„Vertriebene“ – eine Propaganda-Vokabel des deutschen Imperialismus
Eine kritische Auseinandersetzung mit der unkritischen Verwendung dieses Begriffs
Wir dokumentieren auf diesen Seiten die Kritik an einem in der neuen Broschüre „Bürgerliche Flüchtlingspolitik in der Krise – zehn Argumente der MLPD“ verwendeten Begriff und die Antwort des Zentralkomitees:
Liebe Genossen,
die Herausgabe der „Zehn Argumente der MLPD“ zur Flüchtlingspolitik ist eine gute Ausrichtung und Hilfe für unsere Kleinarbeit – jeder von uns muss sich ja tagtäglich im Betrieb, im Freundeskreis und in der Nachbarschaft mit dem Thema auseinandersetzen!
Zu einem konkreten Punkt im Kapitel („Können wir denn alle aufnehmen?“) habe ich trotzdem eine Kritik. Es heißt auf Seite 12: „Zwischen 1944 und 1950 wurden 12 bis 13 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge in Westdeutschland integriert.“ Das stimmt so nicht und zwar aus zwei Gründen:
1. Der Begriff „Vertriebene“ war und ist eine Propagandavokabel des deutschen Imperialismus. Entsprechend den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens der Siegermächte von 1945 wurden die deutschen Minderheiten aus den zuvor von den Hitlerfaschisten überfallenen und besetzten Ländern umgesiedelt und nach „Kerndeutschland“ zurückgeführt. Das geschah, weil sich die deutschstämmige Bevölkerung in diesen Ländern in der übergroßen Mehrheit als willfährige Stütze Hitlers und als Vollstrecker der imperialistischen Großdeutschlandpolitik erwiesen hatte. Die Umsiedlung war Teil der damaligen Maßnahmen zur Verhinderung einer erneut von Deutschland ausgehenden Kriegsgefahr und wurde von den Kommunisten von Anfang an als gerechtfertigte und notwendige Kriegsfolge gesehen. Dagegen formierten sich in Westdeutschland die revanchistischen Kräfte, die die „verlorenen Ostgebiete“ wieder erobern und die Umsiedler als „Vertriebene“ gegen die neu entstandenen volksdemokratischen Länder in Stellung bringen wollten.
Auch nachdem der deutsche Imperialismus die Großdeutschlandpolitik zu den Akten gelegt hat und auf der Grundlage der Internationalisierung der Produktion seine Herrschaftsbestrebungen mit anderen Methoden durchsetzen will, blieb der Begriff „Vertriebene“ Bestandteil der antikommunistischen Propaganda.
2. Die Integration der Umsiedler geschah keineswegs nur in Westdeutschland, sondern in vergleichsweise noch stärkerem Maß in der DDR. Nach 1945 gelangten aufgrund der geographischen Lage die meisten Umsiedler in die sowjetisch besetzte Zone, aus der 1949 die DDR entstand. Noch 1961 machte ihr Anteil an der Bevölkerung dort gut 20 Prozent aus.
So wie das Gros der Umsiedler sich in der BRD zu einem zuverlässigen Wählerpotenzial für die Adenauer-CDU entwickelte, so bildete es in der DDR ein nicht zu unterschätzendes Hindernis beim sozialistischen Aufbau. 1967 analysierten Marxisten-Leninisten in der zu diesem Zeitpunkt bereits revisionistisch entarteten KPD die Ursachen der revisionistischen Entwicklung in der DDR und schrieben dabei über die beispiellose Veränderung der Sozialstruktur auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone: „Millionen von Umsiedlern aus den Gebieten östlich der Oder und Neiße kamen auch in die damalige SBZ, mitsamt ihren ganzen Ressentiments gegen die Rote Armee, Polen- und Tschechenhaß im Rucksack. Zudem kamen sie aus den rückständigsten Gebieten des ehemaligen Deutschen Reiches und gehörten zumeist zur bäuerlich-kleinbürgerlichen Bevölkerung, die besonders an ihrem Besitz hing und nun ebenfalls hauptsächlich in die Arbeiterklasse hineingepumpt wurde.“ („Probleme der Marxisten-Leninisten der BRD“, Wien 1967, S. 10)
Ich halte das Wissen über diese Dinge für nicht unwichtig in der aktuellen Auseinandersetzung – meiner Ansicht nach liegen hier auch mit die Ursachen für den doch speziell in Sachsen recht starken Zulauf zu den „Pegida“-Rassisten!
D. K.
Die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des Zentralkomitees antwortet:
Lieber D.,
vielen Dank für deine Kritik und die hilfreichen Erläuterungen zu den Hintergründen des Begriffs „Vertriebene“, der eine Propagandavokabel des deutschen Imperialismus darstellt … . Das ist in der Tat nicht unwichtig.
Wir haben den Begriff in der Broschüre umgangssprachlich verwendet, als eine Art Synonym für Umsiedlung, da er so oft gebraucht wird. Doch das ist Ausdruck einer spontanen Anpassung an die bürgerlichen Begriffe und vor allem unkritisch sowie unhistorisch. In einer Massenbroschüre muss jeder verwendete Begriff bewusst überlegt sein, weil er immer auch einen Inhalt und eine Denkweise transportiert. Das werden wir sicher mit einer neuen Auflage korrigieren.