Der Stalin-Plan zur Umwandlung der Natur und das Tennessee-Projekt Roosevelts im Vergleich

Aus Rote Fahne 30/2015 vom 24.Juli 2015

Unter dieser Überschrift schrieb ein Leser an das Autorenkollektiv des Buchs „Katastrophenalarm!“:

Dreißig Jahre nach der Oktoberrevolution veröffentlichte die Sowjetregierung in nur zwei Jahren von 1948 bis 1950 eine rasante Serie von Großplänen zur Umgestaltung der Natur und der Landschaft, die in der damaligen Welt ohne Beispiel war und die als „Stalin-Plan der Naturumwandlung“ (Stalinskij plan preobrazovanija pirody) in die Geschichte einging. Um diesen komplexen und atemberaubenden Prozess zu verfolgen, ist es angebracht, mit dem Umgang der Natur unter dem Zarismus zu beginnen.

Man weiß, wie der Zarismus mit den Naturschätzen Russlands umging. Zum Beispiel führte exzessiver Holzexport und der Holzbedarf beim Ausbau des Eisenbahnschienennetzes zu einer regelrechten Entwaldung weiter Gebiete; die Petersburger Adelsclique beschäftigte sich mit mehr oder minder schöngeistigen Dingen statt mit dem Gedanken der planmäßigen Wiederaufforstung der Kahlschläge. Schon Friedrich Engels hatte 1893 in seiner Schrift „Kann Europa abrüsten?“ auf die verheerenden Folgen dieses Raubbaus hingewiesen: Regen- und Schneewasser wurde nicht aufgesogen, Bäche und Ströme schwollen an zu Überschwemmungen. Im Sommer aber sank die Bodenfeuchtigkeit, sodass sie für die Wurzeln der Getreidehalme unerreichbar wurden. Hungersnöte in weiten Gebieten waren die Folge, erinnert sei nur an das sogenannte „böse Jahr“ 1891, in dem der Viehbestand der Bauern rapide abnahm. Durch die fehlenden Waldgebiete konnten die trockenen Winterwinde aus Sibirien ungehindert die schützende Schneedecke der Wintersaat wegfegen, sodass die Durchtränkung der Erde durch das Schmelzwasser im Frühjahr ausblieb. Im Sommer waren die Felder gegen die heißen, aus den Steppen Mittelasiens kommenden Ostwinde ohne Schutz.

Schon vor 1917 hatte Dokutschajew (1846–1903) Experimente mit Waldschutzstreifen unternommen. Aber erst die Sowjetmacht gab seine Schriften neu heraus und setzte seine Pläne in die Praxis um. „Mit der Anlage der Waldschutzstreifen wurde eine Waffe geschaffen, um die Heftigkeit der Winde zu brechen, wurde ein riesiges natürliches Wasserreservoir angelegt, das einerseits den zerstörerischen Abfluss plötzlicher Regengüsse verhinderte, andererseits als ausgleichender Wasserspeicher fungierte.“1 Auf Feldern, die der Wald schützte, konnte schon bald eine Ernte erzielt werden, die drei- bis viermal höher war als auf Fluren ohne Schutzstreifen. Im Jahr 1949 wurden allein 70.000 Spezialisten für Waldanpflanzungen ausgebildet. Neben der Entwaldung war die zunehmende Versteppung und systematische Verschlechterung des Bodens eine Erblast des Zarismus. Der Boden war besonders durch Staubstürme und Zerschluchtung (Ovragi) gefährdet.

Seit Liebig glaubte man, dass sinkende Bodenfruchtbarkeit allein auf den Entzug mineralischer Substanzen zurückzuführen sei. Der Moskauer Agrarwissenschaftler W. Wiljams stellte diese überlieferte Thematik einer Autorität in Frage. Er fand heraus, dass die Bodenbildung nicht nur das Produkt eines geografisch-klimatischen Prozesses ist, sondern auch von der Evolution und Tätigkeit lebender Organismen, besonders Pflanzen, abhängt. Er entwickelte das „Grasfeldersystem“ (travopolnaja sistema), bei dem die allgemeine Fruchtfolge durch die Aussaat mehrjähriger Gräser unterbrochen wurde. Deren biologisches Verhalten und Wurzelsystem förderte die Humusbildung und hielt die Versteppung auf.

Sind diese Erfolge bei der Bodenmelioration auf Spezialisten wie Dokutschajew und Wiljams allein zurückzuführen? Schon Descartes hatte durch das Heraufkommen der neuzeitlichen Naturwissenschaften eine Zukunft erblickt, in der die Bauern bessere Wissenschaftler und Philosophen abgeben werden als die Scholastiker der Akademie. Unter der Diktatur der Arbeiterklasse hatte sich ein vertrauensvolles Zusammenwirken von Bauern und Spezialisten herausgebildet, der gigantische Reichtum der bäuerlichen Naturbeobachtung und wissenschaftliche Fachkenntnisse befruchteten sich wechselseitig. Die reichen Erfahrungen der Bauernmassen wurden wissenschaftlich zusammengefasst.

Der Große Stalin-Plan zur Umgestaltung der Natur wurde vom Ministerrat der UdSSR am 28. Oktober 1948 angenommen. Der Plan sah die Anlage von Waldschutzpflanzungen, die Verankerung des Fruchtfolgesystems, die Anlage von Teichen und Kanälen zur Sicherung höherer und stabiler Ernten in den Steppen- und Waldsteppengebieten des europäischen Teils der UdSSR vor. Das war ein Gebiet von 160 Millionen Hektar. Und dieser Plan wurde anfangs in die Tat umgesetzt. Die staatlichen Schutzwaldgürtel zogen sich in einer achtfachen Staffelung in einer Gesamtlänge von 5.300 Kilometer zwischen Ural und Kaspisenke hin. Die Wolga wurde zu einem See von 600 Kilometer Länge und 33 Kilometer Breite aufgestaut. Bis 1952 war ein Drittel des Waldaufforstungsplans erfüllt, am 31. Mai 1952 wurde der Wolga-Don-Kanal eröffnet. Heute kann die anglo-amerikanische Forschung zugeben, dass die Zeit Stalins keineswegs eine exzessive Naturausbeutung ohne Rücksicht auf umweltschädliche Folgen war. Stalin unterstützte die Waldschutzbehörden, die nach seinem Tod rapide an Bedeutung und Einfluss verloren.

Der Stalin-Plan sollte bis 1965 verwirklicht werden. Aber nach 1956 ist die Fähigkeit zum sinnvollen Umgang mit der Natur so ziemlich den Bach heruntergegangen. Es fing bereits an mit den sogenannten Cruschtschowschen Experimenten zur Neulandgewinnung in Mittelasien. Zwar brachte das Jahr 1958 eine Rekordernte, doch in der Kasachischen Sozialistischen Sowjetrepublik, dem Hauptgebiet der Neulandexperimente, ist es versäumt worden, Waldschutzgürtel anzulegen, sodass der dünne Humusboden der mittelasiatischen Steppen ständig aufbrach, was zu unvermeidlichen Erosionen führte.

In den USA gab es ähnliche Probleme. Die Wasserstände des Tennesseeflusses (mit einer Länge von 1.600 km der größte Nebenfluss des Ohio, zum Vergleich die Länge des Rheins: 1.300 km) wiesen bei starken Regenfällen erhebliche Schwankungen auf und extreme Überschwemmungen richteten große Schäden für circa viereinhalb Millionen Menschen in einer der ärmsten Regionen der USA an. So waren 1936 nur zwei Prozent der Farmer im Tennessee-Tal ans Stromnetz angeschlossen. Der Tennessee-Plan (TVA-Projekt) von Roosevelt sah, nachdem der „Supreme Court“ es im Jahr 1936 für verfassungskonform erklärt hatte, im Gesamtrahmen des „New Deal“ Flussregulierungen, Staudämme zur Energiegewinnung, eine von Regenperioden unbeeinflusste Schifffahrt, vor allem aber die Aufforstung gegen Bodenerosion vor, zumal die durch kapitalistischen Raubbau bedingte Entholzung dazu geführt hatte, dass die feineren Bodenbestandteile durch Regen herausgespült werden konnten. In gewisser Weise wies dieser Roosevelt-Plan etwas für eine kapitalistische Profitmaximierungswirtschaft Atypisches auf: Er umfasste das Gebiet mehrerer Bundesstaaten und war auf 15 Jahre (1933 bis 1948) mit bis zu 40.000 Arbeitskräften unter der Leitung der staatlichen Tennessee Valley Authority veranschlagt. In den kapitalistischen USA aber konnte sich dieser TVA-„Kollektivismus“ nicht durchsetzen, das Gesetz der Profitmaximierung erwies sich als stärker. Nach der Umstellung auf die Kriegswirtschaft im Jahr 1941 „schluckten“ große Konzerne den Rahm des Tennessee Valley ab. Formal blieb die Tennessee Valley Authority zwar bestehen, aber die Krafterzeugung ging zum Beispiel in den Machtbereich der General Electric Company über. „Während ursprünglich die T.V.A. dafür sorgte, dass die Ausbeutung der Bodenschätze in die komplexe Entwicklung und Umgestaltung des Gebietes hineinpasste und dass keine Schädigungen der natürlichen Verhältnisse mehr erfolgten, sind seit der Übernahme des Bergbaues durch die Rüstungskonzerne vielfach wieder die alten kapitalistischen Raubbaumethoden eingerissen …“. 2

Ein Vergleich zwischen den Plänen Stalins und Roosevelts verdeutlicht, was bewusstes Handeln im Kollektiv leistet und zu welchem Dilettantismus die Anarchie der Produktion führt. Dieses Urteil fällen nicht alle „Marxisten“, wie z. B. die Rede Gregor Gysis auf dem 2. Parteitag der PDS zeigt: „Sicherlich sind die führenden Industriestaaten in der Lage, in bedeutendem Umfang Umweltschutzmaßnahmen in ihren Ländern durchzuführen. Sie sind auf jeden Fall in höherem Maße dazu in der Lage, als es je ein sozialistisches Land war.“ 3

Das Verhältnis des Kommunismus zur Natur ist das einer Vernichtung des bürgerlichen Eigentums an der Natur. Nach der kommunistischen Aufhebung des bürgerlichen Eigentums an den Produktionsmitteln ist der „Kommunismus als vollendeter Naturalismus = Humanismus, als vollendeter Humanismus = Naturalismus, er ist die wahrhafte Auflösung des Widerstreits zwischen dem Menschen mit der Natur und mit dem Menschen …“.

 

Aus der Antwort des umweltpolitischen Sprechers der MLPD, Dr. Günter Bittel

Deine Studie setzt sich anschaulich damit auseinander, wie dies unter sozialistischen und unter kapitalistischen Vorzeichen unterschiedlich gehandhabt wurde. Das stärkt auch den Nachweis, dass die sozialistische Planwirtschaft es möglich machte, viele von Wissenschaftlern schon im zaristischen Russland ausgearbeitete, aber nie realisierte Pläne anzupacken und in hohem Tempo in die Tat umzusetzen. Darauf konnten wir in unserem Buch aufgrund der notwendigen Kürze nicht konkreter eingehen.

Mit Deiner Studie haben wir auch weitere wertvolle Literaturhinweise und Quellenangaben für die Auseinandersetzung um die Umweltpolitik im Sozialismus, insbesondere in der Zeit unter Führung Stalins, und des weltanschaulichen Kampfs um die grundlegende Einheit von Mensch und Natur in der revolutionären marxistisch-leninistischen und Arbeiterbewegung und ihrer Anfänge erhalten. …

 

1 „Der große Stalin-Plan zur Umgestaltung der Natur“, in: Dem Volke dienen 4/1976

2 Arnulf Sieber, „Das Tennessee-Projekt – und das kapitalistische Wirtschaftssystem“

3 „Neues Deutschland“, 28.1.1991