Zehn Jahre Oury-Jalloh-Initiative –Zehn Jahre harter Kampf um das Menschenrecht
Interview mit Mouctar Bah von der „Initiative im Gedenken an Oury Jalloh e.V.“
2005 wurde Oury Jalloh im Gewahrsam der Dessauer Polizei ermordet. Laut polizeilichen Ermittlungen soll er sich in einer gefliesten Zelle, auf einer nicht entflammbaren Matratze und an Händen und Füßen gefesselt selbst verbrannt haben. Beweise kamen „abhanden“, „neue“ tauchten nach Monaten plötzlich auf. Um seinen Freund Mouctar Bah bildete sich eine Initiative vor allem afrikanischer Flüchtlinge, um diesen Mord aufzuklären. Es gab langjährige Prozesse, begleitet von vielen Demonstrationen, damit die Justiz nicht einfach über diesen Mord hinweggeht – bislang vergeblich. Bestätigt wurde letztes Jahr nur ein Urteil gegen einen Polizeibeamten wegen unterlassener Hilfeleistung. Er hatte den Brandmelder einfach „weggedrückt“. Die Oury-Jalloh-Initiative gab sich nie damit zufrieden, stellte eigene Untersuchungen an, führte im letzten Jahr eine viel beachtete Pressekonferenz in Berlin durch, auf der unangreifbar nachgewiesen wurde, dass Oury Jalloh mit Hilfe von Brandbeschleunigern ermordet wurde. Die Initiative und insbesondere Mouctar Bah gerieten schnell ins Visier des Staatsschutzes. Sein in Dessau betriebenes Internet-Café wurde mehrfach von der Polizei überfallen, Männer und Frauen mussten sich in einem kleinen Raum nackt ausziehen, um angeblich nach Drogen untersucht zu werden. Auch die alljährlichen Demos zur Erinnerung an den Mord an Oury wurden widerrechtlich angegriffen. Während die verantwortlichen Beamten, die den letzten Überfall im Anschluss an eine Demo befehligten bzw. durchführten, nicht zur Rechenschaft gezogen wurden (Polizeidirektor und Justitiar bekamen „neue Aufgaben“ im Innenministerium), stehen Demo-Teilnehmer auch diese Wochen wieder vor Gericht: wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung usw. Mouctar Bah wurde durch die „Internationale Liga für Menschenrechte“ für sein langjähriges Engagement für die Menschenrechte mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet und war Schirmherr des Rebellischen Musikfestivals 2014.
Wie bewertest du eure bisherigen Aktivitäten?
Ich freue mich, dass zum 10. Jahrestag so viele Menschen wie nie auf der Straße waren. In Dessau waren es circa 1.000 Menschen. Es gab auch Demos in Köln und Mainz. In Paris, Rom und Zürich gab es wohl auch Kundgebungen vor den deutschen Botschaften – leider habe ich noch keine Rückmeldung. Die moralische Unterstützung läuft per E-Mail gut, aber wir stehen in den Aktivitäten noch am Anfang. Wir sind gerade dabei, uns mehr in Europa zu vernetzen und uns auch bis Afrika hinein stärker zu positionieren. Es geht ja nicht nur um Oury, sondern um die gesamten Flüchtlingsprobleme. Wieso dürfen neu ankommende Flüchtlinge nicht Deutsch lernen? Wieso wird ihnen Arbeit und Krankenversicherung verweigert? Häufig warten kranke Flüchtlinge zwei, drei Wochen auf einen genehmigten Arztbesuch. Das ist menschenunwürdig! Wir arbeiten seit Jahren an Konzepten – aber wir stehen vor einer großen Mauer: den Asylgesetzen.
Wir kümmern uns jetzt auch darum, den Flüchtlingen konkret zu helfen und sie zusammenzuschließen. Ich begrüße Initiativen in der deutschen Bevölkerung, die entgegen der geltenden Gesetze den Flüchtlingen hier uneigennützig helfen und sie willkommen heißen. So wie auf Nordstrand an der Nordsee mit 150 Bürgern, wie ich hörte. Beim Rebellischen Musikfestival 2014 in Truckenthal habe ich die Ferien- und Freizeitanlage kennengelernt. Sie liegt in den Bergen, mitten im Wald. Ihr Angebot, Flüchtlinge in dieser herzlichen Atmosphäre aufzunehmen, begrüße ich außerordentlich. Das ist ein Kontrastprogramm gegen die unhaltbaren Zustände in vielen Flüchtlingsheimen. Die Betreiber bekommen viel Geld, die Flüchtlinge leiden unter unsagbaren Verhältnissen wie in einem Gefängnis ohne jegliche Rechte. Da kann es schon einmal vorkommen, dass vier Leute in einem Zimmer untergebracht werden – und das für 600 Euro an die Betreiber pro Flüchtling und Monat! Flüchtlinge sollen menschenwürdig mit Anspruch auf Privatsphäre behandelt werden. Mit dem Recht, Deutschkurse belegen zu können und arbeiten zu dürfen. Dafür kämpfen wir. Allerdings haben wir auch Probleme, wenn unter dem Namen von Oury Jalloh Polizeistationen wie in Leipzig angegriffen werden. Das ist nicht unsere Sache. Wer weiß, welche Kräfte dahinter stecken und was sie bezwecken?
Kannst du etwas zur Bewegung für Freiheit und Demokratie in Afrika und im Nahen und Mittleren Osten, z. B. Rojava, sagen?
Wir unterstützen diese Bewegung. Wir kennen aktive Teilnehmer z. B. aus Ägypten. Bedauerlich ist, was danach passierte – aber die Schuld haben nicht die Leute, sondern das System, das dahinter steckt. Ich stehe für den Dialog, nicht für die militärische Lösung. Aber ich weiß, dass die Rüstungsindustrie den Leuten den Krieg aufzwingt. Über Rojava kann ich nichts sagen, weil ich darüber nicht so viel weiß. Wichtig ist, dass es eine breite internationale Solidarität mit der Bevölkerung gibt. Wenn der Kapitalismus dazu führt, dass die um Befreiung ringende Bevölkerung mit Waffen angegriffen wird, dann muss die Bevölkerung auch angemessen reagieren können. In solchen Fällen muss ein Waffenembargo auch fallen – wie soll sich die Bevölkerung sonst durchsetzen können?
Es gibt diese Bewegung für Freiheit und Demokratie nicht nur in Nordafrika. In Burkina Faso wurde vor drei Monaten eine 27-jährige Diktatur von Blaise Compaoré gestürzt. Revolutionäre Jugendliche haben das fertig gebracht. Es gab Demos, Streiks, Blockaden über viele Tage hinweg. Das Land stand still. Es wurden viele von Polizei und Armee erschossen, das Volk wehrte sich mit Steinen. Letztlich waren bei einer Bevölkerung von zehn Millionen mehr als drei Millionen gegen die Regierung auf der Straße – im ganzen Land! Die Regierung musste schließlich abtreten und in die Elfenbeinküste fliehen.
Aber bei einem hochgerüsteten und großen Land kann man doch nicht auf moralische Skrupel setzen?
Da hast du Recht. Die Bevölkerung braucht letztlich ebenbürtige Waffen und die internationale Solidarität. Es ist auch wichtig zu sagen: Bleibt, wenn es nur irgendwie möglich ist, in euren Ländern und nehmt den Kampf auf.
Was kannst du aktuell zur Flüchtlingsbewegung sagen?
Sie nimmt seit Jahren zu und wird wegen der verheerenden Kriege, wegen Umweltkatastrophen usw. weiter zunehmen. Ich war vor kurzem in Afrika. Die Inlandsproduktion wird dort systematisch zerstört. Ein Huhn kostet in Eigenproduktion auf dem Markt etwa 4,50 Euro, ein importiertes Huhn aus Europa aber nur 3 Euro. Also stirbt die Eigenproduktion, die Leute verlieren ihre Arbeit und haben dann kein Geld mehr, selbst die billigen Auslandsprodukte zu kaufen. Die Bäume werden für Europa gefällt. Mit der Anpflanzung von Blumen für den europäischen Markt mittels chemischer Mittel wird der Boden für die einheimische Agrarwirtschaft völlig zerstört. Maniok, Reis und Kartoffeln wachsen dort nicht mehr. Selbst das Trinkwasser wird sehr offensichtlich für die ausländischen Konzerne abgezweigt – bei Protesten der Bevölkerung auch mit Waffengewalt. Was sollen die Leute machen? Sie fliehen nach Europa – und wenn es das Leben kostet. Denn in Afrika gibt es Gebiete, in denen man nicht mehr überleben kann. Du hast vorhin zu Recht gesagt, dass die Verursacher der Flüchtlingsströme und die Verursacher der reaktionären Flüchtlingspolitik in Deutschland oder Europa dieselben Namen tragen. Du hast die ICOR (Internationale Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen, in der auch die MLPD Mitglied ist – Anm. d. Red.) angesprochen. Ich kenne sie noch nicht, finde aber den Gedanken an eine Kraft, die dem internationalen Finanzkapital überlegen ist, sehr gut. Auch, dass die Leute in jedem Land um ihre Befreiung unter allen Umständen kämpfen müssen und jeder Flüchtling ebenfalls den Kampf um Befreiung in seinem neuen Land unterstützen muss.
Vielen Dank für das Gespräch.
Ein neues Musikvideo klagt den Mord an Oury Jalloh an:
www.initiativeouryjalloh.wordpress.com/2015/01/08/matondo-oury-jalloh-daswarmord/
Weitere Infos unter:
www.initiativeouryjalloh.wordpress.com
Gegenwärtig sammelt die Initiative Spenden für ein neues Brandgutachten (Spenden bitte auf folgendes Konto:
Initiative in Gedenken an Jalloh e.V.
Bank für Sozialwirtschaft
BIC: BFSWDE33BER
IBAN: DE22 1002 0500 0001 2336 01