Nordostsyrien
"Abkommen größtenteils nicht im Interesse der Bevölkerung"
Heute morgen wurde eine Erklärung der Syrisch-demokratischen Kräfte (SDF) zur der Vereinbarung von Sotschi veröffentlicht. In Sotschi hatten sich am Mittwoch die neuimperialistischen Mächte Russland und die Türkei auf ein "Friedens"-Diktat für die Region Nordostsyrien verständigt. Die SDF als Hauptbetroffene waren zu diesen Gesprächen noch nicht einmal eingeladen worden.
Das türkisch-russische Abkommen ist "größtenteils nicht im Interesse der Bevölkerung", so Mazlum Abdi Kobanê, der Generalkommandant der SDF. Er hat Moskau gegenüber die Bedenken der SDF bezüglich des Abkommens erklärt.
Rote Fahne News haben bereits gestern den imperialistischen Charakter des Abkommens zwischen der Türkei und Russland betont (mehr dazu). Gleiches gilt für das Abkommen zwischen den USA und der Türkei (mehr dazu).
Wir werden unser Volk niemals ohne Verteidigung lassen
Mazlum Abdi Kobanê (SDF)
Das Abkommen sei aus mehreren Gründen inakzeptabel, so Mazlum Kobanê. Er berichtete erneut, dass die türkischen Truppen sich nicht an die Waffenruhe halten. Die SDF haben der Waffenruhe zugestimmt, aber nicht einer Zusammenarbeit mit der Türkei, so Kobanê. Auch das Abkommen zwischen den USA und der Türkei aus der Vorwoche sei für die SDF nicht zu akzeptieren. Auch an diesem Abkommen waren die SDF nicht beteiligt worden.
Meinen Dank an alle, die überall auf der Welt zur Stimme unseres Volkes gegen die türkische Besatzung geworden sind
Mazlum Abdi Kobanê (SDF)
Mazlum Kobanê bedankte sich bei allen, die am Zustandekommen der Waffenruhe beteiligt waren, dieser Teil der Abkommen würde nicht abgelehnt. Weiter wörtlich: "Was die Waffenruhe betrifft, vertrauen wir der Türkei und ihren Versprechen nicht. Sie wird ihre Angriffe bei jeder Gelegenheit fortsetzen. ... Das Volk auf den Plätzen und Straßen, die Freund*innen, die uns unterstützten, die Journalist*innen, alle müssen wachsam sein und ihre Arbeit fortsetzen. An dieser Stelle möchte ich ein weiteres Mal meinen Dank an alle aussprechen, die überall auf der Welt zur Stimme unseres Volkes gegen die türkische Besatzung geworden sind".
Der Generalkommandant der SDF betonte, dass es der Widerstand der Bevölkerung in Nordostsyrien war, der der Türkei die Waffenruhe abnötigte. Jetzt sei es an den sogenannten Garantiemächten ,wie den USA, diese Waffenruhe auch gegenüber der Türkei durchzusetzen. Er verwies dabei besonders auf die nach wie vor in Nordostsyrien präsenten US-Truppen. Er sprach auch das Problem der IS-Gefangenen an und betonte die Notwendigkeit der Kontrolle des Grenzübergangs in den Nordirak, Semalka, als Luftröhre Rojavas: "Niemand außer uns darf diesen Grenzübergang kontrollieren."
Die Rote Fahne dokumentiert die Erklärung im Wortlaut:
Wie Sie wissen, hat der türkische Staat nach dem Rückzug der US-Truppen aus dem Grenzstreifen am 9. Oktober mit dem Angriff begonnen. Dieser Rückzug gab der Türkei die Gelegenheit für einen solchen Angriff, der trotz ausgehandeltem Waffenstillstand weiterhin andauert. Auch in diesem Moment, in dem wir diese Erklärung abgeben, kommt es zu Attacken. Der Angriff war massiv, bei dem der türkische Staat all seine Möglichkeiten eingesetzt hat. Gleichzeitig haben Milizen, die wir als Dschihadisten einordnen und deren Anführer wir aus den Reihen von al-Nusra und dem IS kennen, daran teilgenommen.
Abkommen zwischen Ankara und Washington inakzeptabel
Wenn wir unsere Kräfte mit denjenigen des NATO-Staats Türkei vergleichen, besteht ein gewaltiger Unterschied. Das ist eine Realität. Aber dennoch wurde überall großer Widerstand geleistet. Schließlich musste der türkische Staat eine Waffenruhe akzeptieren. Dem stimmten wir zu, einer Zusammenarbeit mit der Türkei jedoch nicht. Das Abkommen zwischen Ankara und Washington ist für uns gleichermaßen inakzeptabel. Wir haben lediglich der Waffenruhe unsere Zustimmung erteilt. Wir haben den Abzug unserer Kräfte aus dem Gebiet zwischen Serêkaniyê und Girê Spî akzeptiert und der türkische Staat hat sich bereit erklärt, die Angriffe zu stoppen und einen langfristigen Waffenstillstand umzusetzen.
Türkei verletzt den Waffenstillstand
Doch die Angriffe der Türkei haben dennoch nicht aufgehört, sondern gehen immer noch an verschiedenen Orten weiter. Der türkische Staat versucht, seine Besatzungszonen auszuweiten. Dafür sind die USA und insbesondere Präsident Trump persönlich verantwortlich. Sie sind nun verantwortlich dafür, zu garantieren, dass der Waffenstillstand dauerhaft bleibt.
Rückzugsentscheidung der USA war falsch
Die USA haben entschieden, keine militärische Haltung gegenüber den Angriffen der Türkei zu beziehen. Sie haben lediglich versucht, Druck durch Sanktionen aufzubauen. Dies stellt ebenfalls einen Grund dafür dar, warum die Angriffe weitergehen, warum wir jetzt diese schrecklichen Dinge erleben. Bisher wurden fast 400.000 Menschen vertrieben. Für die USA, als unser Partner im Kampf gegen den IS, stellt dies einen großen Fehler dar. Dieser Fehler hat den Weg dafür freigemacht, dass Hunderttausende fliehen müssen, die Zivilbevölkerung massakriert wird und ein Völkermord an der kurdischen Bevölkerung droht.
Widerstand hat Türkei zum Waffenstillstand gezwungen
Die USA hatten verkündet, die Angriffe durch Wirtschaftssanktionen und auf diplomatischem Wege zu beenden. In erster Linie aber wurden sie durch den Widerstand unserer Bevölkerung gestoppt, und erst in zweiter Linie durch die US-Sanktionen. Ich habe mich bei Präsident Trump für seine Bemühungen in einem Telefongespräch persönlich bedankt. Jetzt ist es aber an der Zeit, dass die Garantiemächte dieses Waffenstillstands ihrer Verantwortung gerecht werden. Der türkische Staat verletzt die Waffenruhe, also müssen die Garantiemächte etwas unternehmen.
USA müssen ihre Fehler wiedergutmachen
Unsere Beziehungen zu den USA gehen weiter, wie auch unser gemeinsamer Kampf gegen den IS. Weder wir noch sie haben ihn offiziell eingestellt. In dieser Hinsicht finden weiterhin gemeinsame Treffen statt. Im Übrigen befinden sich US-Truppen nach wie vor in Nord- und Ostsyrien. Wir fordern, dass sie ihre Fehler wiedergutmachen. Sie müssen die Verantwortung, die sie vernachlässigt haben, annehmen und selbstkritisch mit der Situation umgehen. Wir haben im Namen der Menschheit den Krieg gegen den IS aufgenommen und er wird weitergehen.
Vorbehalte zu einigen Punkten des türkisch-russischen Abkommens
Wie Sie wissen, wurde zwischen der Türkei und Russland ein Abkommen über Syrien getroffen. Vor drei Stunden haben wir unsere offizielle Antwort dazu an Moskau übermittelt. Am Mittwochabend haben wir bereits mit dem russischen Generalstabschef und dem Verteidigungsminister gesprochen und die Punkte, die wir akzeptieren und solche, die für uns nicht in Frage kommen, klargestellt. Wir bedanken uns bei Präsident Putin und Russland für ihre Bemühungen den Krieg zu stoppen und den türkischen Staat daran zu hindern, auf syrisches Territorium vorzudringen. Diese Schritte sind positiv und wir unterstützen sie. Aber die Mehrheit der Punkte in dem Abkommen sind nicht im Sinne unserer Bevölkerung. Unsere Perspektive wurde ebenfalls nicht miteinbezogen, manche Punkte sind sogar zum Nachteil der Menschen hier. Deshalb haben wir unsere Bedenken dazu vorgebracht. Wir haben erklärt, dass über diese Punkte diskutiert werden muss. Denn wir waren ja an den Gesprächen nicht beteiligt.
Wir setzen Verhandlungen mit Russland fort
In den nächsten Tagen werden wir die Änderung dieser Punkte fordern und mit Russland direkt darüber sprechen, was für uns hinnehmbar ist und was nicht. Es wird eine praktische Zusammenarbeit geben, in deren Rahmen einige Schritte eingeleitet werden. Sie können in Minbic und Kobanê sehen, wie wir zusammenarbeiten. Heute gab es auch eine russische Patrouille in Qamişlo. Aber manche Dinge sind entscheidend für die Zukunft unseres Volkes, unserer Kräfte und unserer politischen Zukunft. Darüber setzen wir unsere Verhandlungen fort.
Unser Volk muss seinen Kampf verstärken
Was die Waffenruhe betrifft, vertrauen wir als QSD der Türkei und ihren Versprechen nicht. Sie wird ihre Angriffe bei jeder Gelegenheit fortsetzen. Deswegen fordern wir jeden in unserer Bevölkerung, in unseren Kräften, jeden der irgendwie mit diesem Krieg zu tun hat auf, seine Arbeit, seine Vorbereitungen fortzusetzen. Alle, insbesondere unsere Kräfte an der Front, sollten für alle Fälle vorbereitet und gegen jede Entwicklung gewappnet sein. Das Volk auf den Plätzen und Straßen, die Freund*innen, die uns unterstützten, die Journalist*innen, alle müssen wachsam sein und ihre Arbeit fortsetzen.
Wir danken den Freund*innen unseres Volkes
An dieser Stelle möchte ich ein weiteres Mal meinen Dank an alle aussprechen, die überall auf der Welt zur Stimme unseres Volkes gegen die türkische Besatzung geworden sind, an die Mitglieder des US-Senats, an unsere alten Freund*innen in den USA und alle, die unser Volk in seinem Kampf unterstützen. Die Bevölkerung Kurdistans aus allen vier Teilen hat die Bevölkerung von Rojava großartig unterstützt. Ich möchte ihnen meinen größten Dank und meinen Respekt mitteilen. Aber sie sollen wissen, die Gefahr ist nicht gebannt. Die Zukunft unserer Bevölkerung ist weiterhin in Gefahr. Deshalb müssen der Kampf und die solidarische Unterstützung bis zum Sieg weitergehen.
Die arabische und kurdische Bevölkerung und alle anderen Identitäten verdienen für ihre Unterstützung den allergrößten Dank. Es ist wichtig, dass sie weiter machen. Wenn wir gemeinsam kämpfen, dann können wir den Angriff zum Scheitern bringen.
Innerkurdische Widersprüche dürfen keine Rolle spielen
Insbesondere der kurdischen Politik fällt eine große Verantwortung zu. Besonders in Rojava müssen die politischen Kräfte ihre Konflikte bei Seite legen und um den Widerstand der QSD herum zusammenkommen. Wir müssen diese gefährliche und sensible Phase gemeinsam durchstehen. Wir haben heute mehr denn je Chancen auf Erfolg – die globale Unterstützung ist größer denn je.
13-Punkte-Plan nicht akzeptiert, nur den Waffenstillstand
Wir lehnen das Abkommen zwischen Russland und der Türkei nicht komplett ab. Aber manche Punkte lehnen wir ab. Diese müssen geändert werden. Ich glaube, wir werden gemeinsam zu einem Ergebnis kommen. Wenn es zu großen Kämpfen kommt, kann es auch mancherorts zum Rückzug, wie in Serêkaniyê geschehen, kommen. Aber wir werden unser Volk niemals ohne Verteidigung dastehen lassen.
In Gîre Spî und Serêkaniyê hat ein Krieg höchster Intensität stattgefunden. Wir haben dort den Waffenstillstand akzeptiert und uns bis zum internationalen Verkehrsweg M4 zurückgezogen. Die Grenzen, an die wir uns zurückgezogen haben, sind eindeutig. Doch bis auf die Waffenruhe haben wir aus dem bereits zuvor öffentlich gewordenen 13-Punkte-Plan zwischen den USA und der Türkei keinen weiteren akzeptiert.
Türkei wird nichts mit den IS-Gefangenen zu tun haben
Das Thema der IS-Gefangenen ist ausschließlich unseres, bzw. das der Selbstverwaltung. Das Navkure-Gefängnis beispielsweise, in dem sich IS-Gefangene befinden, wurde mit Artillerie angegriffen. Deshalb konnten fünf IS-Terroristen entkommen. Aber die Übrigen befinden sich unter unserer Kontrolle. Als die protürkischen Dschihadisten das Camp in Ain Issa angriffen, sind IS-Familien geflohen. Unter ihnen befanden sich mit größter Wahrscheinlichkeit auch IS-Terroristen. Wir entscheiden hier darüber mit der Koalition und den übrigen Kräften, die noch hier sind und mit uns zusammenarbeiten. Mit denjenigen, die von hier abziehen, müssen wir hinsichtlich den IS-Gefangenen keine Beziehungen eingehen und erst recht nicht darüber sprechen. Auch die Türkei hat nichts mit dieser Angelegenheit zu tun. In den vom türkischen Staat besetzten Gebieten existieren keine Gefängnisse von uns. Die syrische Regierung hat gleichermaßen kein Mitspracherecht. Nur wir und diejenigen, die mit uns arbeiten, befassen sich damit.
Semalka ist die Luftröhre von Rojava – wir werden sie niemals aufgeben
Der Grenzübergang Semalka ist die Luftröhre Rojavas. Niemand außer uns darf diesen Grenzübergang kontrollieren. Dieser Grenzübergang steht für uns nicht zur Disposition. Wir akzeptieren jeden, auch das Regime hier, um sich mit uns gegen die türkische Besatzung zu stellen. Aber wir werden unsere Regionen gegenüber niemanden aufgeben. So etwas befindet sich nicht auf unserer Tagesordnung.
Unter dem Motto "Solidarität mit Rojava - überall Rojava, überall Widerstand" findet am Samstag, 26. Oktober, unter anderem in Düsseldorf eine weitere Protestdemonstration gegen die imperialistischen Attacken auf Rojava statt. Sie beginnt um 13 Uhr vor dem DGB-Haus (Friedrich-Ebert-Str. 34-38, 40210 Düsseldorf).