El Niño extrem – sehenden Auges in die Katastrophe?

Drei Viertel der Menschheit sind von den Auswirkungen des El-Niño-Phänomens betroffen.

2015/2016 fällt El Niño – ein periodisch auftretendes Klimaphänomen im Pazifik – extremer aus als jemals zuvor. Von El Niño gehört haben die meisten Menschen, aber was es genau damit auf sich hat, fragen sich viele. Was vor allem in den bürgerlichen Medien ausgeblendet oder auseinandergerissen wird, sind die Zusammenhänge sich gegenseitig verstärkender Effekte zwischen El Niño und dem Umschlag in eine globale Umweltkatastrophe. Für die „Rote Fahne“ und ihre Umweltredaktion gute Gründe, der Sache auf den Grund zu gehen.

Extreme Auswirkungen des El Niño 2015/16

Das Jahr 2015 wurde durch die Klimaerwärmung und verstärkt durch den Extrem-El-Niño zum wärmsten Jahr der bisherigen Klimaaufzeichnungen seit 1880. Dies geht vor allem auf besonders hohe Temperaturen über der Meeresoberfläche zurück.1 Kein Wunder, denn 90 % der Erwärmung durch steigende Treib­hausgas-Emissionen gingen seit 1990 in die Meere.

Das hat zur Folge, dass sich der El-Niño-Effekt verstärkt – mit dramatischen Folgen für Millionen Menschen! Im Süden des afrikanischen Kontinents kommt es zu extremen Dürren und Missernten. In Äthiopien sind 15 Millionen vom Verhungern bedroht, Zimbabwe steht vor einer Hungersnot, in Papua-Neuguinea hungern bereits heute drei Millionen. In vielen afrikanischen Ländern wird das Trinkwasser rationiert. Durch den resultierenden Mangel an Grundnahrungsmitteln steigen die Preise rapide, in Südafrika für Mais um über 50 %. In Kolumbien und Venezuela herrschen ebenfalls Wassermangel und Dürre. In Australien wüten zudem verheerende Buschfeuer, die ebenfalls zum Treibhaus-Effekt beitragen. In anderen Ländern gab es massiven Starkregen mit Überflutungen wie in Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. „Patricia“, einer der bisher stärksten Wirbelstürme mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 350 kmh Ende 2015, fiel in diese El-Niño-Phase.

„Naturereignis“ oder Umschlag in die Umweltkatastrophe?

Mit der Erwärmung der Meere und der massiven Speicherung von CO2 beginnen sich Meeres- und Luftströmungen weltweit zu verändern. Im Jahr 2015 wurde eine Abschwächung des Golfstroms im Atlantik um 25 % nachgewiesen2. Seit 2013 haben sich an der Pazifikküste der USA und Kanadas riesige Warmwasserblasen gebildet. Sie waren eine Ursache der Jahrhundertdürre in Kalifornien. Diese Warmwasserblasen wurden in Verbindung mit dem „Extrem-El-Niño“ im Winter 2015/2016 in die Tiefen des Pazifiks umverteilt, wodurch sich auch das Tiefenwasser weiter erwärmt.

Die Verstärkung des El-Niño-Phänomens mit verheerenden Auswirkungen ist einerseits Folge der Klimaerwärmung. Andererseits wirkt sie verstärkend darauf zurück. Die bürgerliche Wissenschaft betrachtet diese Phänomene im Wesentlichen vereinzelt. Das hat Methode: Stefan Engel, der Vorsitzende der MLPD, schreibt in seinem Buch „Katastrophenalarm!“, dass seit dem 20. Jahrhundert in den Naturwissenschaften ganz offiziell die Methode des „Positivismus“ dominiert: „Die Naturwissenschaft soll sich auf das ,positiv‘ Gegebene, also auf beobachtbare Gegenstände und Vorgänge beschränken. Darüber hinausgehende Fragen nach tieferen Ursachen, nach dem inneren Wesen und nach allseitigen Zusammenhängen lehnt der Positivismus als reine Spekulation ab.“3 Im Sinne der Herrschenden zielt diese Denkweise ab auf Ohnmachtsgefühle und Resignation gegenüber einer Fülle von „Einzelerscheinungen“.

Notwendig ist dagegen, mit der dialektischen Methode zu arbeiten und die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zu analysieren. Tatsächlich durchdringen sich hier menschengemachte und natürliche Phänomene: die globale Klimaerwärmung, Zerstörung der Wälder und der Meeresökologie, die Folgen destruktiver kapitalistischer Landwirtschaft und Landraubs mit natürlichen Wetter- und Klimazyklen wie El Niño. Diese verändern sich unter dem Einfluss dieser Wechselwirkung selbst wiederum entscheidend. In dieser destruktiven Wechselwirkung beschleunigt sich der Übergang in die globale Umweltkatastrophe.

Die Ernährungsgrundlage großer Teile der Menschheit ist gefährdet. Allein in Afrika fliehen derzeit rund 20 Millionen Menschen vor den Folgen der Klimaerwärmung. Die Erderwärmung macht es in Subsahara-Afrika an vielen Orten unmöglich, die Böden zu bewirtschaften. Potsdamer Klimaforscher warnen, dass aus den 20 Millionen Klimaflüchtlingen bald 100 oder 200 Millionen werden können. Nach Lesart der Bundesregierung überwiegend unerwünschte „Wirtschaftsflüchtlinge“.

Tatsächlich ist die unter der Herrschaft inter­natio­naler Agrar- und Rohstoffmonopole betriebene kapitalistische Landwirtschaft nicht nur Fluchtursache für Millionen. Sie verursacht mit Bodenzerstörung, Massentierhaltung, Transporten und Verpackung zwischen 44 % und 57 % aller Treibhausgas-Emissionen.

Die bürgerliche These, El Niño sei ein nicht beeinflussbares Naturereignis, das mal stärker, mal schwächer ausfällt, ist längst widerlegt. Sie soll vor allem von den kapitalistischen Hauptverursachern ablenken. Stefan Engel kommt deshalb zu dem Schluss: „Die Vollendung des Übergangs zur globalen Umweltkatastrophe ist kein unausweichliches Schicksal. Diese Entwicklung ist von Menschen gemacht, sie hat ihre Grundlage in der kapitalistischen Profitwirtschaft auf der Stufe der Neuorganisation der internationalen Produktion – und sie kann auch von Menschen beendet werden.“6

Regierungsamtliche Greenwasher in der Defensive

Dass die durch die kapitalistische Produktionsweise erzeugte Klimaerwärmung El Niño verstärkt, ist für kritische Wissenschaftler und Umweltschützer kein Geheimnis. Davon geht unter anderem der Meeres- und Klimaforscher Mojib Latif aus, der 2015 den deutschen Umweltpreis erhielt.7

Das renommierte Wissenschaftsmagazin „Science“ widerlegte im Juni 2015 die These von der „Erwärmungspause“ des Weltklimas in den Jahren 1998–2012.8 Urheber dieser verharmlosenden These war die UN Klimaorganisation IPCC. Angesichts dieser Erkenntnisse inszenierte die UN mit ihrer Pariser Weltklima-Konferenz im Dezember 2015 eine einzigartige PR-Aktion: Durch eine freiwillige Selbstverpflichtung der einzelnen Länder, versprach die Konferenz, könne die Klimaerwärmung auf 1,5 ° Celsius begrenzt werden. Die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sprach sogar davon, dass hier „Geschichte geschrieben“ wurde. Wohl eher ein Märchen.

Denn im Abschnitt II.17 des von der UN-Konferenz beschlossenen Pariser Vertrags wird selbst zugegeben: Die „freiwilligen Selbstverpflichtungen“ ermöglichen eine Erhöhung der Treibhausgas-Emissionen von gegenwärtig jährlich 36 auf 55 Gigatonnen bis 2030. Aber schon mit den heutigen Treibhausgasen in der Atmosphäre ist eine Überschreitung von 1,5° Celsius Erderwärmung wahrscheinlich. Zudem ist der Vertrag von den einzelnen Ländern noch gar nicht unterzeichnet. Wie es um die Selbstverpflichtung bestellt ist, zeigt ein Blick in die USA, einem der Hauptverursacher des CO2-Ausstoßes: Hier wurde das völlig unzureichende Klimaschutzprogramm Barack Obamas am 10. Februar vom Obersten Gerichtshof auf Betreiben der Öl- und Energieindustrie wieder gekippt.

Mit dem UN-Klima-Abkommen wird mutwillig ein weiterer Schritt in Richtung einer Klima­katastrophe in Kauf genommen. Der Schluss liegt nahe, dass sein Zweck vor allem darin besteht, einer erstarkenden Umweltbewegung Sand in die Augen zu streuen. Weltweit demonstrierten im September 2015 eine Million Menschen für Klimaschutz. 250.000 gingen im Oktober 2015 in Berlin gegen das nordatlantische Freihandelsabkommen TTIP und damit auch gegen die imperialistische Umweltpolitik auf die Straße. Bis heute haben die Herrschenden in Deutschland und vielen anderen Ländern Fracking nicht durchsetzen können.

So wenig wie die UN-Konferenz „Geschichte geschrieben“ hat, so wenig ist die Bundesregierung der Umweltmusterknabe, als den sie sich gerne geriert. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bekennt sich nur noch verbal zum Ausbau der erneuerbaren Energien – deren Förderung er vorher massiv kürzen ließ. Lautstark ergänzt er: „Aber ein ebenso klares Ja sage ich zur weiteren Nutzung fossiler Energieträger.“7 Mit dem Segen der Merkel-Regierung fälschen Auto-Konzerne seit Jahren die Abgaswerte. Mit offiziellen Messvorschriften wird der CO2- Ausstoß durch Pkw um 40 % nach unten manipuliert. Unter anderem darauf wurde die Legende von Deutschland als „Musterland des Klimaschutzes“ gebaut. Tatsächlich sind die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland in den letzten Jahren wieder angestiegen. Weltweit verursachen Pkw und Lkw circa 23 % der CO2-Emissionen. Ein Verkehrssystem, basierend auf erneuerbaren Energien, wird im Interesse des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals verhindert. Dort setzt man weiter unbeirrt auf fossile Verbrennung – sehenden Auges also in die Katastrophe.

Die Umweltbewegung gehört heute international zu den größten kämpferischen Massenbewegungen“, stellt die MLPD in der Vorbereitung ihres X. Parteitags fest. „Sie richtet ihren Kampf zunehmend gegen internationale Übermonopole und imperialistische Regierungen und entwickelt länderübergreifende Aktivitäten.“

Trotz eines wachsenden Umweltbewusstseins wird die Dimension des weit fortgeschrittenen Umschlags in eine globale Umweltkatastrophe aber noch vielfach verkannt. Das muss sich ändern. So haben Umweltschützerinnen angekündigt, die Umweltfrage und ihre Systembedingtheit in die Diskussion auf der 2. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen in wenigen Wochen in Nepal einzubringen. Auf den engen Zusammenhang der Frauen- mit der Umweltfrage weist auch das Buch „Katastrophenalarm!“ hin: „Die Mensch und Natur deformierende Lebensweise verschärft auf der ganzen Welt die doppelte Ausbeutung und Unterdrückung der Masse der Frauen.“8 Die MLPD warnt mit diesem Buch als einzige Partei in Deutschland vor der drohenden Umweltkatastrophe. Sie weist gleichzeitig nach, dass und wie eine solche Katastrophe verhindert werden kann: Wenn das imperialistische Weltsystem revolutionär überwunden wird und die sozialistischen Staaten der Welt errichtet werden.

An der Seite des Kapitals?

Der Super-El-Niño zeigt, wie umfassend heute die Wechselwirkungen in Natur und Gesellschaft durch die internationale Umwelt- und Arbeiterbewegung verstanden werden müssen. Gerade die Arbeiterklasse muss sich diese Komplexität und Zusammenhänge erobern, will sie sich nicht vor den Karren imperialistischer Konzerne spannen lassen.

Am 15. Februar gelang es den Stahlkapitalisten, 4.500 europäische Stahlarbeiter nach Brüssel zu mobilisieren, um für „Dumpingzölle“ gegen chinesische Stahlimporte zu demonstrieren. Aber den Kapitalisten ging es nicht um Arbeitsplätze, sondern darum, Umweltschutzmaßnahmen zu verhindern und ihre Position gegen die chinesische Konkurrenz auszubauen. Die MLPD und ihre Stahl-Betriebsgruppen haben diese Demonstration kritisiert.9

Zusammen mit anderen kämpferischen Kolleginnen und Kollegen sind die Betriebsgruppen der MLPD aktiv, um Manipulationen und Spaltungsmanöver aufzudecken und den Kampf für Arbeitsplätze, Umwelt- und Gesundheitsschutz zu organisieren. Bei den Protesten anlässlich der Weltklimakonferenz in Paris hat die Delegation der ICOR10 einen Beitrag für den Aufbau einer internationalen Widerstandsfront geleistet und dies mit der revolutionären Perspektive verbunden. Jugendliche und Kinder lernen im REBELL, dem Jugendverband der MLPD, wie man Umweltkämpfer wird – und vieles mehr! Die Umweltgruppen der MLPD fördern vor Ort durch ihre systematische Kleinarbeit den aktiven Widerstand gegen die Hauptverursacher der Umweltzerstörung als Schule eines gesellschaftsverändernden Kampfs. Die MLPD organisiert Veranstaltungen, Bildungsabende und Lesegruppen des Buches „Katastrophenalarm!“. Freunde und Kollegen werden in die Vorbereitung des X. Parteitags einbezogen. Im Zentrum stehen derzeit Vorschläge zur Überarbeitung des Parteiprogramms. Gerade die Seite des Kampfs gegen die drohende globale Umweltkatastrophe spielt dabei eine große Rolle. Es ist eine richtige Konsequenz aus den Zusammenhängen rund um den Extrem-El-Niño, bei diesen Zukunftsaufgaben selbst und organisiert mit anzupacken!

 

1 Angaben der US-Klimabehörde NOAA, WAZ vom 19.02.2016, 2 Stefan Rahmstorf, et al. Nature Climate Change 5, 475-480 (2015), 3 Stefan Engel, „Katastrophenalarm! Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur?“, S. 39, 4 Die MLPD hat eine Reihe von Seminaren entwickelt, um die dialektische Methode und die Dialektik in Natur und Gesellschaft zu entwickeln, 5 Mojib Latif et al, Climatic Change 132 (2015), S. 489–500, 6 T. R. Karl, Science (2015) Vol. 348, pp. 1469–1472, 7 WAZ vom 19. 2. 2016, 8 Stefan Engel, „Katastrophenalarm!“, S. 87, 9 siehe Artikel Seite 22 dieser Ausgabe, 10 Internationale Koordinierung Revolutionärer Parteien und Organisationen, die MLPD ist Mitglied der ICOR, 11 Stefan Engel, „Katastrophenalarm!“, S. 127