Wir haben die Schließung nie akzeptiert – und tragen die Fackel weiter

Es war schon dunkel, als am 8. Dezember die revierweite Kundgebung der Montagsdemo-Bewegung gegen die Schließung des Opel-Werkes in Bochum startete.

Aber unübersehbar war das lebendige Treiben, die vielen Transparente betrieblicher Delegationen und von Montagsdemonstranten verschiedener Städte. Viele Opelanerinnen und Opelaner zum Teil mit ihren Familien. Hunderte von Menschen, zeitweise über 600, kamen zusammen, vereint unter dem Motto: „Wir haben die Schließung nie akzeptiert … und tragen die Fackel weiter.“ Zum Teil nahmen Delegationen Hunderte von Kilometern Anfahrt auf sich: von Opel Eisenach und Rüsselsheim, Daimler Sindelfingen, Conti Hannover, Airbus Hamburg, von den Montagsdemonstrationen. Das Wetter war kalt und regnerisch. Und so war auch die Wut auf die skrupel­lose Arbeitsplatzvernichtung durch das GM/Opel-Management. Doch es wärmte die Solidarität, die Fackeln und der gemeinsame Kampfgeist. Die gesamte Kundgebung war ein Kontrastprogramm zum schon wochenlangen Abgesang auf das Opel-Werk und seine Belegschaft in den Medien. Dutzende Grußworte aus dem In- und Ausland zollten dem mutigen zehnjährigen Kampf dieser Belegschaft Respekt. Aus Medien, Kultur und Politik. Norbert Blüm schickte ebenso Grüße wie der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske oder die ehemalige Vize-DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer. Der Kabarettist Wilfried Schmickler wünscht, sich nicht unterkriegen zu lassen, bis für „die da oben“ mal die letzte Schicht ist. Von Niedergeschlagenheit war nichts zu spüren. Wohl aber von Nachdenklichkeit und Entschlossenheit.

In der Vorwoche, als der letzte Zafira vom Band lief, war Opel bundesweit in den Medien ein großes, ja gesellschaftliches Thema. Tausende brachten ihren tiefen Respekt vor den Opelanern zum Ausdruck. Die bürgerlichen Medien berichteten teils mitfühlend, aber meist im Tonfall der Niederlagenstimmung und Resignation. Zum Teil auch die, die sich nie wirklich für den Erhalt des Werkes eingesetzt hatten oder sich am Mobbing gegen die kämpferischen Kräfte beteiligt hatten.

Den Opel-Kollegen wurde nochmals drastisch vor Augen geführt, was die Werksleitung von ihren „lieben Mitarbeitern“ hält. Hochmoderne Maschinen und Anlagen wurden ihnen praktisch unterm Hintern abgebaut, während sie noch daran arbeiteten. Sorgsam von den Arbeitern gepflegtes Werkzeug wurde vor den Augen der Beschäftigten in Containern verschrottet – kapitalistische Destruktivkraft live. Auf der letzten Betriebsversammlung am 8. Dezember gab es noch nicht einmal den Ansatz einer würdigen Verabschiedung. Und viele Dinge sind für die Belegschaft nach wie vor ungeklärt.

Die Kundgebung am 8. Dezember – initiiert von der Montagsdemo-Bewegung – war kein Abschied im klassischen Sinn. Es war eine Verarbeitung und Verpflichtung. Dutzende Konzernbelegschaften stehen vor ähnlichen Fragen. „Wir tragen die Fackel des Klassenbewusstseins und der Erfahrungen weiter“, das schworen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Bewegende Worte von der „OFFENSIV-Liste“

Am letzten Freitag lief hier in Bochum bei Opel der letzte Zafira vom Band“, berichtete Annegret Gärtner-Leymann. Die 36-jährige Wanne-Eicklerin ist seit 2006 Betriebsrätin bei Opel Bochum. Mit vielen Mitstreiterinnen und Mitstreitern der Betriebsratsliste OFFENSIV trug sie einen gemeinsamen Beitrag vor: „Kollegen, die seit Jahrzehnten im Werk arbeiten, kamen die Tränen. Die Stimmung war sehr bewegt, stolz und fast feierlich zurückblickend auf die letzten Jahrzehnte und das, was wir geleistet haben. Sehr traurig über den Verlust der Kollegen und den Zusammenhalt, den manch einer jetzt erst richtig zu schätzen gelernt hat. Ein Einschnitt im Leben von jedem von uns.“

Einer ihrer Kollegen fährt fort: „Zwanghaft versucht man uns als Verlierer darzustellen. Dabei haben nicht wir das Werk aufgegeben, sondern GM die Bochumer Belegschaft. Das war ein Fehler, der ihnen noch leid tun wird! Eines ist ganz sicher: Wir sind keine Verlierer! Denn auch wir haben dazugelernt! Der Kampf um irgendeinen Arbeitsplatz geht ja weiter. Einmal in einem anderen Unternehmen angekommen, wird schnell klar: Nach ähnlichem Strickmuster wird es wieder Angriffe auf unsere berechtigten Errungenschaften geben! Wann immer in einem anderen Unternehmen Begrifflichkeiten wie Zukunftsvertrag, Restrukturierung, Masteragreement oder auch Überkapazität und Kapazitätsanpassung fallen, dann werden an erster Stelle bei den Ex-Opelanern die Alarmglocken schrillen.“

Womit die Belegschaft konfrontiert war

Auch führende Betriebsräte attackierten uns, warnten die Belegschaft vor ,Splittergruppen‘, die provozieren und ihr parteipolitisches Süppchen kochen wollen“, schildert Annegret Gärtner-Leymann weiter. „Sind diese Leute nicht die tatsächlichen ,politischen Süppchenkocher‘? Leute, die aus rein politischen Motiven alles gegen einen Streik tun, obwohl sie wissen, dass es der einzige Weg ist, den Kampf um die Arbeitsplätze zu führen? Wenn man bewusst gegen die Interessen einer Belegschaft und der ganzen Arbeiterklasse arbeitet, nur weil einem vielleicht die eine oder andere politische Meinung oder Parteizugehörigkeit nicht passt und man deren Einfluss um jeden Preis verhindern muss. Das nenne ich politisches Süppchen kochen.“

Opel wollte den Kampfgeist brechen …

Viele waren gespannt, wie Stefan Engel den Kampf um das Bochumer Opel-Werk bewertet. Immerhin hat der Vorsitzende der MLPD seit rund 20 Jahren die Belegschaft immer wieder in ihren Kämpfen beraten und ihre Erfahrungen in verschiedenen seiner Bücher für die gesamte Arbeiterklasse verallgemeinert.

In den letzten Tagen gab es eine sehr intensive Diskussion“, berichtet Stefan Engel. „Es ging um die Frage, ob die Stilllegung von Opel Bochum als eine Niederlage der Opel-Arbeiter bewertet werden soll oder nicht. Natürlich hat General Motors, einer der mächtigsten Konzerne der Welt, hat die Bundesregierung gestützt auf die Kapitulation der Klassenzusammenarbeitspolitik der rechten Gewerkschaftsführung erreicht, dass Opel Bochum jetzt geschlossen wird. Und es ist auch gelungen, einen unbefristeten Streik der Opelaner gegen die Stilllegung zu unterbinden. Trotzdem wäre es weit verfehlt, einseitig und falsch, den Kampf der Opelaner so als eine Niederlage darzustellen. Den Herrschenden kam es von Anfang an darauf an, dem kampfstarken Zentrum, wenn nicht gar dem kampfstärksten Zentrum der deutschen Arbeiterbewegung ge­genwärtig und der letzten Jahre, den Opelanern, eine deftige Nie­derlage beizubringen.“

und damit ist Opel gescheitert

Opel konnte die Belegschaft nicht brechen: Die Opelaner lehnten in Würde und klassenbewusst den Lohnverzicht und die Stilllegung bis zum Schluss ab.

Mit der Stilllegung klafft eine offene Wunde des Klassenantagonismus, etwas, was man in
der Bundesrepublik Deutschland heute überhaupt nicht mehr haben kann“
, wertet Stefan Engel aus. Geht es nach den Herrschenden, gibt es den Klassenkampf überhaupt nicht mehr. Angeblich würde jetzt alles gemeinschaftlich gelöst werden, sitzen die Gewerkschaften am Tisch, verhandeln alle. Genau dieser Weg der Klassenzusammenarbeit ist mit dieser Schließung gescheitert: „Jede Stilllegung und Entlassung ist ein offener Klassenantagonismus. Und es ist gelungen, dass dieser Klassenantagonismus nicht verschüttet wird, nicht zugedeckt wird durch die Zustimmung der Opelaner. Das allgemeine Gesäusel von Geheimverhandlungen und Sozialpartnergeschwätz sollte die Leute darüber hinwegtäuschen, dass hier ein Konzern schnöde über die Existenz von Tausenden von Menschen seine Profite sichert.

Vor allem haben die Opelaner es abgelehnt, die eigene politische Abstrafung gut zu befinden, die nur aus einem einzigen Grund erfolgt: Sie haben den Widerstand nie aufgegeben und daran festgehalten – das ist ein riesengroßer Sieg, das kann man sich gar nicht ausdenken, wie kann man 2,5 Jahre einem solchen Trommelfeuer standhalten.“

Wir haben die höchste Achtung vor den Opelanern“, zollt Stefan Engel der Belegschaft Respekt: „Sie sind ein Vorbild. Und dieser Geist und diese Denkweise der Klassenauseinandersetzung, das ist die entscheidende Fackel, die wir weitertragen müssen.“

Warum es nicht Streik kam

Und trotzdem gelang es der Belegschaft und ihren Unterstützern diesmal nicht, einen unbefristeten, selbständigen Streik gegen die Schließung auszulösen und durchzuführen. Auch diese Lehren müssen gezogen werden und Stefan Engel fährt fort:

Das hatte etwas damit zu tun, dass die sogenannten ,Linken‘, die sich auch zum Teil um oder in der Linkspartei organisiert haben, die sogenannten Linken im Betriebsrat und auch in der Führung von der Vertrauenskörperleitung in Bochum etwas merkwürdig verhalten haben. Das haben die Arbeiter nicht verstanden. Das waren die Leute, die noch 2004 den letzten Streik mit organisiert haben.“

Diese sogenannten Gewerkschaftslinken haben am Ende alles getan, um einen Streik zu verhindern. Sie sind auch vor antikommunistischem Mobbing und Unterdrückung nicht zurückgeschreckt, um die Belegschaft zu verunsichern. Dagegen hat die Klarheit und Bewusstheit diesmal noch nicht ausgereicht. Die Fackel weiter tragen heißt auch, mit dem lähmenden Einfluss des von den herrschenden verbreiteten Antikommunismus fertig zu werden. Heißt, sich besser zu organisieren, in der IG Metall, um die Kollegenzeitung „Blitz“ und ähnliche Zeitungen und in der MLPD. Stefan Engel dankte auch ausdrücklich den vier Bochumer Opel-Betriebsgruppen der MLPD und wünscht ihnen für die Zukunft alles Gute.

Unsere Stunde wird kommen …

Das gewachsene Klassenbewusstsein, der Stolz und die Würde, die die Opelaner zum Ausdruck bringen, ist eine entscheidende Grundlage dafür, dass die Arbeiterbewegung es lernt, nicht dabei stehenzubleiben, nur gegen Verschlechterungen wie Werkschließungen anzukämpfen, sondern auch die Kraft entfalten wird, in die Offensive zu gehen! Die Kundgebung brachte das ganze Leben und die Politik der Arbeiterklasse zum Ausdruck. Die Verbindung zur Umweltbewegung, den Frauen und der Jugend – zu fortschrittlichen Künstlern und Wissenschaftlern. Das internationale Industrieproletariat – das zeigen die internationalen Grußadressen und Videobotschaften aus Südafrika, Brasilien usw. an die Opelaner – ist eine weltumspannende Kraft. Sie ist in der Lage, eine Welt frei von Ausbeutung und Unterdrückung zu erkämpfen, die vereinigten sozialistische Staaten. „Wir waren, sind und bleiben Arbeiterinnen und Arbeiter und unsere Stunde wird kommen“ – das war in vielen, vielen Gesichtern an diesem Abend zu lesen.