Vor dem Stuttgarter NSU-Untersuchungsausschuss liegt viel Arbeit

Am 5. November letzten Jahres hat der baden-württembergische Landtag den Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus/NSU BW“ eingesetzt. Seine offizielle Aufgabenstellung: „Die Aufarbeitung der Kontakte und Aktivitäten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Baden-Württemberg und die Umstände der Ermordung der Polizeibeamtin M.K.“ Ob der Untersuchungsausschuss die richtigen Fragen aufwirft, wird sich zeigen. Ein Mitarbeiter der „Roten Fahne“ besucht die öffentlichen Ausschusssitzungen.

Schon jetzt kann der Untersuchungsausschuss die Behauptung der Ermittlungsbehörden widerlegen, die Polizistin Michèle Kiesewetter sei am 25. April 2007 auf der Heilbronner Theresienwiese von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ermordet worden. Kein einziges der 14 Phantombilder, die den Ermittlungsbehörden rasch nach der Mordtat präsentiert wurden, ähnelt den beiden NSU-Terroristen. Eines von ihnen wurde durch den Polizisten Martin Arnold erstellt, der wie Michèle Kiesewetter ermordet werden sollte, aber schwer verletzt überlebte. Ihm wurden schon bald nach dem Mordversuch „konkrete Erinnerungen an die Situation, die er sich immer wieder vor seinem inneren Auge abrief und beschrieb“1, bescheinigt. Das Phantombild ähnelt sehr stark dem zeitweiligen V-Mann des Landesamts für „Verfassungsschutz“ (LfV) Baden-Württemberg, Torsten Ogertschik alias „Stauffenberg“, Tarnname „Erbse“. Der hatte dem damaligen Mitarbeiter des LfV, Günter Stengel, bereits im August 2003 während eines langen Gesprächs in Flein bei Heilbronn von einer faschistischen Terrorgruppe namens NSU berichtet, was er heute allerdings nicht wahrhaben will.2 Insgesamt fünf Namen nannte „Erbse“ in diesem Gespräch.3 Haben also die Ermittlungsbehörden bereits 2003 von der Existenz des terroristischen NSU gewusst und nichts dagegen unternommen?

Zum ersten Mal verneinte Günter Stengel das am 16. März 2015 vor dem Stuttgarter Untersuchungsausschuss: Er habe diese Information damals für sich behalten, weil ihm Ogertschik insgesamt unglaubwürdig erschienen war. Später befasste er sich nach eigenen Angaben „im Einvernehmen mit Vorgesetzten“ nicht mehr mit der Sache.4 Als er allerdings sein Wissen über den NSU an seinen Vorgesetzten vorbei an den Berliner NSU-Untersuchungsausschuss weiterleitete, bekam Stengel massive Schwierigkeiten: Um ihn einzuschüchtern, wurde er so beschattet, dass er es merken sollte. Auch wurde er als „Nestbeschmutzer“ diffamiert. Schließlich wurde ihm eröffnet, gegen ihn werde angeblich wegen „Geheimnisverrats“ ermittelt. Allerdings lag nichts gegen ihn vor. Das erfuhr Stengel durch Anfrage bei der Bundesanwaltschaft. Schließlich ging er nach ernster Erkrankung 56-jährig in den vorzeitigen Ruhestand.5

Phantombild Nr. 8 zeigt höchstwahrscheinlich den aus Crailsheim stammenden kriminellen NPD-Funktionär Alexander Neidlein. Der desertierte 1993 während des Jugoslawienkriegs nach ein paar Tagen zusammen mit seinen Gesinnungsfreunden Franz Kunst und Stephan Rays aus einer Spezialeinheit des „Kroatischen Verteidigungsrats“ und entwendete dabei Waffen und Munition. Im selben Jahr ließen sich die drei dann von einem Horst Klenz für die südafrikanische, faschistische Söldnertruppe „Afrikaner Weerstandsbeweging“ anwerben. Zur Finanzierung ihrer Reise überfielen sie ein Postamt in Lübeck. In Südafrika empfing sie dann ein Mitglied des faschistischen Ku-Klux-Klan. Nach einem Feuergefecht mit der südafrikanischen Polizei 1994 wurde Neidlein lediglich wegen „illegalem Waffenbesitz“ zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und nach Deutschland abgeschoben. Während er wegen seines Raubüberfalls eine Gefängnisstrafe verbüßte, wurde er in faschistischen Medien zum „politischen Gefangenen“ hochstilisiert. Nach seiner Haftentlassung machte er in der NPD Karriere.6

Nach Aussagen der Eltern von Florian Heilig vor dem Stuttgarter Untersuchungsausschuss war ihr Sohn der Meinung, dass neben Alexander Neidlein auch die „braune Friseuse“ Nelly Rühle auf die Anklagebank des Münchner NSU-Prozesses gehört. Zudem hatte Heilig gesagt, er wisse, wer hinter dem Mord an Michèle Kiesewetter stecke.7 Zur Erinnerung: Florian Heilig war ein Aussteiger aus der Neonaziszene. Noch bevor er erneut beim Landekriminalamt über das Umfeld des NSU in Baden-Württemberg aussagen konnte, verbrannte er am 16. September 2013 am Rand des Cannstatter Wasens in Stuttgart im Auto seines Vaters. Zwar war er im Zeugenschutzprogramm „Big Rex“, wurde aber nach Aussagen seiner Eltern nie wirklich geschützt.8 (Die „Rote Fahne“ berichtete.) Schon vor seinem angeblichen Freitod hatte Florian Heilig dem Verfassungsschutz über ein Treffen zwischen dem NSU und der „Neoschutzstaffel (NSS)“, einer anderen faschistischen Terrorgruppe, vor 2007 im „Haus der Jugend“ in Öhringen berichtet. Das hatte Heilig von einem Mann mit dem Spitznamen „Matze“ erfahren, mit dem er häufiger in der faschistischen Szene unterwegs gewesen war.9 Freilich wurde er damals vom „Verfassungsschutz“ als „Aufschneider“ abgetan. Inzwischen hat die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen wegen Mord an Florian Heilig wieder aufgenommen.10

Bei Nelly Rühle haben sich immer wieder terrorbereite Faschisten getroffen. Zwischen 2007 und 2011 berichtete darüber eine V-Frau mit dem Tarnnamen „Krokus“, für den „Verfassungsschutz“ die „geborene Quelle“. Kurz nach der Ermordung von Michèle Kiesewetter erfuhr „Krokus“ dann, dass der schwerverletzte Martin Arnold im Kreiskrankenhaus von einer Krankenschwester ausgespäht wurde, ob er wieder vernehmungsfähig sei. Wenn ja, dann müsse überlegt werden, „ob etwas zu tun sei“, so „Krokus“. Offenbar sind die Ermittlungsbehörden dieser Spur bisher nicht nachgegangen.11

Bleiben unter anderem noch Hinweise auf den „Ku-Klux-Klan Südwest“ (KKK), der vom ehemaligen V-Mann des LfV, Achim Schmid, im Jahr 2000 gegründet wurde. Die Aktivitäten des KKK sind bis 2004 nachweisbar, was nicht heißt, dass er seither nicht mehr besteht. Kurz nach seiner Gründung freute sich der „Klan“ über so regen Zulauf aus den Reihen der Polizei, dass über eine besondere Sektion des KKK für Polizisten nachgedacht wurde. Nachweislich hatten auch Mitglieder der Polizeieinheit von Michèle Kiesewetter dem KKK angehört. Trotz all dieser Fakten wurde bisher noch nicht in diese Richtung ermittelt.12

Viel Arbeit liegt vor dem Stuttgarter Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus/ NSU BW“. Bei gründlichen Untersuchungen kann er wichtige Beiträge zur Aufklärung der strukturellen Verbindungen des faschistischen Terrors mit Geheimdiensten, der Enttarnung brauner Netzwerke und für die Strafverfolgung faschistischer Terroristen leisten.

 

1 Thomas Moser und Hermann Abmayr: „Die vertuschten Phantome von Heilbronn“, „Kontext“ vom 17.7.2013

2 Thomas Moser: „Doppelspiel der Schlapphüte?“ „Kontext“ vom 22.5.2013

3 Thomas Moser „Kontext“, 17.7.2013, eigene Mitschrift von der Sitzung des Stuttgarter Untersuchungsausschusses vom 16.03.2015

4 Thomas Moser, „Kontext“, 17.7.2013, eigene Mitschrift

5 Eigene Mitschrift beim Untersuchungsausschuss vom 16.3.2015

6 Lutz Buklitsch: „Alexander Neidlein (NPD) – Söldner/V-Mann(?), Bankräuber – jetzt NPD-Vorsitzender“ in: Prof. Dr. Hajo Funke „Politik & Zeitgeschehen“ vom 4.5.2014

7 swr „Landessschau aktuell“ vom 13.03.2015

8 „Reutlinger Generalanzeiger“ vom 21.03.2015

9 swr „Landesschau“ 13.3.2015

10 „Stuttgarter Zeitung“ vom 14.3.2015 und vom 24.3.2014

11 Wolf Wetzel: „Die Spur des ,Krokus‘ – NSU-Untersuchungsausschuss“, „Eyes Wide Shut“ vom 16.3.2013

12 Wolf Wetzel: „Aufklärung mit Persilschein“, „Eyes Wide Shut“ vom 2.11.2014