Die Kollektivierung in der Sowjetunion – antikommunistische Mythen und die tatächliche Erfolgsstory, Teil 2

In der „Roten Fahne“ 24/14 erschien der erste Teil dieser Korrespondenz über Kollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjet­union. Vom modernen Antikommunismus wird sie als angebliche „Zwangskollektivierung“ diffamiert. Tatsächlich war sie eine der großen positiven Umwälzungen der Menschheitsgeschichte. Ohne sie wäre der Sieg über den Hitler-Faschismus im II. Weltkrieg schwer vorstellbar gewesen. Aber es gab auch Fehler und Zwangsmaßnahmen und heftigen Widerstand der Feinde des Sozialismus, der reichen Großbauern. Davon handelt der zweite Teil der Korrespondenz aus Kassel.

Der 1. Fünfjahresplan war der entscheidende Schritt zur Kollektivierung

In den ersten zehn Jahren nach der Revolution lernte die Masse der Bauern die Vorteile der Zusammenarbeit und der modernen Technik kennen, durch genossenschaftliche Zusammenschlüsse, die Unterstützung durch staatliche Großbetriebe (Sowchosen), die den Bauern mit Einsatz ihrer Maschinen, Fachkräften, Saatgut usw. halfen. Eine weitere wichtige Erfahrung der großen Masse der Bauern war, dass sich ihre eigene Lage trotz anstrengender Arbeit nicht grundsätzlich verbesserte. Mehr noch, dass die reichen Bauern (Kulaken) ihre ökonomische und technische Überlegenheit nutzten, um das Dorf und dessen Bevölkerung ihren politischen und wirtschaftlichen Interessen und Zielen unterzuordnen.

Nachdem der XV. Parteitag die Kollektivierung beschlossen hatte, schlossen sich Mil­lio­nen Kleinbauern innerhalb weniger Jahre freiwillig in Artels zusammen. Zwischen 1929 und 1932 waren 61,5 Prozent der Klein- und Mittelbauern, etwa 14,9 Millionen Einzelwirtschaften in die Kollektive eingetreten. Diese massenhaften Eintritte in die Kollektivwirtschaften sind eine Tatsache, die auch Gegner der Kollektivierung nicht bestreiten können. Es ist auch deshalb falsch, von „Zwangskollektivierung“ zu sprechen. Zwangsmaßnahmen wurden von Lenin und Stalin und der Mehrheit der Parteiführung immer abgelehnt und bekämpft. Auch in den Beschlüssen auf den Parteitagen der KPdSU wurde immer die Freiwilligkeit der Kollektivierung betont.

Trotzdem gab es in verschiedenen Gebieten zeitweise auch Fälle von Zwangsmaßnahmen gegen Klein- und Mittelbauern. Einseitig administrative Methoden waren Ausdruck erns­ter bürokratischer Erscheinungen auch unter Funktionären der Partei. „Als Folge der von den Parteiorganisationen begangenen Fehler und der direkten Provokationsakte des Klassenfeindes zeigten sich in der zweiten Hälfte des Februar 1930, bei unzweifelhaften allgemeinen Erfolgen der Kollektivierung, in einer Reihe von Rayons (Verwaltungseinheiten) gefährliche Anzeichen einer ernstlichen Unzufriedenheit der Bauernschaft“, stellte das Zentralkomitee der KPdSU selbst fest. (3)

Die Gegner der Kollektivierung verschweigen allerdings bewusst, dass es Stalin und die Parteiführung waren, die die Zwangsmaßnahmen öffentlich gebrandmarkt haben. Es passt halt nicht ins Bild vom an­geb­lichen Diktator Stalin und der Zwangskollektivierung. Henri Barbusse, französischer Schriftsteller und Zeitzeuge, schreibt: „Es gab einen Augenblick, wo man aus dem Tritt kam. Man war zu schnell vorgegangen.“ (4) Am 2. März 1930 erschien in der „Prawda“ der Artikel Stalins „Von Erfolgen von Schwindel befallen“. Darin prangerte er Gewalt, bürokratische, schematische Methoden bei der Kollektivierung an und Versuche, die Entwicklungsstufe des Artels zu überspringen und das persönliche Eigentum der Bauern ebenfalls zu enteignen. „Die Erfolge unserer kollektivwirtschaftlichen Politik erklären sich unter anderem daraus, dass diese Politik auf der Freiwilligkeit in der kollektivwirtschaftlichen Bewegung und auf der Berücksichtigung der Mannigfaltigkeit der Bedingungen in den verschiedenen Gebieten der UdSSR beruht. Man kann nicht mit Gewalt Kollektivwirtschaften schaffen. Das wäre dumm und reaktionär. Die kollektivwirtschaftliche Bewegung muss sich auf die aktive Unterstützung der Hauptmassen der Bauernschaft stützen.“ (5)

Stalins Artikel führte „die Wendung herbei und korrigierte die Abweichung. Jede Traktorenstation wurde zu einer ideologischen Festung, von der aus man in das Gehirn der Bauernmassen aufklärend vorstieß. (…) 25.000 erprobte Kommunisten, 110.000 Spezialisten und zur gleichen Zeit 190.000 Traktorführer und Mechaniker (wurden) den Kolchosen zu Hilfe geschickt. Und sie sind mit ihrer Aufgabe fertig geworden.“ (6) In den weiteren Jahren von 1933 bis 1940 waren am Ende fast 100 Prozent der bäuerlichen Betriebe kollektiviert. „Die Erklärungen, dass Stalin gewaltsam und im Eiltempo die Kolchosen geschaffen hat, entsprechen nicht der Realität. Die Willkür auf diesem Gebiet wurde von der Parteiführung verurteilt und unterbunden. Das betrifft auch die unangebrachte Übereilung und den an den Tag gelegten Übereifer der Beamten vor Ort.“ (7)

Ohne die Fehler zu relativieren, ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass damals eine gesellschaftliche Entwicklung in Gang gesetzt wurde, die etwa 120 Millionen Menschen betraf und unter den Bedingungen der kapitalistischen Einkreisung und Bedrohung stattfand. Ohne Freiwilligkeit, die Initiative und die Unterstützung durch die große Masse der damaligen sowjetischen Bevölkerung wäre dieses gigantische Projekt überhaupt nicht zu verwirklichen gewesen. Die Partei vertraute der Masse der Bauern, dass sie sich für den Sozialismus einsetzen, und die Masse der Menschen vertraute der KP und ihrer Führung. Wie anders wäre es möglich gewesen, dass eine zahlenmäßig kleine Minderheit mit ihren politischen Ideen die überwiegende Mehrheit beeinflussen konnte. Eine solche Anstrengung, die von den Betroffenen große persönliche Opfer forderte, ist nicht vorstellbar, wenn die betroffenen Menschen nicht selbst dazu bereit gewesen wären.

Widerstand gegen die Kollektivierung

Massiven Widerstand gegen die Kollektivierung leisteten die reichen Bauern (etwa zwei bis drei Prozent der Bevölkerung) und die Kräfte, die hofften, sich auch weiterhin bereichern zu können. Ihnen ging es um den Erhalt ihrer gesellschaftlichen Stellung und um die Möglichkeit, durch Ausbeutung von Arbeitskräften, Spekulation und Wucher Profite zu machen. Deshalb unternahmen sie alles, um das Vorhaben der Kollektivierung zu sabotieren. Sie wiegelten Bauern auf, die unter ihrem Einfluss standen, schlachteten ihr Vieh (man geht von etwa zehn Millionen Pferden und noch mehr Kühen aus), zerstörten Felder von Kollektivwirtschaften oder brachten Mitglieder von Dorfsowjets und Kommunisten um. Es entstanden bewaffnete Banden, die Kollektivbauern terrorisierten und Jagd auf Mitglieder der kommunistischen Partei machten. Ziel war es, eine Versorgungskrise zu provozieren, in der Hoffnung, die Bevölkerung würde sich gegen den Sozialismus aufbringen lassen. Die konkreten Vergehen, Straftaten und Verbrechen waren Ausdruck der immer noch be­stehenden Klassenverhältnisse. Letztlich ging es um die Frage, ob die Klasse von Ausbeutern auf dem Lande weiter existieren kann oder ob die Aus­beutung, gesellschaftliche Ungleichheit, Privatbesitz an den wichtigsten Produktionsmitteln abgeschafft werden und die Ergebnisse der gesellschaftlichen Arbeit den Werktätigen zugute kommen. Für Antikommunisten wie Prof. Baberowski ist Klassenkampf eine Erfindung der Bolschewiki: „Der Kulak aber lebte nur in den Köpfen der Parteiführer, im Leben der Bauern kam er nicht vor“, behauptet er. (8) Auch in anderen Veröffentlichungen wird von „angeblichen Großbauern, denen unterstellt wurde, ärmere Dorfbewohner auszubeuten“ gesprochen. (9)

Der sozialistische Staat antwortete natürlich mit Repressionen auf das konterrevolutionäre Vorgehen der Kulaken. Aber es sind phantastische Zahlen über Millionen an Opfern, die nach Ansicht der Geschichtsfälscher natürlich „alle unschuldig“ waren, im Umlauf. Sie sollen Assoziationen zum millionenhaften Massenmord der Hitler-Faschisten wecken.

Anders Professor Stephan Merl von der Uni Bielfeld, der diese Zahlen um ein Vielfaches übertrieben sieht. Er wendet sich gegen die Gleichsetzung des Klassenkampfes auf dem Dorf mit dem planmäßigen Massenmord an den Juden durch die Nazis. Diese Gleichsetzung „Rechts = Links“ betreiben antikommunistische „Historiker“ wie Nolte, Baberowski, Snyder. Genauso weist Merl die Behauptung zurück, die Losung „Liquidierung der Kulaken als Klasse“ sei der Aufruf zur physischen Liquidierung der Kulaken gewesen. Gemeint war tatsächlich, dass der Kulakenklasse die ökonomische Basis entzogen werden musste.

Die rechtliche Diskriminierung der deportierten oder lokal umgesiedelten ,Kulaken‘ endete stufenweise seit 1933. Zunächst wurde bereits 1933 ,Kulakenkindern‘ das Wahlrecht zurückgegeben, wenn sie ,gesellschaftlich nützliche Arbeit verrichteten und gutwillig arbeiteten‘. Seit 1934 konnten auch Familienoberhäupter, die sich als Stoßarbeiter oder Spezialisten bewährt hatten, das Wahlrecht wie die Bürgerrechte wiedererlangen.“ (10)

Wer von den Opfern spricht, muss auch sagen, dass die Kulaken keinen Widerstand gegen die Kollektivierung hätten leisten müssen, sondern sich am Zustandekommen hätten beteiligen können. Viele dieser Leute waren aber Gegner des Sozialismus und schreckten nicht zurück, ihn mit allen Mitteln zu bekämpfen. Tatsache ist auch, dass es bei einer Bewegung, in die mehrere zehn Millionen Menschen einbezogen waren, zu Übergriffen und Ungerechtigkeiten kam und etliche auch unter der Flagge des Kampfes gegen die Kulaken persönliche Rechnungen beglichen haben.

Die Kollektivierung hat die Versorgungsprobleme in der Sowjetunion gelöst und die sprunghafte industrielle Entwicklung ermöglicht. Die Sowjetunion wurde damals das zweitgrößte Industrieland hinter den USA. Die Kollektivierung war ein Erfolg. Das hat sich auch daran gezeigt, dass die sowjetische Landwirtschaft während des Krieges die Versorgung von Armee und Bevölkerung sichern konnte, obwohl große landwirtschaftliche Flächen von der Naziwehrmacht erobert und besetzt wurden. Auch nach dem Großen Vaterländischen Krieg, in dem riesige Werte auch in der sowjetischen Landwirtschaft zerstört wurden, konnte die Ernährung in relativ kurzer Zeit wieder hergestellt werden.

 

Quellen:

(3) Geschichte der KPdSU, S. 373

(4) Henri Barbusse, Stalin eine neue Welt, Rotfront-Reprint, Berlin 1996, S. 228

(5) J. Stalin, Werke, Band 12, Dietz-Verlag Berlin 1954, S. 103

(6) H. Barbusse, … S. 228

(7) Die Wahrheit über Stalin. Gespräche mit Richard Iwanowitsch Kosolapow, Prof. Dr. der philosophischen Wissenschaften, S. 29

(8) J. Baberowski, Die Kollektivierung der Landwirtschaft und der Terror gegen die Kulaken

(9) http://www.gedenkmuster.uni-jena.de/index.php?id=71_deportation0enkmuster:

(10) Merl, Stefan, „Ausrottung“ der Bourgeoisie und der Kulaken in Sowjetrußland? Anmerkungen zu einem fragwürdigen Vergleich mit Hitlers Judenvernichtung