25 Jahre Mauerfall: Wie der moderne Antikommunismus den Drang nach Freiheit und Demokratie missbraucht
Aus Rote Fahne 46/2014: In einer Auflage von 42 Millionen ließ der Springer-Verlag am 8. November eine Gratis-„Bild“-Ausgabe zum Mauerfall-Jahrestag an alle Haushalte verschicken. Finanziert wurde die aufwändige Aktion unter anderem durch Großanzeigen von VW, Deutsche Bank, Siemens, Lufthansa, Google, Deutsche Bahn und Deutsche Post.
Aus allen Rohren schoss der moderne Antikommunismus rund um den Jahrestag des Mauerfalls. Auch die „Rote Fahne“ erschien mit einem Titelthema zur Wiedervereinigung – ihre Botschaft war eine ganz andere …
„Wir sind das Volk“, heißt es unter anderem in der zweiseitigen VW-Anzeige. Die Deutsche Bank erklärt: „Wir feiern mit ganz Deutschland 25 Jahre Mauerfall“. Die anbiedernden Slogans lenken davon ab, um was es den Spitzen des deutsches Finanzkapitals genauso wie der Merkel-Regierung an diesem Tag vor allem ging.
Die große Masse der Menschen in Deutschland feierte den Sturz eines verhassten Regimes und die Überwindung der erzwungenen Teilung des Landes. Einer Teilung, die 1949 maßgeblich gerade von den Kreisen um VW, Siemens und die Deutsche Bank ausging.
Wenn die Herrschenden der BRD am 9. November etwas feierten, dann war es die mit der Wiedervereinigung gelungene Einverleibung der ehemaligen DDR in ihr Machtgebiet. Das war auch der Tatsache geschuldet, dass die revolutionären Kräfte damals zu schwach waren, um den Massen bei der Verarbeitung des Verrats am Sozialismus seit 1956 zu helfen. So blieb die demokratische Volksbewegung, die die Wiedervereinigung erkämpfte, ohne sozialistische Perspektive.
Die Hoffnung des Monopolkapitals, mit dem Ende der bürokratisch-kapitalistischen DDR auch das beschworene „Ende der Geschichte“ zu erleben oder wenigstens die Anziehungskraft der Idee des Sozialismus unter den Arbeitern und Volksmassen auszulöschen, hat sich aber nicht erfüllt.
Die offiziellen Feierlichkeiten zum Jahrestag des Mauerfalls und die „Bild“-Sonderausgabe waren ein Musterbeispiel für die Verbreitung des modernen Antikommunismus und der kleinbürgerlich-antikommunistischen Denkweise.
Auf allen Kanälen und Medien wurde der Tag schon seit Anfang des Monats zelebriert, Sondersendungen und -beilagen, Reportagen, 1.000 Facetten, Stimmen und bürgerliche Meinungen. Schließlich überfluteten eine Bundestagsdebatte und die Sonder-„Bild“ die Köpfe. Mal subtil, mal offen, manchmal auch aggressiv und für jedes Alter etwas dabei, war der einzige Zweck folgende Botschaft: Sozialismus bedeutet „Unfreiheit“, Kapitalismus dagegen „Freiheit“.
Damit sich diese antikommunistische Gegenüberstellung festsetzt, werden penetrant bürokratische Auswüchse und das seit 1956 in der DDR herrschende bürokratisch-kapitalistische Regime mit dem Sozialismus gleichgesetzt. Die marxistisch-leninistische Kritik an der Honecker-DDR wird ebenso unterschlagen wie die MLPD-Bewertung des 9. November, obwohl scheinbar alles und jeder zu Wort kommt.
Nicht gegen den Sozialismus, sondern gegen seine Perversion zum Stasi-Regime, das tatsächlich Freiheit und Demokratie mit Füßen trat, rebellierten die Massen 1989. Dass viele Menschen in Ostdeutschland mit der DDR nach wie vor auch positive Erinnerungen verknüpfen, ist nicht Honecker und Co. zu verdanken, sondern vor allem den Errungenschaften aus der antifaschistisch-demokratischen bzw. sozialistischen Anfangszeit der DDR.
Gleichzeitig haben die Herrschenden heute wachsende Probleme, ihren real existierenden Kapitalismus als „Reich der Freiheit“ zu verkaufen. Der Mauerfall zeige, „dass sich der menschliche Drang nach Freiheit nicht auf Dauer unterdrücken lässt“, so Bundeskanzlerin Merkel in einer Rede am Vorabend des Jahrestags. Wie scheinheilig: es ist ihre Regierung, die die Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge forciert, Bundeswehreinsätze und Geheimdienst-Bespitzelung noch ausbauen und das Streikrecht weiter beschneiden will. „Freiheit“ ist eine Klassenfrage. Wenn die Herrschenden von „Freiheit“ reden, meinen sie vor allem ihre Freiheit zur Ausbeutung der Arbeiter und Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen. Der Sozialismus setzt an Stelle dieser „Freiheit“ die Diktatur des Proletariats zur Niederhaltung aller Versuche, die Ausbeuterordnung wieder herzustellen. Erst dann wird es für die Massen wirkliche breite Demokratie geben.
Merkels Erkenntnis vom „unaufhaltsamen Drang nach Freiheit“ wird sich früher oder später anders bewahrheiten als ihr lieb ist: wenn immer mehr Menschen erkennen, dass nur mit einer sozialistischen Revolution der Kampf für Freiheit und Demokratie konsequent geführt werden kann und einen neuen Anlauf dafür beginnen. (ms)