Würdige Gedenkkundgebung zum Tag der Befreiung und für Willi Dickhut in Solingen
Einen Kontrapunkt zu den vom bürgerlichen Antifaschismus geprägten offiziellen Feierlichkeiten bildeten Aktivitäten antifaschistischer Aktionseinheiten, über die wir auf den Seiten 24 bis 26 berichten.
In Solingen fand am 8. Mai zwischen 17 und 19 Uhr eine bewegende Gedenkkundgebung vor dem antifaschistischen Gedenkhaus an der Kamper Straße statt. Im Mittelpunkt stand dabei die Ehrung des Solinger Arbeiters, Antifaschisten und Kommunisten Willi Dickhut, der Vordenker und Mitbegründer der MLPD war. Im Schatten einer großen Rotbuche versammelten sich auf dem Vorplatz 130 bis 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, um Kulturbeiträge und ein breites Spektrum von Reden zu hören. Moderiert wurde dies von zwei Mitgliedern des Jugendverbands REBELL.
Gabi Gärtner, Stadträtin des überparteilichen Kommunalwahlbündnisses „Solingen aktiv“ und Vertreterin der MLPD, begründete in ihrem Auftaktbeitrag, warum die Ehrung Willi Dickhuts an diesem Tag besondere Bedeutung hat: „Wir verneigen uns heute vor Millionen Widerstandskämpfern und Opfern, die in diesem II. Weltkrieg ihr Leben ließen und vor all denen, die diese Befreiung unter Einsatz ihres Lebens erkämpft haben. Wir ehren heute im Besonderen den Solinger antifaschistischen Widerstandskämpfer und Kommunisten, der unvergessliche Spuren nicht nur in unserer Stadt hinterlassen hat: Willi Dickhut. Unter anderem seinem Mut, unmittelbar vor Anrücken der Amerikaner am 16. April 1945, ist es zu verdanken, dass die Stadt sich gegen die letzten Aufgebote, den brutalen Terror der Nazis ergab und vor einer Vernichtung bewahrt wurde. … Zum Anlass dieses 70. Jahrestags der Befreiung wurde in einem Gemeinschaftsantrag an die Ohligser Bezirksvertretung, der inzwischen von über 150 Menschen unter anderem aus sechs Solinger Parteien, von Jugendlichen, Arbeitern, sogar Kleinunternehmern und Gewerkschaftsvorständen unterzeichnet wurde, beantragt, Willi Dickhut eine Straße oder einen Platz zu widmen.“
Gabi Gärtner machte deutlich, was wir von Willi Dickhut lernen können: „Was Willi Dickhut auszeichnete, war seine tiefes Vertrauen in die Menschen, auch wenn viele zeitweilig zu Kriegsbeginn dem Siegestaumel der Nazi-Propaganda erlegen waren. Man muss sich das konkret vorstellen, über Jahre unter diesen Bedingungen zu arbeiten! …
Wir können davon heute lernen, dass es keinen Grund gibt, zu zweifeln, wenn es nicht so schnell zu Massenkämpfen gegen die massive Arbeitsplatzvernichtung kommt, wenn noch zu wenige Menschen die akute Kriegsgefahr in der Ukraine erkennen und in Antikriegsprotesten auf die Straße gehen.
Er hat unter schwierigsten Bedingungen im KZ und Gefängnis, sogar unter Soldaten Überzeugungsarbeit gemacht – und hatte damit Erfolg! In seiner Gefängniszeit mussten seine Wächter immer nach kürzester Zeit ausgetauscht werden, weil er sie überzeugte, Zersetzungsarbeit machte und diese so nicht mehr zuverlässig waren.
Willi Dickhut ist damit auch Vorbild und Ansporn für jeden, der heute verzagt ist, kein Vertrauen hat, dass die Menschen überzeugt werden können, den Kampf um ihre Befreiung aufzunehmen. Das werden sie und wir alle müssen und werden daran weiterhin in unspektakulärer, aber kontinuierlicher und zielklarer Kleinarbeit arbeiten!“
Sie attackierte die Versuche bürgerlicher Politiker, seine Ehrung mit antikommunistischen Vorbehalten zu verhindern: „Ganz in dem Sinne behaupteten im April Bezirksvertreter der CDU hier in Ohligs, ,Willi Dickhut könne man nicht würdigen, unbenommen seiner Leistung im Widerstand, weil er sich später staatsfeindlich verhalten hätte‘. Es wurde sogar die Frage aufgeworfen, ob er nicht noch ,anderes auf dem Kerbholz habe‘, sonst wäre ihm doch nicht das aktive und passive Wahlrecht abgesprochen worden … Solchen Fragen kann man bestenfalls Naivität, wahrscheinlich aber eher Ignoranz und dumpfen Antikommunismus bescheinigen. So wurden nach dem politischen Sonderstrafrecht von 1951 bis 1961 rund 200.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet, die rund 500.000 Bundesbürger betrafen. Zu ihrer Kriminalisierung reichte oftmals schon aus, dass sie die Volksbefragung gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands nach dem II. Weltkrieg unterstützten. … Deshalb protestieren wir entschieden gegen die antikommunistisch motivierte skeptische Verunglimpfung antifaschistischer Widerstandskämpfer, die sich auch noch rechtfertigen sollen!“
Nach Gabi Gärtner sprach Prof. Jörg Becker, Vorsitzender des Kulturausschusses der Stadt Solingen, Politikwissenschaftler und parteiloser Stadtrat für „Die Linke“. In Erinnerung an Willi Dickhut verneigte er sich vor ihm, er war „kämpferischer Kommunist und Gewerkschafter, Opfer der brutalen Nazi-Herrschaft, KZ-Überlebender, Antifaschist und Widerstandskämpfer“. Er las aus Willi Dickhuts Erinnerungen an die Zeit nach dem Machtantritt der Hitler-Faschisten vor, da man den 8. Mai nicht vom Januar 1933 trennen könne. Er verteidigte Willi Dickhut gegen aktuelle Anschuldigungen: „Vieles von dem, was Willi Dickhut zwischen 1945 und 1966 bis zu seinem Austritt aus der KPD und danach dachte und tat, sehe ich anders. Aber ich muss ihn vor einer weiteren Anklage in Schutz nehmen. Wer gegenwärtig untersuchen will, ob Dickhut Anfang der 1950er Jahre in verfassungsfeindliche Tätigkeiten involviert war, springt bei dieser Aufgabe wahrscheinlich viel zu kurz. Denn mit dem Staatsrechtler Wolfgang Abendroth, bei dem ich gelernt habe, gehe ich davon aus, dass das KPD-Verbot von 1956 ein Verfassungsbruch des Verfassungsgerichts war.“
Jugendliche des REBELL aus Solingen verpflichteten sich, unbeugsam – im Sinne Willi Dickhuts – so lange für den Antrag auf Benennung einer Straße oder eines Platzes nach ihm zu kämpfen, bis er durchgesetzt ist. Sie würdigten Willi Dickhut als Vorbild gerade für die Jugend: „Den Satz ,Da kann man ja nichts machen – die machen doch eh, was sie wollen‘ haben Willi und viele andere Widerstandskämpfer schon damals ungültig gemacht. … Wir vom REBELL wollen auch diesen Mut aufbringen. Darum haben wir uns zum Ziel gemacht, für eine Welt ohne Ausbeutung von Mensch und Natur kämpfen.“ Zur Überraschung der Teilnehmer enthüllten sie ein symbolisches Straßenschild, das an der Rotbuche befestigt war. Man konnte sich vorstellen, wie es einmal aussehen wird, wenn ein solches Schild an einem „echten“ Solinger Platz bzw. einer Straße hängen wird.
Ein Mitglied der DKP berichtete bewegt, wie nach dem Krieg Antifaschisten in Solingen unter dem Antikommunismus litten. Kinder von Kommunisten seien von reaktionären Lehrern wie „Ausschuss der Menschheit“ behandelt worden: „Deswegen müssen wir mit allen Mitteln, die wir haben, dafür kämpfen, dass das nicht vergessen wird und dass der Willi-Dickhut-Platz nach Solingen-Ohligs kommt.“
Danach sprachen noch weitere Redner, unter anderem aus der Solinger Kommunalpolitik. Auch aus eigener Erfahrung mit dem iranischen faschistischen Mullah-Regime betonte ein iranischer Kollege, dass der Faschismus nicht nur ein Problem der Vergangenheit ist und der Kampf dagegen wie auch gegen seine Ursache im Kapitalismus weiterhin auf die Tagesordnung gehört.
Linda Weißgerber vom Frauenverband Courage rief in Erinnerung, wie Willi Dickhut und seine Frau Luise durch die schöpferische Auswertung der Erfahrungen mit den antifaschistischen Frauenausschüssen nach dem Krieg zur Gründung des überparteilichen Frauenverbands Courage beitrugen.
Es gab auch internationale Grußadressen von ICOR-Organisationen aus Weißrussland, der Ukraine und Russland.
Die Kundgebung endete mit dem Singen der „Internationale“ und einer Kranzniederlegung vor dem Gedenkhaus. Die ganze Kundgebung war umrahmt von musikalischen und kulturellen Darbietungen unter anderem des „Ruhrchors“, der Kölner Band „Gehörwäsche“, des Musikers der Solinger Montagsdemonstration sowie des Theatermachers Wanja Lange.
(Video-Mitschnitte der Kundgebung sind auf „Youtube“ veröffentlicht – Stichwort: „Tag der Befreiung 2015“)