Die Ukraine-Krise und Merkels Haltung zur „Stärke des Rechts“ und zum „Recht des Stärkeren“
Auszug aus der Aschermittwochsrede vom 18. Februar 2015 in Gelsenkirchen, gehalten von Lisa Gärtner und Peter Weispfenning zum Thema Ukraine
Vor ziemlich genau einer Woche trafen sich in Minsk einige der ausgewiesensten „Friedensfreunde“ der Welt zur Ukraine-Krise. … Sie alle wollten angeblich nur eines: „Frieden!“
Nach 16 Stunden Verhandlungen verkündete Merkel, dass jetzt ein „Hoffnungsschimmer“ am Horizont wäre. Und immerhin – meinte sie durchaus etwas stolz: „Das, was wir erreicht haben, ist mehr, als wenn wir nichts erreicht hätten!“ Also nach Merkels politischen Maßstäben ein voller Erfolg!
Die neue Minsker Vereinbarung sieht 13 Punkte vor. Im Wesentlichen entsprechen sie dem mehrmals gescheiterten Minsker Abkommen vom 19. September letzten Jahres, wie:
• mehr Einfluss für die OSZE,
• Sonderstatus für die Ost-Ukraine,
• Amnestie,
• freies Geleit für humanitäre Hilfslieferungen,
wobei eine Waffenruhe und der Abzug schwerer Waffen die ersten zentralen Punkte sein sollten.
Vieles war von vorne herein nicht ernst gemeint. So versuchten die Kontrahenten, im Windschatten des Abkommens strategische Positionen zu erobern. Die sogenannten „Separatisten“ nahmen das strategisch wichtige Debalzewe ein und von einer Waffenruhe kann bislang keine Rede sein.
Dass das Abkommen überhaupt zustande kam, zeigt natürlich, dass weder die EU noch Russland derzeit ein Interesse an einem offenen kriegerischen Schlagabtausch haben. Doch an den Ursachen der Krise, an den Zielen, an den Motiven hat sich nichts geändert!
Wenn in unseren Medien über die Ukraine-Krise berichtet wird, dann ist das ungeheuer vordergründig und manipulativ. Es wird so dargestellt, als ob der Kern der Angelegenheit eine Aggression Russlands wäre, gegen den die NATO, die EU und Deutschland die Freiheit, die Demokratie und was weiß ich noch alles verteidigen müssten. So erklärte Merkel unlängst, dass es Putin sei, der auf das angebliche „Recht des Stärkeren“ setze und „die Stärke des Rechts missachte“.1 Sehen wir einmal genauer nach, wer hier eigentlich wessen „Recht“ missachtete und eine Politik der imperialistischen „Stärke“ verfolgt und praktiziert.
Bei der Wiedervereinigung Deutschlands hatten die USA und die Bundesregierung Russland zugesichert, den NATO-Einflussbereich nicht weiter nach Osten auszuweiten. So hatte Genscher schon am 31. Januar 1990 öffentlich in Tutzing erklärt: „Was immer im Warschauer Pakt geschieht, eine Ausdehnung des NATO-Territoriums nach Osten, das heißt näher an die Grenze der Sowjetunion heran, wird es nicht geben.“2 Das wurde später von Kohl, dem US Außenminister Baker und anderen bekräftigt und der sowjetischen Regierung auch mitgeteilt. Später – nachdem die NATO längst Fakten geschaffen hatte – erklärte Genscher, diese Zusagen seien Null und nichtig. Denn – so Genscher – ohne dieses Versprechen hätte Russland der Wiedervereinigung niemals zugestimmt, es sei doch einzig und allein darum gegangen, Moskau „eine Brücke“ zur Wiedervereinigung zu bauen. Skrupellos nutzte die NATO den wirtschaftlichen und politischen Rückfall Russlands nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aus.
Inzwischen sind von den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten Mitglieder der NATO geworden: Polen, Tschechien, Ungarn, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Albanien und Kroatien. Weitere Mitgliedschaften werden derzeit verhandelt mit Mazedonien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina, Kosovo.
Die NATO ist bis direkt an das russisches Territorium herangerückt; es wird eine richtige Umkreisungspolitik gemacht. Die USA drängen auf eine Einbeziehung von Georgien und der Ukraine, was aber noch am Widerstand Russlands scheitert. Und während Merkel als friedliche Mutti auftritt, so fährt sie diesen imperialistischen Kurs führend mit. Die Bundeswehr hat sogar die Führungsrolle in der neuen osteuropäischen Interventionsstreitmacht der NATO. Sie stellt 4.000 Soldaten zur Verfügung.
Im Jahr 2015 sollen US-Raketen in Rumänien und ab 2018 auch in Polen stationiert werden. Wisst ihr noch, was die USA machten, als Russland 1962 Raketen auf Kuba stationieren wollte? Die USA drohten mit einem Atomkrieg und waren auch dazu bereit. Nur weil Chruschtschow in letzter Sekunde einen Rückzieher machte, verzichteten die USA auf einen „Präventivschlag“.
In der Ukraine-Krise kulminiert viel mehr, als es auf den ersten Blick erscheint. Der konkrete Ausgangspunkt der Krise in der Ukraine lag ja gerade darin, dass die EU darauf bestand, dass sich die Ukraine in den riesigen europäischen Binnenmarkt und die EU integriert und aus dem Einflussbereich Russlands herausgerissen wird. So kommt es dem Kern des Streits schon näher, wenn im Mittelpunkt der gemeinsamen (Minsker-)Erklärung ausdrücklich „die Umsetzung des Freihandelsabkommens zwischen der Ukraine und der EU“ steht. Dabei setzen die westeuropäischen Imperialisten freilich mehr auf ihre Politik der „friedlichen Durchdringung“ und sind nicht so offen aggressiv wie die USA.
Für EU und NATO hat die Ukraine eine besondere Bedeutung. Die Ukraine ist das mit Abstand größte Flächenland innerhalb Europas. Mehr als 45 Millionen Einwohner versprechen einen riesigen neuen Absatzmarkt und billige Arbeitskräfte. Die Ukraine ist weltweit siebtgrößter Getreideproduzent. 18 Billionen Kubikmeter Schiefergas werden dort vermutet, vor allem in der Donbass-Region. Das heiß umkämpfte Donbass-Becken war eines der weltweit größten Zentren der Schwerindustrie mit Eisenerz, Steinkohlebergbau und Metallverarbeitung - darunter 50 große Rüstungsbetriebe.
Russland will den Einfluss über die Ukraine nicht verlieren und konnte im Zusammenhang mit dem Aufschwung der BRICS- und MIST-Staaten auch wieder an ökonomischer und politischer Kraft zulegen. Russland geht seinerseits auch imperialistisch vor und verleibte sich die Krim völkerrechtswidrig ein.
Das Minsker Abkommen bedeutet also bestenfalls eine Atempause im Ukraine-Konflikt. Denn hier stehen sich die beiden imperialistischen Machtblöcke NATO und EU auf der einen und Russland auf der anderen Seite unmittelbar gegenüber. Eine solch brandgefährliche Situation hat es auf der Welt seit über 50 Jahren, seit der Kuba-Krise nicht mehr gegeben. Der Stellvertreter-Krieg in der Ukraine hat schon jetzt über 5.000 Tote gekostet. Zwei Millionen Menschen sind auf der Flucht, darunter 400.000 Kinder.
Der aktive Widerstand für den Weltfrieden gegen alle imperialistischen Rivalen muss ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Der Hauptaggressor, das sind die NATO, die EU und die Merkel-Regierung!
Natürlich geht es auch nicht an, den russischen Imperialismus in Schutz zu nehmen, nur weil er gegen die NATO auftritt, wie es zum Beispiel die DKP oder Teile der Linkspartei machen. Wer die eine imperialistische Macht im Kampf gegen andere unterstützt, der landet selbst tief im reaktionären Sumpf.
Aber: unser Hauptfeind steht im eigenen Land – der BRD-Imperialismus!
Unsere Solidarität gehört nicht irgendwelchen Reaktionären und Imperialisten!
Sie gehört dem Kampf des ICOR-Mitglieds KSRD (Koordinierungsrat der Arbeiterbewegung der Ukraine) und der ukrainischen Arbeiterklasse gegen Imperialismus und Reaktion und für eine freie, vereinigte sozialistische Ukraine!
Quellen:
1 „Spiegel Online“ vom 18.12.2014
2 „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 19.10.2014