Vom Zuckerhut in alle Welt – Automobilarbeiter verstärken ihren Zusammenschluss!

Seit Anfang 2015 entfaltet sich unter den Automobilarbeitern Brasiliens eine bedeutsame Streikbewegung. Am 6. Januar trat die Belegschaft des größten VW-Werks Brasiliens (Sao Bernardo) in den unbefristeten Streik. Nach elf Tagen Werksbesetzung und nahezu 100 Prozent Beteiligung der 13.000 Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellten nahm VW alle 800 Entlassungen zurück. Das „Handelsblatt“ resümierte geknickt: „Der Streik zwang VW in die Knie“1. Es folgten weitere Streiks bei VW (März und August), Streiks bei GM (Februar und August), bei Volvo und Ford, sowie Streiks bei Daimler (Januar, Juni und August). Am 22. August erreichte die GM-Belegschaft in Sao Jose die Rücknahme von 798 Entlassungen (Die „Rote Fahne“ berichtete). Aktuell zog der Daim­ler-Konzern am siebten Streiktag in Sao Bernardo (Nutzfahrzeuge) 1.500 Kündigungen zurück!

Das wachsende Selbstbewusstsein der Arbeiter kommt in demokratischen und radikalen Streikformen zum Ausdruck. Die Belegschaften entschieden demokratisch über Beginn und Ende der Streiks – ebenso über die mehrfachen Autobahnbesetzungen im Umland Sao Paulos. Mehrfach organisierten die Gewerkschaften werks- und konzernübergreifende Proteste mit bis zu 20.000 Arbeiterinnen, Arbeitern und ihren Familien. Am 17. August verbrüderten sich GM-Arbeiterinnen und -Arbeiter während einer Streikversammlung mit einer Delegation der streikenden VW-Belegschaft von Taubate, 80 Kilometer entfernt. Das hat umso größere Bedeutung, weil eine Aufspaltung der Gewerkschaftsbewegung der verschiedenen Betriebsgewerkschaften und Dachverbände den gemeinsamen Kampf oft noch behindert.

Zugleich müssen die Arbeiterinnen und Arbeiter mit ­neuen Methoden der Klassenzusammenarbeitspolitik zwischen den Autokonzernen und den vielfach reformistischen Gewerkschaftsführungen fertig werden. So fiel der VW-Weltbetriebsrat den brasilanischen VW-Arbeiterinnen und -Arbeitern mit der verpflichtenden Vernichtung von 800 Arbeitsplätzen durch „Aufhebungsverträge und Vorruhestandsregelungen (…) auf freiwilliger Basis“2 während ihres Streiks in den Rücken. Unter anderem mit einem Versprechen auf Verbot von Entlassungen rettete Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff bei den Parlamentswahlen 2014 eine hauchdünne Mehrheit. Die Desillusionierung der Arbeiter darüber verbindet sich mit einer großen Wut über den Korruptionsskandal, in den Funktionäre der regierenden Arbeiterpartei PT beim staatlichen Ölkonzern Petrobras verstrickt sind.

Am 15. April und 19. Mai fanden bedeutende Streiktage statt, in denen Automobilarbeiter eine wichtige Rolle spielten“, berichtete der Generalsekretär des Gewerkschaftsverbandes CSP-Conlutas, Mancha.

Eine zunehmende Seite in den Streiks der brasilianischen GM-Arbeiterinnen und -Arbeiter lag im Rückhalt der organisierten internationalen Solidarität. Vertreter der Belegschaft nehmen seit 2009 an den Internationalen Automobilarbeiterratschlägen teil und sind aktiv in der Vorbereitung einer Internationalen Automobilarbeiterkoordination, die im Oktober 2015 in Sindelfingen/Deutschland gegründet wird. Die brasilianische GM-Belegschaft förderte über Jahre die Solidarität mit der Bochumer Opel-Belegschaft und lernte dabei auch aus deren Erfahrungen. Ihr bekannter Repräsentant Mancha baute zusammen mit weiteren Repräsentanten kämpferischer GM-Belegschaften im Sinne der beim Internationalen Automobilarbeiterratschlag entstandenen Solidaritätschartas eine regelmäßige Zusammenarbeit mit kämpferischen Kräften aus den Opel-Werken in Deutschland und aus GM-Werken in Europa, Südafrika, Kolumbien, den USA etc. mit auf.

Mit der kämpferischen Automobilarbeiterbewegung im Rücken konnte sich die GM-Belegschaft Sao Jose von vorne herein auf Solidarität verlassen, wenn sie in den Streik tritt. Aus zahlreichen Ländern (Südafrika, Indien, Spanien, Marokko, Deutschland, Portugal, Spanien) wurden über die Internationale Automobilarbeiterkonferenz-Koordinierungsgruppe Solidaritätserklärungen an die strei­kenden Arbeiterinnen und Arbeiter geschickt. Ebenso eindrücklich ist, dass die GM-Arbeiterinnen und -Arbeiter und ihre Gewerkschaft ihren Streik mit einem Aufruf zur Bekanntmachung und Beteiligung an der 1. Internationalen Automobilarbeiterkonferenz verbanden!

Dort werden Vertreter der aktiven kämpferischen Automobilarbeiterbewegung aus wichtigen Brennpunkten der Kämpfe vertreten sein. Im Frühjahr 2015 lösten Renault-Arbeiter mit ihrem offensiven Kampf um höhere Löhne eine regionale Streik- und Protestwelle mit zehntausenden Beteiligten in der Region Bursa/Türkei aus. In Südafrika und Kanada, in China wie auch im Aufschwung gewerkschaftlicher Streiks im ersten Halbjahr in Deutschland entwickeln sich Kämpfe zur Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Auf der 1. Internationalen Automobilarbeiterkonferenz werden Delegationen sowohl aus den „alten“ Herstellerländer (Deutschland, USA, Frankreich, Spanien), wie auch zahlreiche Delegationen aus der Mehrzahl der BRICS- und MIST-Staaten (unter anderem aus Brasilien, Indien, Südafrika, Russland, Türkei, Philippinnen, Mexiko, Marokko) teilnehmen, die sich oftmals einer Verschärfung der Angriffe durch den Rückgang der Wirtschaft, Stagnation oder Krisenerscheinungen gegenübersieht.

 

1 „Handelsblatt, 16.1.2015

2 mitbestimmen“, 1/2015