am 9. November einen provokativen Aufmarsch mit 230 Nazis. Mit 1000 Beamten schützte die Polizei diesen Marsch. 14 000 Menschen waren auf der antifaschistischen Gegendemo. Anfang des Jahres 2019 wurden Mordanschläge verübt gegen Repräsentanten der MLPD. Insbesondere die Parteispitze ist fortgesetzten Morddrohungen ausgesetzt. Obwohl in einem Fall der Täter bekannt ist, wird das Verfahren endlos verschleppt. Allen Schwüren der Regierung zum Hohn, nun doch aber wirklich konsequent gegen Faschisten vorgehen zu wollen. Mit den reaktionären Polizei- und Asylgesetzen wurde 2017 die Faschisierung des Staatsapparates vorangetrieben- und bei der engen Verstrickung von Geheimdiensten mit faschistischen Terrornetzwerken werden die Augen zugemacht. Deutlich erkennbar ist eine zunehmende Durchsetzung des Staatsapparats mit ultrareaktionären, faschistoiden bis faschistischen Kräften, insbesondere durch AfD-Mitglieder in Polizei, Bundeswehr, Verfassungsschutz, Kriminalämtern, Feuerwehr, Verwaltung und bei Gerichten.
Rechte Tendenz unter einem Teil der Massen
Das Vertrauen in die Regierung ist auf einem Tiefpunkt, die Regierungskoalition in einer Dauerkrise. Bei den Wahlen 2019, vor allem in Ostdeutschland, erhielt die AfD zum Teil die zweitmeisten Stimmen. In Thüringen lag der faschistoide Charakter der AfD besonders auf der Hand mit dem faschistischen „Flügel“ der AfD um Björn Höcke. Das Internationalistische Bündnis erstritt vor Gericht, dass Höcke als das bezeichnet werden darf, was er ist: ein Faschist. Das machte bundesweit Furore. Trotzdem wählten gut 15 Prozent der Wahlberechtigten in Thüringen die AfD. Deshalb ist es eine ernst zu nehmende rechte, teils faschistische Tendenz, die sich da unter einem Teil der Massen herausbildet. Die hat verschiedene Seiten: Da ist einmal, die AfD wählen, wenn man doch weiß, dass darin Faschisten maßgeblichen Einfluss haben. „Geärgert“ werden die Herrschenden damit nicht! Gestärkt wird damit aber ihr rechter, aggressivster Teil. Der will die organisierte Arbeiterbewegung zerschlagen, der verbreitet Terror gegen fortschrittliche und revolutionäre Kräfte. Länder, in denen faschistoide Parteien in der Regierung sind, sind Vorreiter beim Abbau sozialer Errungenschaften, bei der Flexibilisierung, dem Lohnabbau, der Ausdehnung der Arbeitszeiten und beim Abbau des Streikrechts und anderer demokratischer Rechte.
Und da gibt es: Sich rassistisch äußern gegenüber Menschen anderer Hautfarbe, aus anderen Ländern, in ihnen den Feind zu sehen statt in den Herrschenden. Damit verlässt man den Klassenstandpunkt als Arbeiter, lässt man sich missbrauchen für den Konkurrenzkampf der Konzerne, tritt stattdessen in Konkurrenz mit den Arbeitern anderer Länder.
Noch weiter weg von den eigenen Klasseninteressen begibt sich schließlich, wer faschistische Aufmärsche gutheißt, oder gar mitmacht. Wo nötig, agieren Faschisten als Wolf im Schafspelz. Verurteilte wegen Mord und Totschlag tarnen sich als „besorgte Bürger“. Vordergründig treten sie angeblich ein für „Schutz und Ordnung“. Dabei hetzen sie, besonders in digitalen Medien, gegen demokratische, fortschrittliche und revolutionäre Kräfte, sind die geistigen Brandstifter für faschistische Morde.
Faschismus ist die offene terroristische Diktatur der Monopole. Das zu verkennen, zu leugnen, zu verharmlosen, ist heute ebenfalls Teil dieser faschistischen Tendenz. Beispielsweise wird, als Teil des herrschenden Antikommunismus, in immer mehr antifaschistischen Gedenkstätten und Schulen Geschichte umgeschrieben. Die Hintermänner der faschistischen Diktatur – Unternehmerverbände, Vorstände von Banken und Konzernen – werden aus dem Blickfeld gerückt. Von der millionenfachen Vernichtung von Juden wird gesprochen – die Inhaftierung und Ermordung von Tausenden Kommunisten aber verschwiegen. Auch ihr organisierter Widerstand gegen den Faschismus, und erst recht das antikommunistische Wesen des Faschismus. Der moderne, moderater daherkommende Antikommunismus und seine offen reaktionäre Variante durchdringen und bestärken sich.
In Zeiten wachsender Destabilisierung des imperialistischen Weltsystems ist die größte Sorge der Herrschenden: dass der fortschrittliche Stimmungsumschwung übergeht in einen Aufschwung ökonomischer und politischer Massenstreiks und -kämpfe und in einen revolutionären Aufschwung. Dazu braucht es eine gut verankerte, hoch organisierte und zielklare revolutionäre Arbeiterpartei. Daran arbeitet die MLPD zielstrebig – und auch daran, die Massen dafür zu gewinnen. Eben deshalb steht sie besonders im Fokus der antikommunistischen Repression.
Dabei macht gerade das System der kleinbürgerlichen Denkweise, die noch vorherrschende Regierungsmethode, den Kampf um die Denkweise der Massen so kompliziert: Einerseits distanziert es sich von den Faschisten – doch zugleich verbreitet es selbst den Antikommunismus. Und mit der penetranten Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus, der reaktionären „Totalitarismus-Theorie“, stiftet es heillose Verwirrung. Faschisten nutzen das schamlos aus und treten als „Kümmerer“ auf, als hätten sie Kreide gefressen.
Deshalb ist es so wichtig, den Kampf um die Denkweise konsequent zu suchen und ihn auszutragen, den proletarischen Klassenstandpunkt zu stärken und gegen jede rassistische Haltung oder Verharmlosung des Faschismus in seinen verschiedensten Formen und Gewändern vorzugehen. Es gilt in jedem Fall: Wehret den Anfängen!
Den notwendigen Zusammenschluss verstärken und verbreitern
In der gesellschaftlichen Polarisierung wird der fortschrittliche Stimmungsumschwung kapitalismuskritischer. Die Masse der Bevölkerung positioniert sich weiterhin antifaschistisch. Tatsächlich gingen dieses Jahr schon über fünf Millionen Menschen im fortschrittlichen Sinne auf die Straße: gegen die Regierungspolitik, für Umweltschutz, gegen Faschisten oder die AfD, für Flüchtlingssolidarität.
Im Internationalistischen Bündnis haben sich schon 40 Organisationen und über 30 000 Einzelpersonen zusammengeschlossen, gegen die Rechtsentwicklung von Regierung und bürgerlichen Parteien.
Die Errichtung des Faschismus ist keine gesetzmäßige Entwicklung im Kapitalismus. Damit es nicht so weit kommt, kann und muss die faschistische Tendenz aber ernst genommen, bekämpft und gestoppt werden. Und gerade deshalb muss das Internationalistische Bündnis verbreitert und erweitert werden. Die MLPD fördert eine Bewegung „Gib Antikommunismus keine Chance“. Der antifaschistische Zusammenschluss ist nötig, und er wächst, wie beispielsweise in der antifaschistischen Fraueninitiative.5 Revolutionäre decken den Charakter des Faschismus auf als Terrorherrschaft der Monopole. Und sie weisen eine positive gesellschaftliche Perspektive: den echten Sozialismus.