„Es gibt einen Aufschwung der Kämpfe“

Pascual Duarte ist Mitglied der Leitung der Revolutionären Marxistisch-Leninistischen Partei von Argentinien (PRML). Er bemerkt die aktuelle Entwicklung in dem lateinamerikanischen Land und deren Hintergründe

Rote Fahne: Wie beurteilt deine Partei die politische Lage in Argentinien?

Pascual Duarte: In Argentinien haben wir den Übergang zu einer weiter rechts stehenden Regierung unter Präsident Macri. Diese Regierung vertritt die multinationalen Konzerne, die Banken, die Großunternehmen, wie die vorhergehende Regierung unter Cristina Kirchner auch. Aber im Unterschied zu Kirchner ist sie direkt verbunden mit dem Großkapital aus den USA und aus Europa. Nach der Krise haben sie einen warmen Regen von Investitionen versprochen. Das wäre eigentlich notwendig gewesen, um die Produktion anzukurbeln und die Wirtschaft in Gang zu bringen, das ist aber nie eingetreten. So werden die alten, neoliberalen Rezepte angewandt: höhere Fahrpreise, Steuern und andere Tarife für die Massen werden erhöht, Senkung der Löhne etc.

Nachdem im ersten Jahr der neuen Regierung relative Ruhe herrschte, waren die Regierung und die Herrschenden doch sehr überrascht, mit welcher Wucht sich dann die Bewegung der Massen auf der Straße und in den Betrieben entwickelt hat – vor allem gegen Ende letzten Jahres. Es gibt jetzt einen neuen Aufschwung der Kämpfe, vor allem der Arbeiterkämpfe.

Es gab einen Streik im Erziehungswesen und bei der Lehrerschaft. Sie fordern eine neue Berechnungsgrundlage ihrer Löhne und wollen Lohnverluste aus den zurückliegenden Jahren aufholen. Das war wie ein Funke, der einen Steppenbrand zündet. Eine ganze Reihe weiterer Streiks wurde damit ausgelöst. Der 6., 7. und 8. März waren wichtige Tage – insgesamt etwa eine halbe Million Menschen waren auf der Straße. Unserer Einschätzung nach hat es eine Wende, ihr würdet sagen einen Stimmungsumschwung gegeben. Die Kämpfe werden nicht mehr nur um Löhne und andere betriebliche Fragen geführt, sondern sie stellen auch das System infrage. So wird es unsere Aufgabe sein, diese Kraft der Kämpfe des Volkes und der Arbeiterklasse weiterzuentwickeln und sie gleichzeitig auf eine wirkliche Alternative zu orientieren.

 

Wie schätzt du den wirtschaftlichen und politischen Charakter Argentiniens ein?

Wir sehen Argentinien als ein abhängiges kapitalistisches Land. Eine Troika aus Monopolen, Banken und multinationalen Konzernen beherrscht das ganze gesellschaftliche Leben. Und seit über 40 Jahren ersticken sie die Wirtschaft des Landes. In bestimmten Städten gibt es einen relativ entwickelten Kapitalismus – und gleichzeitig ausgesprochen rückständige Regionen im Land.

Die bürgerliche Demokratie, die nach der Militärdiktatur errichtet wurde, konnte keine wirkliche Entwicklung der Wirtschaft herbeiführen. Das Land ist zurückgefallen auf eine Wirtschaft, die auf die Rohstoffe ausgerichtet ist. Es gab zwar immer wieder Investitionswellen, aber das waren in der Regel auf Spekulation ausgerichtete Finanzinvestitionen.

Wir sind der Meinung, dass sich in der heutigen Welt eine Multipolarität entwickelt hat. Dass einige Länder, die früher neokolonial abhängig waren, es heute nicht mehr sind. Das hängt nicht nur von der Produktivkraft eines Landes ab, sondern auch davon, wie das Kapital im Land und außerhalb eingesetzt wird.

Wir denken, dass der reaktionäre Kern der Herrschenden in Argentinien nur in der Arbeiterklasse und den Schichten der einfachen Bevölkerung einen wirklichen Gegner hat. Wir sind nicht der Meinung, dass Argentinien ein mehr oder weniger halbkoloniales oder nur halb entwickeltes Land wäre. Deswegen halten wir auch nichts von der Vorstellung, dass es eine nationale Bourgeoisie oder Teile der Bourgeoisie gäbe, die eine Zwischenstellung einnehmen würden.

Argentinien hat eine eigene Industrie, auch wenn die ziemlich veraltet ist, gemessen an den großen Monopolen. Es gibt sogar argentinische multinationale Konzerne wie Tecin (Stahl) und Arcor (Lebensmittel). Aber ausgehend davon zu sagen, dass Argentinien ein neoimperialistisches Land ist, wäre ein zu großer Schritt. Argentinien ist noch auf einer sehr niedrigen Entwicklungsstufe.1

 

Welche Bedeutung hat der 100. Jahrestag der Oktober­revolution für deine Partei und was plant ihr dazu?

Wir haben zu dem Anlass zusammen mit anderen Organisationen eine neue Ausgabe von Lenins Schrift „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ herausgegeben. Jede der Organisationen hat dazu ein Vorwort geschrieben. In der Öffentlichkeitsarbeit unserer Partei verankern wir die Oktoberrevolution unter den Massen – und dass eine solche Revolution auch in Argentinien durchgeführt wird. Wir werden viel Propaganda machen, mit Plakaten, Diskussionsrunden, einer großen Veranstaltung im Dezember im Zusammenhang mit einer großen Demonstration anlässlich der Tagung der Welthandelsorganisation (WEF) in Argentinien. Wir haben auch vor, zum internationalen theoretischen Seminar der ICOR im Oktober nach Deutschland zu kommen und eigene Beiträge zu leisten.

Vielen Dank für das Interview!