TTIP und das gescheiterte MAI-Abkommen

Aus Rote Fahne 16/2015: Die (geplanten) Abkommen CETA, TTIP und TISA setzen eine in den 1990er Jahren einsetzende Politik der Einschränkung der nationalstaatlichen Souveränität zu Gunsten der Diktatur des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals fort. Dass den Herrschenden dabei durch breiten Widerstand durchaus Niederlagen beigebracht werden können, zeigt das Beispiel des 1998 gescheiterten MAI-Abkommens. Hier ein Auszug aus dem Buch „Götterdämmerung über der ,neuen Weltordnung‘“ von 2003 (S. 383–385), dessen Qualifizierungen in vieler Hinsicht auch auf TTIP zutreffen.

Die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) öffnete den Weg für die Neuorganisation der internationalen Produktion in den Entwicklungsländern. Nach achtjährigen Verhandlungen wurde 1995 das bis dahin geltende GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) durch die WTO abgelöst. Anschließend traten ihr fast alle Länder der Welt bei.

Die beteiligten Staaten vereinbarten 1994 in Marrakesch die Abschaffung von Schutzzöllen, die Harmonisierung technischer Standards, die Anerkennung von Patentrechten sowie die Gleichbehandlung in- und ausländischer Unternehmen. Für wenig industrialisierte Länder bedeutete die Beschränkung von Exportsubventionen eine wesentliche Verschlechterung gegenüber früheren GATT-Regeln. WTO-Mitglieder dürfen Maßnahmen zum Schutz ihrer jungen Industrien vor billigen Importen nur noch für einen Zeitraum von acht Jahren anordnen.

Damit wurde ihnen ein Instrument entrissen, das einigen Entwicklungsländern nach dem II. Weltkrieg Fortschritte der Industrialisierung auf geschützten nationalen Märkten ermöglicht hatte. …

Die Regelungen der WTO schränken das Recht der Nationalstaaten ein, ihre Wirtschaft vor ausländischer Konkurrenz zu schützen oder durch staatliche Maßnahmen Vorteile gegenüber anderen Nationalstaaten zu erlangen. …

Die WTO schwenkt die Flagge der freien Konkurrenz, im Grunde geht es aber nur darum, nationale Barrieren aus dem Weg zu räumen, damit die internationalen Monopole sich in jeder beliebigen Volkswirtschaft ausbreiten und sie sich unterordnen können.

Die WTO zielt auf die permanente Liberalisierung des Welthandels und die Harmonisierung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Weltmarkt unter dem Diktat des internationalen Finanzkapitals.

1998 scheiterte vorerst das Vorhaben eines Multilateralen Investitionsliberalisierungs- und -schutzabkommens (MAI) im Rahmen der WTO oder wenigstens der OECD1. Dieses Abkommen sollte regeln:

• Freier Zugang zu sämtlichen Investitionen, auch Portfolioinvestitionen (Anlagen, bei denen es um Rendite und nicht um Einfluss auf Unternehmensentscheidungen geht), Entschädigung der Investoren bei Enteignung oder Verstaatlichung und sogar bei kostspieligen Umweltauflagen oder sozialen Regelungen.

• Umfassender Zugang ausländischer Monopole zu allen nationalen Wirtschaftsbereichen aller Länder der WTO.

• Klagebefugnis ausländischer Investoren gegenüber dem Gastland, Unterwerfung des beklagten Staats unter den Spruch eines internationalen Schiedsgerichts ohne Berufungsmöglichkeit. Ein Klagerecht von Gastländern gegen ausländische Investoren war nicht vorgesehen! Derartige Einschnitte in die nationale Souveränität kennzeichnen eine neue Qualität in der Untergrabung der Rolle der Nationalstaaten: Die internationalen Monopole werden schrittweise völkerrechtlichen Subjekten gleichgestellt, ihr Personal erringt den Status von Diplomaten. Die internationalen Monopole genießen Immunität, sie können Nationalstaaten verklagen, aber nicht selbst verklagt werden.

Diese Pläne stoßen weltweit auf breiten Widerstand. Selbst imperialistischen Regierungen gehen sie teilweise zu weit. 1998 erklärte die französische Regierung den Abbruch der MAI-Verhandlungen. Aber die internationalen Monopole werden letztlich nicht auf die angestrebten Möglichkeiten verzichten und das Abkommen – gegebenenfalls in modifizierter Form – gegen jeden Widerstand durchzusetzen suchen.

Es gibt keinen Zweifel, dass die Bedeutung der internationalen Organisationen IWF, Weltbank, GATT/WTO und auch internationaler Verträge gewachsen ist. Früher reichte die indirekte Abhängigkeit durch wirtschaftliche Infiltration und versteckte politische Einflussnahme aus und konnte die formale politische Unabhängigkeit der Nationalstaaten beibehalten werden. Die Neuorganisation der internationalen Produktion verlangt nun eine immer direktere Einflussnahme und deshalb eine fortschreitende Einschränkung der nationalstaatlichen Unabhängigkeit. Darin äußert sich die zunehmende Macht des internationalen Finanzkapitals über die Weltwirtschaft.

1) Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, eine Vereinigung von 34 Industriestaaten