Was soll beim NSU-Prozess vertuscht werden?
Der Antrag der NSU-Terroristin Beate Zschäpe auf Entpflichtung ihrer drei Pflichtverteidiger hat den Münchner NSU-Prozess wieder ins Licht der Medienöffentlichkeit gerückt.
Es ist bekannt, dass Zschäpe schon als sie sich 2011 der Polizei stellte sagte: „Ich will reden.“ Doch ihre Anwälte rieten ihr davon ab. Ihr schriftlich begründeter Misstrauensantrag gegen ihre Pflichtverteidiger wurde jetzt auf Antrag der Bundesanwaltschaft vom Gericht für unzulässig erklärt und Zschäpe schweigt weiter. Dass der Versuch, beim NSU-Prozess alle brisanten Zusammenhänge unter dem Deckel zu halten, immer wieder durchkreuzt wird, ist vor allem das Verdienst der engagierten Aufklärungsarbeit und öffentlichen Kritik von Antifaschisten, Angehörigen der Opfer und Nebenklageanwälten. Sie verlangen zu Recht umfassende Aufklärung und Bestrafung aller Verantwortlichen! Das stößt allerdings auf penetranten Widerstand des Gerichtes und anderer beteiligter staatlicher Stellen.
In einem Offenen Brief der Anwälte der Angehörigen und Verletzten vom 17. 2. 2014 stellen sie unter anderem die berechtigten Fragen: „Wie finanzierte sich der NSU? Half ihm staatliches Geld bei der Planung und Ausführung seiner Taten?“ Sie protestieren dagegen, dass „insbesondere die Bundesanwaltschaft“ alles unternimmt, „um diese Fragen aus dem Verfahren herauszuhalten“ und „Akteneinsicht … faktisch verunmöglicht“. Dem Generalbundesanwalt werfen sie vor, „sämtliche Aufklärung zu blockieren, die über ein bloßes Abhaken der formalen Anklagepunkte hinaus geht“ (siehe S. 6). Die Angehörigen der Opfer und ihre Anwälte erreichten dennoch die Vernehmung zusätzlicher Zeugen und bewegende Auftritte von Opfer-Angehörigen vor Gericht.
„Durchgeknallte Einzeltäter“ oder terroristische Vereinigung?
Zuletzt hatte auch der Ex-NPD-Funktionär und Kinder-Zuhälter Tino Brandt als Zeuge zugegeben, Geldbote des „Verfassungsschutzes“ an den NSU gewesen zu sein und 200.000 DM für den Aufbau der NSU-Kaderschmiede „Thüringer Heimatschutz“ bekommen zu haben. Die sogenannte „Operation Rennsteig“ war eine organisierte Zusammenarbeit zwischen dem Thüringer „Verfassungsschutz“ und Faschisten wie Tino Brandt zum Aufbau faschistischer Strukturen. Das untermauert genauso, wie eine ganze Serie weiterer Indizien und Beweise, dass es strukturelle Verbindungen zwischen Teilen des Geheimdienstes und der faschistischen Terrorgruppe NSU gab. Auf der vom BKA 2013 veröffentlichten Liste von 129 „möglichen“ Unterstützern des NSU stehen acht V-Leute des „Verfassungsschutzes“ und ein V-Mann des Berliner Landeskriminalamts. Und dann will der Staatsapparat von einem im Zuhälter- und Kindermissbrauchs-Milieu – das ohnehin polizeilich überwacht wird – verkehrenden V-Mannes angeblich nicht gewusst haben, was dieser treibt? Das kann glauben, wer will!
Die bisherige, offenbar koordinierte Prozesstaktik von Bundesanwaltschaft, Pflichtverteidigern und Angeklagten hat ein zentrales Element: indem die Rolle von Zschäpe verharmlost wird, soll der Vorwurf der „terroristischen Vereinigung“ als haltlos erscheinen, denn dieser Anklagepunkt gilt erst ab drei Personen.
Der Öffentlichkeit soll gleichzeitig ein Bild von „drei durchgeknallten Einzeltätern“ vorgeführt werden. Verhandelt werden ausschließlich konkrete Taten der drei Faschisten. Verstrickungen von Teilen der Geheimdienste und der Polizei, Verbindungen zu faschistischen Netzwerken im In- und Ausland werden systematisch ausgeblendet. So wurde auf Phantombildern vom NSU-Anschlag in der Kölner Probsteigasse ein stadtbekannter Neofaschist erkannt. Über die Auswertung von Handy-Ortung zeigt sich, dass bei verschiedenen NSU-Terroraktivitäten zeitgleich und ortsnah V-Leute anwesend waren. Tatsächlich haben wir es mit einer seit 1945 beispiellosen Serie kaltblütigen neofaschistischen Terrors zu tun, die nur durch ein Netzwerk von faschistischen Mittätern und Verbindungen in Geheimdienste, Polizei und Ermittlungsbehörden möglich war.
Mysteriöse Todesfälle
Am 16. 9. 2013 ist der geladene faschistische Zeuge Florian Heiliger in seinem Auto lebendig verbrannt. Er hatte bereits ausgesagt, dass es weitere ähnliche Zellen wie den NSU gäbe, so die „Neoschutzstaffel“ in Baden-Württemberg. Er war auf dem Weg zum Landeskriminalamt, um zu Hintermännern des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter im Jahr 2007 in Heilbronn auszusagen. Er hätte die Aussage eines beim Heilbronner Polizistenmord verletzten, aber überlebenden Polizisten untermauern können. Demnach wurden zwölf Phantombilder erstellt, nach denen mehrere V-Leute des Geheimdienstes und auch ein bekannter führender Faschist vor Ort gewesen sein müssen. Einige Zeit später erinnerte sich der Polizist nicht mehr daran. Heiliger konnte dazu nicht mehr aussagen. Es war Selbsttötung, sagt die Polizei.
Thomas Richter, der als V-Mann von 1994 bis 2007 für seine „Informationen“ 180.000 Euro erhalten haben soll, wurde im persönlichen Kontaktverzeichnis von Mundlos gefunden. Er war „führender Kader“ im Spektrum der faschistischen „Freien Kameradschaften“ und des „Blood&Honour“-Netzwerks. Nach Ansicht von Experten hätte er viele Informationen über den NSU liefern können. Anfang April 2014 wurde er von der Polizei in seiner Wohnung tot aufgefunden. Offizielle Todesursache: eine nicht erkannte Diabetes.
Greifen die Kräfte, die bisher verhindert haben, dass weitere Hintergründe ans Licht kommen, hier skrupellos durch?
„Pannen“ und „Fehler“ des Geheimdienstes?
Am 11. November 2011, drei Tage nachdem Zschäpe sich in Jena der Polizei stellte, gab der Leiter des Referats Beschaffung beim Bundesamt für „Verfassungsschutz“, Lothar Lingen, die Anweisung, Akten zur „Operation Rennsteig“ zu vernichten. Bis Juli 2012 hat das Bundesamt 310 Akten vernichtet. Die staatlichen Behörden hatten mehr als genug Informationen, um die NSU-Terroristen zu schnappen. Aber die Spuren wurden nicht verfolgt, teilweise wurde dies direkt verboten. Alles Zufall? Die „Frankfurter Rundschau“ berichtete am 2. 12. 2011, dass ein halbes Dutzend Aktennotizen aus der Zeit zwischen 2000 und 2002 existierten würde, aus denen hervorgeht, dass das Innenministerium Festnahmeversuche verhindert hat: „LKA-Zielfahnder hätten sich wiederholt über Behinderungen ihrer Ermittlungen Anfang der 2000er Jahre beschwert.“ Heute wird diese systematische Behinderung und Vertuschung verharmlosend als „Pannen“ und „Fehler“ bezeichnet. Was sich nicht mehr vertuschen lässt, wird als Folge einzelner Fehlleistungen dargestellt. Das glorreiche Ergebnis des parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschusses war eine „Reformierung“ des „Verfassungsschutzes“, die aber lediglich darin besteht, z. B. die Tätigkeit der V-Leute zwischen dem Bundesamt und verschiedenen Landesämtern besser zu „koordinieren“.
Die enge Verbindung von NSU und Teilen der Geheimdienste und des Polizeiapparats ist auch kein deutscher Einzelfall. Ähnlichkeiten und Parallelen gibt es zu den von der NATO aufgebauten sogenannten „Gladio-“ oder „Stay-Behind-Geheimarmeen“. Aktuell offenbart sich Ähnliches bei dem „Bombenlegerprozess“ in Luxemburg, in den der aktuelle EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verstrickt ist. In den 1980er Jahren gab es eine Serie von Bombenanschlägen in Luxemburg während seiner Amtszeit als Chef des Geheimdienstes. „Dahinter steckten luxemburgische Paramilitärs mit dem Codenamen ,Plan‘. Diese Geheimarmee der Nato hatte die Mission Operationen im Inland durchzuführen. … Die Anschläge sollten dabei wohl eine ,Strategie der Spannung‘ erzeugen, um die eigene Bevölkerung für höhere Sicherheitsausgaben und restriktive Gesetze zu überzeugen, vermuten Nato-Experten wie der Schweizer Historiker Daniele Ganser. Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) unterhielt Verbindungen zum luxemburgischen Stay-Behind-Netzwerk.“ („deutsche-wirtschafts-nachrichten.de“, 6.7.14)
Wie „unabhängig“ sind die Gerichte?
Die Justiz gehört zum Staatsapparat, der die Herrschafts- und Machtinteressen der herrschenden Klasse schützt. Wenn hier wirklich objektiv Recht gesprochen werden würde, dann wären schon längst weitere führende Repräsentanten des „Verfassungsschutzes“ wie auch von den verantwortlichen bürgerlichen Politikern auf der Anklagebank! Die MLPD fordert: Der Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ gehört auf die Anklagebank und muss aufgelöst werden! Verbot aller faschistischen Organisationen und ihrer Propaganda!
Geheimdienste sind im Kapitalismus systemimmanenter Bestandteil des Staatsapparats. Wohl aber kann in einem von breiten Massen getragenen aktiven antifaschistischen Widerstand die Auflösung dieses „Verfassungsschutzes“ erkämpft werden.
Das „Übel“ an der Wurzel anpacken!
Dem deutschen Staat und Deutschlands internationalen Übermonopolen sind diese Skandale und ihre Ausweitung ein Dorn im Auge, stören sie doch das mühsam aufgebaute bürgerlich-demokratische Image, das im internationalen Konkurrenzkampf von großer Bedeutung ist. In Deutschland steht keine faschistische Machtübernahme bevor. Die Gefahr des Faschismus liegt in der Zukunft, wenn die derzeitige Hauptherrschaftsmethode des Betrugs mit dem System der kleinbürgerlichen Denkweise eine Revolutionierung der Massen nicht aufhalten kann. Die Herrschenden werden auf den Aufbau faschistischer Kräfte als Speerspitze des Antikommunismus gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung aus strategischen Gründen nicht verzichten.
Die Angst der Herrschenden ist nur zu berechtigt, auch angesichts des sich beschleunigenden Übergangs zu einer globalen Umweltkatastrophe, der immer mehr Menschen gegen den Imperialismus aufbringt. Deshalb ist der Kampf um die Erweiterung und Verteidigung bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten sowie für das Verbot der faschistischen Organisationen und ihrer Propaganda ein wesentlicher Bestandteil der Vorbereitung der internationalen sozialistischen Revolution.