Freie Bildung an der Hochschule? – Fehlanzeige

Ein krasser Widerspruch prägt heute das kapitalistische Hochschulsystem

Auf der einen Seite sind die Möglichkeiten für eine Hochschulausbildung im Dienste der Zukunft der Menschheit gewachsen. Es gibt Forschungen zu umweltschützenden Technologien, zu einer Medizin, die Vorsorge betreibt, zu einem Sozialwesen, das zur Beseitigung von Armut und Hunger weltweit beitragen könnte. Zugleich: Statt gründlicher Ausbildung für Beruf oder Forschung bestimmen Schmalspurstudium, Prüfungsdruck, Auslese und die Jagd nach Kreditpunkten den Alltag der mittlerweile 2,8 Millionen Studierenden in Deutschland.

Abi geschafft, das Studium beginnt! Für die Mehrheit eines Jahrgangs ist das heute Standard. Seine Fähigkeiten ausbilden, die Welt der Wissenschaft kennenlernen, einen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme leisten – die Masse der Studierenden erhofft sich viel vom Hochschulstudium. Arbeiterfamilien rackern sich oft ab, um ihren Kindern ein Studium zu ermöglichen.

Wissenschaftler erforschen heute vielfach, wie Menschheitsprobleme gelöst werden könnten. So entwickelten Fachleute das umwelt- und ressourcenschonende Kryo-Recycling-Verfahren zur Wiedergewinnung von Rohstoffen, unter anderem aus Elektronikschrott. Diese innovative Technik liegt seit fast 20 Jahren auf Eis, weil die Müllverbrennungsindustrie auf ihre Milliardenprofite nicht verzichten will.

Forschung und Lehre sind ausgerichtet auf die Schaffung von Konkurrenzvorteilen für internationale Monopole. Der reformistische Traum eines „gerechten Kapitalismus“ durch „freie Bildung für alle“ zerplatzt am Diktat der Monopole zur Produktion von akademischer Billig-Arbeitskraft.

Schlechte Studienbedingungen mit System

Hoffnungen auf eine gute Berufsausbildung prallen im Studium auf krisenhafte Zustände an vielen Hochschulen. Als Bestandteil der Schaffung eines „europäischen Hochschulraums“ im Bologna-Abkommen der EU wurde auch in Deutschland im Jahr 1999 der Bachelor- und Masterabschluss eingeführt. Im eng gepressten Bachelor-Studium sollen innerhalb von drei Jahren akademische Billigarbeitskräfte ausgebildet werden. Eine Unzahl von Prüfungen wird den Studierenden aufgezwungen – Durchfallquoten zwischen 30 und 60 Prozent sind die Regel. 18.467 verschiedene Studiengänge waren nach Angaben der Hochschulrektorenkonferenz im Wintersemester 2016/17 im Angebot, circa 10.000 mehr als vor Bologna. Ergebnis: ein Drittel Studienabbrecher. Umfragen zeigen: Unzufriedenheit mit der Qualität der Lehre, hohe Arbeits- und Prüfungsbelastungen, wenig Wahlmöglichkeiten, finanzielle Probleme sowie Verschulung mit geringer Verzahnung von Theorie und Praxis sind Hauptursachen. Hinzu kommen Probleme wie niedriges Bafög, teure Wohnungen, steigende Semesterbeiträge, Erwerbstätigkeit parallel zum Studium und ein zunehmendes Chaos im Angebot der Studiengänge.

Gute Bildung – die Lösung gesellschaftlicher Probleme?

Die Arbeitslosenquote von Akademikern mit Stu­dien­abschluss liegt offiziell mit 2,4 Prozent (2014) deutlich unter dem Durchschnitt.1 Deshalb hoffen viele Jugendliche, durch ein Studium individuell der Arbeitslosigkeit zu entrinnen. Auch viele Jugendliche aus der Arbeiterklasse studieren heute, nachdem sie keine Ausbildung bekamen oder nach der Ausbildung nicht übernommen wurden.

Die bürgerliche Politik argumentiert gerne, dass Abitur und Studium der Ausweg aus Armut und Arbeitslosigkeit seien. Doch das heißt im Umkehrschluss, dass die Ursache für Arbeitslosigkeit ein niedriges Bildungsniveau sei! Das stellt die Wirklichkeit auf den Kopf: Für den internationalen Konkurrenzkampf verschärfen auch die Monopole in Deutschland die Ausbeutung in ihren Betrieben. Statt Jungfacharbeiter unbefristet zu übernehmen, wird Leiharbeit und Befristung zur Regel. Dabei handelt es sich meist um top ausgebildete Fachkräfte!

Logisch: Wenn die Konkurrenz um Arbeitsplätze steigt, hat man mit Abschluss bessere Bedingungen als ohne. Aber: Das Problem wird damit nicht gelöst, sondern höchstens vertagt. Als in Südeuropa 2008 die Weltwirtschafts- und Finanzkrise voll durchschlug, wurden junge Akademiker als Erste arbeitslos. 41 Prozent der Spanier haben heute einen Uni-Abschluss, in Deutschland nur 33 Prozent.2 Trotzdem wurde Spanien Spitzenreiter in der Jugendarbeitslosigkeit: 2011 lag sie bei 44,7 Prozent. Kein noch so hoher Bildungsgrad kann die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten außer Kraft setzen!

In Deutschland werden viele Studienabbrecher Teil des sich ausbreitenden Niedriglohnsektors, der heute rund elf Millionen Menschen umfasst. Mit dem Bachelorabschluss wurden die Einstiegsgehälter gedrückt. Sie liegen heute zwischen 23.400 Euro im Jahr (Geisteswissenschaft Uni, Bachelor) bis 40.900 Euro (FH-Ingenieur, Bachelor). Damit nähert sich die soziale Lage junger Akademiker der von Industriearbeitern an.3 Außerdem starten viele mit Bafög-Schulden.

Gesellschaftliches Engagement nicht erwünscht

Engagement in der Flüchtlingshilfe, in Umweltprojekten, Vereinen, gegen Faschisten, die AfD und reaktionäre Burschenschaften, beim Protest gegen Studiengebühren, Wohnungsmangel und niedriges Bafög – Studierende sind verstärkt aktiv, auf der Suche nach gesellschaftlichen Alternativen, und wenden sich gegen den Rechtsruck der Regierung. Hintergrund ist eine Politisierung – als Teil des begonnenen fortschrittlichen Stimmungsumschwungs in der Gesellschaft. Gegen die Einführung von Studiengebühren gab es vor einigen Jahren Massenproteste, sodass diese heute weitgehend wieder abgeschafft sind. Die Massenbasis der Monopolparteien unter den Intellektuellen, vor allem den Studierenden, vermindert sich. Nach einer Untersuchung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wird 45 Prozent der Studierenden eine linke Orientierung zugeschrieben, 20 Prozent sogar eine „starke bis extrem starke“. Das bestätigten alle Erfahrungen der Wahlkampfteams der Internationalistischen Liste/MLPD an den Hochschulen in NRW in den letzten Wochen eindrücklich – sie stießen auf größte Offenheit. Gerade für das revolutionäre Programm der MLPD. „Marxismus-Leninismus, klingt interessant“, so eine Studentin an der WHS Gelsenkirchen, kein Einzelfall. Viele spendeten für das Programm. Spitze in Bochum: eine Einzelspende über 50 Euro.

Organisiert und bewusst gegen die herrschenden Zustände rebellieren – das macht zugleich erst eine Minderheit. Das wird von den Herrschenden auch bewusst unterdrückt. Unter anderem mit dem Verbot des allgemeinpolitischen Mandats der Studierendenschaften, welches zur Rechtfertigung einer allgemeinen Einschränkung der politischen Arbeit herhalten muss. So sind Infostände und Flugblätter auf dem Hochschulgelände nur noch „eingetragenen Hochschulgruppen“ und zu „hochschulbezogenen Themen“ erlaubt. Die Durchführung einer Filmveranstaltung zum kurdischen Rojava/Nordsyrien wurde an der WHS Gelsenkirchen verboten. Räume werden meist nur an eingetragene Hochschulgruppen vergeben. Die Goethe-Uni in Frankfurt/Main verlangt dafür die namentliche Nennung von mindestens 20 aktuell studierenden Mitgliedern. Ein Unding für fortschrittliche oder gar revolutionäre Jugendorganisationen, denen zig Repressalien drohen. Erst vor wenigen Wochen wurden die Embleme des kurdischen Studierendenverbands YXK verboten.

Diese reaktionäre Politik will einschüchtern und den Studierenden Scheuklappen aufsetzen. Das hat durchaus Wirkung. Oft wird gesellschaftliches En­gagement auf „später“ verschoben, da man jetzt erst mal das Studium über die Bühne bringen müsse. Der Prüfungsdruck wird zum Anlass, selbst nicht politisch aktiv zu werden.

Hochschulgruppen der MLPD

Die Hochschulgruppen der MLPD setzen sich mit dieser Denkweise solidarisch, aber kritisch auseinander und stellen dies ins Verhältnis zur Arbeiterbewegung. So sind die Wochen-Arbeitsstunden von Studierenden im Schnitt nicht höher als die eines Arbeiters. Die Hochschulgruppen sehen es als Aufgabe, gegenseitige Unterstützung bei der Bewältigung des Uni-Alltags zu leisten. Zugleich wollen sie den Blick weiten: den Kampf gegen die Studienbedingungen sowie die gesamten kapitalistischen Verhältnisse aufzunehmen! Die MLPD sieht es als Teil des Bildungswegs, gesellschaftlich Verantwortung zu übernehmen, statt sich vor allem auf den individuellen Werdegang zu fokussieren. Die sozialistische Losung „Dem Volke dienen!“ von Mao Zedong ist eine weltanschauliche Ausrichtung für junge Menschen.

Es ist eine Aufgabe aller fortschrittlichen Studierenden, eine Bewegung zur Kritik an den bürgerlichen Wissenschaften und Lehrinhalten sowie zur Durchsetzung von freier politischer Betätigung zu fördern – als Teil der Rebellion der Jugend. Dies voranzubringen, wird ein Kettenglied in der Hochschularbeit der MLPD werden.

Die MLPD hat sich mit dem X. Parteitag 2016 vorgenommen, eine Vernachlässigung der Hochschularbeit zu überwinden und neue Hochschulgruppen aufzubauen. Sie fördert Oberschüler- und Studentengruppen des Jugendverbands REBELL. Die im Parteiprogramm beschlossenen Forderungen sind eine Leitlinie ihrer Arbeit (s. S. 23). In den Hochschulgruppen der MLPD sind Studierende sowie Beschäftigte der Hochschulen organisiert. Sie entfalten eine vielfältige Kleinarbeit: Medikamente-Sammlungen für ein Gesundheitszentrum in Kobanê/Syrien; führen Studiengruppen zur Umweltkrise im Kapitalismus und zur sozialistischen Perspektive durch; schließen ausländische und deutsche Studenten zusammen; sind aktiv gegen die Wiedereinführung von Studien­gebühren für Ausländer durch die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg; organisieren Demos gegen den Krieg in Syrien; bauen mit Arbeitern die Flüchtlingsunterkunft Haus der Solidarität in Thüringen auf; unterstützen den Bergmann Chris Link im Kampf gegen Giftmüll unter Tage; machen Infostände, sind in der Anti-Pegida-Bewegung aktiv – und vieles mehr.

Krisenhafte Zustände für die Beschäftigten

Auch das Hochschulpersonal steht unter wachsendem Druck: Die höhere Zahl von Studierenden und gewachsene Aufgaben durch Prüfungsmarathon oder den Verwaltungsaufwand für das Kreditpunktesystem trifft auf verschärft unsichere Arbeitsverhältnisse: Während die Zahl der Studierenden von 2005 bis 2014 um 33 Prozent wuchs, stieg die Zahl der Professoren nur um 9,9 Prozent.4 Dagegen nahm die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen um 42 Prozent zu. Jedoch haben nur 13 Prozent dieses „Mittelbaus“ eine Dauerstelle. Mehr als 50 Prozent haben Arbeitsverträge mit einer Befristung von unter einem Jahr.5 Ein wachsender Teil der Hochschulausbildung wird von Lehrbeauftragten geleistet. Ihre Zahl hat sich von 2005 auf 2015 auf 100000 verdoppelt. Es sind Scheinselbständige mit zum Teil Niedrigbezahlung und Vertragslaufzeiten von nur einem Semester.

Von wegen „freie Bildung“ – Diktatur der Monopole

Zwischen 1995 und 2012 hat sich der Anteil der sogenannten Drittmittel an den Hochschuleinnahmen auf 29,2 Prozent mehr als verdoppelt.6 Dabei werden nicht nur Forschungsprojekte, sondern zunehmend auch Grundaufgaben der Hochschulen über Drittmittel finanziert. Es entstand ein Zwang zur Einwerbung von Drittmitteln, der eine Hauptquelle für extreme Konkurrenz, Leistungsdruck und Unterordnung unter Monopolinteressen ist. Darüber hinaus sitzen Topmanager in den Hochschulräten, wie Daimler-Chef Dieter Zetsche im Hochschulrat der Uni Karlsruhe. Kooperationsverträge zwischen Hochschulen und Konzernen, wie zwischen der Leibniz-Universität Hannover und Volkswagen, steuern die „Entwicklung der Forschungslandschaft“ im Sinne der Monopole. Konzentration von Forschungsgeldern auf Monopolinteressen und krisenhafte Zustände in der Ausbildung haben System. Seit dem Jahr 2006 werden Eliteuniversitäten, bzw. Eliteprogramme in Universitäten, als „Leuchttürme für internationale Spitzenforschung“ mit Millionenbeträgen gefördert. Massenuniversitäten sollen sich mit stagnierender Unterfinanzierung auf die Basisqualifizierung konzentrieren.

Reformistische Konzepte fordern „freie Bildung“. Das ist innerhalb des imperialistischen Deutschlands Illusion. Die Macht- und Besitzverhältnisse müssen revolutionär verändert werden! Der Antikommunismus ist auch Staatsreligion des bürgerlichen Hochschulbetriebs. Künftige Akademiker sollen nicht wagen, über den kapitalistischen Rahmen hinauszudenken. Die MLPD fordert die Studierenden auf, diese unterdrückerischen Denkschranken zu überwinden und sich vorbehaltlos mit dem Sozialismus auseinanderzusetzen. Das Literaturangebot des Verlags Neuer Weg ist sehr geeignet, tiefergehende Klarheit zu schaffen.

Im Sozialismus würden die Universitäten gemeinsam mit der Arbeiterklasse und den Massen an der Lösung der gesellschaftlichen Probleme forschen und arbeiten, zur Umkehrung der Umweltkrise oder auch daran, Hunderttausende Flüchtlinge schnell und auf Augenhöhe zu integrieren.

 

1 http://www.zeit.de/2014/44/studieren-bildungs­buergertum-akademisierung/seite-3;

2 22.7.14 FR;

3 Quelle: DZHW Absolventuntersuchung 2016;

4 Statist. Bundesamt, 2016

5 Peter Ulrich, Prekäre Wissensarbeit im akademischen Kapitalismus, 2016;

6 Die Zeit, 26.3.2015 „Werden die Hochschulen zu Sklaven der Wirtschaft?“ – Drittmittel sind Zahlungen u.a. aus der Industrie