Buen Vivir: „Gutes Leben für alle“ – ohne den Imperialismus zu stürzen?
Nicht nur in Lateinamerika findet das weltanschauliche Konzept des „Buen Vivir“ immer mehr Anhänger. Es beansprucht „Gutes Leben für alle in Vielfalt und Harmonie mit der Natur“
Der Begriff ist verschiedenen indigenen Sprachen des südamerikanischen Kontinents entlehnt, und die damit verbundene Lebensvorstellung verbreitete sich im Kampf gegen die imperialistische Ausplünderung von Mensch und Natur durch das neokoloniale System. Als Staatsziel hat „Buen Vivir“ Eingang in die Verfassungen Ecuadors und Boliviens gefunden, als dort Regierungen mit einem antiimperialistischen Anspruch antraten.
Mittlerweile organisieren die Rosa-Luxemburg-Stiftung der Linkspartei, Grüne und Attac Konferenzen zum Thema. Auf den Weltsozialforen 2009 und 2010 wurde „Buen Vivir“ als alternative Zielvorstellung im Gegensatz zum Neoliberalismus propagiert. Es gibt kein einheitliches Bild über seine Ziele. In der ecuadorianischen Verfassung wird das „Recht auf ein gutes Leben“ mit Forderungen erklärt wie „dem Recht auf Ernährung, auf eine gesunde Umwelt, auf Wasser, Kommunikation, Bildung, Unterkunft, Gesundheit usw.“ Verbunden wird das vielfach mit Vorstellungen von einem solidarischen Zusammenleben von Frauen und Männern, gegenseitigem Respekt unterschiedlicher Kulturen usw.
Bemerkenswert daran ist das Bewusstsein, dass ein „gutes Leben“ für die breitesten Massen nur in Einklang mit der Natur möglich ist. Die „Pachamama“ – die „Mutter Erde“ – gilt als schützenswerte Quelle des Lebens. Die hemmungslose Ausplünderung der Natur, wie sie besonders offenkundig in den neokolonial abhängigen Ländern Lateinamerikas deutlich wird, steht dem Verständnis der indigenen Kulturen von einem Leben im Einklang mit der Natur unversöhnlich entgegen. Kein Wunder, dass an den Massenprotesten zum Beispiel gegen den Übertage-Bergbau in Peru oder Kolumbien auffallend viele Menschen aus indigenen Gemeinden beteiligt sind. Bemerkenswert ist ebenfalls die scharfe Kritik am Kapitalismus, der kapitalistischen Wegwerfproduktion und der Werbung für einen überbordenden Konsum. Die vom Imperialismus propagierte Ideologie eines steten Wachstums der kapitalistischen Produktion – und damit des Profits – wird entschieden abgelehnt.
„Als globales System steht der Kapitalismus dem Erhalt des Lebens entgegen“, erklärt der venezuelanische Soziologe Edgardo Lander. „Wir müssen die Wachstumslogik radikal überwinden und zu einer Umverteilung des Zugangs zu Gemeingütern kommen.“1 Damit wird die Systemfrage aufgeworfen. Aber wie wird sie von den Vertretern des „Buen Vivir“ beantwortet?
Mit der sozialistischen Perspektive und der Rolle der Arbeiterklasse meinen sich die meisten seiner Befürworter nicht befassen zu müssen oder lehnen sie mit antikommunistischen Argumenten ab. Sie „entfernen sich vom Sozialismus marxistischer Prägung“2, wird ohne nähere Begründung erklärt. Etliche Vertreter des „Buen Vivir“ werfen die Umweltverbrechen in den ehemals sozialistischen Ländern nach der Wiederherstellung des Kapitalismus mit der Umweltzerstörung der westlichen Kapitalisten in einen Topf.
Wer dem imperialistischen Weltsystem aber nicht entschieden den Kampf ansagen will, dem bleibt letztlich nur die Versöhnung mit den bestehenden Verhältnissen – verklausuliert mit idealistischen Phrasen: „Was aber mit dem Buen Vivir erreicht wird, ist eine radikale Veränderung jener Szenarien und Mechanismen, mit denen Möglichkeiten diskutiert, Werte zugewiesen, Abkommen erzielt und politische Projekte entworfen werden.“3
Mit idealistischen Plänen und Debatten kann das allein herrschende internationale Finanzkapital allerdings gut leben. An ihrer mutwillig zerstörerischen Umweltpolitik ändert das nichts. So scheitern inzwischen die als antiimperialistisch angetretenen Regierungen Lateinamerikas zunehmend an der rauen Realität der imperialistischen Dominanz. Venezuela erlebt aufgrund der unangetasteten Abhängigkeit von der Ölförderung eine tiefe wirtschaftliche und politische Krise. Die Correa-Regierung in Ecuador hat entgegen heftiger Proteste die extrem umweltschädliche Ölförderung im Urwald wieder aufgenommen. Der bolivianische Präsident Evo Morales unterschrieb mit den russischen Imperialisten einen Vertrag zum Bau eines Atomkraftwerks.
Die marxistisch-leninistischen Kräfte auf der Welt beteiligen sich aktiv an den Kämpfen zur Verteidigung der Rechte von Mensch und Natur – und sie machen dabei eine intensive Überzeugungsarbeit, dass erst der Sturz des imperialistischen Weltsystems und der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft die Einheit von Mensch und Natur auf höherer Stufe wiederherstellen und damit ein gutes Leben für künftige Generationen ermöglichen kann.
Anna Bartholomé
1 Klimaretter.Info 31.1.2010
2 Eduardo Gudynas: BUEN VIVIR. Das Gute Leben jenseits von Entwicklung und Wachstum“, Analysen Rosa-Luxemburg-Stiftung 2012
3 Ebenda S. 31