GSA Umweltdossier II/2016
GSA Gesellschaft zur Förderung wissenschaftlicher Studien zur Arbeiterbewegung e.V.
11.09.2016
Umweltdossier II/2016
Einleitung
Der fortschreitende Übergang in eine globale Umweltkatastrophe setzt sich beschleunigt fort. Nach drei Jahren steigenden Rekordtemperaturen in Folge ist das Jahr 2016 mit +1,3 Grad Celsius über dem vorindustriellen Wert das wärmste jemals aufgezeichnete Jahr. Ganze Ökosysteme beginnen zusammenzubrechen, wie das dramatische weltweite Absterben von Korallenriffen zeigt. Die beschleunigte Klimaerwärmung verstärkt den zuvor schon als Geschichte erklärten Ozonabbau: Auch im Nordpolargebiet droht ein Ozonloch. Die schleichende Vergiftung des Ruhrgebiets und Teilen des Saarlands durch PCB und Giftmüll unter Tage droht angesichts der begonnenen Flutung stillgelegter Kohlezechen durch die Ruhrkohle AG in eine regionale Umweltkatastrophe umzuschlagen. Wir behandeln neue Erkenntnisse über die Ursachen zunehmender Krebserkrankungen.
Die eingetretene Klimaerwärmung ist schon nahe an dem Wert von 1,5 Grad Celsius, auf den angeblich die Pariser Weltklimakonferenz (Dezember 2015) die Erwärmung begrenzen will – eine Farce. Die jetzt angekündigten EU-Klimaschutzpläne sind dafür völlig ungeeignet. Hauptursache sind der zugespitzte Konkurrenzkampf der internationalen Monopole, aber auch verstärkende Rückkopplungen und Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Faktoren, die sich mit dem extremen El-Niño-Effekt im Jahr 2015/2016 besonders ausprägten. Wie sich dieser Widerspruch in der Strategiediskussion der Umweltbewegung widerspiegelt, wird im letzten Abschnitt behandelt.
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Die Entwicklung des Ozonlochs in Wechselwirkung mit der raschen Klimaerwärmung im Umschlag in eine Weltklimakatastrophe
Die im Jahr 2014 von der Bundesregierung gestartete Kampagne, dass sich das Ozonloch bis spätestens 2050 geschlossen haben werde (siehe Umweltdossier 2/2015), erlahmt. Aktuell berichten mehrere bürgerliche Medien sachlich über die keineswegs gelöste Ozonloch-Problematik und behandeln auch Zusammenhänge zur Erderwärmung. 2015 gab es in der Antarktis das zweitstärkste Ozonloch seit Beginn der Aufzeichnungen. Klimawissenschaftler erläutern, dass aufgrund extrem kalter Temperaturen in der Stratosphäre über den Polen bei gleichzeitig hohen Bodentemperaturen sich starke polare Wirbel und Stratosphärenwolken bilden. Dies sind Grundbedingungen der Ozonzerstörung in der Atmosphäre. Auch entstünden so abgeschwächte planetarische Wellen, sodass Ozon schützende Substanzen ungestört ausschneien konnten. Im NASA-Report zum antarktischen Ozonloch 2015 heißt es: „Die durchschnittliche Größe im September-Oktober 2015 war 25,6 Millionen Quadratkilometer ... Der größte aufgezeichnete September-Oktober-Durchschnitt war 26,6 Millionen Quadratkilometer (10,3 Millionen Quadratmeilen) 2006. 2015 sank die Ozon-Konzentration niedriger als in den zurückliegenden Jahren.“ (eigene Übersetzung)1.
Auf der Nordhalbkugel kam es in der Arktis im Winter/Frühjahr 2016 zu einer Abschwächung der Ozonschicht gegenüber den bisherigen Mittelwerten um 15 bis 35 Prozent je nach Region2. So berichtete ZDF „Heute“ am 20.02.20163: „Neues Ozonloch aufgetaucht – SOS aus der Arktis … Jetzt schlagen Forscher Alarm: Im Norden über der Arktis reißt die Ozonschicht regelrecht auseinander. Grund sei der Klimawandel. Es gibt also ein neues Ozonloch und es könnte bald sogar Rekordgröße erreichen – mit Folgen für unsere Gesundheit … »In rund 20 Kilometern Höhe über der Arktis ist die Luft seit Wochen nur bis zu minus 90 Grad Celsius kalt«, berichtet Marion Maturilli vom AWI. Die gemessenen Temperaturen liegen acht Grad unter dem langjährigen Mittel. In der Folge kommt eine Kettenreaktion in Gang. So bilden sich in der arktischen Region polare Stratosphärenwolken. In ihnen reagieren chemische Verbindungen, die das Ozon angreifen und zerstören ... Prognosen der Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich das Ozonloch aufgrund des FCKW-Verbotes bis 2070 schließt. Doch jetzt grätscht der Klimawandel dazwischen – lässt die schützende Schicht wieder löchrig werden, diesmal über der Nordhalbkugel. Ursache ist nicht der FCKW, sondern der Klimawandel. Er bedingt, dass es in der oberen Atmosphäre kälter wird, wodurch sich in den arktischen Polarregionen kalte Tiefdruckwirbel bilden – die Keimzelle der Ozonzerstörung.“
Eine verstärkende Rückkopplung der beschleunigten Erderwärmung auf das Ozonloch ist nachweisbar. Das Ozonloch verstärkt mehrere der hauptsächlichen Faktoren (Artensterben, Ernteschäden, Untergrabung der menschlichen Gesundheit) im Umschlag in eine globale Umweltkatastrophe.
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Die Wärmeumverteilung im El Niño beschleunigt den Umschlag zu einer Weltklimakatastrophe
In Verbindung mit einer extremen Ausprägung des El-Niño-Phänomens der Umkehr von Luft- und Meeresströmungen im Südpazifik entwickelte sich seit Herbst 2015 eine sprunghafte Klimaerwärmung mit umfassenden weltweiten Auswirkungen. Der Monat Juni 2016 war mit einer weltweiten Durchschnittstemperatur von 16,4 Grad Celsius der heißeste Monat seit Beginn der Wetteraufzeichnungen und zugleich der 14. Monat mit Rekordtemperaturen in Folge. Das Leben wurde mancherorts unerträglich: In Bagdad zeigten die Thermometer am 21. Juli 50 Grad im Schatten an, auch nachts kühlt es jetzt nicht mehr auf unter 32 Grad ab. In anderen Teilen des Irak wurden gar bis zu 53 Grad registriert. Das ist nicht weit entfernt von jenen 56,7 Grad Celsius, die als höchster je erfasster Wert gelten - gemessen im Tal des Todes in Kalifornien. Auf mittlere Sicht könnten ganze Landstriche am Persischen Golf, im Nahen Osten und Nordafrika für Menschen unbewohnbar werden. Der fortschreitende Übergang in die Klimakatastrophe trifft die Region mit ihren mehr als 500 Millionen Einwohnern besonders hart.4
Die Folgen des Klimaphänomens El Niño zeigten sich besonders in Rekorddürren im südlichen afrikanischen Kontinent: 40 Prozent der Menschen sind in Malawi von einer Hungersnot bedroht, warnen die UN. Derzeit seien 18 Millionen Menschen in den besonders betroffenen Ländern Lesotho, Madagaskar, Mosambik, Swasiland, Sambia, Simbabwe und Malawi auf Lebensmittelhilfe angewiesen, sagte die Direktorin des UN-Welternährungsprogramms (WFP), Ertharin Cousin. Für diese sieben Länder würden bis April 2017 etwa 550 Millionen Dollar benötigt, um helfen zu können. Das WFP habe aber nur ein Viertel dieser Summe.5 Das ist ein Armutszeugnis – den Imperialisten ist das Schicksal der Menschen egal.
Die Rekorderwärmung der Luft und auch bestimmter Teile der Weltmeere bewirkt einen beginnenden Zusammenbruch ganzer regionaler Ökosysteme: Das Massensterben der Korallenriffe weltweit hat zur irreversiblen Zerstörung von mehr als 40 % aller Korallenriffe geführt, u.a. von weiten Teilen des Great Barrier Reefs vor Australien. Weitere 40 % sind extrem geschädigt und drohen zu kippen. Die Riffe beherbergen rund 25 % der gesamten Artenvielfalt der Meere, und ihr Zusammenbruch beschleunigt das Massensterben der Arten. Rekorddürren haben den Mangrovenwaldgürtel vor Australien zusammenbrechen lassen, ca. 50 % der Bäume sind in den Wäldern der Sierra Nevada in Kalifornien abgestorben: Die 4-jährige Dürre raubt den Bäumen die Widerstandskräfte gegen Schädlinge wie den Borkenkäfer.
Die Entwicklung der global gemittelten Temperatur auf der Erde wird bestimmt durch den Widerspruch zwischen Energiezufuhr durch Sonneneinstrahlung und Energieabfuhr durch Wärmeabstrahlung in den Weltraum. Die Differenz zwischen diesen beiden verursacht ein Energieungleichgewicht, welches derzeit rund 500 mal kleiner ist als diese Größen selbst. Der derzeitige Wert für das Energieungleichgewicht liegt gemittelt über den Zeitraum von 2005 bis 2015 heute bei 0,71 (± 0,10) Watt pro Quadratmeter Erdoberfläche6,7. Es wird verursacht durch den Anstieg der Treibhausgase. Ihr relativer Beitrag zur Erderwärmung sind (Stand 2013)8: Kohlendioxid (CO2) (57,2%), Methan (CH4) (15,7%), Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) (10,4%), bodennahes Ozon (O3) (10%) und Lachgas (N2O) (5,6%).
Abbildungen: Entwicklung der weltweit gemittelten Temperatur auf der Erdoberfläche9 (links oben) mit einem Temperatursprung, verstärkt durch das extreme El-Niño-Phänomen. Entwicklung der CO2-Emissionen aus Verbrennung fossiler Energieträger (links unten)10. Rechts: Entwicklung der Konzentration wichtiger Treibhausgase in der Atmosphäre11.
Der Anteil von Kohlendioxid in der Atmosphäre beträgt heute (Juni 2016) bereits 406,81 ppm12. Aus den monatlichen Werten der NOAA seit März 1958 lässt sich ablesen, dass der Anstieg des CO2 in der Atmosphäre in den 1960er Jahren noch bei etwa 0,8 ppm/Jahr gelegen hat, in den 2000er Jahren bis 2010 aber schon etwa 2,0 ppm/Jahr betrug. Im Vergleich des ersten Halbjahres 2016 gegenüber dem ersten Halbjahr 2015 liegt der Anstieg im Mittel sogar schon bei 3,6 ppm/Jahr. Diese Beschleunigung des CO2-Anstiegs entsteht, obwohl die CO2-Emissionen aus Verbrennung fossiler Rohstoffe aufgrund der stagnierenden Weltwirtschaft und dem Ausbau erneuerbarer Energien seit 2013 nicht nennenswert zugenommen haben. Der Widerspruch zwischen stagnierenden CO2-Emissionen aus dem Energiesektor und dem sprunghaften Anstieg des CO2 in der Atmosphäre wird erklärt durch die Reaktion der Pflanzen (Dürre, Brände) und des Planktons auf das extreme El-Niño-Phänomen13.
Der Temperatursprung im ersten Halbjahr 2016 mit 0,21 Grad Celsius im Vergleich zu 2015 (nach einem Sprung von 0,16 Grad Celsius bereits von 2014 auf 2015) kann nicht alleine durch zunehmende Treibhausgaskonzentrationen erklärt werden. Vielmehr wurde Wärme, die während einer La-Niña-Phase im tropischen Pazifik gespeichert wurde, durch den extremen El Niño in kurzer Zeit in die Wasser- und Luftmassen der nördlichen Halbkugel bis in das Polargebiet umverteilt14. Dadurch schrumpfte im Winter 2015/2016 die Seeeisbedeckung im Nordpolargebiet auf ein historisches Minimum. Die starke polare Erwärmung leitete im März 2016 einen weitgehenden Zusammenbruch des polaren Luftwirbels (polarer Westwindgürtel) ein15. Dieser hält bis derzeit (Anfang August 2016) an und ist maßgebliche Ursache für nahezu stationäre Tiefdruckgebiete in Mitteleuropa mit Extremregen.
Tatsächlich nahm auch in vergangenen starken El-Niño-Phasen (1997/98 und 1986/87) die Temperatur weltweit sprunghaft zu, um danach in der folgenden La Niña wieder etwas abzukühlen. Trotz des beginnenden Übergangs zu einer La-Niña-Phase seit Mai 2016 ist von einer Abkühlung bisher nichts zu bemerken16. Diese Entwicklung muss sorgsam weiter verfolgt werden. Die südpazifische Oszillation mit ihrem Wechsel von El-Niño- und La-Niña-Phasen wirkt wie eine Wärmepumpe und beeinflusst das Energieungleichgewicht der Erde: Es verstärkt sich während einer La-Niña-Phase, da die Erwärmung der Erdoberfläche durch Wärmeumleitung in tiefere Pazifikschichten nachhinkt. Diese „Wärmeaufladung“ des Meeres schafft die Voraussetzung für extreme El-Niño-Phasen, in denen sich die gekoppelten Zirkulationssysteme der Luft und der Meere im Pazifik umdrehen. Dann werden schlagartig große Wärmemengen aus den tieferen Meeresschichten des tropischen Pazifik in anderen Weltregionen freigesetzt. Die dann eintretende sprunghafte Erwärmung verringert das Energieungleichgewicht zeitweise. Diese Entwicklung gibt einen Vorgeschmack darauf, welche Beschleunigung durch sich selbst verstärkende Rückkopplungen im Klimasystem im Zusammenwirken mit anderen Faktoren des Umschlags hin zu einer globalen Umweltkatastrophe entstehen.
Energiezufuhr und Energieabfuhr unterlagen in der gesamten Erdgeschichte unabhängig voneinander sowohl langfristigen Veränderungen als auch kurzfristigen (monatlichen, jährlichen usw.) Schwankungen. Dadurch hat es immer ein Energieungleichgewicht gegeben, das je nach Vorzeichen zur Erwärmung oder Abkühlung der Erde führte. Das heutige Energieungleichgewicht treibt die Erderwärmung mit einer Geschwindigkeit, welche die Geschwindigkeit aller natürlichen Veränderungen der letzten 66 Millionen Jahre um mindestens das 10fache übertrifft: „Dadurch entsteht ein erdgeschichtlich einmaliger Zustand.“17
Um die weitere Klimaerwärmung zu stoppen, also die mittlere Erdtemperatur nur auf dem heutigen – gegenüber vorindustriellen Zeiten schon um 1,3 Grad Celsius erhöhten – Niveau zu halten, muss das Energieungleichgewicht wieder auf im Mittel Null zurückgeführt werden. Dazu ist die Absenkung des CO2-Gehalts der Atmosphäre auf etwa 350 ppm und anderer Treibhausgase erforderlich18.
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Die Entwicklung erneuerbarer Energien unter dem Diktat des Maximalprofits und der verschärften internationalen Konkurrenz
Der niedrige Ölpreis am Weltmarkt als Folge der schwankenden Stagnation in der Weltwirtschaft und der imperialistischen Rivalität hält an: Seit Juni 2014 war der Ölpreis pro Barrel der Sorte Brent von 110 US-Dollar auf den bisherigen Tiefstand von 29 US-Dollar im Januar 2016 gefallen, um bis Juni 2016 leicht auf 51 US-Dollar anzusteigen und seither wieder auf rund 42 US-Dollar (3.8.2016) zu fallen. Nachdem die USA im Jahr 2014 zum Weltmarktführer der Ölproduktion aufgestiegen sind19, steht im Zentrum der Rivalität der Preiskrieg des neuimperialistischen Saudi-Arabien und verbündeter Golfstaaten zur Vernichtung der US-Fracking-Industrie und zur Verhinderung einer Exportsteigerung des Rivalen Iran20. Fracking ist in den USA zurzeit weitgehend unrentabel geworden. Es wird jedoch aufrecht erhalten, auch weil der US-Imperialismus versucht, den Hauptrivalen Russland, dessen Devisen wesentlich vom Öl- und Gasexport abhängen, in eine tiefere wirtschaftliche Krise zu drücken. In der Wirklichkeit sind die Ölvorräte begrenzt und die Erschließung weiterer Quellen wird aufwändiger. Abhängig von der politischen Entwicklung kann der Ölpreis auch wieder explosionsartig steigen.
Siemens hat unter dem neuen Vorstandschef Joe Kaeser auf das Ölgeschäft gesetzt und ist mit der Übernahme des US-Konzerns Dresser-Rand in das Fracking-Geschäft eingestiegen. Darüber hinaus ist ein wichtiger Geschäftsanteil von Siemens die Steuerung von Großanlagen zur Öl- und Gasförderung. Doch bleiben im Öl- und Gasgeschäft angesichts der niedrigen Preise weitere Investitionen und Aufträge aus. Nach der Vernichtung von 13.000 Arbeitsplätzen weltweit im Jahr 2015 folgen weitere 2.500 in 2016, davon alleine 2.000 in Bayern in Nürnberg, Rustorf, Bad Neustadt und Erlangen21. Sehr ähnliche Anlagen zur Steuerung von großer Leistung elektrischer Energie können aber auch zur Netzeinbindung großer regenerativer Energieerzeuger genutzt werden.
Die Investitionspolitik der internationalen Energie- und Rohstoffmonopole setzt heute sowohl auf den profitablen Ausbau erneuerbarer Energien bei Fortsetzung der Nutzung fossiler Energien. Die Stromerzeugungskapazität der 2015 neu installierten Erneuerbare-Energie-Anlagen beträgt 147 Gigawatt (GW), die mit 53,6 % erstmalig die der neu installierten fossilen Kraftwerksleistung übertraf22. „Die Investitionen in Erneuerbare-Anlagen erreichten mit rund 286 Milliarden Euro einen globalen Höchststand“23. Trotzdem beträgt der Anteil erneuerbarer Energien an der weltweiten Elektrizitätserzeugung erst 10 %. Der Weltmarkt für regenerative Energien weist eine Wachstumsrate von 7,5 % im Jahr auf und soll bis 2022 auf 1020 Milliarden Dollar steigen24. Bei den Investitionen verzeichneten 2014 die neuimperialistischen Länder den höchsten Zuwachs: + 36 % auf 131,3 Mrd. US-Dollar. Der Zuwachs der alten Industrieländer betrug nur + 3 % auf 138,9 Mrd. US-Dollar. Die umfangreichsten Investitionen 2015/2016 finden in China, USA und Japan statt. 8,1 Millionen Menschen arbeiteten 2015 weltweit in der Branche der erneuerbaren Energien – fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Die meisten Jobs im Bereich erneuerbare Energien weltweit bot mit rund 2,8 Millionen die Photovoltaikbranche, 38.000 davon in Deutschland. Mit dem Zusammenschluss mit Gamesa rückt Siemens auf Platz 1 der weltweiten Windmonopole mit 14 % Weltmarktanteil vor. Frühere Weltmarktführer (Vestas (Dänemark), Enercon (BRD)) sind zurückgefallen. Unter den 9 größten sind 4 chinesische Konzerne.
In Deutschland erreichten die erneuerbaren Energien 2015 einen Anteil von ca. 33 % an der öffentlichen Nettostromerzeugung und im ersten Quartal 2016 auch 13,4 Prozent der Primärenergie. Mit der Änderung des EEG, die der Bundestag mehrheitlich am 8.7.2016 beschloss, wird der Zuwachs massiv ausgebremst. Bis 2025 darf der Anteil an der Stromproduktion maximal 45 % betragen. Die Beschlüsse tragen die Handschrift der Energiekonzerne und dienen zum Erhalt des Marktanteils von Braunkohle und Atomstrom. „In seinen Auswirkungen wird das EEG 2016 dazu führen, dass nur noch finanzkräftige Konzerne Solar- und Windanlagen über 750 kW bauen können, weil sie vorher ein Ausschreibungsverfahren absolvieren müssen, dessen Kosten und Risiken keine Bürgergesellschaft mehr tragen kann.“25 Der Kern des EEG 2016 ist die Verhinderung einer weiteren nicht monopolistischen Konkurrenz in der Erzeugung elektrischer Energie. Das Gesetz wurde im Eilverfahren während der Fussball-EM durchgezogen. Am 2.6.2016 demonstrierten etwa 8.000 Menschen in Berlin gegen die Energiepolitik der Bundesregierung.
Die Energiekonzerne haben die Investitionen in ihre Netze im Zeitraum von 1995 bis 2004 halbiert und gleichzeitig mit Milliardengewinnen geprahlt. Nun sollen für den Netzausbau die privaten Stromkunden zur Kasse gebeten werden und der Strompreis für sie weiter steigen. Es wird verbreitet, dieser Netzausbau sei für die Energiewende. Von den 9.663 km geplanten Zubau sind nur 3.355 km Leitungen der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ), eine fortschrittliche Technologie, die nur halb so viel Übertragungsverluste aufweist wie 380 kV Wechselstromleitungen. Inzwischen wurde von ABB ein kunststoffisoliertes Erdkabel für 500kV entwickelt26, was die Übertragungsverluste sogar auf 41,6 % senken würde. Eines der ersten HGÜ-Netze, das Ultranet, startet jedoch in einem Braunkohlerevier und wird nur Braunkohlestrom übertragen. Der Hauptumfang der Investitionen sind die Umrichterstationen, die 80 % der Investition von 1 Mrd. Euro ausmachen. Der Auftrag ging an Siemens.
Der Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V. (SFV) glaubt nach dem EEG-Gesetz von 2016 daran, durch Darlegung einer „überzeugenden Alternative“ dies noch umkehren zu können. Er schlägt u.a. „eine drastische, an den externen Kosten orientierte, CO2- und Brennelemente-Abgabe auf die Brennstoffe, aus denen Fossil- und Atomstrom erzeugt werden“ vor. Kaum kritisiert von den Umweltverbänden wird der Charakter des EEG als Umverteilungsinstrument zugunsten der Energiemonopole.
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Giftmüll unter Tage, die Verseuchung des Grundwassers und die Einheit von sozialer und ökologischer Frage im Kampf der Bergarbeiter
Eine chronische Vergiftung des Grund- und Oberflächenwassers hat sich im Ruhrgebiet und an der Saar entwickelt und wird durch die geplante und teilweise schon vollzogene Flutung stillgelegter Kohlezechen durch die Ruhrkohle AG (RAG) weiter verschärft - mit der Dimension der Entwicklung zu einer regionalen Umweltkatastrophe.
Nach jetzt vorliegenden Informationen aus einem Gutachten der Landesregierung NRW unter Führung der Aachener Gesellschaft Ahu27 wurden zwischen 1969 und 1986 rund 10.000 Tonnen PCB (Polychlorierte Biphenyle) im Revier-Bergbau eingesetzt, von denen der weitaus größte Teil (95 Prozent) noch unter Tage lagert. Tatsächlich aber können die von der Landesregierung beauftragten Gutachter den gesamter PCB-Einsatz während dieser Zeit gar nicht überblicken, weil für die ersten Jahre – von 1969 bis 1974 – alle Dokumentationen fehlen und sie sich dazu auch fast nur auf Informationen der RAG und des Bergamtes stützen können. Andere Schätzungen sprechen von bis zu 15.000 Tonnen PCB-haltigen Ölen28, wobei bei vielen Anwendungen die Öle aus 100 % PCB bestanden.
Die betroffenen Bergleute wurden nicht über die Gefährdung informiert und haben selbst schon z.B. auf der Zeche Niederberg vor Jahren dieses Umweltverbrechen aufgedeckt. Es gab intensiven Hautkontakt zu Hydraulikölen und PCB-haltige Stäube und Emulsionen wurden eingeatmet. Beim Schläuche abziehen und bei Reparaturen war der Kontakt zu PCB zwangsläufig gegeben, außerdem wurden beim Ölwechsel Hydrauliköle auf Anordnung der RAG einfach abgelassen, was der RAG Umweltschutz-Beauftrage Joachim Löchte bestreitet. Im Kamp-Lintforter Bergwerk West befinden sich konzentrierte PCB-Massen auf der 855-Meter-Sohle. Tatsächlich besitzt die RAG nur die Entsorgungszertifikate von 100 kg, also einem winzigen Bruchteil des eingesetzten Giftstoffes. Die chemische Verbindung ist extrem langlebig und kaum abbaubar.
Das PCB ist im Grubenwasser, das seit Jahrzehnten in Lippe, Emscher, Ruhr und Rhein abgeleitet wird. Die Einleitung des Grubenwassers wird von den Behörden als Einleitung von „Grundwasser“ deklariert, da es keine rechtliche Grundlage für die Einleitung von Schadstoffen gibt. Dr. Harald Friedrich, BUND: „Schadstoffe im Wasser zu verdünnen widerspricht Bundes- und EU-Recht“29. Die RAG leitet daher nach Auffassung des BUND ohne jede Genehmigung ein, weshalb Strafanzeige gestellt wurde. NRW-Umweltminister Remmel (Grüne) laviert: „Die RAG darf das eigentlich nicht.“ Aber: „Soll ich das Wasser denn unten lassen, dann würde das ganze Ruhrgebiet absaufen.“ (ebenda) Tatsächlich muss die Forderung nach Klärung der Grubenabwässer und Fortsetzung der Grubenentwässerung durchgesetzt werden. Eine Klärung des Grubenwassers vom Ultragift PCB ist technisch sehr aufwändig.
Angesichts der Einlagerung von ca. 600.000 Tonnen Giftmüll aus Müllverbrennungsanlagen und aus der Chemieindustrie in den Revier-Zechen würde die von der RAG geplante Flutung die bisherige chronische Vergiftung der Gewässer und des Bodens noch weit in den Schatten stellen. Die Fraktion „Auf geht's“ im Stadtrat von Neukirchen-Vluyn hat einen Brief an NRW-Umweltminister Remmel verfasst30, in dem sie Bezug nehmend auf das Gutachten des Aachener Beratungsbüros Ahu darauf hinweist, dass die Giftstoffe vom Salzgehalt des aufsteigenden Grubenwassers freigesetzt werden und so in ungefähr zehn Jahren ins Grundwasser gelangen könnten. Die Fraktion fordert in ihrem Schreiben nun die Wiederaufnahme des Abpumpens des Wassers in den Bergwerken, welches im Bergwerk Walsum in Duisburg schon eingestellt wurde. Allein dort liegen mehr als 100.000 Tonnen Giftmüll in 800 Metern Tiefe. Nach einer Protestkundgebung am 15.6.2016 gegen die Verfüllung der Schächte und Flutung der Grubengebäude der Zeche Auguste Victoria fand am 22.6.2016 in Marl ein Bürgertreffen gegen die Verfüllung und Flutung statt.31
Auch in stillgelegten Zechen im Saarland lagern große Mengen an PCB und Giftmüll aus der Müllverbrennung. Schon seit 2009 wurde Schacht Warndt komplett geflutet, und das Wasser steht jetzt 100 m unter der Erdoberfläche. Gegen den Widerstand der Bevölkerung wurde im Saarland vom zuständigen saarländischen Bergamt Anfang 2013 die Genehmigung zur Teilflutung der RAG-Schächte Duhamel in Ensdorf erteilt32. Die Entscheidung wurde nach Angaben der ZDF-Sendung Frontal 21 am 5.7.2016 gegen die Kritik des Landesamtes für Umweltschutz auf höchster Ebene zwischen der RAG-Spitze und dem damaligen saarländischen Minister für Wirtschaft und Energie, Heiko Maas (SPD), durchgezogen, der auch heute als Bundesjustizminister die Entscheidung rechtfertigt. Die Flutung wurde sogar als Öko-Projekt verkauft – sie sollte den Bau eines unterirdischen Pumpspeicherwerks ermöglichen.
Polychlorierte Biphenyle gehören zu den gefährlichsten Ultragiften, die jemals in der Chemieindustrie synthetisiert wurden33, seit 1929 in industriellem Maßstab. Wesentliche Hersteller in Deutschland waren Bayer und in den USA Monsanto. Sie wurden zunächst eingesetzt als Insektizide und Pestizide in der Landwirtschaft, als Schmierstoffe und Hydrauliköle, in Lacken, Kunststoffen und Wachsen, Fugenmassen etc. 1983 wurde die PCB-Produktion in Deutschland eingestellt, 1989 verboten. Erst seit 2001 sind PCB weltweit verboten. Trotz seit den 1970er Jahren vorliegenden Beweisen wurde es erst 2013 von der WHO als gesichert krebserregend eingestuft.
PCBs reichern sich im Menschen an, vor allem in Fettgewebe, Knochenmark und Gehirn. Aus der Nahrung werden sie vorwiegend über tierische Fette aufgenommen. Eine weitere Anreicherung erfolgt in der Muttermilch. Sie sind schwer abbaubar, also im Organismus von hoher Persistenz. Eine akute PCB-Vergiftung ruft u.a. Chlorakne, Lidödeme, chronische Bronchitis, Lungenfunktionsstörungen, Funktionsstörungen des Gehirns, Nervenschmerzen und -ausfälle, Stoffwechselstörungen und Krebs hervor. Chronische Belastung selbst in sehr kleinen Konzentrationen führt langfristig zur Schädigung des Erbguts, Krebs, Kopfschmerzen, neurologischen Symptomen und Störungen des Immunsystems.
Eine große Rolle spielen die Altlasten: auslaufende Öle und Schmiermittel, Kondensatoren, Transformatoren, Fugenmassen in Gebäuden (vor allem Stahlbetonbauten seit 1965 bis Anfang der 1980er-Jahre). Derzeit müssen Gebäude der Ruhr-Universität Bochum mit großem Aufwand saniert werden. Es sind auch Schulen und Kindergärten betroffen. Der Vorsorgewert beträgt 300 ng PCB/m³ Raumluft, der Grenzwert für eine akute Gefahr von ab 3.000 ng/m³ wird von kritischen Toxikologen als viel zu hoch erachtet. PCB-Verseuchung durch die Schredder-Anlage der Firma Richter in Essen-Kray fordert eine Bürgerinitiative zum Widerstand heraus. Die PCB-Belastungswerte im Stadtteil sind so hoch, dass in der Umgebung 1.700 Haushalten vor dem Verzehr von dort angebautem Gemüse und Salat gewarnt werden. Die Firma Richter beruft sich auf Bestandsschutz. Nach Aussage der Stadt Essen müsste die Firma für einen Umzug entschädigt werden, was die Stadt aber nicht bezahlt. Die Rede ist von 50 Millionen Euro. Darüber hinaus gibt es eine flächendeckende PCB-Belastung in Dortmund durch die Firma Envio, die bis 2010 PCB-belastete Transformatoren recycelt hat. Die Arbeiter und die Umgebung wurden hochgradig belastet. Die Blutwerte bei den Arbeitern lagen oft über das 1.000fache über dem Grenzwert.
Im Entwurf des internationalen Kampfprogramms der Bergarbeiter, das auf der 2. Internationalen Bergarbeiterkonferenz 2017 in Indien verabschiedet werden soll, heißt es: „Der Kampf der Bergarbeiter um angemessene Lebensbedingungen, sollte Hand in Hand gehen mit dem Kampf um den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.“ Es werden dort wichtige Forderungen zur Einheit von sozialer und ökologischer Frage aufgestellt34.
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Neue Erkenntnisse über das Zusammenwirken von Umweltvergiftung, psychischer Belastung und Ernährung bei der Ausbreitung von Krebs
Der Weltkrebsbericht 201435 trifft die Aussage, dass nur 5 % aller Krebserkrankungen genetisch bedingt sind. 50 % seien durch Essen und Trinken bedingt, 30 % durch das Rauchen, 15 % seien umweltbedingt. In dem Buch „Katastrophenalarm! Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur“ heißt es dazu: „Die genetisch bedingten Krebsfälle liegen bei etwa fünf Prozent, 90 Prozent aller Krebserkrankungen werden durch Umwelteinflüsse verursacht.“36 Wer hat nun recht? Ausgehend vom erweiterten Umweltbegriff zählen Stress, Vergewaltigung des Biorhythmus (Arbeitshetze bei Nacht- und Schichtarbeit), falsche und schadstoffbelastete bzw. von ihrer natürlichen Zusammensetzung entwertete Ernährung ebenso wie das Rauchen zu den Umweltfaktoren. Schließlich ist der Magen-Darm-Trakt noch vor den Atemwegen und weit vor der Haut die größte Kontaktoberfläche des Menschen zur Umwelt. Die Ernährung hat wiederum erheblichen Einfluss auf die Verdauung und die Darmflora, die wiederum erheblichen Einfluss auf das Immunsystem und auch auf das vegetative und zentrale Nervensystem hat. Mit einem dialektischen Umweltbegriff ist es auch unzulässig, die verschiedenen Faktoren schubladenartig nebeneinander zu stellen, sondern es kommt gerade auf ihre Wechselwirkung, Durchdringung und Potenzierung an.
Nach Schätzung der WHO-Expertenkommission (IARC)37 wird eine Steigerung der Krebstoten um mehr als 50 % in den nächsten 20 Jahren erwartet. Weltweit erkrankten 2012 14 Millionen Menschen an Krebs. 8,5 Millionen Betroffene sind im gleichen Jahr daran gestorben. Die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen könnte somit auf 22 Millionen steigen38. Für 2034 werden 13 Millionen Todesfälle erwartet. An erster Stelle steht dabei Lungenkrebs, gefolgt von Brust- und Magenkrebs39. Schlechte Ernährung und Luftverschmutzung spielen eine wichtige Rolle. Betont werden von der IARC der individuelle Lebensstil sowie die Nichteinhaltung von Schutzmaßnahmen als das größere Risikopotenzial. „Die zur WHO gehörende Internationale Agentur für Krebsforschung fordert als Fazit des Berichts strengere nationale Gesetze, um Krebs zukünftig effektiver zu vermeiden. Durch eine verschärfte Regulierung des Konsums von Alkohol und zuckerhaltigen Getränken sowie durch strengere Maßnahmen gegen das Rauchen könne der Anstieg der Neuerkrankungen verringert werden. ... Fast 70 Prozent aller krebsbedingten Todesfälle treten in Afrika, Asien, Zentral- und Südamerika auf. Entwicklungsländer sind damit überproportional betroffen. (…) Eine frühe Diagnose wird durch einen Mangel an entsprechenden medizinischen Einrichtungen verhindert. Um sich überhaupt behandeln zu lassen, müssen Betroffene oft weite Strecken reisen.“40
Die Umweltmedizin hat in der Zwischenzeit wichtige Erkenntnisse gesammelt, wie sogenannte Triggerfaktoren und Zellgifte zusammenwirken (psychosozialer Stress, Umweltgifte, chronische Virusinfektionen usw.) und zu einer chronisch latenten Entzündung im Organismus („Silent inflammation“) sowie zu chronischen Multisystemkrankheiten führen als Grundlage auch für die Krebsentstehung. Umweltgifte und „Silent inflammation“ können ebenso wie Adipositas auch Ursache einer Depression sein!41 Entgegenwirken können sekundäre Pflanzenstoffe, Omega-3-Fettsäuren, Mineralstoffe, Spurenelemente und Vitamine in der richtigen Mischung der biologischen Vollwertkost, regelmäßiger Ausdauersport und mentaler Ausgleich42. „In dem jüngst erschienenen Artikel von D. Hanahan „Rethinking the war on cancer“ (Lancet 2014) stellt dieser fest, dass die Strategie an ihre Grenzen gekommen ist, Tumoren auf der Basis ihrer spezifischen Mechanismen zu therapieren. Er fordert, integrative und holistische Konzepte zu entwickeln. Dies wird nur dann gelingen, wenn die Kenntnisse der klinischen Umweltmedizin stärker als bisher einbezogen werden.“43
Der EUROPAEM-Vorsitzende Dr. Kurt Müller weist zurecht darauf hin, dass genetische Faktoren über die Empfindlichkeit entscheiden, also die Ausstattung mit Entgiftungsenzymen. Somit besteht auch eine dialektische Wechselbeziehung zwischen genetischen Faktoren und Umweltfaktoren bei der Krebsentstehung, die ebenfalls eine starre Gegenüberstellung verbieten! In Deutschland erkrankt fast jeder zweite Bürger im Laufe seines Lebens an einem bösartigen Tumor. Das geht aus dem aktuellen Bericht „Krebs in Deutschland“ des Robert-Koch-Instituts (RKI) hervor, welches jedoch die Umweltbedingtheit abstreitet. Demnach liegt das Risiko, an Krebs zu erkranken, für Männer bei 50,5 %, für Frauen bei 43,1 %. Mit rund 500.000 Neuerkrankungen pro Jahr gehört Krebs zu den häufigsten Erkrankungen in Deutschland und ist nach Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems die zweithäufigste Todesursache.
Eine wichtige Auseinandersetzung über eine laut WHO kanzerogene Substanz spielt sich gegenwärtig in der Frage der Zulassungsverlängerung für das Monsanto-Ackergift Glyphosat in der EU ab. Aufgrund des breiten internationalen Protests ließ die EU-Kommission die Abstimmung erneut am 19.05.2016 auf unbestimmte Zeit verschieben44. Glyphosat hat auch schädliche Wirkungen auf die Artenvielfalt, Boden- und Pflanzenqualität, Gewässer und Ozeane. Das zeigt, dass auch Kanzerogene nicht nur auf diese eine Eigenschaft reduziert werden dürfen und in der Regel eine vielfältige schädliche Wirkung entwickeln.
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Die Strategiediskussion in der Umweltbewegung in der Vorbereitung der Klimakonferenz von Marrakesch
Im Dossier III/2015 hatten wir auf die völlige Untauglichkeit eines 1,5 – 2 Grad Ziels für notwendige Klimaschutzmaßnahmen hingewiesen, da es nur die Absicht der internationalen Monopole grün bemäntelt, die Verbrennung fossiler Rohstoffe noch bis mindestens 2030 fortzusetzen. Im Abschnitt II.17 des Pariser Vertrags wird zugegeben, dass die freiwilligen Selbstverpflichtungserklärungen der Staaten zu einer weiteren Erhöhung der Treibhausgasemissionen von gegenwärtig 36 auf 55 Gigatonnen bis zum Jahr 2030 führen werden45.
Die Umweltgewerkschaft beurteilte treffend am 20.12.2015: „Der in Paris ausgehandelte Klimavertrag ist im Wesentlichen ein Betrug! Er wird die Entwicklung zu einer globalen Klimakatastrophe nicht bremsen - wie er vorgibt -, sondern beschleunigen! Und er verdeckt die Hauptursache der Klimakrise: die kapitalistische Konkurrenzwirtschaft mit ihrem unbändigen Drang zu maximalem Profit aus Natur und Mensch.“ Dagegen machten viele Umweltorganisationen reihenweise einen Kniefall und übernahmen nahezu kritiklos die imperialistisch-ökologistische Propaganda. So der WWF: „Paris hat geliefert“ oder der NABU: „Das Ziel stimmt schon mal“46. Die IG-Metall-Führung sieht ein „Gutes Signal“ und die Linke spricht gar von „einem historischen Schritt in die richtige Richtung“47 Die MLPD beurteilte am 13.12.2015 auf rf-news dagegen den Vertrag zutreffend als „Farce und typisch für den imperialistischen Ökologismus“. Die Rote Fahne 05/2016 schrieb: „Mit diesem Vertrag wird mutwillig ein weiterer Schritt in Richtung Klimakatastrophe in Kauf genommen“.
Am 7. Februar 2016 trafen sich „zahlreiche marrokanische Organisationen, Verbände, Gewerkschaften, Netzwerke der Zivilgesellschaft und soziale Bewegungen“ in der Hauptstadt Rabat, um die „Koalition für Klimagerechtigkeit in Marokko“ zu bilden. (Erklärung vom 07.02.2016 – www.coalitionclimat22.org) Sie orientiert in Absprache mit dem König auf regionale Veranstaltungen parallel zum UN-Klimagipfel COP22, der vom 7. bis 18. November 2016 in Marrakesch stattfindet. Am 10. Juni 2016 erklärten kämpferische Kräfte um Attac Marrokko sowie des marokkanischen Komitees für den Schuldenerlass (CADTM) den Austritt aus dieser Koalition, weil sie unter Kontrolle einer selbsternannten Gruppe steht, die eng mit der marokkanischen Regierung zusammenarbeiten würde. Schon im Frühjahr 2016 wurde eine Veranstaltung von ATTAC/CADTM von der marokkanischen Regierung verboten. Bereits am 30. Mai 2016 wurde in Kritik an dieser Unterordnung der Klima- und Umweltbewegung unter die herrschende Klimapolitik in Marokko eine Plattform „Democratic net to campaign COP22“ REDACOP22 gegründet (www.redacop22.org). In ihr arbeiten bereits 20 marokkanische Organisationen und 2 internationale Organisationen.
Die Bewegung „Ende Gelände“ führte in Zusammenarbeit mit einem breiten Bündnis unter internationaler Beteiligung vom 13. – 16. Mai 2016 in der Lausitz ein Protestcamp zur Beendigung des Braunkohle-Tagebaus und eine Besetzung des Tagebaus mit rund 3.500 Teilnehmern durch. Eine Delegation der Umweltgewerkschaft beteiligte sich daran und orientierte auf die Gewinnung der Braunkohle-Kumpels für den gemeinsamen Kampf. Ein Aktivist von „Ende Gelände“ wurde nach mehr als 6 Wochen Untersuchungshaft am 21. Juli 2016 zu einer Geldstrafe von 1560 Euro verurteilt. Die Bewegung erklärt: „Das können wir nicht akzeptieren. Wir werden nicht locker lassen und weiterhin sagen: Klimaschutz ist kein Verbrechen!“
Gleichzeitig versuchen verschiedene Regierungen weiterhin die offensichtliche Farce des Pariser Klimaabkommens zu kaschieren. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks und der marokkanische Außenminister Salaheddine Mezouarin versprachen beim 7. Petersberger Klimadialog in Berlin am 4. /5. Juli 2016 vollmundig, „das historische Paris-Abkommen von 2015 Realität werden zu lassen“. Das Abkommen tritt erst 2020 in Kraft, wenn es mindestens 55 Vertragsparteien ratifiziert haben, auf die insgesamt ein Anteil von mindestens 55 % der gesamten weltweiten Treibhausgasemissionen entfällt. Das haben bisher erst 18 Länder getan, die gerade einmal 0,18 % der globalen Emissionen repräsentieren. Alleine die am 20.7.2016 präsentierten EU-Klimaziele machen das Klimaschutzabkommen von Paris zur Makulatur.
Interessant ist in diesem Zusammenhang das Buch des renommierten Klimawissenschaftlers und Chef-Beraters der Bundesregierung in Klimafragen H. J. Schellnhuber „Selbstverbrennung“ (2015). Er selbst hatte eine wissenschaftliche Begründung für das 2-Grad-Ziel als angebliche „Brandmauer“ gegen die drohende globale Klimakatastrophe erarbeitet, sieht sich wegen seiner Nachhaltigkeitsvision („große Transformation“) als „Umwelt-Stalinist“ (!) diffamiert. Er schwankt zwischen Desillusionierung in die verantwortlichen Politiker und Hoffnungen in „eine moralische Verantwortung für die Klimazukunft“. Gleichzeitig erklärt das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung unter seiner Leitung „Das Klimaziel von Paris ist ein Triumph des Realismus - ganz entgegen mancher Kritik, es sei wirklichkeitsfremd. (…) Das Abkommen von Paris ist ein historischer Durchbruch und ein Triumph der Vernunft". (...) Jetzt gibt es den Druck, diesen Konsens rechtzeitig umzusetzen, um die lauernde humanitäre Tragödie tatsächlich noch zu verhindern."48 Trotz Verzweiflung über die „Selbstverbrennung“ der Menschheit wird die Klimapolitik der internationalen Monopole und der verschiedenen Regierungen einschließlich der Merkel-Regierung so gerechtfertigt.
Am 23./24. April 2016 veranstaltete die Ökologiebewegung Mesopotamiens in Van ihre 1. Konferenz nach ihrer Gründung mit 170 Teilnehmern. Hauptsächlich aus den Provinzen in Nordkurdistan kamen 100 Delegierte, aus der Türkei Aktivisten verschiedener Umweltbewegungen. Außerdem waren aus Deutschland je ein Vertreter der MLPD/ICOR und der Initiative zum ökologischen Wiederaufbau in Kobanê dabei. In ihrer Abschlusserklärung prangert die Konferenz an: „Zerstörerische Großprojekte wie das Südostanatolische Projekt (GAP), der Ilisu-Damm, der Munzur-Damm, der Grüne Weg und der Cerattepe-Bergbau sowie der Istanbul-Kanal wurden mit dem Ziel entwickelt, die Wälder für die Bauwirtschaft abzuholzen, das Wasser zu kommerzialisieren, das Land zur Handelsware zu machen, die Natur und die Menschen zu kontrollieren, den Verbrauch fossiler Brennstoffe und allgemein von mehr Energie und Material zu fördern, was alles zusammen die Menschen von der ursprünglichen Natur und vom sozialen Leben entfremdet.“ Die Konferenz wandte sich auch gegen die brutale Politik der Erdogan-Regierung gegen Nordkurdistan, wodurch schon Hunderttausende aufgrund der systematischen Zerstörung der Städte gewaltsam vertrieben wurden. Sie kritisiert die Auswirkungen des Kapitalismus und ruft zum ökologischen Widerstand auf.
Nachtrag: Auch in Deutschland gewinnt die Position einer notwendigen Überwindung des Kapitalismus zur Lösung der ökologischen in Einheit mit der sozialen Frage und der Verhinderung einer Umweltkatastrophe an Ansehen. Es gibt eine Initiative, dass sich internationalistische, ökologische, klassenkämpferische und revolutionäre Kräfte in Deutschland mehr zusammenschließen. Das entstehende Bündnis Internationalistische Liste/MLPD zur Bundestagswahl 2017 mit Blick auf eine längerfristige Zusammenarbeit hat auf seinem Kongress am 2. Oktober umweltpolitische Kernforderungen beschlossen, die u.a. auf der Homepage (www.internationalistische-liste.de) und in der Wahlplattform zu finden sind.
2Karte der NASA bei Science 10.02.2016, www.sciencemag.org/news/2016/02/record-ozone-hole-may-open-over-arctic-spring
3www.heute.de/in-der-arktis-ist-eine-neus-ozonloch-aufgetaucht-dass-bald-rekordgroesse-erreichen-wird-und-folgen-fuer-unsere-gesundheit-hat-42357430.html
6G.C. Johnson, et al, „Improving estimates of Earth's engery imbalance“, Nature Climate Change 6, 639–640 (2016)
7Ein früherer Wert von Hansen von 0,58 (± 0,15) W/m2, bezog sich nur auf den Zeitraum von 2005 bis 2010, während eines Minimums der Sonneneinstrahlung. Siehe J.Hansen et al, „Earth's Energy Imbalance“, NASA GISS: Science Brief, January 2012, http://www.giss.nasa.gov/research/briefs/hansen_16/
8H. Lohninger, „Anorganische Chemie / Treibhausgase“, http://anorganik.chemie.vias.org/treibhausgase.html; die Einheit ppb steht für „parts per million“ (Teilchen pro eine Million Luftteilchen).
9Eigene Abbildung. Daten von http://www.ncdc.noaa.gov/cag/time-series/global/globe/land_ocean/ytd/6/1881-2016
12 NOAA, monatliche global gemittelte Werte des CO2 in der Atmosphäre, https://www.co2.earth/monthly-co2
16http://www.dailymail.co.uk/wires/ap/article-3698023/El-Nino-gone-Earths-record-heat-sticking-around.html
19http://www.statista.com/statistics/236605/share-of-global-crude-oil-production-of-the-top-15-oil-producing-countries/
20 http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de vom 27.07.2015
22 Global trends in renewable energy investment, Frankfurt School-UNEP Centre/BNEF. 2016. Wasser- Großkraftwerke werden nicht als erneuerbare Energie betrachtet, jedoch Biomasse und Müllverbrennung.
32 05.07.2016 Frontal-21, http://www.zdf.de/frontal-21/gift-im-grundwasser-gefahr-durch-geflutete-steinkohlebergwerke-44257208.html
35 http://publications.iarc.fr/Non-Series-Publications/World-Cancer-Reports/World-Cancer-Report-2014
36 Stefan Engel, „Katastrophenalarm ! Was tun gegen die mutwillige Störung der Einheit von Mensch und Natur?“, Verlag Neuer Weg (März 2014), S. 212
41 „Silent-Inflammation – nicht sichtbar aber spürbar?“ Dr. Volker von Baehr, Institut für Medizinische Diagnostik Berlin – Potsdam, Inflammatio Akademie, Online Fortbildung vom 28. Januar 2015
43Dr.med. Kurt Müller, Vorstand der Europäischen Akademie für Umweltmedizin (EUROPAEM) UMG 1/2015, S. 3
44Tagesschau ARD 19.05.2016 www.tagesschau.de/wirtschaft/glyphosat-159.html
45United Nations Framework Convention on Climate Change, Conference of the Parties, Twenty-first session, „Adoption of the Paris Agreement“, 12.12.2015, https://unfccc.int/resource/docs/2015/cop21/eng/l09.pdf Download 17.2.2016
48Schellnhuber et al, Why the right climate target was agreed in Paris. Nature Climate Change (2016) [DOI:10.1038/nclimate3013]