Abschied von unserem Freund und Genossen Walter Lindner
Am 8. April starb unser Freund und Genosse Walter Lindner im Alter von 65 Jahren zu Hause – begleitet von seiner Frau Petra und seinem Freund und Arzt Günter Wagner. Walter hatte den Kampf gegen die Krebserkrankung verloren. Ein unbegreiflicher, schmerzlicher Verlust. 220 Trauergäste – Angehörige, ehemalige Schülerinnen und Schüler, Kumpels, Freunde und Genossen – würdigten bei der Gedenkfeier am 8. Mai diesen wertvollen Menschen. Er hatte bis zum Lebensende seine außergewöhnlichen Fähigkeiten in den Dienst der Arbeiterbewegung gestellt, berichtet Otwin Herzig in seiner Gedenkrede
Geboren wurde Walter am 20.10.1950 in Schweinfurt. Die Eltern hatten eine kleine Schreinerei und es war normal, dass Walter im Familienbetrieb mithalf. Hier lernte er Fleiß und Disziplin. Er machte Abitur und studierte an der Kunstakademie in Nürnberg. Um sich sein Studium zu verdienen, arbeitete er in den Ferien. In der Härterei der Firma Kugelfischer in Schweinfurt weckte sein Meister – ein Kommunist – sein Interesse am Sozialismus. Jürgen Heinlein, ein Weggefährte aus dieser Zeit, erinnert sich:
„Neben der festen Verbindung zu Arbeitern begeisterten wir uns auch für revolutionäre Kunst, unter anderem für die großen mexikanischen Wandmaler, für den belgischen Bildhauer und Maler Meunier und für die Kunst der russischen Oktoberrevolution.“ Kunst und Arbeiterbewegung, Revolution und Kunst – diese Verbindung wurde zeitlebens eine Maxime in Walters gesamtem Schaffen.
1972 wurde Walter Mitglied in den Kommunistischen Studentengruppen (KSG). Später beteiligte er sich vorwärtstreibend an der Gründung des Bundes Kommunistischer Intellektueller (BKI) 1979 und war vier Jahre Mitglied dessen Zentraler Leitung.
Nach dem 2. Staatsexamen arbeitete Walter als Kunsterzieher an verschiedenen Gymnasien. Er war mit Leib und Seele Pädagoge. 1995 musste er sich wegen einer chronischen Darmerkrankung in den vorzeitigen Ruhestand versetzen lassen. Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, die politische Arbeit fortzusetzen.
Um den Aufbau der MLPD zu unterstützen, siedelte Walter 1985 ins Ruhrgebiet um. „Wo er gebraucht wurde, ging er hin“ – so kennzeichnete Otwin Herzig in seiner Gedenkrede Walters Einstellung. „Er war kreativ in der Gestaltung von Plakaten, Broschüren und Zeitungen. 1983 übernahm er zusammen mit einer Genossin die Leitung der aufzubauenden Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit. Bis zu seinem Tod blieb er dieser Arbeit treu.
In Lünen, Dortmund und Bergkamen tauchte er in die Welt der Bergleute und ihrer Familien ein. 2005 nach Bottrop umgezogen, hat er die Kleinarbeit unter den Bergarbeitern und ihren Familien unermüdlich fortgesetzt. …
Als Kunsthistoriker hätte er Karriere machen können. Als Oberstudienrat a.D. hätte er seine Beamtenpension verzehren können. Er hat einen anderen Weg gewählt. Als Intellektueller, der von den Arbeitern bescheiden lernte und ihnen selbstlos seine Fähigkeiten zur Verfügung stellte. Im Sprachgebrauch des Antikommunismus ist eine solche Umerziehung verpönt, als Vergewaltigung der Persönlichkeit und der künstlerischen Freiheit. Walter hat das anders gesehen und gelebt. …
Und in dieser Verschmelzung mit dem Arbeiterleben hat Walter seine wahre Persönlichkeit entwickelt. Als proletarischer Künstler und künstlerischer Revolutionär, hat er sich befreit von der Fessel jenes spießigen Individualismus, der Ansehen und Befindlichkeit der eigenen Person zum Maßstab aller Dinge macht.“
Die internationale Solidarität lag ihm besonders am Herzen. 2008 fuhr er im Auftrag der Bergarbeiterinitiative „Kumpel für Auf“ zu den streikenden Bergleuten der Zeche Budryk nach Polen. 2012 flog er zu den streikenden Bergarbeitern in Spanien, um neue Kontakte zu knüpfen. Ein Höhepunkt war die 1. Internationalen Bergarbeiterkonferenz in Peru. Dort gehörte er zum engsten Kern der Brigadisten, die dieses historische Ereignis gegen alle Widerstände organisierten. Stefan Engel berichtet in seiner Würdigung, wie er, Walter und weitere Organisatoren, von bewaffneten Polizeikräften als „Terroristen“ verhaftet werden sollten. Walter hat nicht einen Moment gezögert. Es gelang ihnen, sich dem Zugriff zu entziehen, die Konferenz fand erfolgreich statt.
Walter hat das Willi Dickhut Museum in Gelsenkirchen mit aufgebaut und seit 2002 geleitet. Otwin Herzig erinnert: „Es lag ihm viel daran, das Lebenswerk dieses Solinger Schlossers – dessen Todestag sich heute zum 24. Mal jährt – dieses unerschütterlichen Kommunisten, aktiven Widerstandskämpfers gegen den Faschismus, Vordenker und Mitbegründer der MLPD breiter bekannt zu machen. … Walter sorgte sich zu seinem Lebensende, das Museum könnte verkümmern, wenn er nicht mehr da ist. Bis in seine letzten Gespräche suchte er nach Menschen, die dieses Werk fortsetzen. …
Walter hatte ein erfülltes Leben. Er wurde von vielen geschätzt und respektiert. Auch von politisch Andersdenkenden. Wir werden sein freundliches Wesen, seine Hilfsbereitschaft, seinen unermüdlichen Einsatz, seine selbstlose Art, seinen Humor und Herzlichkeit – ja, auch seine Macken – vermissen.“
Ein Kumpel aus Bottrop:
„Im letzten Jahr habe ich Walter erst näher kennen gelernt. Ich konnte sehr gut mit ihm über den Bergbau fachsimpeln. Er hatte von der Tätigkeit eines Bergmanns, obwohl er selbst kein Bergmann war, hohe Fachkenntnisse. Mir kam es dann so vor, dass wir uns schon Jahre gekannt und geschätzt haben.“
Eine Gladbecker Lehrerin schreibt: „Mehrfach besuchte ich mit Schulklassen das Willi Dickhut Museum und fand in Walter Lindner einen begeisterten Museumsdirektor und -führer – so waren meine Schüler gebannt von Walters lebendigen Schilderungen vom Alltag im Konzentrationslager.“